Arzneimittel und Therapie

Ungeeignet zur Vorsorge, sinnvoll zur Verlaufskontrolle

Sinn und Unsinn von Tumormarkern

Sind Tumormarker wertvolle Diagnostika oder Laborwerte ohne spezifische Aussagekraft? Mit dieser Frage befasste sich Prof. Dr. Günther Wiedemann beim diesjährigen NZW Süd (NZW = Norddeutscher Zytostatika Workshop) am 14. September 2013 in Ravensburg. Sein Fazit: Tumormarker sind für die Krebsfrüherkennung nicht zu empfehlen, sie sind jedoch bedingt geeignet, den Verlauf einer onkologischen Erkrankung zu kontrollieren.

Es gibt keinen idealen Tumormarker, denn dieser fände sich nur beim Krebskranken und nicht beim Gesunden, oder es wäre zumindest eine eindeutige Konzentration bekannt, mit deren Hilfe man zwischen gesund und krank unterscheiden könnte, so Wiedemann. Dies ist aber nicht der Fall, denn die Konzentrationen einiger Serum-Biomarker überlappen sich bei Gesunden und Kranken. Dies hat zur Folge, dass sich ein gesunder Mensch bei erhöhten Werten beunruhigt und dass sich ein kranker Mensch bei normalen Werten in falscher Sicherheit wiegt. Dieses Dilemma zeigt sich besonders anschaulich beim PSA-Wert. Das prostataspezifische Antigen PSA ist nicht krebsspezifisch, und es gibt keinen definierten Referenzbereich, in dem ein Tumor sicher auszuschließen ist. Der allgemein akzeptierte Schwellenwert von 4,0 ng/ml ist eine relativ willkürlich gewählte Angabe, da auch bei einem Wert von 2 ng/ml Prostatakarzinome vorliegen können. Ferner gibt es keinen eindeutig festgelegten Schwellenwert für eine Indikation zur Prostatabiopsie. Wahrscheinlich weist ein jährlicher PSA-Anstieg um 0,7 ng/ml eher auf ein Prostatakarzinom hin als ein einmalig gemessener erhöhter Wert.Ist nun ein PSA-gestütztes Prostatakarzinom-Screening sinnvoll oder nicht? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage gibt es derzeit nicht. Studien führten zu unklaren Ergebnissen. Eine Analyse der Daten von über 180.000 Männern – davon knapp 73.000, deren PSA-Wert gemessen wurde – ergab bei insgesamt geringer Gesamtsterblichkeit eine vergleichbare durchschnittliche Lebenserwartung von getesteten und nicht getesteten Männern. Seit der Einführung des PSA-Tests wurden mehr Prostatakarzinome diagnostiziert als in vorhergegangenen Zeiträumen. Die meisten Betroffenen starben aber nicht an ihrem Karzinom, so dass sich die Frage nach einer Überdiagnose und Übertherapien – mit vielen belastenden Folgen für den Betroffenen – stellt. Allerdings hat sich auch gezeigt, dass ratsuchenden Patienten im Rahmen der Früherkennung ein PSA-Test kaum vorzuenthalten ist. Die gefühlte Sicherheit, nicht an einem Prostatakarzinom erkrankt zu sein, wiegt für den einzelnen stärker als eine statistische Aussage, so Wiedemann.

Keine Marker zur Früherkennung von Ovarial- und Leberkrebs

Einfacher zu beantworten ist die Frage nach dem Nutzen einer Früherkennung von Ovarial- und Leberkarzinomen. Eine frühe Diagnose eines hepatozellulären Karzinoms mithilfe des Biomarkers Alpha-Fetoprotein ist nicht möglich, da seine Bestimmung mit einer hohen Rate falsch positiver Befunde einhergeht. Dasselbe gilt für den Biomarker CA-125 zur frühen Diagnose eines Ovarialkarzinoms. In einer Studie an knapp 80.000 Frauen und einem Beobachtungszeitraum von 13 Jahren führte seine Bestimmung (in Kombination mit transvaginalem Ultraschall) zu keiner Abnahme der Eierstockkrebs-bedingten Mortalität. Es bleibt festzuhalten, dass es derzeit keinen Biomarker zur sicheren Früherkennung einer onkologischen Erkrankung gibt.

Sinnvoller Einsatz von Tumormarkern

Tumormarker haben ihren Platz in der Verlaufskontrolle von Tumorerkrankungen, bei der Differenzialdiagnose und bei der Nachsorge. Allerdings gilt das nicht für jede Tumorentität und nicht für jede Krankheitsphase. So sollen etwa nach einer adjuvanten Primärtherapie eines Mammakarzinoms keine Biomarker bestimmt werden. CA-15-3 setzt man den Empfehlungen der Fachgesellschaften zufolge nur zur Kontrolle des Therapieansprechens bei fortgeschrittenem oder metastasiertem Brustkrebs ein, in der Früherkennung ist dieser Biomarker zu unspezifisch. Allgemein gilt, dass einzelne Werte keine große Aussagekraft aufweisen, wichtiger ist ihr zeitabhängiger Verlauf.

Choosing Wisely

Die 2011 in den USA gestartete Choosing Wisely Initiative verfolgt das Ziel, die offene Diskussion zwischen der Ärzteschaft, den Patienten und der Öffentlichkeit zum Thema Überversorgung zu fördern. Kern der Choosing Wisely Initiative sind Top-5-Listen aus jeder klinischen Fachdisziplin. Diese Listen enthalten fünf medizinische Maßnahmen, bei denen der Initiative zufolge derzeit eine Überversorgung vorliegt. Diese Listen werden in enger Kooperation mit Patienten- und Verbraucherschutzorganisationen und mit Unterstützung öffentlicher Medien verbreitet.

www.choosingwisely.org

Wähle klug

Von einem präventiven Tumormarker-Screening im Rahmen eines Check-up bei asymptomatischen Patienten ist abzuraten (eine mögliche Ausnahme ist die Bestimmung des PSA-Wertes). Wiedemann zufolge zählt eine undifferenzierte Tumormarker-Bestimmung zu den medizinischen Maßnahmen, die weit verbreitet, teuer und in ihrer Wirkung nicht belegt sind. Diese Meinung wird auch von der Choosing Wisely Initiative (s. Kasten) vertreten, die den Sinn präventiver Tumormarkerbestimmungen kritisch hinterfragt.  

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr

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