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Arzneimittelversorgung
Risse im Fundament
Die „ordnungsgemäße“ Arzneimittelversorgung von heute
Und wie sieht es heute aus? Das Vertrauen in die Arzneimittelversorgung in Deutschland ist immer noch hoch, die Apotheken erreichen bei Verbraucherbefragungen nach wie vor Spitzenwerte. So belegt eine im Auftrag des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller (BAH) von einem renommierten Marktforschungsunternehmen aktuell durchgeführte Erhebung, dass die Befragten von allen Akteuren des Gesundheitswesens am ehesten (mit 66%) den Apothekern vertrauen, etwas weniger den Ärzten und sehr viel weniger den Krankenkassen. Ist also insgesamt noch alles in Ordnung?
Vier Grundsäulen der Arzneimittelversorgung
Die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung, wie sie Apotheken gemäß § 1 Abs. 1 Apothekengesetz zu gewährleisten haben, gründet sich seit je auf folgenden vier Säulen:
- Arzneimittelsicherheit,
- Versorgungssicherheit,
- Versorgungsqualität und
- Wirtschaftlichkeit.
Zumindest bei Sozial- und Gesundheitspolitikern war dabei in der Vergangenheit herrschende Meinung, dass diese vier Säulen gleichrangig nebeneinander stehen – aber eben in genau dieser Reihenfolge.
Die jüngere Vergangenheit zeigt allerdings, dass es mit der oben beschriebenen ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung nicht mehr so weit her ist.
Wie steht es heute um die Stabilität der vier Säulen und um die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung insgesamt?
Arzneimittelsicherheit
Auf der Grundlage der Römischen Verträge, die das Ziel hatten, die europäischen Rechtsvorschriften anzugleichen, wurde am 8. Februar 1961 das erste deutsche Arzneimittelgesetz (AMG) verabschiedet. Nicht zuletzt aufgrund der Contergan-Vorfälle wurde dieses Gesetz 1976 – endlich – neu gefasst. Als Grundvoraussetzung („Hürde“) für die Zulassung von Arzneimitteln statuiert das Gesetz, dass die Hersteller jeweils
- die therapeutische Wirksamkeit,
- die Unbedenklichkeit und
- die pharmazeutische Qualität
ihrer Arzneimittel nachzuweisen haben.
Auch der Arzneimittelvertrieb ist seitdem strenger reguliert. Damit einher geht eine verstärkte Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden. Und auch den Apotheken obliegt – nicht zuletzt aus Gründen des Verbraucherschutzes – eine Prüfpflicht (vgl. z.B. §§ 10 ff. AMG).
Mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG), das am 1. Januar 2011 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber – für den Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) – zusätzlich eine vierte Hürde,
- die frühe Nutzenbewertung von Arzneimitteln,
eingeführt (vgl. § 35a SGB V). Sie beinhaltet neben der (therapeutischen) Nutzenbewertung eine starke Ausrichtung an der Wirtschaftlichkeit (s. Kasten unten).
„Vierte Zulassungshürde“ für Arzneimittel
„Pharmazeutische Unternehmen müssen bei der Markteinführung eines Arzneimittels mit neuem Wirkstoff oder bei einer Indikationserweiterung in einem Dossier unter anderem den medizinischen Zusatznutzen im Verhältnis zur zweckmäßigen Vergleichstherapie belegen. Auf Grundlage des Dossiers veranlasst der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) eine Nutzenbewertung, die in der Regel spätestens drei Monate nach Einreichung der Nachweise (des Dossiers) vorzuliegen hat. Er kann die Nutzenbewertung selbst durchführen, aber auch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) oder Dritte damit beauftragen. Kann kein Zusatznutzen im Vergleich zum Bestandsmarkt belegt werden, wird das neue Arzneimittel automatisch einer Festbetragsgruppe zugeordnet. Kommt der G-BA zu dem Ergebnis, dass ein Zusatznutzen belegt ist, handeln der GKV-Spitzenverband und der Hersteller einen Rabatt auf den bis dahin vom Hersteller selbst festgelegten Preis aus.“
Zitiert nach: www.kvb.de/fileadmin/kvb/dokumente/Praxis/Verordnung/VO-aktuell/2012/KVB-120130-Fruehe-Nutzenbewertung-Verordnung-aktuell.pdf
In der jüngsten Vergangenheit ist ein dunkler Schatten auf die bundesdeutschen Regelungen zur Arzneimittelsicherheit gefallen. Auslöser waren Arzneimittelfälschungen. Sie veranlassten das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) bzw. das Paul-Ehrlich-Institut (PEI), Rückrufe anzuordnen (s. Kasten "Aktuelle Arzneimittelfälschungen"). Und sie fanden auch Eingang in die Meldungen großer Tageszeitungen (selbst bis auf Seite 1). Es sieht ganz danach aus, dass es mit der Arzneimittelsicherheit – auch in Deutschland – nicht (mehr) zum Besten steht. Wie konnte es dazu kommen?
Aktuelle Arzneimittelfälschungen
„Der Skandal begann mit Bekanntwerden von gestohlenem und manipuliertem Herceptin® (Trastuzumab). Doch auch Remicade® (Infliximab), Alimta® (Pemetrexed) und Humatrope® (Somatropin) sind betroffen. Über Italien gelangten manipulierte Packungen auch in Deutschland in den Handel. Das PEI listet mehr als 30 Chargen auf, Rückrufe wurden angeordnet.“
Quelle: Gestohlen, manipuliert, zurückgerufen. DAZ.online, Meldung vom 3.5.2014
„Im Verlauf der letzten Jahre wurden immer häufiger Fälle von gefälschten Arzneimitteln in Deutschland bekannt; zuletzt waren mit Pegasys® (ACA Müller) und Sutent® (CC-Pharma) zwei Importarzneimittel betroffen. Das geht auch an Patienten nicht spurlos vorbei – die Aufklärung in der Apotheke ist gerade bei Importen extrem wichtig.
In jedem Fall sollten die Bedenken der Patienten ernst genommen werden. Dies gilt insbesondere bei Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen, für die ein hohes Maß an Sicherheit und Vertrauen in das Arzneimittel von wesentlicher Bedeutung ist.“
Quelle: DAP-Serviceletter vom 5.5.2014
Kürzlich wurde am Landgericht Stuttgart ein Prozess um massenhaft gefälschte Omeprazol-Kapseln geführt. Die Anklage warf den beiden Beklagten (einer davon ist Apotheker) vor, über Jahre hinweg über 600.000 Packungen unter falscher Markenbezeichnung im Bundesgebiet vertrieben und damit einen Umsatz von über 14 Millionen Euro gemacht zu haben. Zwischen Mai 2008 und Februar 2013 soll in 219 Fällen unter vier verschiedenen Firmenbezeichnungen ein Darmstädter Zwischenhändler beliefert worden sein, welcher die Ware für Originalprodukte gehalten und an Arzneigroßhändler veräußert hat, von wo aus sie an Apotheken und Endabnehmer gelangten. Letztlich wurden die beiden Angeklagten (u.a. wegen Verstoßes gegen das AMG) zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
Die gesetzlich festgeschriebene Importförderung (vgl. § 129 Abs. 1 SGB V) und die Zulassung des Versandhandels mit Arzneimitteln seit 2004 (durch das GKV-Modernisierungsgesetz; GMG) können zwar nicht als alleinige Begründung, aber doch als Brandbeschleuniger für das sich häufende Auftreten von Arzneimittelfälschungen im deutschen Markt angesehen werden.
Die Partner in der Wertschöpfungskette des Arzneiversorgungssystems (Hersteller, Großhandel, Apotheke) haben nun mit securPharm eine „Initiative zum Schutz des deutschen Arzneimittelvertriebs vor dem Eindringen gefälschter Arzneimittel“ ins Leben gerufen. Das mag ein löbliches Vorhaben sein. Allerdings greift sie das Problem an einer Stelle auf, wo es nur nachrangig entsteht – bei der normalen Vertriebskette. Viel problematischer ist der Arzneiversandhandel. Hier liegt das größte Einfallstor für Fälschungen – zumal unseriöse und seriöse Anbieter täuschend ähnlich daherkommen. Bei der securPharm-Initiative, mit deren Umsetzung auf alle Beteiligten (vor allem aber auf die Apotheken) ein erheblicher bürokratischer Aufwand zukommt, denkt man unwillkürlich an Aktionismus vom Typ: „Nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist, befestigt man im Vorfeld des nächsten Unglücks Seile am Brunnenrand, um in Zukunft schneller retten zu können – anstatt den Brunnen abzudecken.“
Versorgungssicherheit
Nach § 52b AMG (im Jahre 2009, mit der 15. AMG-Novelle, neu ins Gesetz aufgenommen) haben „Pharmazeutische Unternehmer und Betreiber von Arzneimittelgroßhandlungen […] eine angemessene und kontinuierliche Bereitstellung de[r] Arzneimittel […] sicher [zu stellen], damit der Bedarf von Patienten im Geltungsbereich dieses Gesetzes gedeckt ist.“ Für die Apotheken gilt – auf Grundlage der Apothekenbetriebsordnung – darüber hinaus bereits seit jeher
- der Kontrahierungszwang,
- die Verpflichtung zur angemessenen Vorratshaltung,
- die Verpflichtung zum Not- und Nachtdienst, …
Gleichwohl: Die Meldungen über Arzneimitteldefekte, also Nichtlieferbarkeit von benötigten Arzneimitteln, die es nicht zuletzt aufgrund der Initiative des Offenbacher Apothekers Dr. R. Diefenbach in die Tagespresse und bis ins Fernsehen geschafft haben, zeigen, dass sich Deutschland bei der Verfügbarkeit von einigen Arzneimitteln Schritt für Schritt in Richtung auf ein Notstandsgebiet zu entwickeln droht. So erklärte erst kürzlich ein Großhandelsvertreter anlässlich eines Besuchs von Politikern in seinem Unternehmen: „Seitdem beispielsweise in China verstärkt westliche Arzneimittel geordert werden, wirkt sich das in Form von Lieferengpässen im pharmazeutischen Großhandel aus.“
BfArM zu Lieferengpässen
Auch Walter Schwerdtfeger, Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), hält es für „störend, wenn ein Medikament zeitweise nicht verfügbar ist“. Dramatisch für die Bevölkerung seien die Engpässe aber noch nicht, sagte er der „Welt“.
Was die Herstellungsprobleme betrifft, auf die die Engpässe zumeist zurückzuführen sind, weist der BfArM-Präsident darauf hin, dass Pharmaunternehmen seit Jahren immer stärker auf Ausgangsstoffe aus Schwellenländern zurückgreifen. Hier sei die Prüfdichte von Herstellungsbetrieben vielfach geringer als in Europa oder in den USA. „Problematisch wird es dann, wenn unerkannte Mängel oder in manchen Fällen auch bewusste Verfälschungen vor der Weiterverarbeitung der Stoffe nicht erkannt werden“. Dies sei nicht nur bei Wirkstoffen aus Schwellenländern bereits mehrfach passiert. „Nach den Gesetzen der Statistik ist deshalb zu erwarten, dass aus solchen Mängeln früher oder später auch ein größerer Schaden entstehen kann“.
Um dem gegenzusteuern, sollte die Politik daher Anreize schaffen, die die Sicherheit in der Produktion stärker belohnen. „Aus meiner Sicht wäre es wünschenswert, dass die Produzenten zumindest einen Teil ihrer Herstellung, vor allem von besonders wichtigen Ausgangsstoffen, nach Europa zurückverlagern“, so Schwerdtfeger. Bisher lehnten das fast alle Unternehmen aus Kostengründen ab.
Quelle: BfArM-Präsident für Meldepflicht. DAZ.online, Meldung vom 5.5.2014
Und auch der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) meldet sich zu Wort: Wer jahrelang an der Kostenschraube drehe, brauche sich über oligopolistische oder sogar monopolistische Strukturen nicht zu wundern. In bestimmten Bereichen sei man in dieser Situation längst angekommen, gerade in der Wirkstoffproduktion. „Wir als Hersteller haben immer davor gewarnt.“ Wenn jetzt der Ruf nach besseren Rahmenbedingungen laut werde, könne man dies nur unterstützen, so der BPI-Sprecher weiter. Es sei aber in diesem Zusammenhang „ganz sicher kein [hilfreicher] Anreiz, ein seit 2009 geltendes Preismoratorium einfach weiterzuführen“. (Apotheke adhoc, Meldung vom 5.5.2014)
„Wehret den Anfängen!“, kann man da nur sagen.
Geradezu obskur wirkt es, wenn eine gesetzliche Krankenkasse (hier: AOK Nordost) Lieferengpässe bei ihren (herstellenden) Ausschreibungsgewinnern feststellt und daraufhin den Apothekern rät, besagte Präparate direkt beim Hersteller zu ordern. Die Lieferengpässe werden durch ein verändertes Bestellverhalten der Apotheken nicht einmal ansatzweise beseitigt. Im Gegenteil: Es werden zusätzliche logistische Probleme aufgesattelt. Denn Hersteller mit Lieferengpässen wären überhaupt nicht in der Lage, alle Apotheken direkt zu beliefern. Sie sind bei Lieferengpässen ja offensichtlich nicht einmal in der Lage, die kleine Zahl an Großhandlungen zu bestücken. Im Gebiet der AOK Nordost (Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) existieren rund zehn Niederlassungen pharmazeutischer Großhandlungen und gut 1800 öffentliche Apotheken. Wie sich eine „vernünftige Verteilung knapper Arzneimittel“ über mehr als 1800 Apotheken besser organisieren lassen soll als über ein Dutzend Großhandlungen, vermag man nicht zu verstehen. Besser wäre es jedenfalls, die Kasse würde die Auswahl der rabattbegünstigten Arzneimittel von der Lieferfähigkeit der Hersteller abhängig machen, als den Apothekern betriebswirtschaftlich dubiose Vorschläge zu unterbreiten, die pure Augenwischerei sind und für die die Krankenkasse die Haftung nicht übernehmen will und kann. Die Versorgungssicherheit ihrer Versicherten ist der AOK Nordost offensichtlich weniger wichtig als die in Aussicht gestellten Einsparungen.
Der Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) und die ABDA haben beim Thema Lieferschwierigkeiten zunächst abgewiegelt. Ihr Argument, der Gesetzgeber könne die Apotheken zu einem kostenträchtigen Ausbau ihres Lagerbestandes auffordern, kann allerdings wohl nicht ernst gemeint sein. Es geht immerhin um die Versorgungssicherheit der den Apotheken anvertrauten Bevölkerung! Sollte aus Verbraucherschutzgründen tatsächlich ein höherer (Lager- und damit Kapital-) Aufwand nötig sein, dürfte seine (Re-)Finanzierung mit den Patienten im Rücken wohl auch gelingen. Vermutlich ist die geringe Bereitschaft von ABDA und vfa, die „Defekten“-Probleme wahrzunehmen, damit zu begründen, dass Patienten nicht verunsichert werden sollen – mit der Folge, dass sie ansonsten gegebenenfalls sogar die Einnahme ihrer Arzneimittel verweigern.
Andererseits ist das Problem sowohl in der Fachebene des Bundesgesundheitsministeriums als auch bei den Gesundheitspolitikern angekommen. So soll es exklusive Rabattverträge gesetzlicher Krankenkassen über Impfstoffe für Schutzimpfungen bald nicht mehr geben. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD klargestellt: „Beim Abschluss von Rabattverträgen müssen die Vertragspartner die Versorgungssicherheit gewährleisten, indem sie Maßnahmen gegen Lieferengpässe vereinbaren. Dies gilt insbesondere für Impfstoffe“ – aber eben nicht nur für diese. Auch andere Rabattvertragsarzneimittel sind immer wieder nicht lieferbar – bis in jüngste Zeit. Dass die AOK dem nicht durch entsprechende Vertragsgestaltung vorgebeugt hat, hat der DAZ-Herausgeber Brauer in einem Kommentar als „zynisch“ und „menschenverachtend“ bezeichnet. Den Versuch, diese deutliche Charakterisierung verbieten zu lassen, musste die AOK aufgeben, nachdem sie damit vor dem Landgericht und dem Kammergericht Berlin gescheitert war (AZ 2013, Nr. 6).
Als Reaktion auf die Lieferengpässe hat die Große Koalition jetzt einen Änderungsantrag zum GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz (GKV-FQWG) eingebracht, der sich leider nur auf Impfstoffe bezieht. Danach ist vorgesehen, § 132e Absatz 2 SGB V (Rechtsgrundlage für den Abschluss von Rabattverträgen über Impfstoffe für Schutzimpfungen) um einen Satz zu ergänzen: „Für die Versorgung der Versicherten mit Impfstoffen sind Verträge nach Satz 1 mit mindestens zwei pharmazeutischen Unternehmern innerhalb eines Versorgungsgebietes zu schließen.“ Die Ärzte fordern dagegen einen generellen Ausschreibungsstopp bei Impfstoffen, insbesondere aus Gründen der Versorgungsqualität (s.u.).
Endlich ist das Problem bei den (politischen) Entscheidungsträgern angekommen – allerdings immer noch nicht in ganzer Breite.
Versorgungsqualität
Die Arzneimittelversorgung der Bevölkerung in Deutschland war in der Vergangenheit bis in die jüngste Zeit hinein beispielhaft. So haben selbstredend auch GKV-Versicherte einen gesetzlichen „Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln“ (§ 31 Abs. 1 SGB V). Wichtig dabei ist, dass der Patient sein bewährtes Arzneimittel in der exakten Dosierung zum richtigen Zeitpunkt einnimmt. Die Pflicht zur Beratung und zur Feststellung eines zusätzlichen Beratungsbedarfs (vgl. § 20 ApBetrO) sowie zur Beschränkung bzw. ggf. zur Verweigerung der Abgabe im begründeten Einzelfall (vgl. § 17 ApBetrO) unterstreichen die Bedeutung der öffentlichen Präsenzapotheken als letzte Prüfinstanz vor der Einnahme, während die Unternehmen des Arzneimittelversandhandels dieser Pflicht (wenn überhaupt) nur beschränkt nachkommen. Mit der Aufnahme des Medikationsmanagements in den Katalog der pharmazeutischen Tätigkeiten (mit der Änderung der Apothekenbetriebsordnung im Juni 2012) wurde der Verantwortungsbereich der öffentlichen Apotheke nochmals wesentlich erweitert.
Die Verpflichtung der Apotheke, auch importierte Arzneimittel und „preiswerte“ Generika zulasten der GKV abzugeben (jeweils seit 1989 gesetzlich geregelt; vgl. § 129 SGB V), empfanden viele Versicherte als Eingriff in ihre Versorgungsqualität. Die den gesetzlichen Krankenkassen seit 2007 eröffnete Möglichkeit, mit Arzneimittelherstellern Rabattverträge abzuschließen, hat die Versorgungsqualität der Versicherten erst recht belastet. Dass der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) jetzt vom Gesetzgeber ermächtigt worden ist, eine Ausschlussliste für die Substitution rabattbegünstigter Arzneimittel aufzustellen, zeigt einmal mehr, dass die Versorgungsqualität der Versicherten keinen allzu hohen Stellenwert mehr in der Gesundheitspolitik zu besitzen scheint. Ihr Ziel, Therapiekontinuität sicherzustellen, wo ein Präparatewechsel problematisch ist, wird die Liste nur erreichen, wenn sie nicht als bloße Verbotsliste konfiguriert wird. Sie muss vielmehr als Liste von Arzneimitteln (Wirkstoffen und Darreichungsformen) installiert werden, bei denen die Vermeidung eines Präparatewechsels wichtiger ist als die Exekutierung der Rabattverträge. Andernfalls würden Rabattverträge zu Folterverträgen, bei denen die Therapiesicherheit und damit das Patientenwohl der Ersparnis geopfert werden. Die aktuelle Leitlinie der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) zur Guten Substitutionspraxis (GSP) weist deutlich auf das wahre Ausmaß dieser falschen Weichenstellung hin.
Wirtschaftlichkeit
In der GKV gilt das Wirtschaftlichkeitsgebot gemäß §§ 12 und 70 SGB V, d.h. die Leistungen müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten – angesichts des überwiegend solidarisch finanzierten Systems eine gute Regelung.
Die GKV orientiert ihre Ausgaben an den Einnahmen. Das ist politisch gewollt, denn anders als in anderen Ländern wird in Deutschland auf eine (teilweise) Steuerfinanzierung des Gesundheitswesens verzichtet. Auch Einkommensarten außerhalb der Sozialversicherungspflicht werden geschont.
Da die Beiträge aus den Arbeitseinkommen der (aktiv) Versicherten immer weniger ausreichen, die angeforderten und zugesagten Leistungen zu finanzieren, hat die Politik mit einer Kette von Kostendämpfungsgesetzen die Lücke zu schließen gesucht. Vor diesem Hintergrund wird erklärlich, warum die Leistungen im Rahmen der Arzneimittelversorgung der Versicherten in den letzten 25 Jahren drastisch begrenzt worden sind. Genannt seien u.a.: Zuzahlung, Ausschluss der OTC-Arzneimittel aus der Erstattungspflicht, Importförderklausel, Festbeträge inkl. Übernahme von Mehrkosten und rabattbegünstigte Arzneimittel (s. auch den Beitrag „Rabattbegünstigte Arzneimittel“ in DAZ 2013, Nr. 38).
Aber auch die Apotheker wurden Opfer der Kostendämpfungspolitik. So wurde der Festzuschlag der Apotheken für die Beratung und Abgabe eines verschreibungspflichtigen Fertigarzneimittels seit seiner Einführung im Jahre 2004 (sprich: innerhalb der letzten zehn Jahre) nur ein einziges Mal (zum 1.1.2013) erhöht – um ganze 0,25 Euro von 8,10 auf 8,35 Euro, also um insgesamt 3%. Das entspricht einem jährlichen („Inflations-“)Ausgleich von unter 0,3%. Gleichzeitig greift der Finanzminister – zur „Sanierung des Staatshaushaltes“ – wiederholt in die Kassen der solidarisch finanzierten Krankenversicherung. Die Privatversicherten bleiben verschont. Und gesetzlich Versicherte werden wieder für die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen herangezogen, die eigentlich aus dem allgemeinen Steueraufkommen bezahlt werden müssten.
Fazit
In der Arzneimittelversorgung dominiert das Wirtschaftlichkeitsgebot derzeit unübersehbar die drei anderen Säulen „Arzneimittelsicherheit“, „Versorgungssicherheit“ und „Versorgungsqualität“. Dies ist eine niederschmetternde Analyse aus Sicht von Apothekern und Ärzten und den ihnen anvertrauten Patienten – auch vor dem Hintergrund, dass die Arzneimitteltherapie grundsätzlich die preisgünstigste (und häufig auch sanfteste) Therapieform in unserem Gesundheitssystem darstellt.
Die Qualität der Arzneimittelversorgung in Deutschland bekommt Risse; sie droht, aus dem Ruder zu laufen. Die (Gesundheits-)Politik ist aktuell (!) gefordert, gegenzusteuern. Andernfalls torkelt unser System der Arzneimittelversorgung in ein Desaster.
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