Arzneimittel und Therapie

Veränderter Fingerabdruck

Hand-Fuß-Syndrom: Aufklärung und Prophylaxe vor Beginn der Zytostatika-Therapie

Von Petra Jungmayr | Eine Nebenwirkung von bestimmten Zytostatika ist das Hand-Fuß-Syndrom. Dass es zu einer Veränderung der charakteristischen Linien an den Fingerkuppen und damit zu Problemen bei der Einreise in die USA führen kann, wurde aktuell in den Medien berichtet. Aber ein Hand-Fuß-Syndrom kann darüber hinaus die Lebensqualität der Betroffenen deutlich einschränken und Therapieunterbrechungen und Dosisreduktionen nach sich ziehen. Besonders wichtig ist daher die Prävention, insbesondere das Vermeiden von Mikrotraumen. Vor Therapiebeginn sollte eine Beratung erfolgen, deren Schwerpunkte auf der Hautpflege und vorbeugenden Maßnahmen liegen.

Unter dem erstmals 1974 beschriebenen Hand-Fuß-Syndrom (Synonyme: akrales Erythem, palmoplantare Dysästhesie oder palmoplantare Erythrodysästhesie, PPE) versteht man krankhafte Hautveränderungen an den Handinnenflächen und den Fußsohlen, die unter einer Chemotherapie auftreten. Diese zeigen sich als schmerzhafte Rötungen, Schwellungen, Missempfindungen, Taubheitsgefühl sowie Blasenbildung und Hautablösungen. Damit verbunden sind Druckempfindlichkeit und Missempfindungen, die der Betroffene als Kribbeln, Brennen, Prickeln und Schwellungsgefühl beschreibt. Die Schmerzen steigen mit der Ausprägung der Symptomatik. Starke Reibung oder Druck verschlechtern das Krankheitsbild. In schweren Fällen entwickeln sich Blasen und Ulzerationen, die unter Umständen eine Hospitalisierung erforderlich machen. Das Hand-Fuß-Syndrom wird nach den Kriterien des National Cancer Institutes in drei unterschiedliche Schweregrade (Common Toxicity Criteria) eingeteilt (siehe Tabelle 1). Die Einteilung der WHO legt zusätzlich histologische Kriterien zugrunde und unterscheidet vier Stufen.

Auslöser sind klassische Zytostatika und Tyrosinkinase-Inhibitoren

Das Hand-Fuß-Syndrom kann unter der Therapie mit klassischen Zytostatika sowie neuen zielgerichteten Substanzen (Multityrosinkinase-Inhibitoren, BRAF-Inhibitoren) auftreten. Auslöser sind etwa 5-Fluorouracil, Capecitabin, Cytosin, pegyliertes liposomales Doxorubicin, Sorafenib, Sunitinib, Taxane und Vemurafenib. Ausmaß und Häufigkeit hängen vom eingesetzten Wirkstoff sowie der Therapiedauer ab (s. Tabelle 2). Am bekanntesten und häufigsten sind Hautveränderungen unter einer Behandlung mit dem oralen Zytostatikum Capecitabin. Das klinische Bild des Hand-Fuß-Syndroms hängt von dem verwendeten Wirkstoff ab. Unter der Gabe von Tyrosinkinase-Inhibitoren finden sich mehr lokalisierte, palmoplantare Druckstellen und betont kallusartige Hyperkeratosen, unter der Therapie mit klassischen Zytostatika ist die Ausbreitung flächig, eventuell mit Beteiligung von Hand- und Fußrücken, und es kommt zu schmerzhaften Erythemen, Ödemen und Blasen. Unter Tyrosinkinase-Hemmern treten die Symptome in der zweiten bis vierten Therapiewoche (unter Sunitinib häufig später), unter klassischen Zytostatika nach ein bis 21 Tagen (unter einer niedrig dosierten Therapie auch nach Monaten) auf. In allen Fällen klingen die Symptome ein bis zwei Wochen nach Absetzen des auslösenden Agens ab.

Toxische Schädigung der Hautbarriere

Das klinische und histologische Erscheinungsbild eines Hand-Fuß-Syndroms weist auf eine toxische Schädigung der Hautbarriere hin. Die Pathophysiologie ist noch nicht in allen Einzelheiten bekannt. Derzeit werden mehrere Hypothesen diskutiert:

  • Schweiß-assoziierte Toxizität; durch die Ausscheidung des Zytostatikums über die Schweißdrüsen kommt es zu einer hohen Konzentration in schweißdrüsenreichen Arealen,

  • vaskuläre Mechanismen; durch Mikrotraumen der Kapillaren im Bereich mechanisch belasteter Bereiche tritt das schädigende Agens in das umgebende Gewebe aus,

  • Anreicherung schädigender Abbauprodukte; durch eine hohe Aktivität bestimmter Enzyme in den Keratinozyten können sich Abbauprodukte des schädigenden Agens in bestimmten Hautarealen anreichern.

Dosisreduktion und Intervallverlängerung

Tritt ein Hand-Fuß-Syndrom auf, sind häufig – abhängig vom Schweregrad – Dosisreduktionen, Intervallverlängerungen oder eine Unterbrechung der Behandlung erforderlich. So müssen bei mehr als der Hälfte aller Patienten, die mit Capecitabin behandelt werden, die Dosis reduziert oder die Therapiepausen verlängert werden. Auch das unter Sorafenib, Pazopanib und Sunitinib häufig auftretende Hand-Fuß-Syndrom kann eine Dosisreduktion und bei ausgeprägter Symptomatik eine Dosismodifikation für einen begrenzten Zeitraum erforderlich machen. Ein Rückgang der Beschwerden erfolgt in der Regel nach ein bis zwei Wochen nach Therapieabbruch, bei geringer Ausprägung innerhalb weniger Tage. Mit bleibenden Schäden ist nicht zu rechnen. Bei Dosisunterbrechung kann nach Abklingen der Symptomatik ein erneuter Therapieversuch, eventuell mit reduzierter Dosis, unternommen werden.

Therapie

Vor Beginn einer entsprechenden Chemotherapie sollten Hände und Füße der Patienten inspiziert und mögliche Pilzinfektionen, Ekzeme oder Hyperkeratinosen behandelt werden. Entwickelt sich im Verlauf einer Therapie ein Hand-Fuß-Syndrom, kommen mehrere Maßnahmen zum Tragen, deren Effektivität unterschiedlich bewertet wird. Die Empfehlungen beruhen mehrheitlich auf Fallserien oder kleineren Untersuchungen; Daten zu großen kontrollierten Studien fehlen.

Veränderte Papillarlinien

Dass unter Zytostatika als unerwünschte Nebenwirkung ein Hand-Fuß-Syndrom auftritt, ist bekannt. Doch über Veränderungen des Fingerabdrucks wurde bisher kaum berichtet, auch in den Fachinformationen finden sich dazu bislang keine Hinweise. Da aber im Zusammenhang mit biometrischen Sicherheitssystemen zur Autorisierung immer häufiger auch Fingerabdrücke genutzt werden, können durch den Verlust der charakteristischen Fingerlinien im Laufe einer Chemotherapie Probleme bei der Identifizierung oder bei der Einreise in die USA auftreten. Patienten sollten daher darüber informiert werden, dass bei Zytostatika, die ein Hand-Fuß-Syndrom auslösen können, Veränderungen oder gar ein Verschwinden der Fingerlinien möglich sind.

Zur Behandlung entzündlicher Veränderungen werden potente topische Glucocorticosteroide (wie etwa Mometason, Clobetasol), eventuell in Okklusivtechnik, aufgetragen. Bei Blasenbildung sind Umschläge mit Antiseptika (wie etwa mit Octenidin) hilfreich. Falls erforderlich, wird eine systemische Schmerztherapie durchgeführt. Bei Hyperkeratinosen werden Harnstoff- oder Salicylsäure-haltige Externa aufgetragen. Wobei beachtet werden sollte, dass Harnstoff-haltige Salben unter Tyrosinkinase-Inhibitoren meist ein erhebliches Brennen verursachen. Ferner finden sich Empfehlungen zur Applikation einer 10%igen Uridin-Salbe; systematisch erhobene Daten wurden hierzu allerdings nicht erhoben. In der Komplementärmedizin wird unter anderem Hanföl eingesetzt (siehe Kasten „Rezeptur“) sowie lauwarme Bäder mit abgekochtem Leinsamen empfohlen.

Rezeptur der „Hanf-Salbe nach Staehler“

Gute Erfahrungen in der Behandlung der dermatologischen Nebenwirkungen von Multikinase-Inhibitoren wurden mit einer Zubereitung aus Hanföl gemacht:

Hanföl 30,0 g

Wachs, gebleicht 4,0 g

Sheabutter 4,0 g

Emulsan II 10,0 g

Fluidlecithin CM 0,8 g

Dexpanthenol 0,8 g

Harnstoff 0,4 g

Aloe-vera-Gel 10-fach konz. 0,2 g

Lavendelöl 0,35 g

Kaliumsorbat 0,075 g

Zitronensäure 0,150 g

Wasser, gereinigtad 100 g

[Quelle: Dr. Jürgen Babl, Apotheke am Klinikum der Universität München]

Prävention

Die wichtigsten präventiven Maßnahmen umfassen das Vermeiden von Druck, Verletzungen und Reizungen (siehe Kasten „Hinweise für den Patienten“). Für die Wirksamkeit medikamentöser Interventionen liegen nur wenige Untersuchungen vor. Eine aktuelle Metaanalyse weist auf einen präventiven Effekt von Celecoxib hin (signifikante Reduktion der moderaten und schweren Ausprägung des Hand-Fuß-Syndroms). Die topische Applikation von Harnstoff- und Milchsäure-haltigen Externa zur Prävention eines Hand-Fuß-Syndroms unter der Einnahme von Capecitabin wurde in einer placebokontrollierten Studie mit 137 Patienten negativ beurteilt. Ebenfalls ohne nachweisbare Wirkung erwies sich die orale Gabe von Vitamin B6. In einer placebokontrollierten Studie mit 389 Probanden unter einer Capecitabin-Behandlung konnten weder präventive noch therapeutische Wirkungen festgestellt werden. Auch für eine als Medizinprodukt vertriebene Antioxidanzien-Salbe (enthält unter anderem Borretschöl, Ringelblumenblüten-Extrakt, Panthenol, Tocopherolacetat und Teeblätter-Extrakt) konnte bislang keine Wirksamkeit nachgewiesen werden. Ein Vergleich mit einer 10%igen Harnstoff-haltigen Creme zeigte im Hinblick auf die Prävention eines Hand-Fuß-Syndroms unter einer Therapie mit Capecitabin keinen Vorteil für das Medizinprodukt.

Hinweise für den Patienten

  • regelmäßig Handinnenflächen und Fußsohlen mit Olivenöl oder rückfettenden, unparfümierten und allergenfreien Salben eincremen
  • Verhornungen vor Therapiebeginn abtragen
  • Haut vor Verletzungen schützen, Reibungen verhindern
  • Belastung der Handflächen vermeiden
  • Tragen von lockerer Baumwollbekleidung und bequemen, gepolsterten Schuhen
  • Kontakt mit Haushaltsreinigern, Spülmitteln etc. vermeiden
  • Hitze, übermäßige körperliche Anstrengung und längeren Kontakt mit heißem Wasser vermeiden
  • lauwarme Hand- und Fußbäder durchführen
  • Auftragen von kühlen und nassen Umschlägen
  • regelmäßige Entfernung von Schweiß mit lauwarmem Wasser
  • keine Sauna- oder Dampfbadbesuche
  • keine Sonnenbäder, Sonnenschutz beachten
  • auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten
  • Infektionen vermeiden (Verwenden von Einmalwaschlappen, häufiger Wechsel der Handtücher)
  • bei Veränderungen der Haut den behandelnden Arzt informieren


Literatur

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Autorin

Dr. Petra Jungmayr ist Apothekerin und schreibt regelmäßig Beiträge für die DAZ.

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