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Apotheker in der Industrie

Viele Betätigungsfelder und sehr gute Aussichten

Von Helga Blasius | Die Deutsche Pharmazeutische Gesellschaft (DPhG) und die Industrie wollen enger zusammenarbeiten, um zwei Ziele zu erreichen: den pharmazeutischen Nachwuchs für eine Tätigkeit in der pharmazeutischen Industrie zu motivieren und Forschungskooperationen von Industrie und Hochschule zu fördern. Dies waren auch die Themen eines Workshops am 7. und 8. April in der Universität Frankfurt.

Mannigfache Aufgaben

Nahezu 10.000 Apotheker arbeiten in der Wissenschaft, Industrie und Verwaltung, die Hälfte davon in der Industrie. Dabei besteht die „Pharmaindustrie“ nicht nur aus Großkonzernen (Big Pharma) und kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU), sondern auch aus Auftragsforschungsinstituten (CROs), Entwicklungs- und Untersuchungslaboren, Wirkstoff- und Lohnherstellern sowie Beratern in verschiedenen Sparten (s. Kasten). Pharmazeuten sind für industrielle Tätigkeiten gut gerüstet, nicht nur im Labor, sondern auch als Schreibtischtäter, und können im Wettbewerb mit anderen Berufsgruppen bestehen. Meistens haben sie gegenüber Chemikern, Biologen u.a. sogar die Nase vorn.

Mittelständische Industrie

Die mittelständische Industrie hat für den Pharmastandort Deutschland nach wie vor eine große Bedeutung, auch wenn die „Musik“ der allgemeinen Wahrnehmung nach eher von Big-Pharma gespielt wird. In solchen Unternehmen mit in der Regel bis zu 500 Mitarbeitern ist das Arbeitsumfeld überschaubar, und die Entscheidungswege sind kurz. Sie konzentrieren sich meist auf bestimmte Therapieschwerpunkte, in denen entgegen der landläufigen Vorstellung durchaus auch Forschung betrieben wird. Außerdem sind die meisten Firmen international aktiv. Christiane Staiger, Leiterin Forschung und Entwicklung (F & E) bei einem mittelständischen, Familien-geführten Pharmaunternehmen, skizzierte die Tätigkeitsfelder im Bereich Arzneimittelzulassung, Pharmakovigilanz, Medical Affairs und Klinische Forschung.

Aufgabengebiete für Pharmazeuten in der Industrie


Forschung

  • Entdeckung von Zielstrukturen
  • Präklinische Pharmakologie (in vitro, in vivo)
  • Findung von Leitstrukturen und deren Optimierung

Entwicklung

  • Toxikologie und Metabolismus/Pharmakokinetik (DMPK)
  • Chemische, biologische und pharmazeutische Entwicklung (Prozessentwicklung, Arzneiformulierung, Scale-up und Validierung, analytische Entwicklung, Klinikmuster, Qualitätssicherung)
  • Klinische Pharmakologie, Biomarker und klinische Entwicklung
  • Regulatory Affairs und Arzneimittelsicherheit (Pharmakovigilanz)
  • Marktzugang (Gesundheitsökonomie)

Produktion

  • Kommerzielle Herstellung (Wirkstoffe und Formulierungen)
  • Qualitätssicherung und Logistik (Supply chain)

Nach O. Queckenberg

Lifecycle Management

Dabei räumte Staiger mit der irrigen Annahme auf, dass Apotheker in der Industrie hauptsächlich mit der Arzneimittelentwicklung vor der Zulassung zu tun haben. Tatsächlich liegen die Schwerpunkte ihrer Tätigkeiten eher nach dem Launch (Markteinführung) eines Produktes, das heißt in der Aufrechterhaltung und „Pflege“ der Zulassung, die ja in der Regel nicht statisch, sondern ständigen Veränderungen unterworfen ist. Dieses „Lifecycle-Management“ eines Arzneimittels ist für die Unternehmen mindestens ebenso wichtig wie die Spitzenforschung. An den Universitäten wird hierüber bislang kaum etwas vermittelt. Außerdem bergen auch etablierte Produkte immer Potenziale für Weiterentwicklungen, wie etwa moderne Darreichungsformen. Gerade hier können sich Apotheker mit ihrem breiten Grundlagenwissen und dem notwendigen Gespür für die Patienten und den Markt optimal einbringen.

Herstellung und Qualitätskontrolle

Die Funktion schlechthin für Apotheker in der pharmazeutischen Produktion und Qualitätskontrolle ist diejenige der Sachkundigen Person (gemäß § 15 AMG). Eine solche verantwortliche Person braucht jedes Pharmaunternehmen, um eine Herstellungserlaubnis zu bekommen. Apotheker sind hier gegenüber anderen Berufsgruppen, die ebenfalls in diesen Bereich drängen, eindeutig im Vorteil, denn die Approbation reicht als Qualifikation zusammen mit einer mindestens zwei Jahre praktischen Tätigkeit auf dem Gebiet der qualitativen und quantitativen Analyse sowie sonstiger Qualitätsprüfungen von Arzneimitteln bereits aus.

Angesichts der Vielfalt der Aufgaben macht kaum ein Unternehmen heute noch alles in-house. Der Trend geht zum Outsourcing. Hieraus ergeben sich zahlreiche Schnittstellen, ein großes Potenzial für junge, dynamische Apotheker, vorzugsweise mit einer Weiterbildung als Fachapotheker für pharmazeutische Technologie.

Gerade im Bereich Herstellung und Qualitätskontrolle ist der Spagat der Hochschule zwischen Ausbildung für Offizin und Großproduktion besonders groß. Zwar werden im Hauptstudium Grundzüge von GMP und Qualitätssicherung vermittelt, aber die praktische Anwendung ist aus Zeitgründen kaum möglich. Außerdem spielen in einem modernen Pharmaunternehmen High-Tech-Methoden mit einer großen Vielfalt (HPLC, GC, CE, HPLC‑MS, GC‑MS u.a.) eine immense Rolle. Hinzu kommt, dass die Dokumentationspflichten in den letzten 20 Jahren extrem angestiegen sind. Auch Hochschullehrer gestehen hier Wissensdefizite ein.

Foto: H. Blasius
Wie „tickt“ die Pharmaindustrie? Gespanntes Interesse.

Phytoindustrie mit Wachstumspotenzial

Pflanzliche Produkte mit Gesundheitsbezug müssen nicht Arzneimittel sein, sondern können auch Medizinprodukte, Nahrungsergänzungsmittel oder Kosmetika sein. In diesem Spannungsfeld bewegen sich die knapp 400 Phytohersteller, die über ganz Deutschland verteilt sind. Es gibt rund 3000 pflanzliche Arzneimittel, die 3% des gesamten Apothekenumsatzes machen. Trotz dieses Nischen-Daseins glaubt Christoph Theurer, Leverkusen, an einen konstanten und nachwachsenden Bedarf an pflanzlichen Arzneimitteln. Derzeit arbeiten schätzungsweise 300 bis 500 Apotheker in der Phytoindustrie. Der Bedarf nimmt zu, da hier gerade ein Generationswechsel vor sich geht. Wer in diesen Bereich einsteigen möchte, sollte sich allerdings dessen bewusst sein, dass hier eher das Multitalent gefragt ist als der Spezialist.

Gesundheitsökonomie

Seit der Einführung der frühen Nutzenbewertung innovativer Arzneimittel stehen die Pharmaunternehmen vor neuen schweren Herausforderungen. Die Erstattungsfähigkeit eines neuen Arzneimittels ist kein Selbstgänger mehr. Hierfür müssen vielmehr umfangreiche Dossiers vorgelegt werden. Die Kriterien für die Preisfestsetzung erfordern solide Kenntnisse im pharmazeutischen Recht und über das Sozialgesetzbuch. Wer hier erfolgreich sein will, braucht einen „Rundum-Blick“ über das Arzneimittel, über den gerade Apotheker in idealer Weise verfügen.

Das Pharmaziestudium vermittelt im Fach Klinische Pharmazie für die Sicherstellung der Arzneimitteltherapiesicherheit zwar schon recht gute Grundlagen, aber in den nächsten Jahren wird es voraussichtlich noch mehr auf Kenntnisse in der Pharmakoepidemiologie und -ökonomie ankommen.

Auch in Zukunft konkurrenzfähig

Olaf Queckenberg, Leiter chemische und pharmazeutische Entwicklung in einem großen Pharmakonzern, beschrieb seine Zukunftsperspektiven für die Pharmaindustrie, die vier Makro-Trends unterliegen:

  • zunehmende Anforderungen von Behörden, Finanzierern und Patienten an den Wert einer Behandlung,
  • starker Kostendruck auf den Gesundheitssystemen,
  • demografischer Wandel,
  • hoher nicht-gedeckter medizinischer Bedarf bei verschiedenen Erkrankungen.

Diese Trends werden die Pharmaindustrie umkrempeln, meint Queckenberg: weg von Volumen-basierten hin zu Wert-basierten Modellen. Die Zeit von „me-too“ (engl. „ich auch“, d.h. Nachahmerpräparate) ist für ihn längst vorbei. Was in Zukunft zählt, sind Breakthrough-Innovationen.

Apotheker in der Industrie

Erwünscht sind Promotion und Zusatzqualifikation, z.B.

  • Weiterbildung zum Fachapotheker
  • Master of Business Administration (MBA)
  • Master of Public Health
  • Master of Drug Regulatory Affairs

Was braucht man noch?

  • Gute Englischkenntnisse
  • Engagement und Ambition, sich zu verändern und sich zu entwickeln
  • Extrem wichtig: vernetztes Denken
  • Kommunikationsfähigkeit (Einzelkämpfer-Arbeitsplätze gibt es eher selten)
  • Bereitschaft, im Team zu arbeiten (auch international)
  • Entscheidungsfreude und Standing

In Leitungsfunktionen:

  • Führungsqualifikation,
  • Bereitschaft und Fähigkeit, betriebswirtschaftliche und Budgetverantwortung zu übernehmen

Und wie kommt man rein?

Ideal: Praktikum in der Industrie im Praktischen Jahr

Bereits seit geraumer Zeit beschäftigt sich die Industrie intensiv mit neuen Therapien wie der Gen- und Zelltherapie, mit der personalisierten Medizin, für die Biomarker zur Stratifizierung gebraucht werden, mit komplexen Wirkstoffformulierungen und neuen Applikationssystemen, aber auch mit Maßnahmen, um die Adhärenz der Patienten zu verbessern. So sieht Queckenberg einen ungebrochenen Bedarf an gut ausgebildeten Apothekern in der neuen High-Tech-Pharmawelt, vielleicht nicht unbedingt in der Spitzenforschung, aber vor allem an kritischen Schnittstellen wie im Qualitätsmanagement und in der Pharmakovigilanz.

Wünsche der Industrie an die Hochschulen:

  • Breite wissenschaftliche Ausbildung beibehalten
  • Mehr Grundlagenwissen in den Bereichen Arzneimittelzulassung, Arzneimittelsicherheit, Klinische Studien
  • Stärkere Praxisorientierung
  • Vermittlung von Problemlösungskompetenz anstelle von Reproduktion des Gelernten
  • Mehr Motivation der Studenten zur Weiterbildung
  • Mehr Exkursionen und Praktika in der Industrie
  • Mehr Interaktion mit Kammern, Industrie und Behörden

Wünsche der Hochschulen an die Industrie:

  • Stärkeres Engagement in der Ausbildung, etwa über Ringvorlesungen zu regulatorischen und anderen Industrie-relevanten Themen
  • Bereitstellung von Ausbildungsmaterial im Bereich Herstellung und Qualitätssicherung (GMP)
  • Einladung zu Industrieexkursionen

Industriekooperationen mit klaren Regeln

Die Industrie sucht Kooperationen mit der Pharmazie an den Hochschulen zum Beispiel dann, wenn eine bestimmte Expertise gewünscht wird, wenn Detailfragen untersucht werden sollen oder auch wenn die für die Forschung notwendigen Geräte nicht vorhanden sind. Doktoranden können in Industriekooperationen interessante Erfahrungen sammeln und den professionellen Umgang mit Industriepartnern üben. Die pharmazeutische Biologin Irmgard Merfort, Universität Freiburg, hat diesbezüglich gute Erfahrungen gemacht. Zwei Projekte hat sie in Kooperation mit zwei Firmen und insgesamt drei universitären Gruppen im Rahmen des zentralen Innovationsprojekts Mittelstand (ZIM) des Wirtschaftsministeriums durchgeführt.

Da die Deutsche Forschungsgemeinschaft nur selten die Phytopharmaforschung an den Universitäten fördert, sind Industriekooperationen für Merfort eine gute und gangbare Option. Der Gefahr, sich dabei zu sehr in die Hände des Industriepartners zu begeben, kann man aus ihrer Sicht durch klare vertragliche Vereinbarungen begegnen. Diese sollten die Verwertung, mögliche Patentierungsmöglichkeiten, uneingeschränkte Publikationsbefugnis und die Nichteinmischung in die Versuche abdecken.

Meine Motivation, in der Biopharmazie zu arbeiten:

„Organisatorische und technische Gestaltungsmöglichkeiten, ein internationales Umfeld mit herausfordernden Projekten und innovativen Therapieansätzen, Zusammenarbeit mit Entwicklung und Analytik, Qualitätssicherung, Supply chain, Projektmanagement, Controlling und mit meinen Mitarbeitern … – und keinen Tag Langeweile!“

Dr. Friedrich Haefele, Boehringer Ingelheim

Rolf Müller erforscht an der Universität des Saarlandes Mikroorganismen als Wirkstoffquellen für die Krebstherapie und für neue Antibiotika, zum Teil ebenfalls in Kooperation mit Pharmaunternehmen. Derzeit werden mehr Projekte an ihn herangetragen, als seine Arbeitsgruppe bewältigen kann. Müller sucht deshalb dringend Apotheker und lädt dazu ein, sich bei ihm zu bewerben. Nur die Pharmazeuten kommen seiner Erfahrung nach ohne Probleme in diesen Bereich hinein, weil sie hierfür besser als Chemiker und Biologen vorgebildet sind.

Fazit

Die Industrie braucht mehr Pharmazeuten, als im Moment dort arbeiten. Sie will deshalb in Zukunft mehr dafür tun, dass Pharmaziestudenten eine klarere Vorstellung davon bekommen, was sie dort erwartet. Zur Frage, wann die Spezialisierung einsetzen sollte – bereits während oder erst nach dem Studium – gibt es unterschiedliche Meinungen.

Einhelligkeit besteht jedoch darüber, dass Apotheker gerade deswegen so wertvoll für alle möglichen Tätigkeitsfelder in der Industrie sind, weil sie so breit ausgebildet werden. Dabei soll es auch bleiben, denn das macht sie zu idealen Koordinatoren und Vernetzern.

Die Initiative „Pharmazie und Industrie – gemeinsam in die Zukunft“ will sich auch dafür einsetzen, dass das Berufsbild des Apothekers in der Allgemeinbevölkerung breiter aufgestellt wird. Bislang kommen sie dort überhaupt nicht vor, meinen viele Wissenschaftler und Industrieapotheker. 

Es referierten zu ausgewählten Themenbereichen:

AMNOG und frühe Nutzenbewertung:

Prof. Dr. Dr. Gerd Geißlinger, Univ. Frankfurt

Dr. Dorothee Brakmann, Janssen-Cilag GmbH

 

Klinische Pharmazie:

Prof. Dr. Kristina Leuner, Univ. Erlangen

Dr. Christiane Staiger, Engelhard Arzneimittel GmbH & Co. KG

 

Herstellung und Qualitätskontrolle, pharmazeutische Analytik:

Prof. Dr. Michael Lämmerhofer, Univ. Tübingen

PD Dr. Martin Tegtmeier, Schaper & Brümmer GmbH & Co. KG

 

Biopharmazie:

Prof. Dr. Rolf Müller, Univ. des Saarlandes

Dr. Friedrich Haefele, Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG

 

Phytopharmaka:

Prof. Dr. Irmgard Merfort, Univ. Freiburg

Prof. Dr. Jörg Heilmann, Univ. Regensburg

Dr. Christoph Theurer, Bayer Vital GmbH

 

Pharmazeutische Technologie:

Prof. Dr. Werner Weitschies, Univ. Greifswald

Dr. Olaf Queckenberg, Bayer Pharma AG

 

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