Arzneimittel und Therapie

Keine Verschlechterung unter Pregabalin

Das therapeutische Dilemma beim Restless-Legs-Syndrom

Bei der Behandlung des Restless-Legs-Syndroms (RLS) könnte Pregabalin eine Alternative zu Dopaminagonisten sein. Denn ein großer Nachteil der dopaminergen Wirkstoffe ist die Augmentation, eine Verschlechterung der Symptome nach anfänglicher Besserung. In einer Studie war Pregabalin mindestens gleich gut wirksam wie der Dopaminagonist Pramipexol. Unerwünschte Wirkungen könnten allerdings die Langzeitanwendung von Pregabalin einschränken.

Das Krankheitsbild der „unruhigen Beine“ (Restless-Legs-Syndrom, RLS) gehört zu den häufigsten neurologischen Bewegungsstörungen. Abhängig vom Lebensalter sollen 3 bis 10% der Bevölkerung betroffen sein; rund ein Drittel ist behandlungsbedürftig. Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Die Prävalenz steigt mit zunehmendem Lebensalter. Der Krankheitsverlauf ist häufig chronisch-progredient. Die Ursache des primären (idiopathischen) RLS ist unklar. Vermutet wird eine verminderte Bereitstellung von Eisen in den Basalganglien des Gehirns, was zu einer Fehlfunktion im dopaminergen Neurotransmittersystem führen könnte. Daneben gibt es sekundäre RLS-Formen, die durch Grunderkrankungen wie Eisenmangel – RLS-Patienten weisen häufig niedrige Serum-Ferritinwerte auf –, Nieren- oder Schilddrüsenerkrankungen oder durch bestimmte Medikamente (z.B. Antidepressiva, Neuroleptika) verursacht sind.

Die Betroffenen haben einen erheblichen Bewegungsdrang, der von quälenden Missempfindungen in den Beinen, seltener auch in den Armen, verursacht oder begleitet wird. Häufig tritt in beiden Waden ein ziehendes, reißendes Gefühl auf. Diese Beschwerden treten fast ausschließlich in Ruhe auf, besonders ausgeprägt in den Abend- und Nachtstunden. Über 90% der Patienten leiden unter erheblichen Ein- und Durchschlafstörungen, was zu der Fehldiagnose „Schlafstörung“ führen kann. Bei Kindern kann das RLS auch als Hyperaktivitätssyndrom verkannt werden. Folge der fehlenden Nachtruhe sind Tagesmüdigkeit, Erschöpfung und eingeschränkte Konzentrationsfähigkeit. Im Alltag können folgende Situationen belastend sein: längere Fahrten mit dem Auto, Langstreckenflüge, Bettlägerigkeit, Gipsverband, Kino- oder Theaterbesuche, Fernsehen, Entspannungsübungen oder eine Dialysebehandlung bei Niereninsuffizienz.

Behandlung mit L-Dopa und seinen Agonisten

Zur Behandlung des RLS werden L-Dopa und Dopaminagonisten eingesetzt. Die Kombination aus L-Dopa und dem Decarboxylasehemmer Benserazid (Restex®) ist in Deutschland für alle RLS-Schweregrade zugelassen. Das Ansprechen auf L-Dopa ist initial bei nahezu allen RLS-Patienten so deutlich, dass es als wichtiges diagnostisches Kriterium gilt. Zur Behandlung des mittelschweren bis schweren idiopathischen RLS bei Erwachsenen sind auch die nicht ergolinen (ohne Ergotaminstruktur) Dopaminagonisten Ropinirol (Adartrel®), Pramipexol (Sifrol®) und Rotigotin (als transdermales System, Neupro®) zugelassen. Eine Hauptkomplikation der dopaminergen Therapie beim RLS ist die Augmentation, eine Zunahme der Schwere der RLS-Symptomatik im Verlauf der Therapie, nachdem zunächst eine Besserung durch die Medikation eingetreten war. Bei einem Drittel der mit Dopamin-Agonisten Behandelten muss im Verlauf einer dreijährigen Behandlung mit einer Augmentation gerechnet werden. Die Häufigkeit nimmt im Verlauf der Therapie zu, allerdings konnte bisher auch die Möglichkeit einer Verschlechterung durch den natürlichen Verlauf der Erkrankung nicht sicher ausgeschlossen werden. Die Augmentation führt dazu, dass die Symptome früher im Tagesverlauf auftreten, insgesamt stärker sind und sich gelegentlich auch auf die Arme ausbreiten. Nicht zuletzt wegen des Problems einer Augmentation werden auf der Suche nach Alternativen seit einigen Jahren auch andere Neurotransmitter-beeinflussende Wirkstoffe getestet, darunter Pregabalin.

Pregabalin als Alternative zu Dopaminagonisten

Das 2004 eingeführte Pregabalin (Lyrica®), derzeit zugelassen als Antikonvulsivum sowie bei neuropathischen Schmerzen, ist strukturverwandt mit dem Neurotransmitter GABA, wirkt aber im Wesentlichen über die Bindung an die α2δ-Untereinheit spannungsabhängiger Calcium-Kanäle und moduliert die Freisetzung exzitatorischer Neurotransmitter. In einer aktuellen Head-to-Head-Studie wurde Pregabalin (300 mg pro Tag) verblindet über 13 Monate mit Pramipexol in zwei Dosierungen (0,25 mg und 0,5 mg pro Tag) verglichen. Durchgeführt wurde die Studie vom Hersteller Pfizer. Von ursprünglich 731 randomisierten Patienten mit mittelschwerem bis schwerem RLS, definiert als ≥ 15 Punkte auf der IRLS (= International RLS Severity Skala), erhielten 719 nach einer einwöchigen Placebo-run-in-Phase die Studienbehandlung. Der Ausschluss von Patienten am Ende einer Run-in-Phase ist jedoch nicht unumstritten, da dadurch Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie tendenziell überschätzt werden und die Übertragbarkeit auf den klinischen Alltag eingeschränkt ist. Zu Beginn der eigentlichen Studienphase wurden die Patienten in vier Gruppen randomisiert: Placebo, Pregabalin, niedrig dosiertes Pramipexol (0,25 mg/Tag) und Pramipexol 0,5 mg/Tag. Der Vergleich mit Placebo wurde über zwölf Wochen geführt, im Anschluss daran wurden die Patienten der Placebo-Gruppe randomisiert einer der drei Verum-Gruppen zugeteilt. Primärer Studienendpunkt war die Veränderung auf der IRL-Skala im Vergleich zum Ausgangswert. Die IRL-Skala besteht aus zehn Fragen zu Häufigkeit und Schwere der Symptome, zu Müdigkeit und zum Einfluss auf Stimmung und Aktivitäten des täglichen Lebens, für die jeweils Punkte von 0 (nicht vorhanden) bis 4 (sehr schwer ausgeprägt) vergeben werden, so dass sich eine Maximalpunktzahl von 40 ergibt. Für den Vergleich von Pregabalin und Pramipexol war der primäre Endpunkt der Anteil der Patienten, bei denen am Studienende eine Augmentation diagnostiziert wurde.

Von anfänglich rund 22 Punkten auf der IRLS waren die Werte nach zwölf Wochen unter Placebo auf 15,5 (± 7,1) gesunken, unter Pregabalin auf 10,9 (± 7,3), unter 0,25 mg Pramipexol auf 14,6 (± 7,3), und unter 0,5 mg Pramipexol auf 12,0 (± 7,5). Der Unterschied zu Placebo war für Pregabalin und für 0,5 mg Pramipexol signifikant. Am Studienende nach 52 Wochen hatten 2% der Patienten unter Pregabalin gegenüber 5% unter der niedrigeren Pramipexol-Dosis und 8% unter der höheren Pramipexol-Dosis eine Augmentation. Die Augmentations-Rate nahm mit zunehmender Dauer der dopaminergen Therapie zu. Die Autoren folgern, dass damit geklärt ist, dass eine Augmentation eher eine Folge der Behandlung als eine Komplikation der Erkrankung ist.

Vergleicht man die Rate der Studienabbrüche aufgrund unerwünschter Wirkungen, so war diese unter Pregaba-lin höher als unter Pramipexol. Die häufigsten unerwünschten Wirkungen, die unter Pregabalin zum Studienabbruch führten, waren Benommenheit und Schläfrigkeit. Diese unerwünschte Wirkung kann die Arbeitsfähigkeit einschränken und bei Älteren die Sturzgefahr erhöhen. Unter Pramipexol waren Übelkeit, Erbrechen und Kopfschmerzen die häufigsten Gründe für den Abbruch. Auch Suizidgedanken und suizidales Verhalten traten unter Pregabalin häufiger auf, so dass insgesamt vermutet wird, dass die unerwünschten Wirkungen die Langzeitanwendung von Pregabalin einschränken könnten. 

Quelle

Allen RP et al. Comparison of pregabalin with pramipexole for restless legs syndrome. N Engl J Med 2014; 370: 621-631.

Chokroverty S. Therapeutic dilemma for restless legs syndrome. N Engl J Med 2014; 370: 667–668.

Deutsche Gesellschaft für Neurologie. S1-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des Restless-Legs-Syndrom (RLS), AWMF-Registernummer : 030/081, Stand 2013.

 

Apothekerin Dr. Birgit Schindler

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