Arzneimittel und Therapie

So wirken Notfallkontrazeptiva

Letzte Woche haben die deutschen Bischöfe entschieden, die "Pille danach" für vergewaltigte Frauen zu erlauben. Allerdings nur, wenn sie die Befruchtung verhindere, nicht aber zum Abort der befruchteten Eizelle führe. Aber wie wirken die in Deutschland auf dem Markt befindlichen Präparate zur Notfallkontrazeption eigentlich? Welche Unterschiede gibt es zwischen dem etablierten Levonorgestrel und dem neueren Ulipristalacetat und für wen eignet sich welches Präparat?

In Deutschland sind zurzeit zwei Präparate zur Notfallkontrazeption zugelassen: PiDaNa® mit dem Wirkstoff Levonorgestrel und Ellaone® mit dem Wirkstoff Ulipristalacetat.

Levonorgestrel seit Jahren Standard

Das synthetische Gestagen Levonorgestrel löste vor knapp zehn Jahren die bis dahin gebräuchliche Ethinylestradiol-Levonorgestrel-Kombination Tetragynon® (sogenanntes YUZPE-Regime) als Standard der Notfallkontrazeption ab. Die alleinige Gabe von 1,5 mg Levonorgestrel als Einzeldosis oder zweimal 750 µg jeweils im Abstand von zwölf Stunden verhindert Schwangerschaften besser und ist deutlich verträglicher. Die schwangerschaftsverhütende Wirkung beruht in erster Linie darauf, dass der zyklusabhängige Anstieg des luteinisierenden Hormons (LH) und damit der Eisprung verhindert wird. Die Einnahme sollte innerhalb von 72 Stunden nach dem ungeschützten Geschlechtsverkehr und vor dem Anstieg der LH-Konzentration erfolgen. Ist der Eisprung bereits erfolgt, ist Levonorgestrel wirkungslos. Es hat keinerlei Einfluss auf das Endometrium und verhindert auch nicht die Einnistung der befruchteten Eizelle. Selbst bei bestehender Schwangerschaft ist die Einnahme unbedenklich. Als Nebenwirkungen treten vor allem Blutungen und verzögerte Menstruation sowie Übelkeit, Schmerzen im Unterbauch, Spannungsgefühl in der Brust, Schwindel und Kopfschmerzen auf. Vertrieben wird Levonorgestrel unter dem Handelsnamen PiDaNa® und ist in Deutschland, im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern, nur auf ärztliche Verschreibung erhältlich.

Eine Schwangerschaft ist bei Verkehr an den grünen Tagen generell möglich. Die PiDaNa® sollte vor dem LH-Anstieg eingenommen werden.

Zulassung von Ulipristalacetat im Jahre 2009

Der selektive Progesteron-Rezeptormodulator Ulipristalacetat ist seit 2009 zugelassen. Er verzögert oder verhindert den Eisprung auch noch, wenn LH bereits angestiegen ist, wirkt also noch bis kurz vor dem Eisprung. Es wird vermutet, dass die Wirkung von Ulipristalacetat ebenfalls nur auf einer Ovulationshemmung beruht. Allerdings können Auswirkungen auf das Endometrium und die Einnistung der befruchteten Eizelle noch nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Daher muss eine bestehende Schwangerschaft vor der Einnahme ausgeschlossen werden. Das Zeitfenster, in dem die Einnahme erfolgen sollte, beträgt bei Ulipristalacetat 120 Stunden. Ähnlich wie nach Einnahme von Levonorgestrel treten Blutungen, Kopfschmerzen, Schwindelgefühl, Übelkeit, Bauchschmerzen, Spannungsgefühl in der Brust und Verspätung der Menstruation auf. Aber auch schwerere Nebenwirkungen wie affektive Störungen, Angst und Schlaflosigkeit werden berichtet. Für Anwenderinnen unter 18 Jahren gibt es bisher kaum Daten. Das Präparat ist unter dem Handelsnamen Ellaone® erhältlich. Ulipristalacetat unterliegt europaweit der Verschreibungspflicht.


Die "Abtreibungspille"


Nicht zu verwechseln mit Notfallkontrazeption, deren schwangerschaftsverhütende Wirkung in erster Linie auf einer Hemmung der Ovulation basiert, ist die sogenannte "Abtreibungspille". Für die Anwendung nach bereits erfolgter Befruchtung ist das Präparat Mifegyne® (RU486) verfügbar. Der Wirkstoff Mifepriston ist ein Progesteron-Rezeptorantagonist. Das Hormon Progesteron ist für die Aufrechterhaltung der Schwangerschaft unerlässlich. Nach Einnahme des Antagonisten in der Schwangerschaft degeneriert die Uterusschleimhaut innerhalb weniger Stunden. Es kommt in der Regel zum Abort. Um eine sichere abortive Wirkung zu gewährleisten, wird Mifepriston zusammen mit einem Prostaglandin-Analogon (Misoprostol oder Gemeprost) eingesetzt. Die Anwendung ist bis zum 63. Tag (9. Woche) erlaubt und unterliegt denselben gesetzlichen Auflagen wie der chirurgische Schwangerschaftsabbruch.

Keine Überlegenheit für den neuen Wirkstoff

Der Vorteil des neueren Wirkstoffes liegt in dem erweiterten Einnahmefenster. Für die ersten 72 Stunden konnte für Ulipristalacetat lediglich Nichtunterlegenheit gegenüber Levonorgestrel nachgewiesen werden. Eine Metaanalyse, die angebliche Überlegenheit zeigt, hat methodische Schwächen und ist nicht aussagekräftig. Dazu kommen das ungünstigere Nebenwirkungsprofil, die nicht bis ins letzte Detail geklärten Konsequenzen für eine bestehende Schwangerschaft und der deutlich höhere Preis (siehe Tabelle).


Präparate zur Notfallkontrazeption im Vergleich.

PiDaNa®
Ellaone®
Wirkstoff
Levonorgestrel 1,5 mg
synthetisches Gestagen
Ulipristalacetat 30 mg
selektiver Progesteron-Rezeptormodulator
Wirkmechanismus
(so weit bekannt)
verhindert den Anstieg von LH und
damit den Eisprung (siehe Abb.)
verhindert oder verzögert den Eisprung, auch wenn LH-Anstieg bereits erfolgt ist
Einnahme
bis zu 72 h nach Geschlechtsverkehr
bis zu 120 h nach Geschlechtsverkehr
Nebenwirkungen
Verspätete Menstruation (über 7 Tage), stärkere Menstruation, Schmier- und unregelmäßige Blutungen, Schwindel, Kopfschmerzen, Spannungsgefühl in der Brust, Übelkeit, Schmerzen im Unterbauch
wie Levonorgestrel, zusätzlich affektive Störungen, emotionale Störungen, Angst, Schlaflosigkeit, Schmerzen, Reizbarkeit, u. a.
Wechselwirkungen
Enzyminduktoren
Enzyminduktoren, orale Kontrazeptiva, Protonenpumpenblocker, Antazida, H2 -Blocker
Kontraindikation
schwere Leberfunktionsstörung
nicht ausreichend kontrolliertes Asthma, vermutete oder bestehende Schwangerschaft
Auswirkung auf bestehende Schwangerschaft
keine
nicht bekannt, im Tierversuch abortiv
Verschreibungspflicht
ja (D) nein (A, CH, F, GB, u. a.)
ja
Preis Euro (AVP 25.2.13)
18,14
35,53

So sehen beispielsweise die Experten des arznei-telegramms und von pro familia angesichts der aktuellen Datenlage innerhalb von 72 Stunden nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr keine Indikation für die Verordnung des neuen Präparats. Sie sprechen sich vielmehr für einen niedrigschwelligen, also rezeptfreien Zugang zu Levonorgestrel-haltigen Notfallkontrazeptiva aus, so dass die Versorgung innerhalb des empfohlenen Zeitfensters gewährleistet wird. Gynäkologenverbände dagegen propagieren Ulipristalacetat als neuen Standard der Notfallkontrazeption. Bleibt abzuwarten, ob diese Einschätzung demnächst mit harten Fakten untermauert wird oder lediglich dem Marketing des Herstellers geschuldet ist.


Quelle

ABDA-Datenbank

arznei-telegramm 2013; Jg. 44, Nr. 2

Gemzell-Danielsson K, et al. Emergency contraception – mechanisms of action; Contraception 2013 Mar; 87(3): 300 – 308.

pro familia.


jb



DAZ 2013, Nr. 9, S. 32

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