DAZ aktuell

Welche Konzepte haben sich durchgesetzt?

Runder Tisch „Apothekenkooperationen 2.0“

STUTTGART (daz) | Am 27. November 2013 trafen sich in Stuttgart ausgewiesene Experten aus dem Bereich der Arzneimitteldistribution zum Thema „Apothekenkooperationen 2.0. – welche Geschäftsmodelle haben sich durchgesetzt?“. Zu diversen Themenkomplexen wurden Fragen diskutiert, wie „Haben sich Apothekenkooperationen in den letzten Jahren bewährt?“, „Braucht die Apothekenlandschaft mehr oder weniger Kooperationen?“ oder „Ist die Vielfalt an Kooperationstypen ausreichend?“

Beim von „Prof. Kaapke Projekte“ initiierten Runden Tisch diskutierten Ina Hofferberth, Geschäftsführerin des Landesapothekerverbandes (LAV) Baden-Württemberg, Wilfried Hollmann, Vorstandsvorsitzender der Noweda, Dr. Thomas Trümper, Aufsichtsratsvorsitzender der Alliance Healthcare Deutschland und Vorsitzender des Bundesverbandes des pharmazeutischen Großhandels (Phagro), Dietmar Wolz, Inhaber der Bahnhof-Apotheke Kempten, Christoph Gulde, Inhaber der Solitude-Apotheke Stuttgart, der Geschäftsführer der Apothekenkooperation A-Plus Service GmbH, Gerhard Böpple, Migasa-Geschäftsführer Thomas Knoll, Avie-Geschäftsführer Dr. Thomas Zenk sowie Andreas Gröninger, Systemberater der Avie GmbH, Bezirk Hessen und Baden-Württemberg. Die Moderation übernahm Prof. Dr. Andreas Kaapke unter Unterstützung von Dr. Wolfgang Bucke, Apotheker und freier Unternehmensberater, Ludwigsburg.

Fokus auf „echte“ Kooperationen

Zunächst wurde erörtert, über welche Kooperationen an sich diskutiert werden soll. Thomas Knoll führte an, dass diese Frage zentral sei, um die Erfolge und Erfolgswahrscheinlichkeiten diverser Geschäftsmodelle sauber trennen zu können. Alle Diskussionsteilnehmer stellten „echte“ Kooperationen den Kundenbindungskonzepten des Pharmazeutischen Großhandels gegenüber. Die unterschiedlichen Initiatoren wie Steuerberater, Rechtsanwälte und aktive Apotheker liefern eine recht heterogene Ausprägung von Kooperations-Konzepten. Einerseits spielt die Motivation für die Gründung eine wichtige Rolle. Andererseits ist die Arbeitsweise einer Kooperation, z.B. vornehmlich in Einkauf oder Marketing, ein Unterscheidungskriterium. Dr. Thomas Zenk unterschied darüber hinaus aus Sicht der Avie GmbH nach der Beitrittsentscheidung des Apothekers. Diese kann explizit in einem Vertrag ihren Niederschlag finden oder beiläufig in einem Konditionsgespräch artikuliert werden.

Angst ist kein Mitmach-Argument mehr

Ina Hofferberth sieht die Landesapothekerverbände mit einem Organisationsgrad von rund 90 Prozent als die ersten Kooperationen an. Der unschlagbare Vorteil der Landesverbände liege in der fehlenden Gewinnorientierung, der fehlenden Fremdbestimmung und der Abwesenheit von Kettengedanken. Hofferberth räumte ein, dass die Kooperationen anfangs von den Verbänden argwöhnisch beäugt wurden, wobei bis heute bei den Verbänden trotz unterschiedlicher sonstiger Kooperationen kein Mitgliederschwund zu verzeichnen ist. Sie stellte die retrospektiv bedeutsame Frage, warum seinerzeit eine Apothekerin oder ein Apotheker Mitglied in einer Kooperation wurde. 2004 drohte in Deutschland das Fremd- und Mehrbesitzverbot zu fallen. Aus Angst vor dem Schreckensszenario von Apothekenketten in Deutschland sind viele Pharmazeuten einer Kooperation beigetreten. Als weitere Motivationsfaktoren müssen verbesserte Einkaufskonditionen für Rx- und OTC-Sortimente sowie eine gewisse Unerfahrenheit im Umgang mit Werbung, Marketing und Markenbildung gesehen werden. Nach Ansicht von Hofferberth wird sich die Kooperationslandschaft ausdünnen, denn inzwischen ist Angst als Mitmach-Motivation vom Tisch, im ruinösen Wettbewerb der Pharmagroßhändler sind Einkaufsvorteile nicht weiter zu generieren und Dachmarkenkonzepte, die dem Apotheker suggerieren, er müsse sich dort nur einordnen, ohne anschließend selbst aktiv zu werden, funktionieren offensichtlich nicht. Dr. Trümper und Hollmann hielten gemeinsam fest, dass die nicht über den Großhandel organisierten Kooperationen durch die Bündelung von Einkaufsvolumen die beim Großhandel erzielbaren Rabatte maximieren wollen und dabei ihre Marktmacht demonstrieren.

Die Apotheke muss selbst zur Marke werden

Christoph Gulde ist in keiner Großhandelskooperation mehr, sondern organisiert sich in einer Werbe- und Einkaufsgemeinschaft, in Erfa-Gruppen und einer betriebswirtschaftlichen Kooperation, die über das Systemhaus seiner Warenwirtschaft angeboten wird. Sein Credo lautete, dass er sich punktuell die Kooperation sucht, die ihm für eine konkrete Fragestellung helfen kann und betont, dass der Apotheker in seiner Apotheke mit seinem freundlichen und kompetenten Personal den Erfolg einer Apotheke ausmacht. Die Zugehörigkeit zu einer Kooperation mit oder ohne Dachmarke ist nachrangig. Auch Wilfried Hollmann unterstreicht, dass die einzelne Apotheke ein Unikat sein muss. Dietmar Wolz wollte nie ein fremdes Logo oder Label an seiner Apothekentür. Er vertrat die Meinung, die Apotheke selbst muss am Standort zur unverwechselbaren Marke werden. In seiner Bahnhof-Apotheke spezialisiert er sich auf die Herstellung von eigenen Produkten im hochwertigen OTC-Sortiment zu apothekenüblichen Preisen. Damit ist er bundesweit auch in der Kollegenschaft bekannt und unabhängig von Dachmarkenkonzepten.

Eine Frage der Marke

Gerhard Böpple, seit Anfang 2012 Geschäftsführer der Apothekenkooperation „A-plus“, analysiert im Markt, dass der Apotheker oftmals aufgrund vielfältiger anderer Aufgaben wenig Zeit in seine tatsächliche Kompetenz investiert. Wenn er sich darauf sowie auf seine Kunden wieder verstärkt konzentriert, kann eine gute Apothekenkooperation in dieser Situation von großem Nutzen für ihn sein. Migasa hat nach eigenen Angaben vor allem die „Platzhirsch-Apotheken“. Knoll nannte aktuell 117 Mitglieder, von denen nach seinen Worten jeder ganz genau wisse, warum er in der Kooperation dabei sei. Er fordert vom Inhaber eine überproportionale Grundmotivation für die aktive Berufsausübung, eigenverantwortliche Kernaktivitäten und praktiziert bei Migasa dabei so viel Individualität und so wenig Normierung wie möglich. Erwartet wird eine 100%ige Verbindlichkeit in der Umsetzung von Vereinbarungen. Migasa ist laut Knoll kein Markenzeichen gegenüber dem Endverbraucher und will auch keines werden. Die Mitgliedsapotheke bleibt mit ihrem angestammten „Namen“ als lokale Marke gekennzeichnet. Vor diesem Hintergrund formuliert Kaapke stellvertretend an Dr. Thomas Zenk die provokante Frage: „Braucht‘s Avie dann überhaupt?“ Dr. Zenk bejahte und erläuterte, dass nach 2004 ein Fluchtreflex in Kooperationen ohne entsprechenden Reifungsprozess stattgefunden hat. Avie setzt dem ein reifes Konzept entgegen. Es lauert nach seinen Worten die Gefahr, sich in der Apotheke einzig über das „rote A“ zu definieren ohne auf den Wettbewerb von Drogeriemärkten und Einzelhandel angemessen zu reagieren. Avie verfügt über erprobte Ladenbaukonzepte, organisiert Teamschulungen und nutzt erfolgreiches Handelswissen in den Partner-Apotheken. Kaapke legte nach und postuliert, dass der Konsument an Reizüberflutung leide, wenn das gotische „A“, stellvertretend das Logo einer „Adler-Apotheke“, die Bayer-Leuchtreklame und ein Linda-Aufkleber Orientierung bieten sollten. Zenk konterte „was beim Avie-Dachmarkenkonzept hängen bleibt, ist das gotische ‚A‘ und die Marke Avie als Ergänzung zum Namen der Apotheke“. Zur Klarstellung wies er ferner darauf hin, dass die Marke DocMorris bekannt gewesen sei, nur trotzdem deshalb keineswegs erfolgreich, als Kaapke von ihm wissen möchte, wie viele Verbraucher nötig seien, damit eine Marke als Marke wahrgenommen wird. Der Drang zur Markenbildung ist nach Trümpers Worten häufig industriegetrieben. Hersteller haben immer ein großes Interesse daran, einheitliche Absatzkanäle und deren Strukturen zu kennen. Und Trümper betonte einmal mehr, dass die Apotheke nicht einfach mit anderen Branchen vergleichbar ist. Es geht schließlich bei Arzneimitteln um Waren der besonderen Art. Qualitätsunterschiede bei den Produkten sind zwischen Apotheke A und Apotheke B nicht zu erwarten und dienen damit nicht zur Differenzierung. Die Professionalität und Servicebereitschaft der Apotheke können diese Lücke schließen. Nach Trümper sind moderne und zukunftsweisende Dienstleistungen für Apotheken in statu nascendi. Auch Dietmar Wolz vertritt die Meinung, dass ein Apotheker in seiner Apotheke vielfach nicht mehr in allen Geschäftsbereichen gleichermaßen professionell auftreten kann und Hilfe und Unterstützung einkaufen muss.

Moderator Kaapke mutmaßte, dass viele Apotheker zunehmend verunsichert seien, vielleicht sogar kooperationsmüde und den Nutzen einer Mitgliedschaft nicht (mehr) erkennen. Andreas Gröninger, als Systemberater bei Avie seit sechs Monaten im Apothekenmarkt und vorher in leitender Funktion bei Lidl tätig, vertrat die Auffassung, dass Apotheker die Leistungen der Zentrale auch systematisch abrufen müssten. Aus Kundensicht besteht die Apotheke aus der Marke, Mitarbeitern und Warenpräsentation. Hier ist professionelles und erprobtes Handelswissen gefragt, das Apotheker qua Ausbildung nicht mitbekämen. Wolz gab kritisch zu bedenken, dass die Apotheker selbst und ohne Not den Preis schon vor den easy-Apotheken in die Diskussion gebracht haben. Im Apothekenmarkt die Preisführerschaft zu übernehmen, sei jedoch nahezu unmöglich, und ob das ärztliche Rezept für die Apotheke das einzig Seligmachende wäre, darf bezweifelt werden.

Ausblick

Kaapke forderte die Diskutanten auf, eine Prognose zu wagen. Wie sieht die Zukunft der Apothekenkooperation 2.0 oder 3.0 aus und wie sieht die wirklich konzeptionelle Unterstützung der Apotheke 2.0 aus? Wie viele Kooperationen werden überleben? Vor der Beantwortung der Frage „brauchen wir überhaupt Apothekenkooperationen?“ warf Böpple die Gegenfrage auf „ wer ist WIR? – Apotheker, Großhändler oder Endverbraucher?“ Einigkeit besteht darüber, dass Apotheker und Großhändler durchaus von Kooperationsmodellen profitieren. Böpple prognostizierte neue, laterale Konzepte mit der Einbindung der Apotheke, die dem Endverbraucher Nutzen bringen werden. Dr. Trümper sieht die Kooperationen, die ausschließlich den Wirtschaftssektor bedienen, an Bedeutung verlieren. Aussicht auf Erfolg haben nach seiner Expertise solche Kooperationen, die mit Konzepten für die Zukunftssicherung der Apotheke aufwarten. Kompetenz, Service und Dienstleistung werden wichtige Stellschrauben sein. Auch Christoph Gulde sah keinen Nutzen in einer Kooperation als Dachmarke. Die Wahrnehmung des Kunden fokussiert auf den Inhaber und das Team. Frau Hofferberth ergänzte, dass Apotheker in Zukunft Kooperationen brauchen, worauf Hollmann einwarf „der Apotheker braucht Hilfe!“. Sein Tipp heißt ganz klar: sprich mit dem Großhandel, deinem Hauptlieferanten, was er für dich tun kann, auch ohne unbedingt Mitglied in dessen Kooperation zu werden. Die Noweda liefert heute alles, und der Apotheker kann modular wählen.

Zum Schluss waren sich alle Teilnehmer einig, dass die Anzahl der Apothekenkooperationen in den nächsten drei Jahren leicht sinken wird, bevor es zu einer Konsolidierung kommt. Böpple sah jedoch durch neue Strukturen auch neue Kooperationen hinzukommen. Die beiden Apotheker in der Runde, Gulde und Wolz bekannten, dass ihnen in der jüngeren Vergangenheit keine Kooperation besonders positiv aufgefallen sei. Negativ hatte Gulde den Schlingerkurs von DocMorris bemerkt und Hofferberth kritisierte ganz offen solche Kooperationen, die in den kollektiven Vertragswettbewerb mit den Krankenkassen eingetreten sind und auch hier die Preisspirale nach unten angetreten haben. Sie nahm für sich in Anspruch, dass Vertragsverhandlungen für alle Apotheken allein Aufgabe von LAV und DAV sind.

Erfolgsfaktoren: Klares Profil, Unterstützung und Mehrwert

Gefragt nach einem zentralen Erfolgsschlüssel für die Apothekenkooperationen der Zukunft fielen die Antworten recht ähnlich aus. Gröninger betonte, dass es konzeptionelle Unterstützung für die Mitglieder geben muss. Dr. Zenk ergänzte, dass die sinnvolle Übertragung von Handelswissen auf die Apotheke gepaart mit der Herausstellung der pharmazeutischen Kompetenz einen großen Vorsprung liefern wird. Dr. Trümper betrachtete die Zukunft ganzheitlich und sieht die Kooperation überleben, die dem Apotheker Orientierung im Wandel gibt. Hollmann folgte einem pragmatischen Ansatz: die Kooperation muss dem Apotheker helfen und nicht sich selbst. Knoll forderte, dass die erfolgreiche Kooperation der Apotheke auf der Leistungsebene Einzigartigkeit liefern muss – so wie die Migasa. Böpple betonte, wenn die Kooperation ein klares Profil hat, einen spürbaren Mehrwert liefert, standortbezogene Dienstleistungen anbietet und das Mikromarketing beherrscht, hat sie den Schlüssel zum Erfolg. Wolz und Gulde sahen die Zukunft positiv und kompetenzbasiert. Professionelle Hilfe von außen ist nötig, sagte Wolz, und hat laut Gulde eine Daseinsberechtigung, wenn der Apotheker einen Entlastungsgewinn und Rationalisierungsgewinn erzielt. Hofferberth schloss sich an und betonte, dass der LAV nach außen kommuniziert, warum der Verbraucher trotz anderer Bezugsquellen in die Apotheke gehen soll. Dort soll er einen Pharmazeuten treffen, der wieder mehr Zeit für gute Pharmazie und den Kunden an sich haben soll.

Kaapke als Moderator hatte das Schlusswort und erinnerte daran, dass der Apotheker Heilberufler und Kaufmann zugleich ist. Seiner Meinung nach braucht eine Apothekenkooperation 2.0 eine hohe Verbindlichkeit und soll für den Apotheker den Rahmen schaffen, insbesondere die nicht delegierbaren betriebswirtschaftlichen Entscheidungen selbst zu treffen. 

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