Aus den Ländern

Frühe Nutzenbewertung als Forschungsgegenstand

Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gesundheitsökonomie

BIELEFELD (tmb) | Über 400 Teilnehmer besuchten die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für ­Gesundheitsökonomie (DGGÖ) am 16. und 17. März in Bielefeld. Neben dem zentralen Veranstaltungsthema „Gesundheit in den Regionen – zwischen Versorgungsanspruch und Kostenverteilung“ ging es in etwa 200 Einzelbeiträgen um das ganze Spektrum der gesundheitsökonomischen Forschung. Einen ­bemerkenswerten Schwerpunkt ­bildete die frühe Nutzenbewertung neuer Arzneimittel.
Fotos: DAZ/tmb

Prof. Dr. Wolfgang Greiner, Bielefeld, Vorsitzender der DGGÖ und Tagungspräsident

„Die Gesundheitsökonomie ist klar im Aufwind“, konstatierte Prof. Dr. Reiner Leidl, München, dessen Amtszeit als DGGÖ-Vorsitzender mit dieser Tagung satzungsgemäß endete, in seiner Begrüßungsansprache. Die Gesundheitsökonomie entwickle sich immer stärker, und auch die Versorgungsforschung werde wesentlich ausgebaut, so Leidl. Mit der Tagung übernahm Prof. Dr. Wolfgang Greiner, Bielefeld, den Vorsitz der DGGÖ, die 854 Mit­glieder zählt.

Während der Tagung erhielten Prof. Dr. Tomaso Duso, Dr. Annika Herr und Moritz Suppliet den mit 5000 Euro dotierten Wissenschaftspreis der DGGÖ. Die Preisträger wenden am Institut für Wettbewerbsökonomie der Universität Düsseldorf neue Methoden der Industrieökonomik auf den internationalen Parallelhandel mit Arzneimitteln an.

Prof. Dr. Leonie Sundmacher, München

Regionale Versorgung

Der regionale Bedarf für die ambulante ärztliche Versorgung in Deutschland ist nach Einschätzung von Prof. Dr. Leo­nie Sundmacher, München, nicht genau messbar. Es könne nur ein latenter Bedarf approximiert werden, was unabhängig von der Leistungsdichte und nicht getrieben von der Inanspruchnahme erfolgen solle. Sie empfahl, einen Index aus mehreren Größen zu bilden, in den auch vermeidbare Sterbefälle und vermeidbare Krankenhausaufenthalte eingehen könnten.

Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer GEK, bedauerte, dass regionale Strukturen so betont werden, denn überall liegen dieselben medizinischen Standards zugrunde. Für Projekte des Versorgungsmanagements müsse stets klar sein, was besser werden soll, ob dies klinisch relevant sei und wie die Betroffenen zielgenau erreicht werden.

Dr. Christoph Straub, Vorstands­vorsitzender der Barmer GEK.

Nutzenbewertung im Detail

Die Entscheidungen des IQWiG und des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur frühen Nutzenbewertung sind zu einem Forschungsgebiet der Gesundheitsökonomie in Deutschland geworden. Lutz Vollmer, Kiel, stellte fest, dass der G-BA in knapp 30 Prozent seiner Entscheidungen von der Bewertung des IQWiG abweicht und dabei auf neue Daten, Argumente aus der mündlichen Anhörung oder Stellungnahmen von Fachgesellschaften eingeht.

Dr. Thomas Ecker, Hamburg, erinnerte an die rechtlichen Grundlagen für die Befristung von Beschlüssen: fehlende Daten zu patientenrelevanten Endpunkten, ausstehender Beleg des Zusatznutzens und die Möglichkeit, fehlende Daten später generieren zu können. Nach seiner Untersuchung seien jedoch nur bei vier von 22 Befristungen alle drei Kriterien erfüllt gewesen, und nur in sechs Fällen habe der G-BA präzisiert, welche Daten nachgereicht werden sollten.

Dr. Katharina Fischer, Hamburg, untersuchte die verbreitete Kritik, Arzneimittel ohne Zusatznutzen würden ­dessen ungeachtet von vielen Ärzten verordnet. Sie zeigte jedoch, dass solche Produkte von den Ärzten später in die Verordnungspraxis übernommen und seltener verordnet werden als gut bewertete neue Arzneimittel.

Lebensqualität in der ­Nutzenbewertung

David Lohrberg und Dr. Christine Blome, Hamburg, werteten die Rolle der Lebensqualität bei der frühen Nutzenbewertung aus. In den ersten 66 Verfahren sei die Lebensqualität nur zweimal tragender Grund für die Entscheidung gewesen, aber sie werde vielfach zur Einordnung weiterer Aspekte ­herangezogen. Die Lebensqualität habe sogar das Potenzial, künftig eine Schlüsselfunktion bei der Bewertung einzunehmen. Das IQWiG akzeptiere Daten zur Lebensqualität, wenn das eingesetzte Messverfahren über die Darstellung von Symptomen hinausgeht sowie möglichst spezifisch für die Diagnose erstellt und validiert ist.

Dr. Andrej Rasch, Verband forschender Arzneimittelhersteller, betonte, dass in 57 Prozent von 70 Verfahren jeweils mindestens ein Bewertungsinstrument zur Lebensqualität akzeptiert worden sei. Bei 20 Prozent der Verfahren seien solche Instrumente nicht akzeptiert worden, und in weiteren 20 Prozent der Dossiers sei die Lebensqualität nicht erfasst worden. Er betrachtete es als problematisch, wenn Studien ausgeschlossen werden und die eingereichte Evidenz damit nicht einfließen kann. Bei etwa einem Viertel der Fälle sei die Rücklaufquote von Fragebögen ein kritischer Aspekt gewesen. Rasch kritisierte, dass das IQWiG manche Vorgehensweisen, insbesondere im Umgang mit dem verbreiteten Lebensqualitätsfragebogen EQ-5D, in verschiedenen Verfahren unterschiedlich bewerte.

Internationale Preisreferenzierung

Dr. Stefan Walzer, Weil am Rhein, ­beschrieb die vielfältigen Formen der international bezugnehmenden Preissetzung. So führe eine massive Preissenkung in Deutschland in einigen Ländern wie Frankreich, Russland und Luxemburg zu einem Preisrückgang im gleichen Maße, aber in weiteren Ländern in geringerem Maße. Andererseits ziehe eine erhebliche Preiserhöhung in Deutschland nur in wenigen Ländern einen eher geringen Preis­anstieg nach sich. |

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