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Arzneimittel und Therapie
Dabigatran-Antidot in Sicht
Idarucizumab hebt Wirkung schnell auf
Der Thrombin-Antagonist Dabigatran (Pradaxa®, Boehringer Ingelheim) ist seit mehreren Jahren in Deutschland zur Prävention von Schlaganfällen, systemischen Embolien, tiefen Venenthrombosen und Lungenembolien bei erwachsenen Patienten zugelassen und besitzt, ähnlich wie die Faktor-Xa-Inhibitoren, wichtige therapierelevante Vorteile gegenüber den bisher üblichen Vitamin-K-Antagonisten Phenprocoumon und Warfarin. So setzt der Effekt der NOAKs rascher ein und hört nach Absetzen der Therapie schneller auf. Zudem interagieren sie auch kaum mit Lebensmitteln, wohingegen der Vitamin-K-Gehalt der Nahrung jedoch direkt die antikoagulatorische Wirksamkeit von Warfarin oder Phenprocoumon beeinflusst. Die Wirkung der Vitamin-K-Antagonisten lässt sich im Notfall, ebenso wie die der NOAK, durch die Gabe von Prothrombin unverzüglich aufheben. Allerdings steht mit Vitamin K zusätzlich ein, wenn auch nicht ganz so schnell wirksames, aber sehr spezifisches Antidot zur Verfügung. Letzteres gibt es bei den NOAK bisher noch nicht. Hierdurch ergibt sich ein Nachteil für die Sicherheit der Therapie im Falle von Blutungen oder dringenden Notoperationen, sodass seither intensiv an der Entwicklung spezifischer Antidots für NOAK geforscht wird.
Antidot in Phase III
Mit Idarucizumab, einem humanisierten Fab-Antikörperfragment, befindet sich derzeit u. a. ein selektiver Inhibitor von Dabigatran in der klinischen Forschung der Phase III. Im Rahmen der RE-VERSE AD™ Studie, die von Boehringer Ingelheim im Jahr 2014 initiiert wurde, wird der antagonistische Effekt von Idarucizumab an insgesamt 300 mit Dabigatran behandelten Patienten in Notsituationen (Not-OP oder ernsthafte Blutung) untersucht [1]. Die ersten Ergebnisse dieser Studie wurden nun im New England Journal of Medicine publiziert. Nach bisher 90 untersuchten Fällen konnte Idarucizumab (5 g i. v.) innerhalb weniger Minuten bei 88 bis 98% der Patienten die Gerinnungszeit normalisieren. Die Menge an ungebundenem Dabigatran verblieb innerhalb der ersten 24 Stunden bei 79% der Personen unter 20 ng/ml. Insgesamt hatten 35 Patienten mit ernsthafter Blutung nach 11,4 Stunden (Median) eine normale Blutgerinnung, bei 36 Personen, die sich einer dringend notwendigen Operation unterziehen mussten, zeigten 33 eine normale intraoperative Hämostase. Die Blutungsstillung zeigte sich bei zwei Patienten als leicht und bei einem als mäßig gestört. Ein Hinweis auf prothrombotische Effekte ergab sich nicht.
Tatsächlich wurde das Studiendesign so gewählt, dass die Wirkung von Idarucizumab unter echten Notfallsituationen untersucht werden kann und demnach Schwerstkranke und lebensbedrohlich verletzte Personen in die RE-VERSE AD™ Studie eingeschlossen wurden. Allerdings verstarben trotz der beobachteten Effekte durch Idarucizumab auf die Gerinnungshemmung insgesamt 18 Personen. Die Autoren der Studie gaben jedoch an, dass die Ursache hierfür in Zusammenhang mit dem ursprünglichen Notfall stand oder in Begleiterkrankungen begründet war und sich kein Hinweis auf eine Verbindung zur Applikation des Antidots ergab. Mangels einer entsprechenden Kontrollgruppe lässt sich jedoch der Gesamtnutzen von Idarucizumab nicht über die Beobachtung der Normalisierung der Hämostase hinaus analysieren.
Weitere Antidote sind zu erwarten
Dennoch sind die vorliegenden Interimsdaten der RE-VERSE AD™ Studie von großer Bedeutung für die behandelnden Ärzte der Notfallmedizin, denn erstmals konnte gezeigt werden, wie ein spezifisches Antidot gegen NOAK in einer klinischen Notsituation wirken kann. Darüber hinaus sind in den nächsten Jahren weitere Studiendaten zu spezifischen Inhibitoren zu erwarten, denn neben Boehringer Ingelheim fokussiert sich praktisch jeder Hersteller von NOAK auf die Entwicklung geeigneter Antidots für ihre Vertreter der Substanzgruppe.
Für die spezifische Hemmung von Faktor-Xa-Inhibitoren Rivaroxaban (Xarelto®, Bayer) bzw. Apixaban (Eliquis®, Pfizer/Bristol-Myers Squibb) wird derzeit Andexanet alfa (AnXa) entwickelt, ein rekombinant hergestelltes Faktor-Xa-Analogon, dessen Wirksamkeit ebenfalls in einer klinischen Studie (ANNEXA-R™) an gesunden Probanden bestätigt werden konnte [2]. Die Substanz PER977, ein synthetisch-niedermolekularer Wirkstoff, bindet sowohl direkt an Heparine als auch an zirkulierende direkte Faktor-Xa- und -IIa- (Thrombin) Inhibitoren. Dieser soll bei akutem Bedarf Edoxaban (Lixiana®, Daiichi Sakyo) antagonisieren können, ein weiterer Vertreter der Faktor-Xa-Inhibitoren, der derzeit jedoch noch nicht in Deutschland zugelassen ist [3].
Wert der Woche: INR
International Normalized Ratio: dient der Kontrolle der oralen Antikoagulation, Diagnose von Vitamin-K-Mangel, präoperative Kontrolle der Blutgerinnung; Synonyme: Prothrombinzeit, Prothrombinratio
Berechnung: INR = Thromboplastinzeit (TPZ)Patient [sec]/ TPZ Normalplasma [sec]
Normwert:0,85 bis 1,15 im venösen plättchenarmen Citratplasma
Konkurrenz mit breiterem Wirkspektrum
Ein Vorteil dieser beiden NOAK-Antagonisten gegenüber Idarucizumab wäre das breite Wirkspektrum. Hier könnten vermutlich substanzübergreifend Rivaroxaban, Apixaban und Edoxaban, bzw. im Falle von PER977 zusätzlich auch Dabigatran, als direkter Thrombin-Antagonist, in ihrer Wirkung inhibiert werden. Inwiefern erste Ergebnisse zur klinischen Anwendung weiterer NOAK-Antidots an Patienten in echten Notfallsituationen zu erwarten sind, ist demnach wohl nur noch eine Frage der Zeit. Die Einstufung der FDA von Idarucizumab und Andexanet alfa als „bahnbrechende Therapie“ wird die Hersteller weiter motivieren, die baldige Zulassung ihrer Antidots zu beantragen. Für alle wird nach Möglichkeit ein beschleunigtes Zulassungsverfahren angestrebt. |
Quelle:
[1] Pollack C.V. et al. Idarucizumab for dabigatran reversal. NEJM. Published online June, 22, 2015. DOI: 10.1056/NEJMoa1502000.
[2] http://investors.portola.com/phoenix.zhtml?c=198136&p=irol-newsroomArticle&ID=2005429 (vom 28.06.2015)
[3] Ansell, J. E., et al. (2014). „Use of PER977 to Reverse the Anticoagulant Effect of Edoxaban.“ New England Journal of Medicine 371(22): 2141-2142.
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