INTERPHARM 2014 - Schmerz

Der kleine Unterschied

Warum Frauen schmerzempfindlicher sind und Männer mehr Opioide benötigen

bf | Männer sind anders. Frauen auch. Dieser schlaue Spruch stimmt auch mit Blick auf die Schmerzwahrnehmung. Frauen empfinden nachweislich mehr Schmerz als Männer. Auch die Wirksamkeit von Analgetika kann unterschiedlich sein und muss therapeutisch berücksichtigt werden, wie Prof. Dr. Oliver Werz vom Institut für Pharmazie in Jena erläuterte.
Prof. Dr. Oliver Werz

Bei Frauen treten Schmerzen häufiger auf, sind länger anhaltend und chronifizieren öfter als bei ihren männlichen Geschlechtsgenossen. Schmerzschwelle und Schmerztoleranz sind niedriger. Die Schmerzintensität ist bei Frauen stärker. Als Ursache kommen soziokulturelle und psychologische Einflüsse in Betracht, aber auch biologische Faktoren, allen voran die Sexualhormone. So beeinflusst Estradiol die Expression und Aktivität des µ-Opioid-Rezeptors. Nozizeptive Informationen werden peripher und zentral durch Estradiol und Progesteron gesteigert.

Verändertes Schmerzempfinden nach Geschlechtsumwandlung

Auch klinische Beobachtungen belegen die Schmerzmodulation durch Sexualhormone. Vor der Pubertät gibt es noch keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Schmerzwahrnehmung. Ab dem 50. bis 70. Lebensjahr nehmen sie wieder ab. Während der Schwangerschaft sind Migräne und temporomandibuläre Dysfunktion seltener. Und: das Schmerzempfinden ändert sich nach einer Geschlechtsumwandlung und der damit einhergehenden Hormontherapie. Bei der Umwandlung von Mann zu Frau und der Einnahme von Estradiol/Antiandrogenen nimmt chronischer Schmerz um 30% zu. Umgekehrt, also bei der Umwandlung von Frau zu Mann, wird chronischer Kopfschmerz um die Hälfte reduziert. Dass diese Überlegungen stimmen, spiegelt sich auch in der Inzidenz von Schmerzsyndromen bei Mann und Frau wider. So sind bei Frauen chronische Spannungskopfschmerzen zehnmal häufiger als bei Männern, Reizdarmsyndrome viermal häufiger, Fibromyalgien 3,2-fach häufiger und Migräneattacken 2,5-fach häufiger. Nur der Cluster-Kopfschmerz tritt – aus unbekannten Gründen – bei Männern häufiger auf.

Testosteron hemmt Leukotrien-Produktion

Ein Erklärungsansatz für eine höhere Anfälligkeit von Frauen für chronische Schmerzzustände sind häufigere Entzündungen. Tatsache ist, dass das Risiko für Autoimmunerkrankungen erhöht ist. Entzündungsreaktionen treten öfter auf. „Die Reaktivität von Lymphozyten, Monozyten und Neutrophilen ist bei Frauen ausgeprägter als bei Männern“, erläuterte Werz. Generell gilt Testosteron als eher entzündungshemmend, Estradiol als entzündungsfördernd. Studien zeigen, dass insbesondere Leukotrien-vermittelte Erkrankungen wie Asthma, allergische Rhinitis, Lupus erythematodes oder multiple Sklerose bei Frauen häufiger auftreten. Hier konnte gezeigt werden, dass Frauen mehr Leukotriene produzieren als Männer. Testosteron hemmt die Leukotrien-Biosynthese im Blut von Frauen. Mit zunehmender Testosteron-Konzentration im Blut nimmt deshalb die Leukotrien-Konzentration ab. Entsprechend findet man bei hyperandrogenen Frauen niedrigere Leukotrien-Spiegel.

Männer brauchen mehr Opioide

Auch die Wirksamkeit von Analgetika kann geschlechtsspezifisch sein. Studien zeigen, dass Morphin bei Frauen stärker analgetisch wirkt. Männer benötigen etwa 40 bis 50% mehr Morphin um einen vergleichbaren analgetischen Effekt zu erzielen. Erklärt wird dies durch das bei Frauen höhere Bindungspotenzial für Morphin, aber auch für Fentanyl an den µOP3-Rezeptor. Keine Erklärung gibt es für die unterschiedliche Wirksamkeit von ASS bei Männern und Frauen. Es senkt bei Männern das Herzinfarktrisiko, nicht aber bei Frauen. Umgekehrt geht bei Frauen unter ASS die Zahl der Schlaganfälle zurück, nicht aber bei den Männern. 


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