Arzneimittel und Therapie

Wer, wann, wogegen, womit?

Impfungen bei onkologischen Patienten besonders wichtig

Die Immunabwehr hämatologischer und onkologischer Patienten ist aufgrund ihrer malignen Erkrankung und einer chemo- oder radiotherapeutischen Behandlung häufig eingeschränkt, was eine erhöhte Infektanfälligkeit nach sich zieht. Präventive Impfungen nehmen daher einen besonderen Stellenwert ein. Allerdings kann nicht jeder Patient zu jedem Zeitpunkt mit jeder Vakzine geimpft werden. Hinweise geben die Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission STIKO und Leitlinien onkologischer Fachgesellschaften.

Es gibt keine allgemein gültige Empfehlung, wann und ob eine präventive Impfung eines onkologischen Patienten durchgeführt werden soll. Nach Möglichkeit sollte aber bei allen Betroffenen so früh wie möglich ein maximaler Impfschutz angestrebt werden. Dies gilt auch für Angehörige der Patienten, um Ansteckungen durch nahe Kontaktpersonen zu vermeiden. Die alte Empfehlung, zwischen Therapie und Impfung eine Wartezeit von zwei Jahren einzuhalten, wird heute nicht mehr ausgesprochen.

Generell sind die zugelassenen Impfstoffe bei onkologischen Patienten mit nicht eingeschränkter Immunfunktion sicher und zeigen den gleichen Nutzen wie bei Gesunden. Bei starker Immunsuppression kann es zu einer eingeschränkten oder fehlenden Impfantwort kommen. Die Entscheidung, ob geimpft werden kann, hängt auch von der Art der Vakzine ab.

Totimpfstoffe

Die Applikation von Totimpfstoffen gilt als unbedenklich, die spezifische Immunantwort ist aber unsicher und hängt von der individuellen Immunsuppression ab. Die Impfungen können grundsätzlich entsprechend den Empfehlungen der STIKO durchgeführt werden. Wenn möglich, sollte erst drei Monate nach Abschluss der Chemotherapie geimpft werden. Gegebenenfalls ist eine serologische Kontrolle der Impfantikörper zu empfehlen.

Lebendimpfstoffe

Ältere Empfehlungen sprechen sich grundsätzlich gegen eine Impfung mit Lebendimpfstoffen während der Chemotherapie aus und raten frühestens sechs bis zwölf Monate nach Therapieende zu einer Impfung. Neueren Angaben zufolge gilt die Gabe von Lebendimpfstoffen nicht mehr generell als kontraindiziert. Die Indikation sollte jedoch nur in Kenntnis der immunologischen Reserven des immundefizienten Patienten gestellt werden und erfordert eine genaue Nutzen-Risiko-Abwägung.

Ausmaß der Immunsuppression beachten

Ob eine Impfung bereits während der Tumorbehandlung möglich ist, hängt von mehreren Parametern ab und muss mit den behandelnden Ärzten geklärt werden. Ein Ausbleiben der Immunreaktion ist in der Regel nicht zu erwarten. Unklar ist allerdings noch, welche Auswirkungen eine immunologische Tumortherapie auf den Impferfolg haben kann. Was einzelne Impfungen und Impfzeiten anbelangt, so können keine allgemeingültigen Empfehlungen ausgesprochen werden. Neben dem Allgemeinzustand des Patienten und dem Ausmaß seiner Immundefizienz sind der bestehende Impfschutz, das Alter des Patienten sowie die Art der onkologischen Therapie zu berücksichtigen. So liegen beispielsweise für Impfungen pädiatrischer Patienten, für Impfungen im Zusammenhang mit einer Stammzelltransplantation oder nach einer Milzentfernung gesonderte Empfehlungen vor. Im Folgenden werden einige Empfehlungen der onkologisch-hämatologischen Fachgesellschaft DGHO (Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie) sowie der STIKO zusammengefasst.

  • d(D)TPa/IPV/Hepatitis B: Eine Impfung gegen Diphtherie, Tetanus, Keuchhusten, Polio und Hepatitis B kann durchgeführt werden. Die Hepatitis-B-Impfung reduziert das Risiko, ein hepatozelluläres Karzinom zu entwickeln.
  • Hib: Eine Impfung mit dem Konjugat-Impfstoff gegen Haemophilus influenzae Typ b wird bei Patienten mit Morbus Hodgkin und Kindern mit Leukämie empfohlen, (wenn möglich zehn bis 14 Tage vor Therapiebeginn, bzw. > drei Monate nach Beendigung der Therapie), da Kinder mit Leukämie ein sechsfach erhöhtes Risiko aufweisen, an einer Infektion mit Haemophilus influenzae zu erkranken.
  • Pneumokokken und Meningokokken: Eine Impfung gegen Pneumokokken wird bei Vorliegen einer Leukämie oder eines Morbus Hodgkin empfohlen, insbesondere im Zusammenhang mit einer operativen Entfernung der Milz. Dasselbe gilt für eine Impfung gegen Meningokokken.
  • MMR: Die Impfung mit dem Lebendimpfstoff gegen Masern, Mumps und Röteln ist unter einer Chemotherapie oder Immunsuppression kontraindiziert. So sind beispielsweise Todesfälle bei Kindern mit akuter lymphatischer Leukämie infolge einer Masern-Impfung bekannt. Nach Abschluss der vollständigen onkologischen Therapie – einschließlich Dauertherapie und Bestrahlung – ist eine Impfung bei Patienten in mindestens einjähriger Remission und bei normaler Lymphozytenzahl möglich. Alle Kontaktpersonen im Haushalt sollten geimpft sein bzw. geimpft werden.
  • VZV: Auch die Impfung mit dem Lebendimpfstoff gegen das Varizella-Zoster-Virus wird erst nach Abschluss der onkologischen Therapie und Vorliegen einer Remission empfohlen.

Grippeschutzimpfung empfohlen

Bei Tumorpatienten ist das Risiko für einen schweren oder tödlichen Verlauf einer Infektion mit Influenzaviren erhöht. Die Ständige Impfkommission STIKO empfiehlt ihnen daher eine Grippeschutzimpfung. Allerdings kann eine chemo- oder radiotherapeutisch induzierte Immunsuppression eine eingeschränkte oder fehlende Immunantwort nach sich ziehen. Maßgeblich für eine ausreichende Immunantwort nach einer Impfung ist mehreren Studien zufolge der Zeitpunkt der Impfung im zeitlichen Bezug zur Chemotherapie. Einige Studien lassen darauf schließen, dass die Influenza-Impfung eine stärkere Immunantwort bewirkt, wenn die Impfung zwischen zwei Chemotherapiezyklen und nicht während eines Zyklus erfolgt. Einheitliche Vorgaben zum optimalen Impfzeitpunkt während einer onkologischen Behandlung existieren indes nicht. Es finden sich Empfehlungen, Krebspatienten mindestens zwei Wochen vor Beginn einer Chemotherapie oder zwischen zwei Chemotherapiezyklen zu impfen. Die STIKO rät, eine Grippeschutzimpfung – wenn möglich – erst drei Monate nach einer Chemotherapie durchzuführen. Die DGHO empfiehlt für Patienten nach Hochdosistherapie und autologer Stammzelltransplantation eine saisonale Influenza-Impfung, ohne auf einen näheren Zeitpunkt der Impfung einzugehen.

Reiseimpfungen – Expositionsprophylaxe im Vordergrund

Zur Wirksamkeit von Reiseimpfungen bei Immundefizienz liegen wenige Daten vor; im Vordergrund steht die Expositionsprophylaxe. Impfungen gegen FSME und Hepatitis A scheinen unbedenklich zu sein, da es sich um Totimpfstoffe handelt. Bei einer Impfung gegen Typhus sollte der parenterale Totimpfstoff eingesetzt werden, die orale Lebendvakzine gilt als kontraindiziert. Ebenfalls kontraindiziert ist die Impfung gegen Gelbfieber, da es sich um eine hoch immunogene Lebendvakzine handelt. Für die Impfung gegen Cholera wird keine Empfehlung ausgesprochen.

Impfungen bei Milzentfernung

Bei einigen Krebserkrankungen wie etwa bei Leukämien und Lymphomen oder Tumoren des Bauchraums, die in die Milz oder in Milzgefäße einwachsen, muss gelegentlich die Milz entfernt werden. In der Folge besteht ein höheres Risiko für schwere Krankheitsverläufe bei Infektionen mit Pneumokokken, Meningokokken und Haemophilus influenzae.

Die empfohlenen Impfungen sind bei Kindern über sechs Jahre, Jugendlichen und Erwachsenen identisch. Bei einem planbaren Eingriff sollte drei Wochen (spätestens zwei Wochen, im Bedarfsfall bis zu drei Tage vor der Operation) vor der Entfernung der Milz geimpft werden. Falls erst nach Milzentfernung geimpft werden kann, können die Impfungen erfolgen, sobald der Patient in einem stabilen Allgemeinzustand ist. Für bestimmte Situationen z.B. bei einer aktuell durchgeführten Chemotherapie, nach Rituximab-Behandlung oder im Fall einer hoch dosierten Therapie mit Corticosteroiden liegen gesonderte Empfehlungen vor.

Es wird zu folgenden Impfungen geraten (siehe Tabelle):

  • Pneumokokken-Impfung
  • Haemophilus-influenzae-Impfung
  • Meningokokken-Impfung
  • Influenza-Impfung; die jährliche Impfung gegen Influenza im Herbst wird empfohlen, weil eine Influenza-Infektion das Risiko einer bakteriellen Sekundärinfektion, insbesondere mit Pneumokokken, erhöht. Die Impfung kann – unter Beachtung der Altersgrenzen der Zulassung – mit allen für die jeweilige Saison zugelassenen Impfstoffen erfolgen. 

Quelle

Kunisaki KM, Janoff EN. Influenza in immunosuppressed populations: a review of infection frequency, morbidity, mortality, and vaccine responses. Lancet Infect Dis 2009;9(8):493-504

Shehata MA et al. Influenza vaccination in cancer patients undergoing systemic therapy. Clin Med Insights Oncol. 2014;8:57-64

Ritter J. Der schwierige Schutz für die Schwächsten. Pädiatrie hautnah 2010;2:118-123

Ritter J. Antivirale Impfung unter Immunsuppression. Im Focus Onkologie 2011;14(9):49

www.asplenie-net.org

Leitlinie: Prävention von Infektionen und Thrombosen nach Splenektomie oder funktioneller Asplenie, Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. (DGHO), Stand: Januar 2013, https://www.dgho-onkopedia.de/de/onkopedia/leitlinien/praevention-von-infektionen-und-thrombosen-nach

Leitlinie: Infektiöse Komplikationen nach Hochdosistherapie und autologer Stammzelltransplantation. Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e.V. (DGHO), Stand: Januar 2012, https://www.dgho-onkopedia.de/de/onkopedia/leitlinien/infektioese-komplikationen-nach-hochdosistherapie

Impfungen bei Gesundheitsschädigung: Häufig gestellte Fragen und Antworten, Robert Koch-Institut, www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/AllgFr_ImpfGesundheitsschaden/faq_impfen_ImpfGesundheitsschaden_ges.html#f2407556

Saisonale Influenzaimpfung: Häufig gestellte Fragen und Antworten, Robert Koch-Institut, Stand: 2. September 2014, www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/Influenza/faq_ges.html#f2464220

Mitteilung der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut: Hinweise zu Impfungen für Patienten mit Immundefizienz, Stand: November 2005, Epidemiologisches Bulletin des Robert Koch-Instituts, Sonderdruck 10. November 2005; www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2005/Sonderausgaben/Sonderdruck_STlKO-Hinweise_Nov-2005.pdf?__blob=publicationFile

 

Autorin

Apothekerin Dr. Petra Jungmayr ist Fachapothekerin für Offizinpharmazie und Onkologische Pharmazie.

Sie schreibt seit 1988 regelmäßig Beiträge für die DAZ.

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