- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 49/2013
- „Psychobiotika“ gegen...
Arzneimittel und Therapie
„Psychobiotika“ gegen Depression
Wie eine gestörte Darmflora unsere Stimmung beeinflusst
Es ist bereits ausreichend dokumentiert, dass Patienten, die unter Entzündungen im Magen-Darm-Trakt (GI-Trakt) beziehungsweise unter Reizdarmsyndrom leiden, häufig die Anzeichen einer depressiven Verstimmung zeigen. Weiterhin können Angstgefühle oder Depressionen die Symptomatik einer entzündlichen Darmerkrankung verschlimmern. Diese wechselseitige Beziehung gibt einen Hinweis darauf, dass die Psyche einen entscheidenden Einfluss auf unser vegetatives Nervensystem nimmt, sowie umgekehrt. Gesteuert wird dies über die sogenannte Hirn-Darm-Achse. Über Nerven, Hormone sowie das gastrointestinale Immunsystem übt der Verdauungstrakt Einfluss auf das Gehirn und damit auch auf entstehende Emotionen aus. Es mehren sich dementsprechend die Hinweise, dass eine gestörte Darmflora Angst, Depressionen sowie Stress mitverursachen kann.
Fachgebiet mikrobielle Endokrinologie
Einige Wissenschaftler, wie die irischen Forscher um Timothy G. Dinan, haben sich daher auf das Gebiet der „mikrobiellen Endokrinologie“ fokussiert. Das endokrine System koordiniert die Produktion von Hormonen und steuert den Stoffwechsel sowie diverse weitere wichtige Körperfunktionen. Studien auf dem Gebiet der mikrobiellen Endokrinologie haben gastrointestinale Mikroben als einflussreiche Faktoren ermittelt, die das Hormonsystem regulieren können. In einem Review-Artikel im Biologial Psychiatry implizieren die Autoren, dass einige Darmbakterien das endokrine System modulieren und dementsprechend unsere Stimmung und Verhaltensweisen beeinflussen. Im Umkehrschluss könnte demnach eine psychische Erkrankung auch auf eine abnorme Darmflora zurückzuführen sein.
Depressive könnten profitieren
Diese „psychiobiotisch“ aktiven Darmbakterien definieren sich als lebende Organismen, die einen gesundheitlichen Vorteil bringen können, wenn sie von Patienten mit psychischen Krankheiten in angemessenen Mengen aufgenommen werden. Psychobiotika beeinflussen die Synthese bzw. den Wirkungsgrad von Neurotransmittern wie Serotonin, Dopamin und Gamma-Amino-Buttersäure (GABA). Da der gesamte Gastrointestinaltrakt des Menschen in stetem Austausch mit dem Zentralnervensystem steht, kann somit eine beruhigende und stimmungsaufhellende Wirkung erzielt und die Psyche beeinflusst werden. Menschen mit Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen könnten von einer Behandlung mit psychobiotischen Darmbakterien profitieren, teilweise sogar mehr als von einer medikamentösen Therapie, so die Autoren.
Studien zufolge können Bakterienkulturen wie Lactobacillus- und Bifidobacterium-Arten GABA produzieren, ein Neurotransmitter, dessen Mangel ein erhöhtes Angstempfinden induziert. Nahrungsergänzungsmittel, die entweder Lactobacillus- beziehungsweise Bifidobacterium-Arten enthielten, konnten dementsprechend Angstsymptome bei Menschen und Tieren mit Reizdarmsyndrom reduzieren.
Doch auch Darmbakterien mit schädlichen Einflüssen können das zentrale Nervensystem verändern. Clostridium difficile synthetisiert mindestens zwei Stoffe, die nachweislich Neuronen sowie möglicherweise auch das endokrine System negativ beeinflussen. Interessanterweise zeigten Patienten mit Autismus bzw. Schizophrenie eine höhere Konzentration dieses Bakteriums im GI-Trakt im Vergleich zu gesunden Menschen.
Placebo-kontrollierte Studien in Planung
Die Autoren sehen in dem Trias aus falscher Ernährung, Antibiotikatherapie und Stress die Gefahr einer Fehlbesiedlung des Darms und damit auch des erhöhten Risikos, an bestimmten psychischen Störungen zu erkranken bzw. deren Symptomatik zu verstärken. Demnach könnten Depressionen die Folge einer gestörten Darmflora sein und nicht unbedingt die Ursache.
Trotz dieser scheinbaren Verbindung zwischen gestörter Darmflora und psychischen Erkrankungen ist eine statistisch gesicherte Korrelation bzw. Kausalität anhand der bisherigen Studienergebnisse noch nicht eindeutig erwiesen. Daher sind Placebo-kontrollierte klinische Studien in den USA sowie Europa in Planung und könnten nach Meinung der Autoren schon bald zur Einführung einer psychobiotischen Behandlung gegen stressbedingte Erkrankungen führen, wie Angstzustände, Depressionen sowie Reizdarmsyndrom.
Quelle:
Dinan TG, Stanton C, and Cryan JF. 2013. Psychobiotics: A Novel Class of Psychotropic. Biological psychiatry 74: 720–726.
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.