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Arzneimittel und Therapie
Länger ohne Progression überleben
Neuer Antikörper Obinutuzumab gegen chronisch lymphatische Leukämie
Obinutuzumab ist ein Typ-II-Anti-CD20-Antikörper vom IgG1-Isotyp, der sich gezielt gegen das CD20-Transmembranantigen auf der Oberfläche nicht-maligner und maligner prä-B- und reifer B-Lymphozyten richtet. Durch Modifikation spezifischer Zuckermoleküle wurde eine bessere Wechselwirkung mit den körpereigenen Immunzellen möglich. Obinutuzumab gilt quasi als ein „getunter“ Antikörper. Durch Bindung an das Antigen CD20 auf den Lymphom-Zellen löst der Antikörper den direkten Tod der Tumorzelle aus. Darüber hinaus werden Immuneffektorzellen wie natürliche Killerzellen, Makrophagen oder Monozyten effektiv stimuliert, erklärte der „Vater“ des Antikörpers, Dr. Pablo Umana, Roche Innovation Center, Zürich, auf der von der Roche Diagnostics GmbH unterstützten Einführungspressekonferenz am 16. September 2014 in Penzberg. Hämatopoetische Stammzellen, pro-B-Zellen, normale Plasmazellen oder anderes normales Gewebe werden durch Obinutuzumab dagegen nicht beeinträchtigt. Diese Wirksamkeit ist es auch, die bei jedem 5. Patienten in einer zulassungsrelevanten Studie häufiger zu infusionsbedingten Reaktionen von Grad 3 bis 4 führte. Wahrscheinlich wurden bei diesen Patienten sämtliche wichtige Rezeptoren auf der Zelle hochreguliert, und es kommt zu einer extremen Zytokin-Freisetzung. Sie ist als ein therapeutischer Effekt einzuordnen, denn sie kann als Beleg für den radikalen Zerfall der Tumorzellen interpretiert werden. Nur während der ersten Infusion zeigte jeder Fünfte ein allgemeines Krankheitsgefühl, Schüttelfrost oder Fieber und auch Atemwegsprobleme. „Es ist aber nur ein Problem der ersten Infusion, und weil der Hämato-Onkologe das jetzt weiß, ist man auch gewappnet“, stellte Dr. med. Valentin Goede, Oberarzt am St. Marien-Hospital Köln, klar. So kann man als Standardmedikation Cortison vorab spritzen, Arzneistoffe zur Fiebersenkung verabreichen und insbesondere Obinutuzumab langsam infundieren und die Reaktionen des Patienten kontinuierlich beobachten. Zeigt der Patient eine infusionsbedingte Reaktion, so kann die Infusion bedenkenlos unterbrochen werden. Später, bei einem zweiten Anlauf, treten diese Reaktionen meist nicht mehr auf. Die Behandlung erstreckt sich über sechs Monate. Im ersten Monat erhält der Patient mindestens drei Infusionen. Treten keine Komplikationen auf, bekommt er im weiteren Verlauf nur noch jeweils einmal im Monat eine Infusion.
Positive Daten der zulassungsrelevanten Studie
An der CLL11-Studie, eine internationale, dreiarmige Phase-III-Studie, nahmen 781 nicht vorbehandelte CLL-Patienten mit Begleiterkrankungen teil. In einem Arm wurden Obinutuzumab plus Chlorambucil (n = 238), im anderen Rituximab plus Chlorambucil (n = 330) und im dritten Chlorambucil allein (n = 118) eingesetzt. Die Patienten waren im Durchschnitt 74 Jahren alt. Alle zeigten die für diese Altersgruppe typischen kardiovaskulären Vorschäden (z.B. Herzinfarkte, Herzinsuffizienz), Hypertonie, Diabetes mellitus oder schlechtere Nierenfunktion. Die Immunchemotherapie war bei allen sicher durchführbar, stellte Goede fest. Unerwünschte Wirkungen wie ein um 5% höherer Abfall der Neutrophilen gegenüber Rituximab spiegelten sich jedoch nicht in einer höheren Rate schwerer Infektionen wider (12% unter Obinutuzumab vs. 15% Rituximab).
Das progressionsfreie Überleben war mit Obinutuzumab/Chlorambucil deutlich länger und betrug 26,7 vs. 15,2 Monate unter Rituximab/Chlorambucil bzw. 11,1 Monate unter Chlor-ambucil als Monotherapeutikum. „Das sind noch relativ unreife Daten, wir rechnen damit, dass mit Obinutuzumab ein noch längeres progressionsfreies Überleben bis 30 Monate möglich sein wird,“ so Goede. Bezüglich des sekundären Endpunkts Gesamtüberleben sei die Datenlage noch nicht aussagekräftig, aber es bestehe Hoffnung, dass sich der Benefit auch hier widerspiegeln werde. Zudem reduzierte Obinutuzumab das Risiko für Krankheitsprogression oder Tod gegenüber der Kombination von Rituximab und Chlorambucil um 61%.
Steckbrief
Handelsname: GazyvaroTM
Hersteller: Roche Diagnostics GmbH
Einführungsdatum: 15. August 2014
Zusammensetzung: 1 Durchstechflasche mit 40 mg Konzentrat enthält 1000 mg Obinutuzumab
Stoffklasse: Antineoplastika, monoklonale Antikörper; ATCCode: L01XC15
Indikation: Obinutuzumab in Kombination mit Chlorambucil wird bei Erwachsenen mit nicht vorbehandelter chronischer lymphatischer Leukämie (CLL) angewendet, die aufgrund von Begleiterkrankungen für eine Therapie mit einer vollständigen Dosis von Fludarabin nicht geeignet sind.
Dosierung: Die empfohlene Dosierung von Obinutuzumab beträgt 1000 mg und wird über Tag 1 und 2, an Tag 8 und an Tag 15 des ersten Behandlungszyklus, der 28 Tage dauert, verabreicht. Für die Zyklen 2 bis 6 beträgt die empfohlene Dosierung von Obinutuzumab 1000 mg, die an Tag 1 verabreicht wird. Es werden sechs Behandlungszyklen jeweils über 28 Tage durchgeführt.
Gegenanzeigen: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der sonstigen Bestandteile.
Nebenwirkungen: Die am häufigsten beobachteten Nebenwirkungen waren infusionsbedingte Reaktionen (Infusion Related Reactions, IRR), die bei der Mehrheit der Patienten während des ersten Zyklus auftraten; sehr häufig: infusionsbedingte Reaktionen, Neutropenie, Thrombozytopenie, Anämie, Diarrhö, Fieber; häufig: Harnwegsinfektion, Nasopharyngitis, Lippenherpes, Rhinitis, Pharyngitis, Plattenepithelkarzinom der Haut, Leukopenie, Tumorlysesyndrom, Hyperurikämie, Vorhofflimmern, Hypertonie, Husten, Verstopfung, Alopezie, Arthralgie, Rückenschmerzen, muskulo-skelettale Thoraxschmerzen
Wechselwirkungen: Obinutuzumab ist weder ein Substrat noch ein Hemmer oder Induktor des Cytochrom P450, der Uridindiphosphat-Glucuronyltransferase-(UGT)-Enzyme oder von Transportern wie P-Glykoprotein. Aufgrund der immunsuppressiven Wirkung von Obinutuzumab wird die Impfung mit Lebendimpfstoffen während der Behandlung und bis zur Normalisierung der B-Zell-Werte nicht empfohlen. Die Kombination von Obinutuzumab mit Chlorambucil kann die Inzidenz einer Neutropenie erhöhen.
Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen: Bei Nierenfunktionsstörungen besteht ein höheres Risiko für infusionsbedingte Reaktionen. Patienten mit Herz- oder Lungenerkrankungen sollten während und nach der Infusion sorgfältig überwacht werden. Besteht ein vermutliches Risiko für ein Tumorlysesyndrom, kann eine entsprechende Prophylaxe mit Urikostatika und eine Hydratation zwölf bis 24 Stunden vor der Infusion durchgeführt werden. Liegt eine aktive Infektion vor, sollte Obinutuzumab nicht verabreicht werden. Bei Patienten, die mit anti-CD20-Antikörpern behandelt werden, kann eine Reaktivierung des Hepatitis-B-Virus auftreten.
Prof. Dr. Michael Hallek, Direktor der Klinik I für Innere Medizin, Universitätsklinik Köln, erinnerte daran, dass noch vor zehn Jahren die Prognose eines Patienten mit CLL (stadienabhängig) nur 1,5 Jahre Überleben hieß. Durch Kombinationen verschiedener Wirkstoffe bzw. das Hinzufügen eines CD20-Antikörpers haben sich die Überlebenszeiten auf fast sechs Jahre verlängert. Bis heute ist die CLL nicht heilbar, sondern es treten immer wieder Rezidive auf. Dabei habe man aus den Studien gelernt, so Hallek, „sitzt die erste Therapie richtig, kann man für den Patienten einen deutlichen prognostischen Unterschied herausholen.“ Nachdem die Therapie mit Chlorambucil um einen Antikörper ergänzt wurde, führte das auch zu einem deutlich erkennbaren Überlebensvorteil. Frühe Stadien einer CLL (ca. 60%) müssen nicht behandelt werden, hier reiche „Abwarten“, so Hallek. Schreitet die Erkrankung voran, wird entsprechend der körperlichen Verfassung behandelt. Ist der Patient fit, erhält er Fludarabin + Cyclophosphamid + Rituximab (FCR), liegen ungünstige genetische Faktoren vor, kann eine Stammzelltransplantation infrage kommen. Ist der Patient weniger fit und befindet sich im Stadium III bis IV, kann er nun Obinutuzumab plus Chlorambucil erhalten. Da keine Heilungsmöglichkeit besteht, wird das Therapieziel bei der chronisch lymphatischen Leukämie die Kontrolle bleiben. Für die Therapie sollten Antikörper und experimentelle Wirkstoffen (Bcl-2-Antagonisten und Kinase-Inhibitoren) miteinander kombiniert werden. Ein Schema sieht vor, zunächst ein bis zwei Monate eine milde Chemotherapie mit Bendamustin oder Fludarabin (Debulking), dann sechs bis zwölf Monate Kinase-Inhibitoren, Antikörper, Bcl2-Antagonisten (Induktionstherapie) und dann ein Jahr lang Antikörper, Lenalidomid, Kinase-Inhibitoren und Bcl2-Antagonisten zu verabreichen (maßgeschneiderte Erhaltungstherapie).
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