Dekubitus

Prophylaxe des Dekubitus

Wie kann man pflegende Angehörige beraten?

Von Angelika Langer und Markus Zieglmeier | Wenn Angehörige einen bettlägerigen Patienten pflegen, haben sie oft einen Beratungsbedarf, der weit über die Mittel zur Hautpflege hinausgeht. Dekubitusprophylaxe ist ein anspruchsvolles Gebiet der Pflegewissenschaften, das mittlerweile durch umfangreiche Leitlinien geregelt ist. Die richtige Beratung pflegender Angehöriger ist anspruchsvoll und erfordert auch eine interdisziplinäre Zusammenarbeit.

Die gemeinsame Leitlinie des National Pressure Ulcer Advisory Panel (NPUAP) in den USA und des EPUAP in Europa gibt folgende Definition von Dekubitus: „Ein Dekubitus ist eine lokal begrenzte Schädigung der Haut und/oder des darunter liegenden Gewebes, in der Regel über knöchernen Vorsprüngen, infolge von Druck oder von Druck in Kombination mit Scherkräften.“ [1]

Außerdem gibt es experimentelle und empirische Befunde, die nachweisen, dass mechanische Reize wie Reibung, Scherkräfte oder Nässe zur Schädigung oberflächlicher Hautschichten führen, die einem Dekubitus der Kategorie 2 entsprechen.

Scherkraft: Eine parallel zur Oberfläche einwirkende Kraft (Zug oder Schub) verschiebt die oberen Hautschichten (Cutis) gegenüber der Unterhaut (Subcutis). Dauerhaft einwirkende Scherkräfte ziehen insbesondere im Bindegewebe die Kapillaren in die Länge, beeinträch­tigen die Durchblutung und schädigen das Gewebe.

Wer hat ein Dekubitusrisiko?

Das Dekubitusrisiko wird vom Pflegepersonal meist anhand der Braden-Skala eingeschätzt (nach Barbara Braden [2]). Besonders gefährdet sind Personen mit eingeschränkter Aktivität und Mobilität.

Einschränkungen der Aktivität liegen vor, wenn jemand komplett bettlägerig und unfähig ist, aufzustehen und zu gehen. Querschnittsgelähmte, die ihre Arme noch einsetzen können, lernen meist in spezialisierten Kliniken (z. B. Unfall­kliniken), ihr Dekubitusrisiko durch gelegentliches Hochstemmen im Rollstuhl zu verringern. Trotzdem sieht man in denselben Kliniken viele Patienten in Bauchlage, bei denen ein Dekubitus gerade abheilt.

Einschränkungen der Mobilität liegen bei Hemi-, Para- oder Tetraplegie vor. Die betroffenen Patienten sind unfähig zu selbstständigen kleinen Positionsveränderungen (Mikro­bewegungen) im Liegen oder Sitzen.

Weitere Faktoren, die das Wundliegen begünstigen, sind:

Gefäß- und Kreislauferkrankungen, die zur Mangeldurchblutung führen.

Extrem feuchte Hautverhältnisse, z. B. durch Einnässen oder Schwitzen: Die Feuchtigkeit ist ein guter Nährboden für Bakterien, die bei vorgeschädigter Haut Infektionen verursachen.

Unzureichende Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr (z. B. Eiweiß-, Vitaminmangel), aber auch Adipositas.

Dekubitus-Klassifizierung nach der internationalen Leitlinie des NPUAP und EPUAP [1]

Kategorie 1: Nicht wegdrückbare Rötung

Nicht wegdrückbare, umschriebene Rötung bei intakter Haut, gewöhnlich über einem knöchernen Vorsprung. Bei dunkel pigmentierter Haut ist ein Verblassen möglicherweise nicht sichtbar, die Farbe kann sich aber von der umgebenden Haut unterscheiden. Der Bereich kann schmerzempfindlich, verhärtet, weich, wärmer oder kälter sein als das umgebende Gewebe. Diese Symptome können auf eine (Dekubitus-) Gefährdung hinweisen.

Kategorie 2: Teilverlust der Haut

Teilzerstörung der Haut (bis zur Dermis), die als flaches offenes Ulkus mit einem rot bis rosafarbenen Wundbett ohne Beläge in Erscheinung tritt. Kann sich auch als intakte oder offene/rupturierte, serumgefüllte Blase darstellen. Manifestiert sich als glänzendes oder trockenes, flaches Ulkus ohne nekrotisches Gewebe oder Bluterguss. (Blutergüsse weisen auf eine tiefe Gewebsschädigung hin.)

Achtung! Diese Kategorie sollte nicht benutzt werden um Blasen, Verbands- oder pflasterbedingte Hautschädigungen, feuchtigkeitsbedingte Läsionen, Mazerationen oder Abschürfungen zu beschreiben.

Kategorie 3: Verlust der Haut

Zerstörung aller Hautschichten. Subkutanes Fett kann sichtbar sein, jedoch keine Knochen, Muskeln oder Sehnen. Es kann ein Belag vorliegen, der jedoch nicht die Tiefe der Gewebsschädigung verschleiert. Es können Tunnel oder Unterminierungen vorliegen. Die Tiefe des Dekubitus variiert je nach anatomischer Lokalisation. Der Nasenrücken, das Ohr, der Hinterkopf und das Gehörknöchelchen haben kein subkutanes Gewebe, daher können die Wunden dort sehr oberflächlich sein. Im Gegensatz dazu können an besonders adipösen Körperstellen extrem tiefe Wunden auftreten. Knochen und Sehnen sind nicht sichtbar oder tastbar.

Kategorie 4: vollständiger Haut- oder Gewebsverlust

Totaler Gewebsverlust mit freiliegenden Knochen, Sehnen oder Muskeln. Belag und Schorf können vorliegen. Tunnel oder Unterminierungen liegen oft vor. Die Tiefe des Dekubitus hängt von der anatomischen Lokalisation ab (s. Kategorie 3). Die Wunden können sich in Muskel oder unterstützende Strukturen ausbreiten (Faszien, Sehnen oder Gelenkkapseln) und können dabei leicht eine Osteomyelitis oder Ostitis verursachen. Knochen und Sehnen sind sichtbar oder tastbar.

Kategorie 3 oder 4

Eine eindeutige Klassifizierung kann problematisch sein, wenn die tatsächliche Tiefe der Wunde aus folgenden Gründen unbekannt ist:

Ein Belag (gelb, dunkelgelb, grau, grün oder braun) und Schorf (dunkelgelb, braun oder schwarz) verdecken die Wunde.

Die Haut ist noch intakt, aber aufgrund der Verletzungen des darunter liegenden Weichteilgewebes violett oder rötlichbraun verfärbt.

Körperstellen mit einem besonders großen Risiko für die Entstehung eines Dekubitus.

Dekubitusprophylaxe

Um bei einem dekubitusgefährdeten Patienten die Entstehung eines Druckgeschwürs zu verhindern, bedarf es einer Vielzahl von Maßnahmen:

Druckentlastung und Druckveränderung: Die beste Prophylaxe ist die Druckentlastung oder Druckverteilung durch regelmäßige körperliche Bewegung und/oder durch Freilagerung gefährdeter Körperstellen. Die Häufigkeit des Bewegens oder Lagerns hängt von individuellen Faktoren ab. Bei manchen Menschen entsteht schon innerhalb von zwei Stunden eine Hautrötung, andere können ohne Gefahr bis zu vier Stunden auf einer Stelle liegen.

Lagerung: Empfehlenswert ist eine schräge 30°-Seitenlage rechts und links im Wechsel mit der Rückenlage. In der 30°-Position liegen kaum Knochen auf, sondern überwiegend die Weichteile am Rücken. Eine Schräglage des Oberkörpers von über 30° oder eine 90°-Seitenlage erhöhen den Druck auf besonders dekubitusgefährdete Körperstellen. Eine nicht wegdrückbare Rötung an Körperstellen mit Knochenvorsprüngen zeigt an, dass diese sich noch nicht von der vorhergehenden Druckeinwirkung erholt haben und weiter geschont werden müssen. Damit pflegende Angehörige diese Lagerungstechniken verstehen und korrekt umsetzen, ist ihre Schulung durch examiniertes Pflegepersonal unbedingt empfehlenswert. Sie sollten also einen Teil der Ver­sicherungszahlungen darin investieren.

Wechsellagerung: Matratzen haben einen Einfluss auf die Druckverteilung. Bei einer Standardmatratze findet keine Druckverteilung statt, sodass die Umlagerung häufiger erfolgen muss als bei einer viskoelastischen Matratze (s. u.). Personen mit einem hohen Dekubitusrisiko, bei denen eine manuelle Umlagerung nicht möglich ist, sollten auf einer energetischen Wechseldruckmatratze liegen. Auch hier sollten die Angehörigen nicht vor den notwendigen Investitionen zurückschrecken und darüber hinaus klären, was ihre Krankenkasse im Fall einer ärztlichen Verordnung erstatten würde.

Mikrolagerung: Schon kleinste Positionsveränderungen bewirken eine Druckreduzierung oder andere Druckverteilung. Dazu dienen gefaltete Handtücher oder flache Kissen, die man wechselnd unter die aufliegenden Körperstellen legt.

Druckentlastung bei sitzenden gefährdeten Personen: Beim Sitzen in einem Stuhl ist der Druck des Körpergewichts über den Sitzbeinhöckern am größten. Ohne Druckverteilung entwickelt sich dort sehr schnell ein Dekubitus. Hilfreich ist ein Sitzkissen, das eine Druckverteilung auf die gesamte Sitz­fläche gewährleistet. Die gefährdete Person sollte sich außer­dem auf die Armlehnen stützen und die Füße auf den Boden oder eine Fußstütze stellen. Wenn die Füße frei in der Luft hängen, rutscht der Körper im Sessel nach hinten. Statt­dessen sollten das Becken leicht nach vorne gebeugt und die Oberschenkel leicht angestellt sein.

Hilfsmittel: Wie Studien zeigen, treten bei viskoelastischen Schaumstoffmatratzen weniger neue Drückgeschwüre auf als bei Standardmatratzen. Der Körper sinkt in die viskoelastische Matratze ein, was die Auflagefläche vergrößert und dadurch den Auflagedruck verringert. Das aufliegende Gewebe wird also weniger stark komprimiert und besser durchblutet.

Um einen Dekubitus an den Fersen zu verhindern, müssen die Fersen frei liegen. Ein Kissen, das unter der Wade platziert wird, kann die Ferse komplett vom Druck entlasten; das Knie sollte dabei leicht angewinkelt sein.

Einige Studien zeigen, dass ein Schaffell möglicherweise die Vermeidung von Dekubitus unterstützen kann. Nach heutigem Wissensstand nicht empfehlenswert sind synthetische „Felle“, Wassermatratzen, Watteverbände und Lagerungsringe zur Freilagerung von Gesäß oder Fersen.

Hautpflege

Eine gute Hautpflege ergänzt die Dekubitusprophylaxe. Die Schutzfunktion der Haut kann durch folgende Maßnahmen unterstützt werden:

Hautreinigung mit seifenfreier Waschlotion.

Hautpflege mit Wasser-in-Öl-Hautlotionen.

Anwendung einer Dekubitusprophylaxe-Salbe mit äthe­rischen Ölen. Hier bietet die populäre Aromapflege der Apotheke eine ausgezeichnete Chance, sich zu profilieren (s. Kasten).

Rezeptur Dekubitus Prophylaxe Salbe

Städtisches Klinikum München

20 ml Jonanniskrautöl

30 ml Adeps lanae

 5 gtt Lavendel fein

 3 gtt Niaouli

 3 gtt Rosengeranie

 2 gtt Rosmarin 1,8 cineol

Adeps lanae wird auf maximal 45 °C erwärmt, Johanniskrautöl und die ätherischen Öle werden unter Rühren zugegeben. Das Produkt wird bei ca. 30 °C in 50 g-Tuben abgefüllt.

Diese Mischung ist seit Jahren ein bewährtes Produkt für die Dekubitusprophylaxe im Städtischen Klinikum München (schwerpunktmäßig im Klinikum Neuperlach) und erfreut sich auch überregional steigender Beliebtheit beim Pflegepersonal. Die Mischung riecht sehr angenehm und wirkt somit auch über die Psyche, häufig entspannend, entkrampfend, aufhellend und belebend.

Indikationen: Durch Immobilität dekubitusgefährdete Hautstellen, Hautschutz bei ständig feuchter Haut, Dekubitus Kategorie 1

Cave: Nicht geeignet für die Anwendung in Wunden! Nicht anwenden bei Überempfindlichkeit gegen einen der Inhaltsstoffe!

Anwendungsmethode: Bis zu 3-mal täglich dünn auftragen in Kombination mit der Druckentlastung.

Bei ständig feuchter Haut durch Inkontinenz oder starkes Schwitzen Anwendung einer Barrierecreme wie Cavilon oder Coryt Protect.

Im Intimbereich Staunässe vermeiden: atmungsaktive Inkontinenzprodukte verwenden und diese regelmäßig kontrollieren und wechseln.

Bei kontinuierlichem Abgang von flüssigem Stuhl schützt ein Fäkalkollektor die Haut vor Mazeration.

Nicht geeignet für die Hautpflege sind Babyöle, abdeckende Pasten oder Paraffinsalben wie Vaseline oder Melkfett. Diese Produkte verschließen die Hautporen. Alkoholhaltige Präparate wie Franzbranntwein oder Melissengeist trocknen die Haut aus.

Dekubitus Kategorie 1

Die Kontrolle der Haut sollte bei jedem Lagerungswechsel erfolgen. Liegt eine Rötung vor, gibt der Fingertest Aufschluss, ob es sich um einen beginnenden Dekubitus handelt. Dabei drückt man mit dem Finger kurz auf die gerötete Hautstelle. Wenn die Haut nicht geschädigt ist, verfärbt sich die gedrückte Stelle weiß und wird anschließend wieder rot. Liegt ein Dekubitus vor, tritt die Weißfärbung nicht ein, sondern die Stelle bleibt rot.

Beim Dekubitus Kategorie 1 gelten die gleichen Prinzipien wie in der Dekubitusprophylaxe. Außerdem muss das Liegen auf der betroffenen Körperstelle weitestgehend vermieden werden. Die Applikation einer Hydrokolloid-Platte mit feuchtigkeitsspendender Innenseite und reibungskraftreduzierender Außenfläche kann zu einer Linderung beitragen.

Von entscheidender Bedeutung ist, dass pflegende Angehörige diesen Test und seine Konsequenzen kennen. In der Rechtsprechung gilt es als Pflegefehler, wenn das Pflegepersonal einen Dekubitus Kategorie 1 nicht unmittelbar feststellt und samt den sofort einzuleitenden Maßnahmen dokumentiert. Angehörigen droht zwar in der Regel keine Klage, aber sie wollen natürlich den Patienten möglichst gesund in seiner häuslichen Umgebung behalten. Vom Dekubitus Kategorie 1 bis zur Hautläsion ist es nur ein kleiner Schritt. Die Kategorie 2 ist bereits durch großes menschliches Leid sowie hohen Pflege- und Kostenaufwand gekennzeichnet. |

Literatur

[1] Leitlinie Dekubitus Prävention – eine Kurzanleitung, erarbeitet von EPUAP und NPUAP, 2009; www.epuap.org/guidelines/QRG_­Prevention_in_German.pdf

[2] Dekubitusprophylaxe - Risikoeinschätzung nach Braden; www.dekubitus.de/dekubitusprophylaxe-braden-skala.htm

[3] BVMed Versorgungsleitfaden: Auswahl von Hilfsmitteln gegen ­Dekubitus; Stand: Januar 2010; www.bvmed.de

[4] Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP). Expertenstandard Dekubitusprophylaxe in der Pflege, 1. Aktualisierung 2010; www.dnqp.de/38087.html

Hauptautorin

Angelika Langer ist Gesundheits- und Krankenpflegerin und als Pflegedienstleiterin am Städtischen Klinikum München tätig. Sie ist als Qualitätsmanagerin ausgebildet (EFQM-Assessor) und hat an Konsensuskonferenzen des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) teilgenommen.

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