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Apothekenmarkt umkrempeln!

Neues Gutachten des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen vorgestellt

BERLIN (ks) | Die Kollegen vom Wirtschafts-Sachverständigenrat haben es schon wiederholt gefordert – nun hat sich auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen für ein Ende des Fremd- und Mehrbesitzverbots für Apotheken ausgesprochen. Zudem plädieren die Berater von Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) für eine neue Apothekenhonorierung, die einen Preiswettbewerb auch bei Rx-Arznei zulässt. Beide Maßnahmen schlägt der Rat in seinem Gutachten vor, das er am 23. Juni vorgelegt hat. Der Titel zeigt die Richtung auf: „Bedarfsgerechte Versorgung – Perspektiven für ländliche Regionen und ausgewählte Leistungsbereiche“.

In der jüngeren Vergangenheit spielte die Arzneimittelversorgung keine allzu große Rolle in den Gutachten des Sachverständigenrats. In diesem Jahr steht die künftige Versorgung im ländlichen Raum im Mittelpunkt. Und in dem über 600 Seiten starken Werk befassen sich immerhin über 100 Seiten mit der Arzneimittelversorgung, rund ebenso viele sind den Medizinprodukten gewidmet. Maßgeblich betreut hat diese Kapitel der frühere Ratsvorsitzende Professor Eberhard Wille.

Foto: DAZ/Sket
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe erhält vom Sachverständigenrat das aktuelle Gutachten zur Entwicklung im Gesundheitswesen.

Finanzstarke Ketten erwünscht

Was den Apothekenbereich betrifft, so betont der Sachverständigenrat, dass dieser stark reguliert und durch eine „atomistische Angebotsstruktur“ mit einer vergleichsweise recht hohen Apothekendichte und einen sehr begrenzten Preiswettbewerb gekennzeichnet ist, der sich auf nicht verschreibungspflichtige Medikamente beschränkt. Für eine „Transformation“ dieses Marktes und „im Sinne einer effizienten und effektiven Arzneimitteldistribution“ empfiehlt der Rat, das Fremd- und Mehrbesitzverbot aufzuheben. Es lasse sich weder aus ordnungspolitischer noch versorgungspolitischer Perspektive begründen und sei vielmehr ein „Relikt mittelalterlicher Zunftstrukturen“. In einer oligopolistischen Struktur mit finanzstarken Ketten, bei der Aufgaben zentralisiert werden, ließe sich effizienter arbeiten. Die größere Menge an Informationen über ihre Patienten ermögliche diesen Apotheken, Arzneimittelrisiken eher zu erkennen und schneller auf sie zu reagieren. Eine Gefahr sieht der Rat im Hinblick auf drohende vertikale Konzentrationsprozesse. Finanzkräftige pharmazeutische Unternehmen könnten ebenfalls als potenzielle Käufer auf dem Apothekenmarkt auftreten und dann einen Anreiz haben, Einfluss auf die Sortimentspolitik zu nehmen. Daher habe der Rat in früheren Gutachten „eher für eine behutsame Weiterentwicklung der bestehenden Strukturen“ plädiert – dafür sprächen auch Aspekte des Vertrauensschutzes gegenüber den existierenden Apotheken.

Der Sachverständigenrat

Der Sachverständigenrat hat seit beinahe 30 Jahren die Aufgabe, alle zwei Jahre Gutachten zur Entwicklung der gesundheitlichen Versorgung zu erstellen. Zudem kann ihn das BMG mit Sondergutachten beauftragen. Den gesetzlichen Vorgaben zufolge soll er dabei Prioritäten für den Abbau von Versorgungsdefiziten und bestehenden Überversorgungen entwickeln und Möglichkeiten und Wege zur Weiterentwicklung des Gesundheitswesens aufzeigen (§ 142 SGB V). Das aktuelle Gutachten knüpft an das im Jahr 2000/2001 veröffentlichte Gutachten zur „Über-, Unter- und Fehlversorgung“ an und beleuchtet verschiedene Bereiche der Gesundheitsversorgung. Thematische Schwerpunkte bilden die Versorgung mit Arzneimitteln, Medizinprodukten und Rehabilitationsleistungen. Zudem widmet sich das Gutachten der haus- und fachärztlichen, der akutstationären sowie der langzeitpflegerischen Versorgung – diese wird mit einem besonderen Fokus auf regionale Unterschiede betrachtet.

Anreize für Landapotheken

Zum anderen schlägt der Sachverständigenrat eine Reform der Apothekerhonorierung vor. Sie soll danach über einheitliche Apothekenfestspannen erfolgen, die die durchschnittlichen Vertriebskosten und den Unternehmerlohn für die gesamte Arzneimitteldistribution (inklusive Großhandel) abdecken. Hinzu kommen könnte eine apothekenindividuelle Handelsspanne. Diese könnten die Apotheken in Abhängigkeit von ihrer Kostenstruktur und ihren Gewinnvorstellungen frei kalkulieren. „Sie erhielten damit einen Wettbewerbsparameter, um mit einem günstigen Abgabepreis zusätzliche Nachfrage zu generieren. Der auf diese Weise erzeugte Preiswettbewerb dürfte sich in mit Apotheken überversorgten Gebieten stärker als in strukturschwachen ländlichen Regionen entfalten und auf diese Weise Anreize zur Niederlassung in mit Apotheken schwach besetzten Gegenden setzen“, heißt es im Kurzgutachten. Daneben hat der Rat noch eine weitere Idee für Regionen mit geringer Apothekendichte – etwa ein „begrenztes Dispensierrecht“ für Hausärzte.

Aber den Regierungsberatern schwebt ein noch weitergehendes Konzept vor. Dieses bindet die Apotheken als ein Element der Primärversorgung in eine integrierte Versorgungsform ein. Hier könnten sie beispielsweise netzinterne Positivlisten erstellen und in Zusammenarbeit mit Ärzten Aufgaben eines gezielten Medikationsmanagements übernehmen.

Wem diese Vorschläge bekannt vorkommen: Sie sind tatsächlich nicht taufrisch. Bereits im Jahr 2009 hat Wille sie in einem Gutachten im Auftrag des Bundesfinanzministeriums unterbreitet. Erstellt hatte er dies zusammen mit Professor Bert Rürup, dem IGES-Institut und dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin.

Nutzenbewertung und Lieferengpässe

Ein weiteres Thema im Kapitel „Arzneimittelversorgung“ ist die frühe Nutzenbewertung, die der Rat grundsätzlich als Erfolg wertet. Allerdings findet er, dass Kosten-Nutzen-Analysen als zusätzliches Entscheidungskriterium für die Preisfindung zuzulassen sind. Im Sinne einer Pluralität sollten diese aber nicht ausschließlich vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit durchgeführt werden. Zudem sei es erstrebenswert, auch künftig Bewertungen von Bestandsmarktarzneimitteln durchzuführen – jedenfalls von versorgungsrelevanten.

Zudem widmen sich die Professoren in einem Exkurs den Arzneimittellieferengpässen und machen Vorschläge für weitere vorbeugende Maßnahmen. Ihre Analyse der Probleme ist wenig überraschend: Das Ursachengeflecht sei bei Engpässen komplex und betreffe sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite. Mit Rabattverträgen vereinbarte Konventionalstrafen für den Fall unterbliebener Lieferungen könnten präventive Wirkung entfalten – ausreichend seien sie aber nicht. So plädiert der Rat etwa dafür, das beim BfArM bestehende Melderegister für Engpässe zu einem verpflichtenden Register zu erweitern. Zudem sollte unter Mitwirkung von Fachgesellschaften eine Liste klinisch unentbehrlicher Arzneimittel erstellt werden. Empfohlen wird überdies, ein zentrales Risikomanagement mit präventiver Orientierung beim BfArM zu installieren.

Was nun mit diesen sowie den Vorschlägen zu den anderen Leistungsbereichen geschieht, bleibt abzuwarten. Minister Gröhe betonte bei der Übergabe, dass in der Vergangenheit schon viele Vorschläge der Gesundheits-„Weisen“ für später umgesetzte Maßnahmen Pate standen. Als Stichworte nannte er die freie Kassenwahl und den Risikostrukturausgleich. Am 30. September 2014 werden die Mitglieder des Rates die Inhalte ihres Gutachtens nochmals ausführlich bei einem ganztägigen Symposium in Berlin vorstellen. Gröhe – aber auch andere Interessierte – haben dann Gelegenheit die Idee zu diskutieren.

Die Kurz- und Langfassung des Gutachtens finden Sie im Internet unter:

www.svr-gesundheit.de

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