Arzneimittel und Therapie

Myopathien unter Statintherapie

Strategien zur Vermeidung muskulärer Nebenwirkungen

Von Peter M. Schweikert-Wehner | Statine gehören mit zu den am häufigsten verordneten Wirkstoffgruppen. Laut Arznei-Verordnungsreport wurde im Jahre 2012 ein Verordnungsvolumen erreicht, dass die Behandlung von 4,5 Millionen Patienten ermöglicht. Bei Deutschlands zweitgrößter Krankenkasse, der Barmer GEK, liegt Simvastatin unter den führenden Arzneimitteln nach Anzahl der verordneten Tagesdosen auf Rang vier. Auch wenn Myopathien relativ selten auftreten, sind sie aufgrund der vielen Verordnungen eine Nebenwirkung, deren absolute Zahl nicht vernachlässigt werden sollte. Daher lohnt es, einen genaueren Blick darauf zu werfen.

Statine werden eingesetzt begleitend zu Diät, zur Behandlung der primären oder der kombinierten Hyperlipidämie sowie zur Behandlung der homozygoten familiären Hypercholesterinämie gemeinsam mit Diät und anderen lipidsenkenden Maßnahmen (z.B. LDL-Apherese). Auch bei Patienten mit manifester atherosklerotischer Herzerkrankung oder Diabetes-Mellitus, deren Cholesterinwerte normal oder erhöht sind, können sie zur Senkung der kardiovaskulären Mortalität und Morbidität angewendet werden.

Statine sind Inhibitoren der 3-Hydroxy-3-methylglutaryl-Coenzym-A-(HMG-CoA)-Reduktase. Hierbei handelt es sich um ein Enzym, das einen frühen und geschwindigkeitsbestimmenden Schritt in der Biosynthese des Cholesterins katalysiert: die Umwandlung von HMG-CoA zu Mevalonat. Sowohl bei normalen als auch bei erhöhten Ausgangswerten senken Statine den LDL-Cholesterinspiegel. LDL entsteht aus VLDL (Very-low-density-Lipoproteine) und wird überwiegend über spezifische LDL-Rezeptoren abgebaut. Der LDL-senkende Wirkmechanismus von Statinen beruht wahrscheinlich sowohl auf der Abnahme der Konzentration von VLDL-Cholesterin als auch auf einer Induktion von LDL-Rezeptoren. Also sowohl auf einer verminderten Synthese als auch auf einem verstärkten Abbau von LDL-Cholesterin. Die Blutspiegel von Apolipoprotein B werden bei der Behandlung mit Statinen ebenfalls deutlich abgesenkt. Statine bewirken zudem einen mäßigen Anstieg des HDL-Cholesterins sowie eine Abnahme der Triglyzeride im Plasma. Insgesamt resultiert aus diesen Veränderungen ein verbessertes Verhältniss von Gesamt- zu HDL-Cholesterin und LDL- zu HDL-Cholesterin.

Statine gelten als sichere Medikamente [2]. Unerwünschte Wirkungen (treten in bis zu 10% der Fälle auf) können jedoch zum Abbruch der Therapie führen. Der häufigste Grund für Statin-Unverträglichkeit und für Therapieabbruch sind Muskelbeschwerden. Sie reichen von benignen Myalgien wie unspezifische Muskel- oder Gelenkschmerzen ohne Erhöhung der Creatinkinase bis zu manifester Myositis mit mehr als zehnfacher Erhöhung der Creatinkinase-Werte. Die Inzidenz von Muskelschmerzen unter Statin-Monotherapie liegt in der Größenordnung von 1 bis 7%. Asymptomatische Erhöhungen der Creatinkinase (über das Fünfache des oberen Grenzwertes) sind dosisabhängig und betreffen 0,5 bis 1% der Patienten in klinischen Studien. Myopathien (Creatinkinase über das Zehnfache des oberen Grenzwertes und Symptome) sind ebenfalls dosisabhängig und kommen in klinischen Studien bei circa 0,5% der Patienten vor. Rhabdomyolysen sind sehr selten (0,15 pro eine Million Verordnungen). Die Mortalität bei Rhabdomyolysen beträgt 20%. Muskelbeschwerden sind unter anderem abhängig von der Pharmakokinetik des Statins, von Patientencharakteristika (genetische Variabilität) und Interaktionen mit anderen Medikamenten. Die Pathophysiologie der Statin-vermittelten Muskelbeschwerden konnte noch nicht vollständig geklärt werden. Es scheint sich letztlich um ein multifaktorielles Geschehen zu handeln, bei dem durch Unterbrechung des Mevalonsäure-Stoffwechsels eine ganze Reihe von intermediären Stoffwechselprodukten (z. B. das Coenzym Q10) nicht mehr ausreichend gebildet wird.

Nichtmedikamentöse Risikofaktoren

Aus dem Bereich der Erkrankungen sind hier Hypertonie, Diabetes Mellitus, Nieren- und Lebererkrankungen, Muskelerkrankungen, Hypothyreose, Alkoholismus oder auch seltene Leiden, beispielsweise eine Glykogenspeicher-Krankheit (McArdle-Disease) zu nennen. Weitere Risikofaktoren sind fortgeschrittenes Alter (> 80J.), starke körperliche Aktivität, chirurgische Eingriffe mit schweren metabolischen Ereignissen und ein niedriger Body-Mass-Index (BMI).

Interaktionen als Risikofaktoren

Fibrate, insbesondere Gemfibrozil, bringen als Nebenwirkung ein erhöhtes Risiko für Myopathien mit sich. Eine Ausnahme bildet nur Fenofibrat. Auch für Amlodipin sind Myalgien als gelegentliche Nebenwirkung beschrieben. Außerdem wurde in Studien unter Nicotinsäure, Colchicin, Danazol und Fusidinsäure in Kombination mit Statinen ein höheres Myopathierisiko beobachtet. Alle diese Arzneistoffe sollen zudem die Plasmaspiegel der Statine erhöhen, ohne dass ein Mechanismus bekannt ist. Die Kombination dieser Wirkstoffe mit Statinen ist daher zu vermeiden.

Atorvastatin, Simvastatin und Lovastatin (Tab. 1) werden über CYP3A4 verstoffwechselt. Hieraus ergibt sich, dass klinisch relevante Inhibitoren von CYP3A4 die Plasmaspiegel stark und das Myopathierisiko entsprechend erhöhen. Diese sind

  • HIV-Proteaseinhibitoren: Indinavir, Nalfinavir und Ritonavir;
  • Makrolid-Antibiotika: Erythromycin, Telithromycin und Clarithromycin;
  • die Azolantimykotika: Ketokonazol, Itraconazol, Fluconazol und Voriconazol;
  • sowie Ciclosporin, Naringin und Bergamottin (aus Citrusfrüchten v.a. Grapefruit), Amiodaron, Cimetidin, Verapamil, Nefazodon, Diltiazem, Fluvoxamin und Norfluoxetin, der aktive Metabolit von Fluoxetin.

Um das Myopathierisiko zu senken, sollten diese Kombinationen vermieden oder die Statin-Dosis verringert werden.

Simvastatin. Die gleichzeitige Verabreichung mehrerer Dosen Amlodipin (à 10 mg) zusammen mit 80 mg Simvastatin führt zu einer 77 prozentigen Erhöhung der Exposition von Simvastatin. Die Simvastatin-Dosis sollte bei Kombination mit Amlodipin auf 20 mg pro Tag begrenzt werden.

Pravastatin. Die gemeinsame Gabe von Pravastatin und Ciclosporin führt zu einem ungefähr vierfachen Anstieg der systemischen Verfügbarkeit von Pravastatin. Bei einigen Patienten kann der Anstieg der Verfügbarkeit jedoch noch höher sein. Der Mechanismus ist unbekannt. Diese Kombination sollte unterbleiben.

Rosuvastatin. Für Rosuvastatin sind keine Arzneimittelwechselwirkungen zu erwarten, die auf einem durch Cytochrom P450 vermittelten Metabolismus basieren. Der genaue Mechanismus der Wechselwirkung ist zwar unbekannt, dennoch kann die gleichzeitige Anwendung von Proteasehemmern (z.B. Atazanavir und Ritonavir) die Bioverfügbarkeit von Rosuvastatin stark erhöhen (drei- bis siebenfache Anstieg der Area under the Curve (AUC)). Eine Dosisanpassung oder die Vermeidung der Kombination ist daher erforderlich.

Fluvastatin. Das geringste Risiko für Myopathien wird bei Fluvastatin beobachtet. Da für die Biotransformation von Fluvastatin mehrere alternative Stoffwechselwege über Cytochrom-P450-(CYP450)-Isoenzyme zur Verfügung stehen, ist der Metabolismus von Fluvastatin relativ unempfindlich gegenüber einer CYP450-Hemmung. Auf der anderen Seite zeigt Fluvastatin auch die geringste Wirkstärke. Es gibt somit für die Statintherapie einen Zusammenhang zwischen Dosis, Wirkstärke, damit einhergehender Lipidsenkung und dem Myopathierisiko.

Gentests minimieren das Risiko

Das Ziel-Enzym, die HMG-CoA-Reduktase, unterliegt genetischen Variationen, die sich auf die Cholesterin-senkende Wirkung der eingenommenen Statine auswirken. Bei Patienten mit bestimmten Polymorphismen werden die gewünschten Cholesterinspiegel unter Standarddosierung meist nicht erreicht. Mit dem Humatrix Programm „Stratipharm“ oder dem Einzeltest „Stada Diagnostik Statine“, lassen sich verschiedene Varianten (COQ2 rs4693596 und rs4693075) im Biosynthese-Gen von Q10 (dessen Synthese ebenfalls von Mevalonat ausgeht) bestimmen. Sie gehen mit einer generellen Erhöhung des Myopathie-Risikos einher. Außerdem werden drei für die Statinkinetik verantwortliche Transportergene, nämlich ABCB1 (p-Glykoprotein), ABCG2 und SLCO1B1 (Solute carrier organic anion transporter family member 1B1) typisiert.

SLCO1B1

Statine werden über SLCO1B1 aus der Zirkulation eliminiert. Eine reduzierte Kapazität dieses Transporters führt zu einer erhöhten Statinkonzentration im Plasma, was das Risiko für Myopathien erhöht. In genomweiten Assoziationstudien [3] konnte gezeigt werden, dass das Vorliegen des Single Nucleotide Polymorphismus V174A im SLCO1B1-Gen (rs4149056), dem Austausch von Thymin durch Cytosin an Position 521 im Exon 6, der auf Proteinebene zu einem Ersatz der Aminosäure Valin durch Alanin an Position 174 führt, mit einer verminderten Kapazität des Aufnahmetransporters einhergeht. Nach einer retrospektiven Genomanalyse von 175 Teilnehmern der SEARCHE-Studie [4]nimmt das relative Myopathierisiko unter Simvastatin in Hochdosis bei heterozygoten Trägern um das 4,5-fache zu, bei homozygoten steigt es sogar auf das 16,5-fache. Etwa 60% der Myopathien unter Simvastatin bei einer Dosierung von 80 mg einmal täglich, die in der SEARCHE-Studie beobachtet worden waren, werden diesem Polymorphismus zugeschrieben. Unter der Standarddosis von 40 mg Simvastatin am Tag hatten in der Heart-Protection-Studie [5] heterozygote Träger des varianten Allels gegenüber den Trägern des Wildtyps-Allels ein 2,6-fach höheres Myopathierisiko.

Tabelle 2 zeigt exemplarisch die Dosisanpassung, die vorgenommen werden sollte, wenn dieser Polymorphismus im SLCO1B1-Gen vorliegt.

ABCB1

Das ABCB1-Gen kodiert für den ABC-Transporter B1, der auch P-Glykoprotein genannt wird und verschiedenste Substrate durch Zellmembranen transportiert. Seine Hauptaufgabe besteht darin, Fremdstoffe aus Körperzellen hinauszutransportieren. Im Magen-Darm-Trakt begrenzt das P-Glykoprotein die Aufnahme von Arzneistoffen durch deren Efflux aus den Enterozyten in das Darmlumen. Außerdem ist P-Glykoprotein Bestandteil der Blut-Hirn-Schranke. Da viele Wirkstoffe für eine erfolgreiche Verteilung im Organismus zunächst den ABCB1-Transporter „überwinden“ müssen, wird ABCB1 auch „Multi-Drug-Resistenz-Gen“ genannt. Durch Variationen in diesem Gen kann sich der Wirkspiegel der transportierten Arzneimittel im Körper verändern. Wenn der Transporter zu wenig exprimiert wird oder nicht die volle Aktivität besitzt, funktioniert der Efflux nicht ausreichend und die Wirkstoffe erreichen zu hohe Konzentrationen.

ABCG2

Das ABCG2-Gen kodiert für den ABC-Transporter G2, der ähnlich wie der ABC-Transporter B1 verschiedene Wirkstoffe aus Körperzellen hinaustransportiert. Die Variationen dieses Gens wirken sich allerdings deutlich weniger auf die Spiegel der Substanzen aus, als es bei B1 der Fall ist. Verschieden Statine sind allerdings betroffen.

Die Abbildung zeigt inwiefern sich die einzelnen Transporter auf die Spiegel der Statine auswirken.

Abb.: Einfluss von Variationen in verschiedenen Transportergenen auf die Bioverfügbarkeit der Statine [nach 6]

Wie können Myopathien vermieden werden?

  • Da die Faktoren, die das Myopathierisiko unter der Statintherapie erhöhen, vielfältig sind, sind die Kooperation und Aufklärung durch Kardiologe, Hausarzt und Apotheker wichtig für den Erfolg der Therapie.
  • Indem die individuellen Umstände des Patienten und die Interaktionen beachtetet werden, kann das Risiko für eine Myopathie minimiert und die Adhärenz des Patienten erhöht werden.
  • Patienten, die intensiv mit Statinen behandelt werden und/oder trotz Beachtung aller Umstände über Myopathien klagen, sollten eine Genanalyse auf Statinverträglichkeit durchführen lassen, um so das individuell bestverträgliche Statin in einer geeigneten Dosierung zu finden. 

Literatur:

[1] Aktuelle Fachinformationen von Zocor®, Locol®, Sortis®, Crestor®, Lovabeta®, Pravasin®, Gevilon®, AmlodipinAbZ®

[2] Riesen, W: Maßnahmen bei Statinunverträglichkeit, info@herz+gefäss_02_2011

[3] Weigel et al. SLCO1B1 Genotypisierung zur Abschätzung des Risikos für Myopathien unter Statin Therapie; Mitteilung des Landeskrankenhaus Innsbruck; 07/2012

[4] SEARCHE Collaborative Groupe, Lancet 2010;376:1658-69

[5] Heart Protection Study Collaborative Groupe, Lancet 2002,360:7-22

[6] Niemi M. Transporter pharmacogenetics and statin toxicity. Clin. Pharmacol. Ther. 2010;87:1;130-133

[7] Bohm R, et al. Interaktionen mit CYP3A4; Deutsche Apotheker Zeitung; 152. Jg 2012:4840-4849

[8] arznei-telegramm®2014:45;5:52-54

[9] Zeggel S. Vergleichstabelle: Statine; Mitteilung des Universitätsspital Basel: Spital-Pharmazie: 11.03.2013

[10] Mitteilungen der Humatrix AG® 2014

Autor

Dr. rer. nat. Peter Meinhard Schweikert-Wehner, Fachapotheker für Pharmazeutische Analytik und Diabetesberater, leitet die Apotheke am Kreiskrankenhaus in Mechernich.

E-Mail: info@apotheke-mechernich.de

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