Infektiologie

Der Feind aus der Wüste

Wie gefährlich ist das MERS-Coronavirus?

Ilse Zündorf und Theo Dingermann | Seit zwei Jahren macht es nun seine Runden, das neuartige Coronavirus, und das Problem scheint sich jetzt doch zu verstärken: Nachdem 2012 und bis Mitte 2013 nur von einzelnen Erkrankungsfällen berichtet wurde, sind allein im April 2014 schlagartig über 300 Neuinfektionen aufgetreten (Abb.) ! Seit April 2012 sind somit insgesamt 621 MERS-CoV-Infektionen registriert, von denen 188 tödlich endeten.
Abb.: Bei der WHO gemeldete MERS-CoV-Fälle, bestätigt durch Laborbefund bis 8. Mai 2014 [Quelle: WHO]

Noch stuft die WHO das Middle East respiratory syndrome coronavirus (MERS-CoV) nicht als Public Health Emergency of International Concern (PHEIC) ein: Denn bisher ist noch keine nachhaltige Übertragung von Mensch zu Mensch nachgewiesen. Erst wenn sich zeigen sollte, dass der Mensch doch für andere Menschen ansteckend sein könnte, wird ein entsprechender Notfallplan greifen. Allerdings zeigten sich die Mitglieder des International Health Regulations Emergency Committee bei ihrer letzten Sitzung sehr besorgt über den massiven Anstieg der Erkrankungsfälle (Abb.). Das Expertengremium rät der WHO und den Mitgliedsländern dringend, mehr dafür zu tun, dass sich die Infektion nicht weiter ausbreitet.

Bisher sind in Europa insgesamt erst zwölf MERS-CoV-Infektionen registriert, wobei alle diese Fälle mit Ländern des Nahen Ostens in Verbindung stehen. Das Erschreckende: Fünf der zwölf Patienten sind an der Infektion gestorben. Für Deutschland sind zwei Erkrankungsfälle und ein Todesfall gemeldet, die aus Katar bzw. den Vereinigten Arabischen Emiraten importiert worden waren. Insgesamt gilt für die europäische Allgemeinbevölkerung also zunächst noch kein erhöhtes Erkrankungsrisiko. Allerdings sollte man bei Reisen in den Mittleren Osten geeignete Vorsichtsmaßnahmen ergreifen.

Worum geht es?

Seit April 2012 kam es überwiegend in Saudi-Arabien, Jordanien, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Oman und Kuwait vermehrt zu Erkrankungsfällen, die einer akut beginnenden Grippe ähnelten, häufig begleitet von Durchfall. Bei schweren Verläufen zeigte sich in der ersten Woche eine Pneumonie, die später in ein akutes Atemnotsyndrom überging. Außerdem trat bei schweren Verläufen zum Teil auch Nierenversagen auf.

Recht schnell wurde klar, dass es sich bei der Krankheitsursache um ein Coronavirus handelt. Erinnerungen an die Jahre 2002 und 2003 wurden da wach, als das bis dahin unbekannte SARS-assoziierte Coronavirus (SARS-CoV) mit dem severe acute respiratory syndrom (SARS) ein ähnliches Krankheitsbild verursachte. Bis 2002 wurde eigentlich immer davon ausgegangen, dass Coronaviren beim Menschen nur recht harmlose Erkältungskrankheiten und in seltenen Fällen eine Gastroenteritis hervorrufen. Dagegen waren Haussäugetiere wie Hunde, Katzen, aber auch Schweine und Rinder oft schwerer von Coronavirus-Infektionen betroffen. Diese Einschätzung hat sich seit der SARS-Epidemie komplett geändert.

Die Coronaviren

Bei dieser Virus-Gruppe handelt es sich um RNA-Viren mit +-Strang-Genom, d.h. die virale RNA kann in der Wirtszelle direkt als mRNA genutzt werden. Mit einer Länge von ca. 30.000 Nukleotiden ist die Coronavirus-RNA das größte Genom bei RNA-Viren. Die Coronaviren lassen sich in die Gattungen Alpha-, Beta-, Gamma- und Deltacoronavirus einteilen. Das relativ neue Virus MERS-CoV wird, ebenso wie das SARS-assoziierte Coronavirus zu den Betacoronaviren gezählt. Ihren Namen haben die Coronaviren von den in die Membranhülle eingelagerten Virusproteinen, die im Elektronenmikroskop wie ein Strahlenkranz aussehen. Nach Adsorption an ein Oberflächenprotein der Wirtszelle – im Falle von MERS-CoV die Dipeptidylpeptidase 4 – werden die Coronaviren endozytotisch aufgenommen. Ihre Membranhülle muss dann mit der Endosomenmembran verschmelzen, damit das Virus-Genom freigesetzt und translatiert werden kann. Nach der Synthese und Prozessierung des viralen Replicase-Polyproteins können neue Viruspartikel hergestellt werden.

MERS-CoV

Zunächst wurde das 2012 identifizierte Coronavirus als HCoV-EMC bezeichnet. Erst im Mai 2013 erhielt es die jetzige Bezeichnung Middle East respiratory syndrome coronavirus, MERS-CoV. Es wird vermutet, dass dieses Virus ursprünglich aus Fledermäusen stammt, wobei inzwischen gesichert ist, dass Dromedare ebenfalls mit den Viren infiziert sind und als Zwischenwirt dienen könnten: In Nasenabstrichen einiger Tiere einer Farm, bei der auch humane Erkrankungsfälle aufgetreten waren, waren diese Viren nachweisbar. Allerdings zeigten die Genome der Viren aus den Dromedaren Sequenzvariationen im Vergleich zu denjenigen aus den infizierten Menschen. In einer Publikation, die kürzlich in „The Lancet Infectious Diseases“ veröffentlicht wurde, äußern sich die Autoren über die Ansteckungswege eher zurückhaltend. Aufgrund ihrer Analysen kann sowohl eine Virus-Übertragung von Dromedar auf Mensch als auch vice versa stattgefunden haben. Sie wollen aber auch einen weiteren Zwischenwirt nicht sicher ausschließen.

In vielen Dromedaren im Nahen Osten lassen sich spezifische Anti-Coronavirus-Antikörper im Blut nachweisen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass sich die Tiere recht früh in ihrem Leben anstecken. Aus diesem Grund sollten Menschen auf jeden Fall vorsichtig im Umgang mit den Tieren sein und einen zu engen Kontakt vermeiden. Mittlerweile wurde auch von Fällen einer sekundären Infektion innerhalb von Familien und bei medizinischem Personal in einem Krankenhaus in Jeddah, Saudi-Arabien berichtet. Dies zeigt, dass MERS-CoV durchaus von Mensch zu Mensch übertragen wird. Die wenigen, bisher aufgetretenen Fälle lassen jedoch darauf schließen, dass dieser Übertragungsweg (noch) relativ ineffizient ist.

Gibt es Therapiemöglichkeiten?

Derzeit gibt es keinen Impfstoff und kein zugelassenes Virustatikum gegen MERS-CoV. Eine Kombinationstherapie aus Interferon alpha-2b und Ribavirin kann eventuell den Infektionsverlauf etwas abmildern. Mittlerweile konnten aus einer Phagenbank mit humanen Antikörperfragmenten bereits neutralisierende Antikörper identifiziert werden, die vielleicht zur passiven Immunisierung eingesetzt werden könnten. Vielversprechend sind auch die Ergebnisse einer Studie, in der insgesamt 290 verschiedene, zugelassene Arzneistoffe in vitro auf ihre antivirale Wirksamkeit gegen MERS-CoV getestet wurden. Insgesamt 27 Substanzen zeigten dabei einen Effekt auf MERS-CoV und SARS-CoV. Darunter waren beispielsweise Chlorpromazin-Hydrochlorid und Triflupromazin-Hydrochlorid, aber auch Imatinib-Mesylat und Dasatinib.

Ausblick

Noch sind die Übertragungswege von MERS-CoV nicht absolut sicher aufgeklärt. Insofern ist es wichtig, generell eine angemessene Hygiene einzuhalten und den Umgang mit Tieren im Allgemeinen und mit Dromedaren im Speziellen möglichst zu reduzieren. Da die Coronaviren wohl einige Zeit in Tiermilch überleben können, sollte auf das Trinken unpasteurisierter Milch – wie es im Nahen Osten üblich ist – unbedingt verzichtet werden. Der rapide Anstieg der Erkrankungsfälle und der nahende Termin der Hadsch, zu der Millionen Pilger nach Saudi-Arabien reisen und eventuell anschließend das Virus über die Welt verteilen können, liefern Grund zur Sorge. Dennoch gehen die Wissenschaftler immer noch von einer eher geringen Pandemie-Gefahr durch MERS-CoV aus. Angesichts der weltweiten Wachsamkeit und der WHO-Vorsichtsmaßnahmen ist dies sicherlich auch gerechtfertigt. 

Literatur:

www.who.int, WHO statement on the Fifth Meeting of the IHR Emergency Committee concerning MERS-CoV, 14.5.2014.

www.rki.de, Information des RKI zu Erkrankungsfällen durch das MERS-Coronavirus.

The WHO MERS-CoV Research Group: State of Knowledge and Data Gaps of Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus (MERSCoV) in Humans. PLoS Curr. 2013 Nov 12;5.

Haagmans BL, Al Dhahiry SH, Reusken CB, et al.: Middle East respiratory syndrome coronavirus in dromedary camels: an outbreak investigation. Lancet Infect Dis. 2014 Feb 14;2.

Tang XC, Agnihothram SS, Jiao Y, et al.: Identification of human neutralizing antibodies against MERS-CoV and their role in virus adaptive evolution. Proc Natl Acad Sci U S A. 2014 May 13;111.

Dyall J, Coleman CM, Hart BJ, et al.: Repurposing of clinically developed drugs for treatment of Middle East Respiratory Coronavirus Infection. Antimicrob Agents Chemother. 2014 May 19. pii: AAC.03036-14. [Epub ahead of print]

 

Autoren

Prof. Dr. Theo Dingermann ist Seniorprofessor am Institut für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität Frankfurt.

Dr. Ilse Zündorf ist dort als akademische Oberrätin tätig.

Institut für Pharmazeutische Biologie

Biozentrum

Max-von-Laue-Straße 9

60438 Frankfurt/Main

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