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Arzneimittel und Therapie
Forderung nach verstärktem Einsatz von Naproxen
Hintergrund ist eine in PLoS-Medicine veröffentlichte Studie von Patricia McGettigan und David Henry [1]. Die Autoren prüften zunächst die Literatur und das kardiovaskuläre (CV) Risiko der nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR). Aufbauend auf einer eigenen Metaanalyse teilten sie dann die NSAR in Kategorien mit unterschiedlichem CV-Risiko ein [2]:
- Kategorie kein Risiko: Naproxen,
Kategorie moderates Risiko: Indometacin, Meloxicam, (Ibuprofen und Celecoxib (Celebrex®) fallen nur im Hochdosisbereich in diese Kategorie),
Kategorie hohes Risiko: Rofecoxib (Vioxx®), Etoricoxib (Arcoxia®) und Diclofenac (Voltaren®). Rofecoxib wurde aufgrund des hohen CV-Risikos 2004 vom Markt genommen.
In der Studie wurden die Verkaufszahlen in 15 Ländern (Asien und Ozeanien, Kanada, England) analysiert und mit 100 nationalen Empfehlungslisten und der WHO-Liste für die nötigsten Medikamente verglichen. Während die WHO nur drei Medikamente, nämlich ASS, Ibuprofen und Paracetamol empfiehlt, führen 74 Länder auch Diclofenac auf ihren Empfehlungslisten. Bei den Verkaufszahlen der 15 untersuchten Länder ist Diclofenac mit weitem Abstand Spitzenreiter. Wirkstoffe aus der Kategorie "hohes Risiko" haben einen Marktanteil von 30% unabhängig vom Entwicklungsstand der Länder. Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass ohne nachvollziehbaren Grund noch immer diejenigen Wirkstoffe mit dem höchsten Risiko übermäßig verordnet oder abgegeben werden. Dies wäre ebenso dringend zu ändern wie die Medikationslisten speziell der ärmeren Länder, die einen starken Einfluss auf das Verschreibungsverhalten vor Ort haben. Statt Diclofenac sollte hier Naproxen aufgelistet werden.
Der Artikel wurde umgehend auch von der deutschen Laienpresse aufgegriffen. So berichtet die Zeitung ‚Die Welt‘ am 13. Februar online, dass auch in Deutschland die schon lange bestehenden Sicherheitsbedenken gegen Diclofenac leider ignoriert werden würden. Naproxen als sicherste Alternative werde auch hierzulande kaum verordnet.
Auch wenn die Studie unzulässig das CV-Risiko als Gesamtrisiko verallgemeinert und andere Aspekte wie das gastrointestinale (GI) Risiko oder die Wirksamkeit der Diclofenac-Alternativen ausblendet, sollte die Studie doch auch die Apothekerschaft dazu anregen, über die eigene Abgabepraxis nachzudenken. Zwar kann das GI-Risiko der NSAR durch Gabe eines Protonenpumpenhemmers (z. B. Omeprazol) fast immer komplett ausgeschaltet werden, wie K. Srinath Reddy und Ambuj Roy in einem Kommentar auf PLoS Medicine anführen, jedoch fällt das GI-Risikoprofil für Diclofenac diesbezüglich ja auch nicht besonders günstig aus, so dass auch dies kein Grund sein kann, Diclofenac zu bevorzugen. Speziell bei älteren Patienten mit erhöhtem CV-Risiko sollten risikoärmere Wirkstoffe eingesetzt werden.
Quelle[1] McGettigan P, Henry D. Use of Non-Steroidal Anti-Inflammatory Drugs That Elevate Cardiovascular Risk: An Examination of Sales and EssentialMedicines Lists in Low-, Middle-, and High-Income Countries. PLoS Med 10(2): e1001388.[2] McGettigan P, Henry D (2011) Cardiovascular risk with non-steroidal anti-inflammatory drugs: systematic review of population-based controlled observational studies. PLoS Med 8: e1001098.
Olaf Rose, Apotheker, PharmD
Kommentar
Zugkräftige Zugnummer oder Luftnummer
Von der Unwilligkeit der Laienpresse zu einer sachgerechten Diskussion
In PLoS-Medicine wurde erneut über das kardiovaskuläre Risiko (CV) von Cyclooxygenase (COX)-Inhibitoren (nicht-steroidale Analgetika, NSAR) berichtet. Hauptaussage ist die Feststellung, dass Diclofenac mit dem höchsten CV-Risiko der meistverkaufte COX-Inhibitor in 15 analysierten Ländern (Asien, Ozeanien, Kanada, England) ist, während Naproxen frei von CV-Risiken sein soll und nur wenig verkauft werde. Die Autoren schlagen vor, Naproxen statt Diclofenac in die nationalen Empfehlungslisten (EML; essential medical lists) aufzunehmen bzw. dessen Verkauf stärker zu fördern.
Die Medien greifen den Artikel auf mit verurteilenden Titeln wie "Diclofenac trotz übler Nebenwirkungen oft verkauft – Forscher sehen nun starke Gründe, die Zulassung zurückzuziehen." oder "Gefährliche Nebenwirkungen bei Diclofenac – Der König der Schmerzkiller muss auf den Prüfstand". Doch was gibt die Studie tatsächlich her?
Triviale Korrelation
Die Arbeit von McGettigan und David korreliert einfach das CV-Risiko mit den Verkaufszahlen. Beim "guten" Ibuprofen wird unterschieden zwischen sicherer Niederdosis und Hochdosis mit CV-Risiko. Diclofenac und Etoricoxib wird dosis-unabhängig ein hohes CV-Risiko unterstellt. Als ob 3 x 12,5 mg Diclofenac oder 30 mg Etoricoxib wirklich gefährlicher wären als 3 x 800 Ibuprofen!!! Die Studie schloss das 2004 vom Markt genommene Rofecoxib ein (Vioxx®), als ob die Bösartigkeit der COX-Inhibitoren durch eine Geisterbeschwörung verstärkt werden müsse. Bei der Analyse und der Einschätzung der Relevanz dieser trivialen Korrelation sind wesentliche Aspekte der Schmerztherapie zu berücksichtigen:
Das CV-Risiko von COX-Inhibitoren ist immer abhängig von der Dosis und der Einnahmedauer.
Non-user von COX-Inhibitoren – die Vergleichsgruppe - haben keinen Schmerz, der wiederum ein eigenes CV-Risiko besitzt.
Das relative Risiko wurde nicht in absolute Zahlen umgesetzt, die die absolute niedrige Nebenwirkungsgefahr wiedergibt.
Die Gruppenbildung hohes versus niedriges Risiko ist willkürlich und statistisch nicht abgesichert. In den randomisierten Studien war Rofecoxib so sicher wie Celecoxib, und Ibuprofen tendenziell schlechter als Diclofenac.
Die randomisierten Studien ergeben ein anderes Risiko als die Beobachtungsstudien.
Das CV-Risiko ist in den Fachinformationen längst abgebildet.
Naproxen besitzt ein hohes Risiko für Blutungen und Einschränkungen der Nierenfunktion.
Naproxen mit relativ hoher Affinität zum COX-1 hat von allen COX-Inhibitoren mit das größte Risiko für Schäden am Gastrointestinaltrakt (GIT). GIT-Schäden treten in einer Größenordnung von 5-10% auf, davon wiederum 1-10% letal. Sie sind damit wesentlich häufiger als CV-Ereignisse (1 auf 100 Patientenjahre). Eine unkontrollierte Einnahme von Naproxen bringt damit definitiv keine Patientensicherheit. Zudem hat Naproxen ein höheres Blutungsrisiko und wegen seiner längeren Halbwertszeit auch ein ebenso hohes renales Risiko. Für die (Haus-)Ärzte ist die Gefahr einer renalen Funktionseinschränkung inszwischen viel wichtiger als das kardiale Risiko, vor allem dann, wenn die Patienten mit ASS oder anderen Antikoagulanzien behandelt werden. In diesen Fällen sind Coxibe übrigens eine wichtige protektive Option gegen die Blutungsgefahr.
EMA erteilt Naproxen keinen Freibrief
In Europa sind COX-Inhibitoren bei Herzerkrankungen kontraindiziert. Die EMA hat Ende 2012 eine Sicherheitsanalyse zum CV-Risiko von COX-Inhibitoren vorgelegt, in der für Diclofenac und hochdosiertes Ibuprofen ein leicht erhöhtes Risiko festgestellt wurde. Anders als die Autoren der PLos-Medicine wollte die EMA dieses Risiko für Naproxen nicht ausschließen. Diese Risiken sind gegen Blutungsgefahr und andere COX-1 vermittelte Nebenwirkungen abzuwägen.
Was sagen Daten aus 2. und 3. Welt?
Noch etwas: Was bedeutet denn ein Mehrverbrauch in Ländern der 2. und 3. Welt? Zum einen betrifft der Mehrverbrauch hier vor allem jüngere Menschen. Zudem sind diese Länder als Folge sozialer Probleme gekennzeichnet durch Nicotin- und Alkoholabusus oder schlechte Arbeitsbedingungen. Hier würde wahrscheinlich die GIT-Toxizität von Naproxen noch stärker zum Tragen kommen. CV-Toxizitäten von COX-Inhibitoren sind erst in höherem Alter zu erwarten, GIT-Läsionen bei Übergebrauch und Missbrauch von Genussgiften schon im jüngeren Lebensalter.
Gegen die Listung von Naproxen ist nichts einzuwenden, seine Risiken sollten aber nicht ignoriert werden. Es besteht die Gefahr, dass ähnlich der Diskussion um die Gefährlichkeit von Paracetamol wieder vorauseilend gemahnt wird, anstelle mit sachlichen Kommentaren zu beruhigen. Im Rahmen einer bestimmungsgerechten OTC-Abgabe sind alle COX-Inhibitoren sicher. Hier besteht kein Grund, eine bisher korrekte Abgabepraxis infrage zu stellen, zumal die vorgelegten Daten seit Jahren bekannt und diskutiert wurden. Nicht jede kritische Veröffentlichung ist eine zugkräftige Zugnummer, auf die es aufzuspringen lohnt, denn zu oft sind sie nur Luftnummern.
Prof. Dr. med. Thomas Herdegen
Prof. Dr. med. Thomas Herdegen, Institut für Experimentelle und Klinische Pharmakologie, Universitäts-Klinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, Hospitalstraße 4, 24105 Kiel
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