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Prisma
Millionen Nachkommen
Was das Y-Chromosom über die Abstammung verrät
Im Jahr 2001 veröffentlichte der britische Genetiker Brian Sykes sein spannend geschriebenes Buch „Die sieben Töchter Evas“ über die Urmütter der Europäer. Dabei diente ihm die DNA der Mitochondrien, die ausschließlich von den Müttern an die Kinder vererbt wird, als genetische Spur. Das männliche Pendant der Mitochondrien-DNA, also eine genetische Komponente, die nur von Vätern an ihre männlichen Nachkommen weitergegeben wird, ist das Y-Chromosom. Es ist in einer männlichen Abstammungslinie im Wesentlichen identisch; mögliche kleine Unterschiede in den Mikrosatelliten (nicht-kodierenden DNA-Sequenzen) beruhen auf Mutationen, die mit einer statistischen Wahrscheinlichkeit bei jeder neuen Generation auftreten können. Die Analyse der Y-Chromosomen von zwei Männern kann demnach nachweisen, ob sie derselben Abstammungslinie angehören und – falls dies der Fall ist – wann ihr jüngster gemeinsame Vorfahre (most recent common ancestor, MRCA) vermutlich gelebt hat.
Bereits 2003 hatten Analysen des Y‑Chromosoms bei 16 Populationen Asiens ergeben, dass acht Prozent der Männer derselben Linie angehörten und dass ihr MRCA wahrscheinlich erst vor 1000 Jahren in der Mongolei lebte. Sicher zählte Dschingis Khan (gest. 1227), dessen sterbliche Überreste nie gefunden wurden, zu dieser Linie, und ebenso sicher hat er wesentlich zu deren Ausbreitung beigetragen. 2005 führte eine ähnliche Analyse zu der Schätzung, dass 1,5 Millionen männliche Zeitgenossen in direkter Linie (also nicht über weibliche Nachkommen) von Giocangga (gest. 1582), einem Ahn der Mandschu-Dynastie Chinas, abstammen.
Aktuell untersuchte ein Team um Mark Jobling in Leicester die Y-Chromosomen von 5321 Männern in 127 Populationen Asiens und identifizierte neben den beiden bekannten Abstammungslinien neun neue, deren jeweilige MRCA zwischen 2100 v. Chr. und 1100 n. Chr lebten. Dabei fiel auf, dass die Linien mit einem nördlichen Schwerpunkt einen jungen MRCA hatten, was offensichtlich mit der Wirtschaftsform zusammenhängt: Reitende Viehzüchter hatten mehr Gelegenheiten, sich großräumig fortzupflanzen, als sesshafte Reisbauern oder in einem überschaubaren Areal schweifende Jäger und Sammler. Zudem dürften sie auf Kriegszügen andere Linien schlicht ausgerottet und die Lücken durch ihre eigene Nachkommenschaft gefüllt haben. |
Quelle: Balaresque P, et al. Y-chromosome descent clusters and male differential reproductive success: young lineage expansions dominate Asian pastoral nomadic populations. Eur J Hum Genet; Epub 14.01.2015
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