Fragen aus der Praxis

Pille auf Kassenrezept

Wann erstattet die GKV, wann zahlt die Patientin?


Frage


Eine Kundin legt ein Kassenrezept über Valette® 3x21 vor. Der beiläufige Blick aufs Rezept verrät Ihnen das Geburtsjahr: 1983. Die Dame ist also 30 Jahre alt. Eine Verhütungspille auf Kassenrezept? Zahlt denn die Kasse so etwas?


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Apothekerinnen und Wissenschaftlerinnen der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung", Zentrum für Sozialpolitik, Bremen.


In Deutschland sind zurzeit (Stichtag: 15.12.12) diverse Verhütungspräparate verfügbar. Dazu zählen 110 Einphasenpräparate (u. a. Aida®, Lamuna®, Leona®, Cilest®), 10 Sequenzialpräparate (u. a. Biviol®, Neo Eunomin®), 2 Verhütungsringe (Nuvaring®, Circlet®), ein Verhütungspflaster (Evra®), ein Intrauterinpessar mit Hormonabgabe (Mirena®, IUP) und drei Depotpräparate (Implanon NXT®, Depo-Clinovir®, Sayana®). Weiterhin sind zwei Medikamente zur sog. "Notfall"-Verhütung im Handel (Ellaone®, PiDaNa®). All diese sind als Arzneimittel zugelassen und verschreibungspflichtig. Aber sind sie auch verordnungsfähig?

Die Verordnung hormoneller Kontrazeptiva zulasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) regelt § 24a SGB V: Versicherte haben bis zum vollendeten 20. Lebensjahr Anspruch auf die Versorgung mit empfängnisverhütenden Mitteln, soweit sie ärztlich verordnet werden.


Kontrazeptiva sind nicht in jedem Fall auf Kassenrezept verordnungsfähig.

Diese Grafik finden Sie hier zum Download.

Unter 20 zahlt die Kasse

Somit dürfen für weibliche Versicherte bis 20 Jahren alle verfügbaren hormonellen Kontrazeptiva auf Kassenrezept verordnet werden. Ob eine Einphasenpille, ein Verhütungsring oder ein IUP verordnet wird, entscheidet der Arzt, je nach medizinischen Befunden und Präferenzen. Das Wirtschaftlichkeitsgebot gilt selbstverständlich auch hier. Die erheblichen Differenzen der Tagestherapiekosten einzelner Präparate mit identischer Zusammensetzung müssen berücksichtigt werden. So haben z. B. generische Einphasenpräparate (Levonorgestrel 0,1 mg/Ethinylestradiol 0,02 mg) durchaus unterschiedliche Tagestherapiekosten (s. Tab.).

Der Verhütungsring Nuvaring® (Ethinylestradiol/Etonogestrel) hat Tagestherapiekosten von 0,57 € pro DDD und das Verhütungspflaster Evra® (Ethinylestradiol/Norelgestromin) von 0,47 € pro DDD.


Tab.: Einphasenpräparate – Kostenvergleich

Präparat
Hersteller
Packungs-
größe
Verkaufs-
preis* [€]
Kosten pro DDD [€]**
Leanova®
ALIUD
6 x 21 St.
30,45
0,18
Evaluna®
Rottapharm
6 x 21 St.
39,59
0,24
Leona®
Hexal
6 x 21 St.
44,72
0,27
Miranova®
Bayer
6 x 21 St.
53,76
0,32
Leios®
Pfizer
6 x 21 St.
57,10
0,34
* Preisstand: 01.01.13 ** Preisstand: 01.01.13, berechnet auf Basis der 6 x 21 St.-Packung

Ob eine Drei- oder eine Sechsmonatspackung eines Kontrazeptivums verordnet wird, hat der behandelnde Arzt zu entscheiden. Eine Einschränkung der Verordnungsmenge auf eine Dreierpackung pro Quartal besteht nicht. So etwas darf seitens der GKV rechtlich gar nicht ausgesprochen werden. Wenn die Therapieüberwachung einen Arztbesuch in jedem Quartal erfordert, so haben sich die Versicherten danach zu richten. Dies gilt auch für Verordnungen für längere Auslandsaufenthalte, während denen der Versicherungsschutz in Deutschland weiterhin besteht. In solchen Fälle obliegt es einzig und allein dem Arzt, welche Menge er verordnet.

Alle Antibabypillen haben eine Zulassung als hormonelle Kontrazeptiva. Die Anwenderinnen profitieren aber nicht nur von dem Schutz gegen ungewollte Schwangerschaft, sondern erfahren auch die sog. "nicht kontrazeptiven Benefits": Verbesserung des Hautbildes, leichtere und regelmäßigere Menstruation, weniger prämenstruelle Beschwerden.

Pillen mit Zusatzindikation

Je nach Bedarf können auch medizinische Krankheitsbilder wie schwere Akne und Hirsutismus mit hormonellen Kontrazeptiva, die diese Zusatzindikation tragen, therapiert werden. Dazu sind nur wenige Präparate zugelassen: Einphasenpräparate mit den Wirkstoffen Dienogest/Ethinylestradiol – Amelie®, Dienovel®, Finic®, Starletta® und Valette®, und das Zweiphasenpräparat Neo Eunomin® (Chlormadinonacetat / Ethinylestradiol), das auch bei Seborrhoea oleosa und androgenetischer Alopezie eingesetzt werden kann.

Eine Zusatzindikation hat ebenfalls das IUP Mirena® (Levonorgestrel), das auch bei Hypermenorrhoe zugelassen ist. Die neuartige Antibabypille Qlaira® (Estradiolvalerat/Dienogest) trägt als zweites Anwendungsgebiet neben hormoneller Kontrazeption auch die "Behandlung starker Menstruationsblutungen ohne organische Ursache bei Frauen, die eine orale Kontrazeption wünschen", wobei eher der Wunsch nach hormoneller Kontrazeption und nicht die Behandlung eines medizinischen Krankheitsbildes im Vordergrund steht.

Pille danach

Auch die sog. "Pille danach", die der postexpositionellen Verhütung dient und somit zu den empfängnisverhütenden Mitteln gehört, kann bis zum 20. Lebensjahr bei Bedarf zulasten der GKV verordnet werden.

Wenn das 20. Lebensjahr vollendet ist, und dies passiert am 20. (!) Geburtstag, können Verhütungspräparate nicht mehr zulasten der Krankenkasse verordnet werden. Dies gilt auch für die "Pille danach". Wenn Frauen, die älter als 20 Jahre sind, medizinische Probleme wie Akne, Hirsutismus, Hypermenorrhoe, androgenetische Alopezie aufweisen, dann können die Präparate, die explizit dafür zugelassen sind, zulasten der GKV verordnet werden.

Ein Sonderfall sind Präparate mit der Wirkstoffkombination Cyproteronacetat/Ethinylestradiol (u. a. Bella®, Juliette®, Diane 35®). Diese Arzneimittel sind zur Therapie von Androgenisierungserscheinungen bei der Frau zugelassen, die eine Hormonbehandlung erfordern: Akne, Hirsutismus, androgenetische Alopezie. Obwohl diese Präparate aufgrund ihrer Zusammensetzung empfängnisverhütend wirken, sind sie dafür nicht zugelassen. Sie sollten daher nicht ausschließlich zur Empfängnisverhütung angewendet werden, sondern nur bei Frauen eingesetzt werden, die die in der Zulassung genannten androgen-abhängigen Krankheitsbilder aufweisen. Die Zulassung als hormonelle Kontrazeptiva haben Cyproteronacetat-Präparate zum 1. Juli 1995 verloren, da diese unter Verdacht stehen, Lebertumore zu verursachen.

Off-Label bei Endometriose

Keines der verfügbaren hormonellen Kontrazeptiva ist zur Therapie oder Linderung der Beschwerden durch Endometriose zugelassen. Obwohl so eine Off-Label-Behandlung häufig erfolgreich stattfindet, kann sie nach dem 20. Lebensjahr nicht mehr zulasten der GKV erfolgen. Das Präparat Visanne® (Dienogest) ist zur Behandlung der Endometriose zugelassen und darf auf Kassenrezept verordnet werden.

Wenn Frauen bestimmte Arzneimittel wie Methotrexat, Isotretinoin, Thalidomid einnehmen, die eine teratogene Wirkung haben, muss eine wirksame und konsequente Empfängnisverhütung durchgeführt werden. Die hormonellen Kontrazeptiva sind auch in solchen Fällen nur bis zum Erreichen des 20. Lebensjahrs eine Kassenleistung, da das SGB V solche Umstände nicht besonders berücksichtigt. Weiterhin sind keine besonderen Regelungen für Sozialhilfe- oder Arbeitslosengeldempfängerinnen vorgesehen – sie müssen ab dem 20. Lebensjahr die Kosten für die "Pille" selbst tragen.


Antwort kurz gefasst


  • Bei Patienten bis einschließlich 19 Jahre werden Kontrazeptiva einschließlich Notfallkontrazeption von der GKV bezahlt. Ab dem 20. Geburtstag dürfen Verhütungsmittel nicht mehr auf Kosten der GKV verordnet werden. Das gilt auch für Sozialhilfe- und Arbeitslosengeldempfängerinnen oder Frauen, die aufgrund der Einnahme anderer Präparate (z. B. Isotretinoin) zwingend verhüten müssen.

  • Ausnahme bilden hier Präparate, die neben der Kontrazeption, für weitere Indikationen zugelassen sind, z. B. für Hirsutismus, Hypermenorrhoe, androgenetische Alopezie). Sie dürfen auch bei älteren Patientinnen weiterhin verordnet werden.

  • Für die Apotheke besteht keinerlei Prüfpflicht, weder hinsichtlich des Alters noch hinsichtlich der Indikation. Lediglich die bestehenden Rabattverträge sind zu beachten. Das wirtschaftliche Risiko der Verordnung bei Patientinnen, die älter als 20 Jahre sind, trägt der verschreibende Arzt.

Kontrazeptiva keine Lifestyle-Mittel

Wenn in der Apotheke ein Kassenrezept für ein hormonelles Kontrazeptivum vorgelegt wird, besteht für den Apotheker keine Prüfpflicht bezüglich des Alters der Versicherten oder ob das verordnete Medikament eine Zusatzindikation aufweist. Das hängt mit der Tatsache zusammen, dass die Kontrazeptiva verschreibungspflichtig und keine Lifestyle-Mittel sind. Die wirtschaftliche Verantwortung für solche Verordnungen vor allem für Frauen, die älter als 20 Jahre sind, trägt der verordnende Arzt.

Rabattverträge beachten

Somit muss sich die Apotheke bei der Abgabe hormoneller Kontrazeptiva nur nach den Rabattverträgen der jeweiligen Kasse richten. So kann es auch passieren, dass im oben genannten Fall der 30-jährigen Kundin zwar Valette® zur Aknetherapie verordnet wurde, aber in der Apotheke Maxim® abgegeben werden muss, wenn die Dame z. B. bei der Techniker Krankenkasse versichert ist. Maxim® ist nur zur hormonellen Kontrazeption zugelassen. Da aber hier mindestens eine Indikation mit Valette® übereinstimmt, muss nach dem Rahmenvertrag nach § 129 Abs. 2 SGB V der Austausch stattfinden. Sollte etwas dagegen sprechen, wie z. B. Compliancegefährdung, kann der Apotheker selbstverständlich "Pharmazeutische Bedenken" gegen den Austausch geltend machen (Sonder-PZN und eine plausible Begründung müssen aufs Rezept).

Wenn die Kundin bei der AOK Bayern versichert ist, kann der Apotheker unter den 13 Vertragspartnern (12 Generika und das Original Valette®) frei aussuchen. Dabei muss weder der Verkaufspreis (günstigster Rabattpartner Aristelle® 19,86 €, teuerster Rabattpartner Valette® 37,72 €) noch das Vorhandensein der Zusatzindikation "Akne" der Präparate (diese tragen nur Amelie®, Dienovel®, Starletta® und Valette®) berücksichtigt werden.


Literatur:

Alle Preise: Lauer-Taxe, Stand 01.01.13

www.fachinfo.de

Gorenoi V, et al. Nutzen und Risiken hormonaler Kontrazeptiva bei Frauen. GMS Health Technol Assess 2007;3:Doc06,

Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe: http://www.dggg.de/ueber-die-dggg/

Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V)


Autorinnen:

Stanislava Dicheva, Anna Hinrichs, Daniela Boeschen, Insa Heyde, Heike Peters
Apothekerinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in der Arbeitsgruppe "Arzneimittelanwendungsforschung", Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen



DAZ 2013, Nr. 4, S. 38

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