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Medikationsmanagement
Medikationsmanagement – ein weiter Weg
13. Jahrestagung des „Consumer Health Care“-Vereins (CHC) an der Charité Berlin
Die Schwierigkeiten mit dem Medikationsmanagement beginnen bereits bei der Definition. Wie Dr. Horst Möller, Mitglied der Koordinierungsgruppe der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, die für den Aktionsplan des Bundesgesundheitsministeriums zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) zuständig ist, muss noch ein verbindliches Definitionsgefüge erarbeitet werden, das z.B. im Bundesanzeiger zu veröffentlichen ist. Mit welchen Definitionen man zurzeit arbeitet, zeigt der Kasten.
Definitionen zum Medikationsmanagement
- AMTS – Arzneimitteltherapiesicherheit: AMTS ist die Gesamtheit der Maßnahmen zur Gewährleistung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs eines Arzneimittels. Damit wird eine optimale Organisation des Medikationsprozesses mit dem Ziel angestrebt, unerwünschte Arzneimittelereignisse insbesondere durch Medikationsfehler zu vermeiden und damit das Risiko für den Patienten bei einer Arzneimitteltherapie zu minimieren.
- Bestimmungsgemäßer Gebrauch: Der bestimmungsgemäße Gebrauch eines Arzneimittels beinhaltet seine Anwendung entsprechend der Produktinformation (label use). Ferner wird auch die Anwendung eines Arzneimittels, die nicht oder nicht voll der Produktinformation entspricht (Off-label-use) dann dem bestimmungsgemäßen Gebrauch zugerechnet, wenn diese dem Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht und insoweit von einem positiven Nutzen-Risiko-Verhältnis ausgegangen werden kann.
- Medikationsfehler: Grundsätzlich ist jeder nicht bestimmungsgemäße Gebrauch eines Arzneimittels bei dessen Einsatz zu therapeutischen, diagnostischen oder prophylaktischen Zwecken ein Medikationsfehler. Medikationsfehler sind insoweit grundsätzlich vermeidbar. Der bewusste nicht bestimmungsgemäße Einsatz eines Arzneimittels als ein vom Arzt verantworteter individuelle Heilversuch ist dann ein Medikationsfehler, wenn durch das Arzneimittel nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft ein Therapieerfolg nicht zu erwarten ist.
- Nebenwirkung: Eine Nebenwirkung ist eine schädliche und unbeabsichtigte Reaktion auf die Anwendung eines Arzneimittels. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Nebenwirkung bei bestimmungsgemäßem Gebrauch und Nebenwirkung infolge eines Medikationsfehlers.
- Medikationsmanagement (§ 1a Abs. 2 Nr. 6 der ApBetrO): „Pharmazeutische Tätigkeit im Sinne dieser Verordnung ist das Medikationsmanagement, mit dem die gesamte Medikation des Patienten einschließlich der Selbstmedikation, wiederholt analysiert wird mit den Zielen, die Arzneimitteltherapiesicherheit und die Therapietreue zu verbessern, indem arzneimittelbezogene Probleme erkannt und gelöst werden.“ Das Medikationsmanagement umfasst beispielsweise die Überprüfung der Gesamtmedikation des Patienten, die Bewertung von Arzneimittelrisiken und die Optimierung der Arzneimittelanwendung. Damit handelt es sich um eine höchst anspruchsvolle, über die bloße Information und Beratung über Arzneimittel hinausgehende Tätigkeit.
- Medikationsmanagement (gemeinsame Eckpunkte der KBV und der ABDA vom Oktober 2009): „Die Verantwortung für die Arzneimitteltherapiesicherheit und das Medikationsmanagement teilen sich Arzt und Apotheker“.
- Medikationsmanagement: Medikationsmanagement ist das koordinierte Zusammenwirken der Heilberufe, Heilhilfsberufe und Patienten zur Gewährleistung der AMTS.
An der Einführung eines Medikationsmanagements dürfte allerdings kein Weg mehr vorbeiführen. So hält bereits der Sachverständigenrat in seinem Sondergutachten von 2009 und 2012 zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen bei der Arzneimitteltherapie eine Stärkung der interdisziplinären Zusammenarbeit für notwendig, insbesondere zwischen Ärzten und Apothekern, mit dem Ziel der „Förderung von Therapiesicherheit und bestimmungsgemäßem Gebrauch“.
Wie Möller erläuterte, ist im Rahmen einer systematischen AMTS-Prüfung vor allem zu untersuchen, ob
- die eingesetzten Arzneimittel bei der vorliegenden Indikation nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft einen therapeutischen Erfolg erwarten lassen,
- Dosierung und Therapiedauer plausibel sind,
- Kontraindikationen, Interaktionen und Warnhinweise beachtet werden und
- die Arzneimittel entsprechend den Vorgaben des Arztes oder Apothekers richtig angewendet werden.
Im Rahmen eines Medikationsmanagements ist andererseits zu gewährleisten, dass zwischen den am Medikationsprozess Beteiligten (insbesondere zwischen Arzt und Apotheker) im erforderlichen Umfang eine kooperative Abstimmung erfolgt, insbesondere dann, wenn nach eigener Einschätzung vermutet werden muss, dass bei der Arzneimitteltherapie eines Patienten Risiken auftreten können, die entweder eine Änderung der Medikation oder eine besondere Beratung des Patienten erfordern.
Als Zwischenfazit hielt Möller fest, dass das Medikationsmanagement in Deutschland noch unterentwickelt ist. So gibt es keine formelle zentrale Koordinierung zur AMTS, bei Ärzten und Apothekern sind Vorbehalte dagegen noch weit verbreitet. Vor allem bei den Ärzten ist die EDV noch nicht ausreichend auf ein Medikationsmanagement vorbereitet, außerdem sind die Klassifikationssysteme für den EDV-Einsatz noch unzureichend. Die Nutzung systematisch erhobener Daten für die AMTS ist noch nicht so wie sie sein sollte, es gibt keine systematische Fehleranalyse und keinen patientenbezogenen Überblick über die Medikation.
Handlungsschwerpunkte
Vor diesem Hintergrund skizzierte Möller Handlungsschwerpunkte, um das Medikationsmanagement voranzubringen. So sollte eine nationale Koordinierung zur AMTS erfolgen. Bewährt habe sich bisher der Aktionsplan AMTS, allerdings sollten in Zukunft auch die Krankenkassen mit einbezogen werden.
Ein weiterer wichtiger Handlungsschwerpunkt ergibt sich im Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung. Praxisnahe Unterrichtsmodule zur AMTS müssten erarbeitet werden. Darüber hinaus sei ein Memorandum umzusetzen zur Entwicklung der Forschung auf dem Gebiet der Arzneimitteltherapiesicherheit.
Im Fokus des Medikationsmanagements steht der Medikationsplan, wie er vom Aktionsbündnis Patientensicherheit entwickelt wurde. Hintergrund: nur 30% der Patienten über 65 Jahre, die bis zu acht Arzneimittel einnehmen, kennen die verordnete Dosis ihrer Medikation. Bei neun verordneten Arzneimitteln kennen sie nur noch 10% der Patienten. Untersuchungen zeigen weiter, dass bei 115 von 120 Patienten die eingenommene Medikation von derjenigen abweicht, die der Arzt verordnet hat. So ist es Zweck des spezifizierten Medikationsplans, die Gesamtmedikation eines Patienten zu erfassen und zu dokumentieren, den einzelnen Patienten und seine Angehörigen sowie die verschiedenen am Medikationsprozess beteiligten Heilberufler (insbesondere in Arztpraxis, Krankenhaus, Apotheke, Pflegeeinrichtung) über die von ihm aktuell eingesetzten Arzneimittel zu informieren und ihm Hinweise für deren richtige Anwendung zu geben. Der Medikationsplan dient also primär der Information des Patienten und seiner Angehörigen und ersetzt damit in keiner Weise die elektronische Gesundheitskarte, Patientendokumentationen, Arztbriefe, Entlassungsbriefe, Verschreibungen oder die Kommunikation zwischen Patient, Arzt, Pflegekraft oder Apotheker. Die Daten des Medikationsplans sollen auch für eine AMTS-Prüfung durch einen Heilberufler genutzt werden können. Ein EDV-Einsatz bei der Erstellung und Auswertung eines Medikationsplans ist dabei sinnvoll. Allerdings müssen hier Fachanforderungen für AMTS-Prüfsysteme definiert werden, es müssen einheitliche Schnittstellen zwischen Systemsoftware und AMTS-Prüfsystemen sowie verbindliche Anforderungen durch Zertifizierung geschaffen werden.
Wie Möller weiter ausführte, sollte es eine zentrale Stelle geben, bei der Medikationsfehler erfasst werden. Einer Richtlinie der EG zufolge sollen Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Meldungen über vermutete Nebenwirkungen infolge eines Fehlers bei der Anwendung eines Arzneimittels in die EurdraVigilance-Datenbank eingegeben und allen Behörden und Organisationen zugänglich gemacht werden. Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft habe sich bereit erklärt, so Möller, diese Stelle für Deutschland einzurichten und ein Modellprojekt dazu aufzusetzen.
Und schließlich müsse die Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern im Bereich der AMTS-Prüfung noch präzisiert und berufspolitisch abgestimmt werden.
Praxistest wagen
Auch Krankenkassen haben Interesse daran, dass ein Medikationsmanagement eingerichtet wird. Denn aus Untersuchungen weiß man, dass jedes zusätzlich eingenommene Arzneimittel das Risiko für Arzneimittelwechselwirkungen um 48% steigert, so Dr. Thomas Fiß, AOK-Nordost. Dem Gesundheitswesen gingen durch arzneimittelbezogene Hospitalisierungen 434 Mio. Euro an direkten Kosten verloren.
Prinzipiell stehe man Konzepten wie dem ABDA-KBV-Modell positiv gegenüber, aber die Probleme liegen in den Detailfragen. Ziel soll sein, die Wirtschaftlichkeit der Arzneimittelversorgung für Krankenkassen zu erhöhen, eine evidenzbasierte Versorgung mit Leitsubstanzen anzubieten, unerwünschte Arzneimittelwirkungen zu vermeiden und die Versichertenbindung zu erhöhen. Die Versicherten profitierten von einer Reduktion arzneimittelbezogener Probleme, durch eine Einbindung in ein Betreuungsnetzwerk und von einer leitlinienadäquaten Behandlung. Schwierigkeiten bereiteten allerdings die Verhandlungen mit allen Beteiligten. Hinzu kommen Detailfragen wie: Erfüllt die Apotheke schon die notwendigen qualitativen Anforderungen, um die benötigten Daten zu erheben? Schwierigkeiten zeichnen sich zudem bei der notwendigen Kooperation von Arzt und Apotheker ab. Ärzte sehen es als kritisch an, wenn der Apotheker alle Patientendaten kennt. Dann ist die Frage zu klären, wie diese Leistungen vergütet werden. Es fehlen Orientierungswerte, so Fiß, außerdem passt das packungsabhängige Honorar des Apothekers nicht in das ärztliche Preisbildungssystem. Und schließlich sind Fragen des Datenschutzes und der Haftung zu klären.
Fiß rief trotz offener Fragen und Probleme dazu auf, den Praxistest des Medikationsmanagements zu wagen. Dazu sei Entscheidungsmut notwendig, die Heilberufler müssten sich systematisch vernetzen und die Versicherten aktiv mitarbeiten.
Messbare Therapieverbesserungen
Dass ein Medikationsmanagement etwas bringt zum Vorteil von Versicherten und Krankenkassen, zeigte eine Studie zum Medikationsmanagement, die Dr. Sabrina Schröder vorstellte. Am Beispiel von Parkinson-Patienten, die sich einem Check zu arzneimittelbezogenen Problemen unterzogen, wurde deutlich, dass die Qualität der Arzneimitteltherapie verbessert werden konnte, ebenso die patientenbezogenen Parameter. In der Studie, an der 113 Parkinson-Patienten teilgenommen hatten, wurden 331 arzneimittelbezogene Probleme identifiziert, im Durchschnitt drei Probleme pro Patient. Davon erwiesen sich 27,2% als klinisch hoch bedeutsam, sie hätten zu irreversiblen Problemen führen können. In 43,6% aller Fälle konnte die Therapie angepasst werden. Das Fazit aus dieser Studie: Ein Medikationsmanagement kann die ambulante Arzneimittelversorgung, hier von Parkinson-Patienten messbar verbessern.
Allerdings warnte Hannelore Loskill, Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, davor, die Behandlung nicht zu sehr zu standardisieren, vielmehr auch bei einem Medikationsmanagement den Patienten als Individuum zu sehen.
Nur mit Softwareunterstützung
Für den Einsatz von adäquater Software zur Unterstützung eines Medikationsmanagements machte sich Dr. Juliane Kresser, Firma Pharmatechnik, stark. Wenn feststehe, welche Anforderungen an das Medikationsmanagement in der Apotheke gestellt werden, welche Checks die Apotheken durchführen sollten, setzten dies die Softwarehäuser umgehend um. Schon heute gebe es in der Apothekensoftware Medikationsmanagement-Module wie Prüfung auf Interaktionen, den Doppelverordnungscheck u.a. Es kann zudem ein Medikationsmanagement-Modul eingefügt werden, das man anhand eines SOAP-Schemas (SOAP = Subjective, Objective, Assessment, Plan) ausfüllen kann. Hinzu kommt ein PIE-Dokumentationssystem (PIE = Problem, Intervention, Ergebnis). Auch ein elektronisch geführter Medikationsplan kann generiert werden. Apps fürs Mobiltelefon können den Patienten darüber hinaus bei seiner Arzneitherapie durch Informations- und Erinnerungsfunktionen unterstützen. Letztlich dürfte ein modernes Medikationsmanagement ohne Softwareunterstützung nicht mehr möglich sein.
Juristisch ein klares „Ja, aber“
Auf rechtliche Aspekte des Medikationsmanagements machte Prof. Dr. Dr. Christian Dierks aufmerksam. Am Beispiel des geplanten ABDA-KBV-Modells zeigte er, dass zahlreiche rechtliche Fragen gelöst werden müssen. Beim zu erstellenden Medikationskatalog ist das Wettbewerbsrecht ein Thema (sind Ausschreibungen notwendig?). Es sind Fragen des Datenschutzes zu klären: Welche Daten dürfen wohin übermittelt werden? Und die Therapiefreiheit des Arztes könnte tangiert sein bis hin zu der Frage: Wer haftet im Einzelfall für die ausgewählte Therapie? Und dann sind noch die für die Teilnahme an diesem Modell gezahlten Vergütungen ein Diskussionsthema. Fallen sie unter unerlaubte Zuwendungen? Das Fazit des Juristen: ein klares Ja zum Medikationsmanagement. Allerdings sind rechtliche Vorgaben zu klären. Und wichtig sei, dass die Teilnahme für Ärzte und Patienten freiwillig ist, der ärztliche Sachverstand die unabdingbare Grundlage bleibt und das Modell für die Beteiligten transparent ist.
Elektronische Patientenakte
Eine allgemein verfügbare sektorenübergreifende elektronische Patientenakte sieht Dr. Georg Greve von der Knappschaft Bahn-See als alternativlos an. Allerdings scheiterten bisher alle Versuche, eine solche Akte einzuführen, vor allem an den Kosten, der Komplexität und dem Datenschutz. Seine Krankenkasse brachte daher mithilfe vorhandener Abrechnungsdaten und der Einbindung medizinischer Spezialprogramme (Medicheck) ein eigenes System zum Laufen (elektronische Behandlungsinformation, eBI), mit dessen Hilfe Krankenhausärzte bedenkliche Doppelverordnungen, Interaktionen und andere Arzneimittelrisiken aufspüren können, darüber hinaus Einblick haben in Diagnosen der letzten 36 Monate, Krankheiten, stationäre Aufenthalte. Voraussetzung ist selbstverständlich, dass der Patient zustimmt. Das vor etwa drei Monaten eingeführte System werde bereits sehr gut genützt.
Österreich ist weiter
Ein Blick ins Nachbarland Österreich zeigt, dass man dort schon ein wenig weiter ist in Sachen Medikationsmanagement als in Deutschland. Wie Max Wellan, Präsident der Österreichischen Apothekerkammer, berichtete, trat am 1. Januar 2013 das Elektronische Gesundheitsakte-Gesetz (ELGA-G) in Kraft, dem alle Versicherten unterworfen sind, sofern sie nicht widersprechen. Das Gesetz regelt, dass der Arzt die Medikationsdaten bei der Verordnung auf einem zentralen Rechner speichert, der Apotheker die Daten der Arzneimittelabgabe. Mit Einwilligung des Patienten hat der Apotheker Einblick in die elektronischen Medikationsdaten und kann so z.B. Wechselwirkungsprüfungen durchführen. Das System soll bis Ende 2014 aufgebaut werden und ab Mitte 2016 dann zur Nutzung der Ärzte und Apotheker zur Verfügung stehen. Parallel dazu laufen Intensivausbildungen der Apotheker und Fortbildungswochen zum Medikationsmanagement an.
Außerdem haben die österreichischen Apothekerinnen und Apotheker damit begonnen, erbrachte Leistungen wie Produkte über ihr Warenwirtschaftssystem zu erfassen, zu dokumentieren und auszuwerten. So sieht der Kunde auf seinem Kassenbon, dass diese oder jene Beratungsleistung beispielsweise im Rahmen des Medikationsmanagements erbracht wurde. Sehr gut sei zudem, so Wellan, die ApoApp fürs Mobiltelefon von der Bevölkerung angenommen worden. Es ist die am meisten heruntergeladene Gesundheits-App in Österreich. Mithilfe dieser App kann der Anwender Apotheken- und Arzneimittelinfos abrufen, ein „Apo Coach“ gibt Tipps und Hinweise beispielsweise zum Medikationsplan, zur Prävention und Selbstmedikation.
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