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- DAZ 38/2013
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Tag der Zahngesundheit
Wund im Mund
Diabetiker sind besonders gefährdet
Prof. Dr. med. dent. Bernd Wöstmann von der Justus Liebig Universität in Gießen beschäftigt sich seit Jahren mit geriatrischen Patienten. Dabei hat er viel Erfahrung in der zahnärztlichen Versorgung von Diabetikern gesammelt. Seine Kernaussage: Nicht nur der Parodontitis, sondern auch Prothesendruckstellen sollte bei Diabetikern mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.
DAZ: Herr Professor Wöstmann, bei der Behandlung von Diabetikern werden Wunden stets kritisch beobachtet. Vor allem beim Auftreten eines Dekubitus wird wegen der schlechteren Heilung eine engmaschige Wundversorgung angestrebt. Sie fordern bei Diabetikern die gleiche Aufmerksamkeit bei Zahnfleischbluten und Parodontitis oder Druckstellen. Warum?
Wöstmann: Bei einer Parodontitis ist die gesamte Region rund um die Zahnwurzeln von der Entzündung betroffen – die Oberfläche dieser Zahnfleischtaschen kann unter Umständen in etwa fast so groß wie eine Handfläche werden. Bei einem Dekubitus am Rücken in dieser Größe würde bei einem Diabetiker mit seiner durch die Mikroangiopathie zusätzlich eingeschränkten Immunlage sofort und massiv interveniert. Ganz anders bei der Parodontitis: Zum einen, weil man sie als „Nichtzahnarzt“ nicht erkennt und sich kaum die Fläche als Gesamtes vorstellen kann. Zum anderen, weil diese Erkrankung selten schmerzhafte Symptome verursacht. Bei Diabetikern mit Zahnersatz sind Druckstellen ein weiteres Problem, da sie durch die diabetische Neuropathie im Gegensatz zu Nicht-Diabetikern keinen Schmerzreiz durch die Entzündung und Schwellung wahrnehmen. Da aber sowohl Diabetologen, Internisten und Hausärzte als auch Pflegepersonal sich kaum mit der Mundhöhle beschäftigen – eine Parodontitis fällt eher durch Zahnfleischbluten auf, Druckstellen sind nur durch Rötungen und Schwellungen im Mundraum zu identifizieren –, kommen diese Patienten oft zu spät zum Zahnarzt oder einem speziell ausgebildeten Parodontologen. Nicht zu unterschätzen ist die Auswirkung der Parodontitis oder Druckstellen auf den Diabetes. Die Inflammation im Mundraum trägt zur Verschlechterung des Diabetes bei. Auch aus zahnärztlicher Sicht ist eine gute Diabeteseinstellung von großer Bedeutung, da dies die beste Prävention für Parodontitis und fulminierende Druckstellen ist. Wenn außerdem Haus- und Fachärzte, Apotheker und Pflegekräfte bei der Betreuung von Diabetikern nicht nur an den Augenarzt denken, sondern auch an den Zahnarzt, dann wird sich die Versorgungs- und Lebensqualität der Betroffenen steigern.
DAZ: Was können Diabetiker aktiv selbst für ihre Mundgesundheit tun?
Wöstmann: Diabetiker sollten in ihrem eigenen Interesse ihre Blutzuckereinstellung gut im Griff haben. Dazu kommt dann eine normale Zahnpflege – also zweimal täglich Zähneputzen und Zahnseide für die Zwischenräume – und der regelmäßige Check beim Zahnarzt. Wenn nötig, muss die Prothesenpflege dazu kommen – auch hier bürsten, Reinigungstabs allein reichen nicht aus. Damit sind Diabetiker bestens geschützt. Deshalb ist es wichtig, Diabetiker immer wieder in ihrer Compliance zu stärken und zu motivieren und – sofern eine Zahnfleischerkrankung besteht – am besten einen Fachzahnarzt für Parodontologie zu empfehlen.
DAZ: Im NRF finden sich einige standardisierte Rezepturen, unter anderem eine Chlorhexidingluconat-Mundspüllösung, eine fünfprozentige Dexpanthenol-Lösung sowie eine Triamcinolonacetonid-haltige Haftpaste. Wie beurteilen Sie diese Rezepturvorschläge für die Behandlung von Zahnfleischbluten und Parodontitis bei Diabetikern?
Wöstmann: In der Zahnheilkunde haben Arzneimittel in der Regel eine adjuvante Funktion. Sie heilen nicht, tragen aber zu einem schnelleren Heilungsprozess bei, wenn zuvor die zahnmedizinische Intervention erfolgt ist. Das gilt für Diabetiker wie für Nicht-Diabetiker. Bei einer Druckstelle unter der Prothese bedeutet das, dass auf jeden Fall der Auslöser für die Druckstelle an der Prothese entfernt werden muss. Da aber mit der Druckstelle auch eine Schwellung einhergeht, die Prothese aber weiter getragen werden soll, besteht unmittelbar nach der Anpassung der Prothese der Druck auf der entstandenen Schwellung weiterhin. Das Anpassen der Prothese erfolgt ja nur insofern, dass bei einem normalen Schleimhautzustand die Prothese wieder optimal sitzt. Deshalb ist für die Phase direkt nach der Anpassung der Prothese das Auftragen von z.B. einer Corticoid-haltigen Haftpaste sinnvoll. Ist die Schwellung verschwunden, sitzt die Prothese dann wieder optimal. Auch die Mundspüllösungen wirken nach einer Parodontalbehandlung adjuvant. Eine längerfristige Anwendung – hier reichen bereits sieben bis zehn Tage – von Chlorhexidin kann zu reversiblen Geschmacksstörungen führen. Noch ein Wort zu Haftcremes, danach fragen Patienten sicherlich auch in der Apotheke. Eine Haftcreme lindert keine Druckstellen – oft kommt es sogar zu einem verstärkten Knochenabbau an der Druckstelle. Denn auch wenn der Sitz der Prothese durch die Haftcreme abgefedert wird, bleibt der Druck in dem betroffenen Bereich bestehen und der Knochen reagiert darauf. Deshalb hier immer die Empfehlung, den Zahnarzt wegen einer Anpassung der Prothese anzusprechen.
Rezepturen im NRF zur adjuvanten zahnmedizinischen Behandlung
Mundspülungen (z.B. nach Eingriffen)
- NRF 7.2. Chlorhexidingluconat-Mundspüllösung 0,1%/ 0,2%
- NRF 7.3. Dexpanthenol-Lösung 5%
Haftpasten (zum Abschwellen und zur Schmerzlinderung bei Druckstellen)
- NRF 7.9. Tretinoin-Haftpaste 0,05% / 0,1%
- NRF 7.10. Triamcinolonacetonid-Haftpaste 0,1%
- NRF 7.11. Betamethasonvalerat-Haftpaste 0,1%
DAZ: Herr Professor Wöstmann, vielen Dank für das Interview!
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