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Expertenwissen im Informationszeitalter
Ein Gastkommentar von G. Schulze
Die Fähigkeit, gut und klar zu sprechen, ist eine Kernkompetenz des 21. Jahrhunderts, aber sie wird nur von wenigen beherrscht. Erst langsam wird sich die Gesellschaft an diese Herkulesaufgabe herantasten müssen. Die Zunahme von Komplexität und ein vernetzter, auf Transparenz und Beteiligung setzender öffentlicher Raum machen das notwendig. Beides fordert dem Einzelnen immer mehr an Kommunikationsfähigkeit ab.
Apotheker sind von dieser Entwicklung in ganz besonderer Weise betroffen. Hier gilt es täglich, sozusagen over the counter, hochkomplexes Wissen an jene zu vermitteln, die sich fachlich nicht so gut auskennen, die aber trotzdem zu Wort kommen wollen und auch müssen. Ohne Mithilfe und innere Zustimmung der Betroffenen ist der Erfolg jedweder Arzneimitteltherapie infrage gestellt, das gilt heute mehr denn je.
Nach wie vor wird kommunikative Kompetenz im Pharmaziestudium nicht vermittelt. Apotheker müssen deshalb die Lücken ihrer Ausbildung durch Berufserfahrung füllen. Gute Ratschläge, wie man das eigentlich machen soll und was eine gute Kommunikation ausmacht, sind Mangelware, und je schlichter solche Ratschläge sind, desto mehr gerät das Wesentliche aus dem Blick: die schwierige und zeitaufwendige Kommunikation zwischen Experten und Laien in der fortgeschrittenen Wissensgesellschaft, in der der ehrfürchtig zu den Experten aufschauende Patient von gestern ist.
Apotheker sind mit ihrem Wissen den Laien überlegen, trotzdem gibt es immer mehr Kunden, die munitioniert mit oft fragwürdigen Informationen in die Apotheke kommen. Noch ist es in der arbeitsteiligen Gesellschaft selbstverständlich, professionelle Überlegenheit anzuerkennen und sich eines Besseren belehren zu lassen, aber die Kunden sind skeptischer geworden. Sie sind aktiv und oft verzweifelt Suchende, die durchaus wissen, dass sie vieles nicht wissen. Oft wollen sie einfache Antworten, und genauso oft müssen sie lernen, dass es einfache Antworten nicht gibt, es sei denn, der Experte täuscht dies vor.
Zu den Erfahrungen der Kunden gehören auch die Widersprüche zwischen den verschiedenen zurate gezogenen Experten, etwa Ärzte, Journalisten, Blogger oder Wissenschaftler in Printmedien, Fernsehen, Radio und Internet. Auch Apotheker reden keineswegs unisono.
Kunden, die sich auf eigene Faust mit medizinischen und pharmazeutischen Fragen beschäftigen, kommen schnell dahinter, dass auch Experten vielen offenen Fragen und Ungewissheiten gegenüberstehen. Es ist ein Imperativ des heilberuflichen Ethos, im Gespräch mit Kunden diese Ungewissheit ehrlich darzustellen und nicht etwa zu kaschieren.
Oft kehren sich die Rollen von Fragensteller und Antwortgeber vorübergehend um, auch das gehört dazu. Themen kommen auf, über die auch professionelle Experten erst einmal nichts wissen können. Bei allen den Kunden betreffenden Inhalten, etwa Vorgeschichte, tägliche Lebenspraxis, somatische Vorstellungen oder die Darstellung des eigenen Verständnishorizonts, ist er selbst Experte mit Anspruch auf Gehör. Hier besteht durchaus Augenhöhe und nicht etwa eine Hierarchie.
Der vorinformierte Kunde verdient Respekt für seine Selbstverantwortung. Sein in der Regel zerklüfteter und unvollständiger, oft von weltanschaulich motivierten Voreinstellungen geprägter Informationshintergrund ist kein strategisch zu bekämpfender, ärgerlicher Tatbestand, sondern lediglich ein Spiegel der Wissensgesellschaft, in der, wie oben gesagt, die Herkulesaufgabe gelingender Kommunikation erst noch bewältigt werden muss.
Das Gespräch über Gesundheitsthemen zwischen Fachmann und Laien ist komplexer und zugleich lohnender geworden, auch und sogar dann, wenn das in der Apotheke oft unbefangen vorgetragene Vorwissen falsch sein sollte. Wer jedoch trotzdem hinhört und dann aus eigener Überzeugung berät, kann das Wissen des Kunden verbessern. Ein heimliches oder auch offen zur Schau getragenes Überlegenheitsapriori dagegen ist kein anschlussfähiges Modell mehr. Ein halbwegs intelligenter Kunde braucht gerade mal eine Minute, um eine solche Haltung zu durchschauen.
Was aber dann? Der Philosoph Sören Kierkegaard hat einmal über den Lehrer geschrieben, „dass dieser nicht sagt: so und so ist das, und auch keine Lektion aufgibt, vielmehr macht den Lehrer aus, dass er lernen kann und will.“ Der Schüler lernt vom Lehrer, aber der Lehrer auch vom Schüler. Gute Kommunikation ist eine Win-Win-Situation, voller Widersprüche und Überraschungen wie das Leben selbst.
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