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Patientenschutz ist das höchste Gut

Der neue BfArM-Präsident spricht im DAZ-Interview über neue Arzneimittel, Transparenz und Lieferengpässe

BERLIN (du/ks) | Ende Juli ist Prof. Dr. Walter Schwerdtfeger als Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) aus Altersgründen aus dem Amt geschieden. Nachfolger ist sein bisheriger Stellvertreter, Prof. Dr. Karl Broich. Professor Broich ist Humanmediziner und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie. Er soll in den nächsten Jahren den Spagat zwischen Kontinuität und Erneuerung schaffen. Im Gespräch mit der DAZ erläuterte er, welche Umbauprozesse schon im Gange sind, welche föderalen Hürden zu nehmen sein werden und wie das BfArM mit anderen Institutionen zusammenarbeitet.
Foto: DAZ/Sket
Neuer BfArM-Präsidient: Professor Dr. Karl Broich kennt seine Behörde schon gut.

DAZ: Herr Professor Broich, Sie sind nicht ganz neu im BfArM, zuletzt waren Sie Vize-Präsident. Bislang war es unüblich, dass der Präsident aus den eigenen Reihen kam. Was sind die Vorteile?

Broich: Ich bin in der Tat schon seit 14 Jahren im BfArM, die letzten viereinhalb Jahre als Vizepräsident. Ich war für verschiedene Bereichen zuständig, unter anderem war ich kurz Abteilungsleiter für den Medizinproduktebereich. Dass ich die Behörde schon unter vielen verschiedenen Blickwinkeln kenne, beispielsweise auch den Zulassungsbereich, ist heute sehr hilfreich für mich.

DAZ: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen in Ihrem neuen Amt?

Broich: Gegenwärtig arbeiten wir in einem sehr dynamischen Umfeld. Wir haben nicht mehr die großen Sprunginnovationen – eine Ausnahme mag im Moment die Indikation Hepatitis C sein. Es sind eher Schrittinnovationen, aber mit einem frühen Zugang für die Patienten. Sowohl die FDA als auch die MHRA – die Zulassungsbehörden von USA und Großbritannien – engagieren sich derzeit sehr bei Early-Access-Programmen. Gerade im onkologischen Bereich werden jetzt schon auf Grundlage einer relativ dünnen Datenbasis Zulassungen erteilt, sofern deutliche Therapiefortschritte zu erwarten sind. Wir haben nicht mehr im klassischen Sinne drei, vier Zulassungsstudien mit umfangreichem Datenmaterial zur Verfügung, sondern oft nur eine oder zwei. Das Produkt wird dann im Laufe der Zeit weiterentwickelt, neue Indikationen kommen hinzu. Daneben ist die stratifizierte Medizin ein Thema für die nächste Zeit. Hier hat man es mit überschaubaren Indikationsbereichen für kleinere Patientengruppen zu tun. Die Nutzen-Risiko-Beurteilung, unser eigentliches Geschäft, ist dann von Population zu Population ganz unterschiedlich. Für die Öffentlichkeit werden die Verfahren dann weniger transparent – daher sind hier Diskussionen zu erwarten. Generell ist zu sagen: Als Zulassungsbehörde im europäischen Wettbewerb benötigen wir schnellere Bewertungsprozesse. Wir müssen bereit sein, Verantwortung für Zulassungsentscheidungen zu übernehmen, wohlwissend, dass wir – wenn wir dies auf einer kleinen Datenbasis machen – auch mal daneben liegen werden und Entscheidungen relativieren müssen.

DAZ: Ist das nicht ein Dilemma in Zeiten der frühen Nutzenbewertung? Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wird diese dünne Datenbasis unter Umständen nicht anerkennen. Wie wird hier die Zusammenarbeit künftig aussehen?

Broich: In der Vergangenheit war das in der Tat problematisch, da die meisten Entwicklungsprogramme ja schon gelaufen waren, als die Regelungen des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) in Kraft getreten sind. Für die neuen Entwicklungsprogramme der pharmazeutischen Unternehmen gibt es die frühe Beratung. Hier wird schon frühzeitig – vor dem Start der Phase-III-Studien – überlegt, welche Endpunkte einerseits der Gemeinsame Bundesausschuss und das IQWiG und anderseits wir für den Wirksamkeitsnachweis brauchen. Da mussten wir etwas Druck ausüben, dass die Bundesoberbehörden – wir und das Paul-Ehrlich-Institut – in diesen Prozess eingebunden wurden. Mittlerweile haben wir mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss Pilotprojekte vereinbart. Hier werden wir bi- oder auch trilateral mit den pharmazeutischen Unternehmen die gemeinsame frühe Beratung durchführen, damit die Unternehmer eine solide Grundlage haben und wissen, was wir wollen. Die ersten Verfahren dieser Art werden im Herbst stattfinden. Die Beratung der Industrie ist schon jetzt eines unserer Aushängeschilder geworden. Wir sind hier nicht nur national, sondern vor allem auch bei der Europäischen Zulassungsbehörde EMA sehr aktiv.

DAZ: Sie sprachen eben von weniger Transparenz bei den Zulassungen – auf der anderen Seite ist die Rede von sehr viel mehr Transparenz, die es etwa bei klinischen Studien geben soll.

Broich: Vor anderthalb Jahren hatte die EMA den Stein ins Wasser geworfen. Sie wollte allen den Zugriff auf sämtliche Studiendaten gewähren. Dann hieß es im Sommer: Man kann nur bestimmte Daten auf dem Bildschirm anschauen, sie aber nicht herunterladen. Hinzu kam die Diskussion über zurückgehaltene – negative – Daten, etwa bei Tamiflu. Das war alles nicht zuträglich für die Vertrauensbildung. Darüber bin ich nicht glücklich. Schließlich ist die Arzneimitteltherapie immer eine Sache des Vertrauens – ob nun Ärzte beraten oder Apotheker. Patienten erwarten verlässliche Informationen. Wir als Zulassungsbehörde hatten ja etwa für Tamiflu alle Daten. Will man dem Misstrauen entgegentreten, muss man aus meiner Sicht für mehr Offenheit und Transparenz sorgen.Meine persönliche Meinung ist: Wir sollten möglichst viele Daten zur Verfügung stellen, die auch nachprüfbar sind. Natürlich muss noch diskutiert werden, was Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind – das steht noch aus. Einige juristische Fragen sind also noch zu klären.

DAZ: Das BfArM wird vor allem als regulatorische Behörde wahrgenommen. Aber Sie haben auch eine Forschungsabteilung. Welche Aufgaben hat diese Abteilung?

Broich: Grundvoraussetzung für gute Assessment- und Zulassungsentscheidungen ist, dass wir auf Augenhöhe mit den Experten der pharmazeutischen Industrie und Kliniken über richtige und relevante klinische Endpunkte diskutieren können. Wir haben heute viele neue Methoden, die in den klinischen Prüfungen eingesetzt werden, z.B. Biomarker, die zur Anreicherung in Studienpopulationen genutzt werden – oder im Idealfall sogar mal als Surrogatendpunkt. Um mit all diesen neuen Ansätzen umgehen zu können, ist es sinnvoll, dass unsere Assessoren selber mit der Methodik klinischer Prüfungen arbeiten – das erleichtert die Entscheidungsfindung. Darüber hinaus wollen wir aber auch industrieunabhängig bestimmte wissenschaftliche Fragestellungen, die für unser regulatorisches Alltagsgeschäft wichtig sind, untersuchen. Danach haben wir auch die Schwerpunkte unserer Forschungsabteilung ausgesucht. Einer davon ist die Pharmakogenomik, dahinter steht die Frage, wie wir künftig mit der stratifizierten Medizin umgehen. Ein anderer ist die Auswertung des uns vorliegenden umfangreichen Datenmaterials aus der Pharmakovigilanz. Diesen Datenschatz aus Spontanmeldesystemen, europäischen Datenbanken und solchen, die uns die Hersteller melden, wollen wir mit epidemiologischen Methoden auswerten. Der dritte Schwerpunkt ist die Anwendungssicherheit von Medizinprodukten. Etwa bei „Hochrisikoprodukten“ wie Implantaten. Da haben wir in letzter Zeit schon einige Erfahrung gesammelt. Bei den fehlerhaften Brustimplantaten steckte echte kriminelle Energie dahinter – aber jetzt haben wir auch immer wieder Schwierigkeiten mit anderen Implantaten, etwa Kniegelenken oder Herzschrittmachern.

DAZ: Medizinprodukte unterliegen nicht der Zulassungspflicht durch das BfArM, zuständig sind die Länder, die Hände scheinen Ihnen gebunden.

Broich: Die Rolle des BfArM ist im Hinblick auf Medizinprodukte tatsächlich schwer vermittelbar. Jeder erwartet von uns, dass wir hier die gleiche Rolle haben wie bei Arzneimitteln. Tatsächlich können wir nur über Vorkommnismeldungen tätig werden oder im Bereich von klinischen Prüfungen. Und selbst dann können wir nicht selber tätig werden, sondern sind nur die Schnitt- und Informationsstelle für die Landesbehörden, die für Maßnahmen zuständig sind. Durchgriffsmöglichkeiten haben wir nicht.

DAZ: Wird sich daran etwas ändern?

Broich: Für die Zukunft stelle ich mir eine aktivere Rolle des BfArM vor. Wir wollen uns nicht darauf beschränken, auf die Zuständigkeit der Landesbehörden zu verweisen. In Problemfällen wollen wir diese Landesbehörden zu uns einladen. Ebenso Hersteller und Fachgesellschaften. Gemeinsam sollte man überlegen, wie man mit dem Problem umgeht. Wenn wir wirklich Gefahr für Patienten sehen, wollen wir selbst sagen können, welche Maßnahmen wir für notwendig halten. Das wird im föderalen System nicht einfach sein. Aber wir können den Druck auf die Landesbehörden erhöhen. Dann kann man schon nachfragen, warum eine Landesbehörde möglicherweise nicht der Empfehlung des BfArM folgt.

DAZ: Lieferengpässe stellen Apotheker zurzeit vor große Herausforderungen. Sind sie auch für das BfArM ein Problem? Zumindest gibt es auf der BfArM-Seite eine Liste zu Lieferengpässen …

Broich: Da Lieferengpässe häufig durch Qualitätsmängel zustande kommen und Qualität von Arzneimitteln unser Geschäft ist, sind wir schon in dieses Problem involviert. Die bei uns geführte freiwillige Liste zu Lieferengpässen sollte aus unserer Sicht eine verpflichtende sein. Zudem sollten alle nicht lieferbaren Arzneimittel gemeldet werden, nicht nur solche gegen besonders schwerwiegende Erkrankungen. Hier bräuchte man mehr Transparenz, ähnlich wie bei der Liste, die die amerikanische FDA führt. Die pharmazeutischen Unternehmer sollten verpflichtet sein, zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu melden. Unsere Liste ist ja nach wie vor nicht besonders umfangreich.

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Professor Broich setzt auf Transparenz: Der BfArM-Präsident im Gespräch mit DAZ-Chefredakteurin Dr. Doris Uhl und DAZ-Redakteurin Kirsten Sucker-Sket.

 

DAZ: Vonseiten der Apotheker gibt es immer wieder Forderungen, zentrale Defektlisten zu veröffentlichen.

Broich: Wenn es gelänge, Großhändler, Apotheker und Krankenhausapotheker zu mobilisieren und eine solche Liste auf die Beine zu stellen, wäre das für uns von großem Vorteil. Die Diskussion über eine freiwillige Meldeliste der Hersteller könnte dadurch sehr entschärft werden.

DAZ: Das Problem der Lieferengpässe wäre damit aber nicht gelöst.

Broich: Vor diesem Hintergrund gibt es Aktivitäten im Bundesgesundheitsministerium zusammen mit Fachgesellschaften, eine Liste unverzichtbarer Arzneimittel zusammenzustellen, bei denen Engpässe unbedingt zu vermeiden sind. Logische Konsequenz einer solchen Liste wäre, dass man diese Arzneimittel in größerem Umfang bevorratet – trotz aller logistischer Schwierigkeiten und Kosten. Bislang war es glücklicherweise so, dass es bei Engpässen noch ausreichend therapeutische Alternativen gab. Bei manchen onkologischen Präparaten standen zwar schon mal vorübergehend keine Alternativen zur Verfügung, was glücklicherweise noch keine Auswirkungen auf die Patientenversorgung hatte. Dennoch: So etwas sehen wir mit großer Sorge.

DAZ: Sie haben die Qualitätsprobleme angesprochen: Diese resultieren auch daraus, dass vor allem in Schwellenländern wie China und Indien produziert wird – mit eingeschränkten Kontrollmöglichkeiten unserer Überwachungsbehörden.

Broich: Das ist in der Tat ein Problem. Es ist uns ein Anliegen, in solchen Ländern mehr Inspektionen durchzuführen – sowohl hinsichtlich der Qualitätsstandards als auch der klinischen Prüfungen. Ich denke an die Engpässe, die wir seinerzeit bei Heparin hatten. Diese waren entstanden, weil in China Verunreinigungen stattfanden. Das war auch für Deutschland sehr kritisch und zeigte, dass man nicht zu sehr auf die Produktion in Ländern wie China oder Indien setzen sollte. Die Produktionskosten können da nicht das Hauptargument sein.

DAZ: Aber haben Sie Personal für mehr Inspektionen?

Broich: Wir versuchen, hier mehr Personal zu bekommen. Wir setzen aber auch auf das europäische Netzwerk, dass die nationalen Behörden mehr zusammenarbeiten und Inspektionsteams bilden. Es soll etwas mehr werden als einzelne Stichproben – aber von flächendeckenden Inspektionen sind wir natürlich auch noch weit entfernt.

DAZ: Ein anderes Problem, das die Apotheker umtreibt, sind die Arzneimittelfälschungen …

Broich: Ja, das ist ein großes Problem. Bei den aktuellen Fälschungen aus Italien war in erster Linie das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) betroffen. Die Rolle des BfArM ist auch hier die einer Schnittstelle – es geht um die Kommunikation mit den Behörden anderer Länder und darum, die Vorgänge transparent zu machen und zu informieren. In diesem Zusammenhang muss aber auch neu über den Parallelhandel nachgedacht werden. Wir müssen uns fragen, ob wir die mittlerweile bestehenden Lieferketten ausreichend kontrollieren können. Hier sind zuweilen vier, fünf Zwischenhändler beteiligt. Das nachzuvollziehen wird sehr schwierig – zumal, wenn dann noch kriminelle Energie dazukommt.

DAZ: Wäre es nicht sinnvoller, solche verschlungenen Lieferwege im Vorfeld zu unterbinden, statt hinterher teure Sicherheitssysteme wie Securpharm zu implementieren?

Broich: Ja, das haben wir angesichts der jüngsten Entwicklungen in Italien auch ans Bundesgesundheitsministerium herangetragen: Es sollte nochmals überdacht werden, wie mit dem Parallelvertrieb und Reimporten vernünftig umgegangen werden kann. So etwas, wie jetzt in Italien geschehen ist, ist sicher auch in anderen Ländern denkbar, gerade bei teuren Arzneimitteln und in ärmeren Ländern. Ich denke, hier muss der Patientenschutz das höchste Gut sein.

DAZ: Für die Patientensicherheit bei der Anwendung von Arzneimitteln und Medizinprodukten zu sorgen ist auch eine zentrale Aufgabe der Apotheker. Wo sehen Sie Kooperationsmöglichkeiten?

Broich: Vor allem in Sachen Lieferengpässe und Fälschungen werden wir künftig mehr miteinander zu tun haben und auf eine verlässliche Zusammenarbeit angewiesen sein. Wie schon angesprochen wäre es hilfreich, wenn wir Hinweise auch von Apotheken und Krankenhausapotheken und nicht nur von Herstellern bekommen. Gut wäre auch eine zentrale Liste, die die Bundesapothekerkammer oder der Deutsche Apothekerverband erstellt. Bei verschiedenen Themen haben wir mit der Bundesapothekerkammer schon einen Routineaustausch – das kann man in Zukunft sicher intensivieren.

DAZ: Vielen Dank für das Gespräch!

 

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