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DAZ aktuell
Der Fall Alemtuzumab
Was ist ein fairer Preis für einen bekannten Wirkstoff in neuer Indikation?
Eine Besonderheit des MS-Arzneimittels ist, dass es nicht als Dauertherapie zum Einsatz kommt. In der Regel sind lediglich zwei Behandlungszyklen im Abstand von einem Jahr erforderlich. Auch die Ergebnisse, der zur Zulassung vorgelegten Studien – verglichen wurde Alemtuzumab mit Interferon beta-1a 44 µg (Rebif®) – lassen sich sehen. Danach konnte Alemtuzumab die Schubrate sowie das Fortschreiten der Behinderung bei MS-Patienten deutlich reduzieren (siehe hierzu DAZ 2013, Nr. 40, S. 34 f.). Zudem handelt es sich bei Alemtuzumab um einen Wirkstoff, der als MabCampath® bereits zur Therapie der chronisch lymphatischen Leukämie vom B-Zell-Typ (B-CLL) verfügbar war. Dieses Präparat nahm Genzyme allerdings im Sommer 2012 vom Markt. Die Sanofi-Tochter wollte sich auf die Entwicklung von Alemtuzumab zum MS-Präparat konzentrieren. Diesen Oktober ist der monoklonale Antikörper nun mit dieser neuen Indikation und mit einem neuen Preis auf den deutschen Markt zurückgekehrt.
Kritiker halten Genzyme vor, den Indikationswechsel aus rein wirtschaftlichen Gründen vorangetrieben zu haben. „29.000-mal teurer als Gold“ titelte das „aznei-telegramm“ in der vergangenen Woche, als es über die Neueinführung von Alemtuzumab berichtete. Während der Wirkstoff als MabCampath® noch 21,07 Euro pro mg (1897 Euro für 3 x 30 mg Infusionskonzentrat) gekostet habe, liege der mg-Preis nun bei 888 Euro. Der Vergleich: Eine Feinunze Gold (31,1 g) habe Anfang letzter Woche 966,04 Euro gekostet. Für die a-t-Autoren ist die Strategie durchsichtig: Eine Indikation für MS lässt mehr Patientenzahlen erwarten – zudem könne Sanofi jetzt ein neues Hochpreisniveau für MS-Mittel etablieren. Auch die Arzneimittelkommission der Ärzteschaft reagierte im Sommer 2012 empört auf das Vorgehen von Genzyme/Sanofi. Sie hielt den Unternehmen Verantwortungslosigkeit gegenüber den Leukämie-Patienten vor und forderte den Gesetzgeber auf, ein derartiges Indikations-Hopping aus rein kommerziellen Gründen zu unterbinden. Bei Sanofi verwies man darauf, dass Patienten, die mit MabCampath® versorgt wurden, das Arzneimittel auch nach der Marktrücknahme weiter erhalten konnten – sogar kostenlos.
Nach wie vor hält Genzyme die Vorwürfe für unberechtigt. Martina Ochel, Genzyme-Geschäftsführerin für Deutschland, Österreich und die Schweiz, betont, dass man schon 1991 begonnen habe, Alemtuzumab bei MS-Patienten zu testen. Es gab jedoch Rückschläge, die beobachteten Nebenwirkungen waren stark. In der Onkologie stellten sich die Erfolge sichtbarer und schneller ein. Dennoch: MS behielt man im Blick, 2002 stieg man richtig in die klinische Forschung ein – elf Jahre später erfolgte nun die Zulassung. Doch die europäische Arzneimittelagentur EMA gewährt für den Wirkstoff, der das Zulassungsverfahren schon einmal durchlaufen hat, keinen Unterlagenschutz. Damit muss Lemtrada® das AMNOG-Verfahren der frühen Nutzenbewertung nicht durchlaufen. Nach den gesetzlichen Vorgaben kann es dies sogar gar nicht: Ohne Unterlagenschutz kann der Gemeinsame Bundesausschuss kein Arzneimittel aufrufen. „Das haben wir nicht beabsichtigt“, sagt Ochel, „wir wünschen uns eine Nutzenbewertung.“ Mit seinen Studiendaten und Rebif® als gewählten Komparator sieht sich Genzyme gut gerüstet. Gerne würde man sich in der Nutzenbewertung unter Beweis stellen. „Wir gehen von einem beträchtlichen Zusatznutzen aus“, sagt Dr. Ludger Rosin Medizinischer Direktor Neurologie von Genzyme. Die Preisverhandlungen würde Geschäftsführerin Ochel jedoch nicht mit dem GKV-Spitzenverband, sondern mit den einzelnen Krankenkassen führen wollen. „Am liebsten würden wir IV-Verträge diskutieren.“ Denn Lemtrada® erfordert – auch wenn es nur zwei oder maximal drei Mal anzuwenden ist – ein besonderes Therapiekonzept. Allein mit der Arzneimittelgabe – die als vierstündige Infusion bereits anspruchsvoll ist – ist es nicht getan. Das liegt daran, dass Alemtuzumab durchaus schwere Nebenwirkungen haben kann, sogar noch vier Jahre nach der letzten Infusion. Neben den infusionsbedingten Infektionen sind auch schwerwiegendere Autoimmunerkrankungen zu beobachten, vor allem Schilddrüsenerkrankungen. Rechtzeitig erkannt sind diese jedoch behandelbar. Genzyme hält daher einen Risk-Managementplan bereit: 48 Monate lang sollen die Patienten begleitet werden, unter anderem sind ihre Blutwerte monatlich zu bestimmen. Eine Hausarzttherapie ist dies nicht, betont Rosin.
Doch wie darf man die Kosten dieser Kurzzeittherapie mit langfristigem Überwachungsprogramm nun ansetzen? Genzyme will es mit der AMNOG-Logik angehen: Man vergleicht sich mit der Standardtherapie und berücksichtigt den Zusatznutzen. Eine fünfjährige Therapie mit Rebif® koste 99.360 Euro (19.872 Euro pro Jahr/Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers), so Ochel. Lemtrada® koste im ersten Jahr zwar 43.225 Euro und im zweiten 25.935 Euro. Im dritten Jahr – soweit hier überhaupt nochmals eine Gabe nötig sein sollte – aber im Mittel nur noch 5187 Euro. Danach ist Schluss. Das macht kumuliert 74.347 Euro – auch über fünf Jahre. Das ist nicht nur weniger als die Rebif®-Therapie, betont Ochel. Angesichts der selteneren Schübe und des verlangsamten Fortschreitens der Behinderung reduzierten sich auch weitere Ausgaben – etwa für Frühverrentungen. „Das ist ein sehr faires Pricing für eine spannende und innovative Substanz wie Alemtuzumab“, ist Ochel überzeugt. Einen mg-Preisvergleich hält sie nicht für angebracht – MabCampath® sei in ganz anderen Mengen dosiert worden. Wäre das Krebs-Medikament auf dem Markt geblieben und hätte sich jemand daran versucht, dieses Präparat MS-Patienten zu geben, so hätte dies große Dosierungsprobleme und möglicherweise schwere Nebenwirkungen bis hin zum Tod mit sich bringen können, so die Genzyme-Geschäftsführerin. Ochel kann überdies nicht verstehen, dass für ein Arzneimittel, nur weil es schon einmal da war, weniger bezahlt werden soll – auch wenn es Neues kann und dies erforscht wurde. Es käme zu einer Innovationsblockade, wenn sich Unternehmen nicht mehr an alte Substanzen für neue Indikationen wagten, befürchtet sie.
Wie es nun weitergeht mit Alemtuzumab® wird sich zeigen. Noch diesen Monat soll es trotz aller Schwierigkeiten ein Gespräch beim Gemeinsamen Bundesausschuss geben. Vielleicht besteht doch noch die Möglichkeit für eine Nutzenbewertung?
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