- DAZ.online
- DAZ / AZ
- DAZ 42/2014
- Zu Risiken und ...
UniDAZ
Zu Risiken und Nebenwirkungen …
… einer unzeitgemäßen pharmazeutischen Ausbildung mit sich wandelnden Perspektiven fragen Sie Ihre Studenten
Diesen Witz hat vermutlich jeder Pharmazeut in einer seiner zahlreichen Variationen schon gehört: Ein Physikstudent, ein Medizin- und ein Pharmaziestudent bekommen vom Professor ein Telefonbuch zum Auswendiglernen vorgesetzt. Der Physiker stellt fest, dass aus den Datenreihen nicht auf das Experiment geschlossen werden kann, weigert sich und geht. Der Mediziner schluckt drei Coffeintabletten und seufzt: „Bis wann?“ Einzig der Pharmazeut ist aufgeregt und fragt: „Darf ich die Gelben Seiten auch noch lernen?“
Das Pharmaziestudium hat den Ruf eines arbeits- und zeitintensiven Studiengangs mit fragwürdigen Inhalten. Ist in der Realität etwas Wahres daran?
Zu viel Stoff für vier Jahre
Tatsächlich braucht der Durchschnittsstudent nicht die anberaumten acht, sondern neun Semester, um zu seinem Abschluss zu gelangen. Es ist keine Seltenheit, dass nach dem ersten Staatsexamen nurmehr zehn Prozent der Studenten des Anfangssemesters dabei sind – das kann vielerlei Gründe haben. Neben Misserfolgen bei Prüfungen leiden einige Universitäten auch unter zu wenig Laborplätzen; damit gehen immer länger werdende Wartelisten für Praktikumsplätze einher.
Und auch die dürftigen, bisweilen nur knapp zweistelligen Bestehensquoten bei Klausuren haben verschiedene Gründe: So werden Studierende im ersten Semester gleich zu Beginn mit Lernvolumina konfrontiert, die sie aus ihrer gesamten Schulzeit nicht gewohnt waren. Die qualitative anorganische Analyse wartet mit dicken Skripten und noch dickeren Büchern auf, deren Güte und Notwendigkeit man zunächst und ohne Anleitung gar nicht bewerten kann.
Zudem haben viele Studenten damit zu kämpfen, dass die ihnen hier präsentierte Information eine ganz andere Qualität haben kann als das, womit sie in der Schule konfrontiert wurden: Nicht alle haben einen Chemie-Leistungskurs besucht, aber im Studium wird plötzlich naturwissenschaftliches Denken vorausgesetzt. Die Fragestellungen sind komplexer und gerade im Pharmaziestudium zunehmend interdisziplinär – oft ist „intellektuelles Multitasking“ gefragt, wenn an einem Tag eine Klausur in Qualitätssicherung, am nächsten Tag eine Klausur in Biochemie geschrieben wird.
Lernen mit Methode
Viele Erstsemester fühlen sich im „Pharmazie-Dschungel“ zunächst allein gelassen. Die Fachschaften bieten zwar eine gute organisatorische Starthilfe, doch lernen muss jeder für sich allein. Genau da liegt das Problem: Die meisten Studierenden haben sich zum Zeitpunkt des Studienbeginns noch nicht intensiv mit Lernmethoden beschäftigt, sie kennen weder die verschiedenen Ansätze, noch wissen sie, welcher Lerntyp sie sind. Einige Studenten kommen mit dem bloßen Lesen der Lehrbücher gut zurecht, andere verfassen selbst seitenlange Skripte. Sie gehen nach dem Trial-and-Error-Verfahren vor, wobei sie einige Fehlschläge in Kauf nehmen müssen – bei einigen artet das gar zu einem mehrjährigen Kampf aus. Am Ende der Bemühungen haben Ehrgeiz und Motivation deutlich abgenommen, was durchaus ansteckend sein kann: „Wenn sowieso alle durch die Klausuren fallen, warum soll ich mich dann noch so anstrengen?“
Was läuft systematisch falsch im Pharmaziestudium?
Den Kritikern des „Aussiebens“ der Studenten durch besonders anspruchsvolle Klausuren in den ersten Semestern wird gemeinhin entgegengesetzt, dass man als Pharmaziestudent ja wisse, worauf man sich einlässt. Teilweise ist dem zuzustimmen: Der Beruf des Apothekers ist sehr verantwortungsvoll, z.B. wenn es um die Abgabe potenter Arzneistoffe und die Einschätzung geringer therapeutischer Breiten oder gefährlicher Wechselwirkungen geht. Deshalb sollen nur bestens qualifizierte Personen in der Offizin arbeiten. Dieses Ziel erreicht man jedoch nicht mit überschweren Klausuren, die zudem kaum praxisbezogen sind. Typische Ergebnisse dieser Methode sind „ausgebrannte“ Absolventen, die ein freudloses Studium fast ohne Freizeit unter hohem emotionalen Stress in vier Jahren geschafft haben, oder Absolventen, die ihre Prüfungen x-mal wiederholt und sieben oder acht Jahre für das Studium gebraucht haben und umso später ins Berufsleben einsteigen können.
Viele Studenten, aber auch einige Dozenten bemängeln darüber hinaus das starre und schul-artige Curriculum des Pharmaziestudiums. Anders als bei vielen anderen Studiengängen wird hier nicht das souveräne und selbstständige Arbeiten gefördert. Das Studium beginnt mit einem unflexiblen Stundenplan, lebt vom Frontalunterricht, bietet wenig Wahlmöglichkeiten und erfordert kaum die eigenständige Erarbeitung von Themenkomplexen. Ein Vorteil dieser Methode ist, dass der Studiengang so kein Opfer der Bologna-Willkür wird, mit deren Hilfe man mit einem Seminar über „Weinbau in der Antike“ und acht Semesterwochenstunden ein komplettes Fachsemester bestreiten könnte. Ein Nachteil ist, dass sich selbstständiges Arbeiten nicht in dem Maße lernen lässt, wie es beispielsweise für Jobs in der pharmazeutischen Forschung nötig und wünschenswert wäre.
Viele Studenten, wenig Betreuung
Wenn in einem Seminar, das per Definition interaktiv ist und das auf die Schwächen der Teilnehmer eingehen sollte, über hundert Menschen sitzen, so kann das Soll an Zuwendung nur schwer erfüllt werden. Zwar ist die Fehlbetreuung in anderen Studiengängen – wie beispielsweise Medizin – wesentlich schlimmer, aber das macht die Lage für die Pharmazeuten nicht besser. Viel wichtiger ist jedoch, dass kaum ein Student während des Studiums systematisch in wissenschaftlichem Denken und Arbeiten geschult wird. Zwar wird man an vielen Stellen dazu angehalten, kann sich im Zweifel unter wissenschaftlicher Methode und kritischem Denken jedoch nur wenig vorstellen. Besonders für die Arbeit in der Forschung kann dies später zu einem Problem werden, aber auch schon im Studium ließen sich einige Hürden besser nehmen, wenn man dabei einen analytisch geschulten statt nur einen mit Fakten gemästeten Verstand benützen könnte.
Evidenzbasierte Argumentation muss schieres Auswendiglernen ergänzen, damit ein interessiertes oder kritisches Hinterfragen möglich ist. Wer sich mit der wissenschaftlichen Fachliteratur auseinandersetzen kann, hat im Berufsleben – je nach Spezialisierung – große Vorteile. Doch entsprechende Kurse werden den meisten Pharmaziestudenten nicht angeboten. Die Aufgabe der Universität sollte nicht darin bestehen, den Studierenden den Lernstoff vorzusetzen, den sie dann stur auswendig lernen sollen, obgleich er in einigen Jahren womöglich schon obsolet ist. Ihre Aufgabe sollte es sein, die Studierenden an souveränes Denken und eine wissenschaftliche Arbeitsweise heranzuführen, sie von der Autoritätsgläubikeit zu emanzipieren und zu befähigen, allein aufgrund der Evidenz zu unterscheiden zwischen wahr und falsch, effektiv und nutzlos, Arzneimittel und Humbug. Würde dies aktiv an den Universitäten unternommen, wäre wohl auch die Esoterik in der Offizin vermutlich nicht derartig auf dem Vormarsch.
Neue didaktische Konzepte
Obwohl das System „Pharmaziestudium“ vermutlich noch einige Jahre in dieser Form weiterlaufen wird, ist es Zeit, über mögliche Verbesserungen nachzudenken – damit auch künftige Generationen von Apothekern und Pharmazeuten mit Elan und Ehrgeiz ihren Beruf antreten können. Hierzu einige Vorschläge:
Propädeutische „Lernseminare“ wären sehr effektiv. In ihnen würden Studenten nicht nur lernen, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Wissen zu speichern, sondern auch, wie man das Ganze gesund gestalten, Informationen ins Langzeitgedächtnis transferieren und sich auch langfristig motivieren und kontrollieren kann. Ebenso sollten Organisationsstrategien und Ressourcenmanagement angesprochen und der individuelle Lerntyp herausgearbeitet werden, damit der Student gut gerüstet in den achtsemestrigen Lernmarathon einsteigen kann, ohne gleich den Mut oder auf die Dauer viel Zeit zu verlieren. Nicht zuletzt kommt das langfristig gespeicherte Wissen (das nicht nach der bestandenen Klausur wieder vergessen wird) auch den Patienten zugute.
Wichtig wäre es auch, den Lernstoff anders zu vermitteln. Frontalunterricht mit PowerPoint-Präsentationen kann sehr ansprechend sein, er bietet den weniger engagierten Dozenten aber die Möglichkeit, in ein „Folien-Karaoke“ zu verfallen. Die erfolgreicheren Vorlesungen an der Universität Bonn waren vor allem diejenigen, in welchen didaktisch sinnvoll aufgebaute Tafelbilder, visuelle Darstellungen (zum Teil unter Zuhilfenahme von Requisiten) und anschauliche Erklärungen und Analogien im Mittelpunkt standen. Auch mit klinischen Bezügen oder solchen zur Berufsrealität kann man Studenten motivieren, sich mehr in ein Fach hineinzudenken.
Außerdem ist der Lerneffekt um ein Vielfaches größer, wenn Studenten sich einen Teil des Stoffs selbst erarbeiten und ihn vortragen und untereinander diskutieren, wo es realisierbar ist. Solche Seminare gibt es bereits, sie sind jedoch ausbaufähig.
Pharmaziestudium punktet durch Vielfalt
Den vielen Kritikpunkten zum Trotz sprechen die 12.000 Studierenden der Pharmazie und auch die hohen Anforderungen an die Zulassung zum Studium (Numerus clausus) eine eigene Sprache: Gerade aufgrund seiner Vielfalt kann der Studiengang punkten. Innerhalb einer Woche müssen z.B. Pflanzen systematisch analysiert, mikroskopiert und gezeichnet werden, wohingegen man am nächsten Tag mit der Vielzahl verschiedener chemisch-analytischer Methoden konfrontiert wird. Neben Physik, Biologie und physikalischer Chemie lernt man auch Physiologie und Toxikologie kennen, bewegt sich quasi einmal durch alle naturwissenschaftlichen Disziplinen. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist nicht nur möglich, sondern auch erwünscht. Sie erhöht die Chance auf ein abwechslungsreiches Berufsleben.
Unzeitgemäße Elemente
Die Grundvoraussetzungen des Pharmaziestudiums sind also gut. Würde man einige Inhalte, die aus einer lange vergangenen Zeit zu stammen scheinen, durch moderne Fächer und Methoden ersetzen, wäre viel gewonnen. Viele Studenten sehen keinen Sinn darin, Pflanzen zu sammeln und Herbare anzufertigen oder mit einer jahrzehntealten Laborausrüstung obsolete Methoden zu erlernen, die in Wissenschaft und Industrie längst nicht mehr eingesetzt werden. Auf der anderen Seite fehlen interessante und neue Fächer wie Proteomik, Pharmakogenetik, Bioinformatik oder Kurse zum Umgang mit Fachliteratur fast völlig. Eine Erneuerungskur unter Beibehaltung wichtiger und unabdingbarer traditioneller Elemente täte dem Studiengang und seinen Studierenden – und damit am Ende auch den Kunden – mit Sicherheit gut.
Wünsche für die Berufstätigkeit – Ergebnisse einer Umfrage
Die Möglichkeiten nach dem Pharmaziestudium sind vielfältig, doch die meisten Absolventen zog es bisher regelmäßig in die Offizin. Eine solide Entscheidung: Das Einkommen ist stabil und meist zumindest akzeptabel (als Selbstständiger oft sogar mehr als das), der Arbeitsplatz ist sicher und das Arbeitsklima häufig angenehm. Zudem ist kaufmännisches Geschick gefragt sowie soziale Kompetenz im Umgang mit Kunden. Laut ABDA entscheiden sich durchschnittlich 80 Prozent der Apotheker, in der öffentlichen Apotheke zu arbeiten.
Eine kleine Umfrage unter 30 Studenten des fünften Fachsemesters der Universität Bonn förderte jedoch ein anderes Bild zutage (s. Abb. 1):
Die meisten Befragten (21) würden eine Betätigung außerhalb der Offizin vorziehen. Attraktiv ist z.B. die Krankenhausapotheke, wo die Aufgaben ganz anders sind als in der öffentlichen Apotheke. So gehört die Beratung der Patienten eher nicht dazu, wohl aber die Herstellung von Arzneiformen, die nur in wenigen öffentlichen Apotheken üblich sind, z.B. Zytostatika oder Parenteralia. Außerdem werden hier kleine Chargen von Medikamenten für spezielle Patientengruppen entwickelt und hergestellt. Dazu kommen die Teilnahme an der ärztlichen Visite, die Veranstaltung von Schulungen und die logistische Versorgung des Krankenhauses mit den nötigen Medikamenten.
Großes Interesse zeigten die Befragten auch an der Arbeit in der pharmazeutischen Industrie. Zwar ist es für Pharmazeuten eher unwahrscheinlich, bei der harten Konkurrenz durch (Bio-)Chemiker einen Arbeitsplatz in der Wirkstoffsynthese zu ergattern, dennoch würden einige Befragte dies anstreben. Andere bevorzugen den Bereich Pharmazeutische Technologie und Galenik, in dem Apotheker immer noch gute Berufschancen haben.
In der befragten Gruppe herrschte verhältnismäßig wenig Interesse an universitärer Forschung und Arzneimittelzulassung; für niemanden kam eine Stelle im Wissenschaftsjournalismus oder bei der Bundeswehr infrage.
Ist die Offizin noch attraktiv?
Die Umfrage ist sicher nicht repräsentativ; aber sicher ist auch, dass diejenigen, die später in einer öffentlichen Apotheke arbeiten wollen, längst nicht mehr die übergroße Mehrheit der Pharmaziestudenten darstellen. Tatsächlich gibt es einige Faktoren, die eine Tätigkeit dort weniger attraktiv machen: Zum einen ist der Verdienst als angestellter Apotheker mit wenig Berufserfahrung sehr „überschaubar“, insbesondere vor dem Hintergrund der überaus aufwendigen Ausbildung. Zum anderen birgt auch die Selbstständigkeit Gefahren. Hier ist kaufmännisches Talent wichtig, aber auch Verantwortungsgefühl für die Mitarbeiter; Führungsqualitäten sind ebenso gefragt wie Ausdauer beim Bewältigen der Verwaltungsaufgaben. Einigen ist das jedoch zuwider, denn die neue Apothekenbetriebsordnung, Arzneimittelpreisverordnung und Internetapotheken erschweren das Apothekerleben deutlich.
Viele Pharmazeuten möchten ihre Tätigkeit nach Abschluss eines naturwissenschaftlichen Studiums auch nicht auf Beratung und Verkauf begrenzen – es zieht sie in die Industrie, in andere Branchen und in andere Länder.
Gute Pharmazeuten werden auch in Zukunft gebraucht
Dennoch muss man sich wohl nicht sorgen um das Apothekenwesen, denn die meisten Studenten sehen ihre berufliche Zukunft immer noch in der Apotheke, zumal auch die Apotheke eine Zukunft hat. Sie ist und bleibt unverzichtbar im deutschen Gesundheitswesen. Damit sie auch künftig ihre Funktion voll erfüllen kann, sollte man die Ecken und Kanten der pharmazeutischen Ausbildung etwas abschleifen, das Studium entstauben und mit den Studierenden kollegial umgehen, denn aus guten, motivierten Studenten werden gute, motivierte Apotheker. Und die werden gebraucht, um Patienten zu beraten und zu schützen – vor Fehlentscheidungen, gefährlichen Medikamenten, unüberlegten Kombinationen und manchmal vielleicht sogar ein kleines bisschen vor sich selbst.
Quellen:
www.uni-muenchen.de/aktuelles/spotlight/2014_meldungen/power_point_wecker.html
0 Kommentare
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.