Arzneimittel und Therapie

Grippe trotz Impfung

Aktuelle Influenza-Vakzine weist Lücken auf

Jedes Jahr gibt es einen neuen „Aufreger“ zur Grippe-Impfung. Diesmal wirkt der Impfstoff nicht so, wie er soll. Die US-amerikanische Seuchenschutzbehörde CDC entschuldigt sich sogar dafür – warum eigentlich? Und ein Seniorenheim macht Schlagzeilen mit einem ­besonders ansteckenden A/H3-­Virustyp.

Schematische Darstellung eines Influenza-A-Virus-Partikels Das einzelsträngige RNA-Genom besteht aus acht Segmenten, die mit Nucleoprotein komplexiert sind. Die Proteine des Polymerasekomplexes PB1, PB2 und PA sind mit den 3’-Enden der RNA-Moleküle verbunden. Diese acht Nucleokapsidsegmente sind von einer Hüllmembran umgeben, die ursprünglich von der Plasmamembran der infizierten Wirtszelle stammt und in die die viralen Oberflächenproteine Hämagglutinin (H) und Neuraminidase (N) sowie das Ionenkanalprotein M2 eingelagert sind. An der Innenseite der Hüllmembran bildet das Matrix-Protein M1 eine Proteinschicht. [Quelle: I. Zündorf]

Da lässt man sich schon alle Jahre gegen die Influenza impfen, und dann passiert es doch: Die Grippe legt einen so richtig flach! Auch einen der Autoren hat es in diesem Winter dramatisch erwischt. Hohes Fieber, massiv erhöhtes CRP, katastrophale Leber- und Blutwerte und dreiwöchige Leistungsunfähigkeit. Und all das trotz rechtzeitiger Immunisierung mit einem quadrivalenten Impfstoff. Es war tatsächlich eine waschechte Influenza, wie die Serologie zeigte! Kann das sein? Nutzt dann überhaupt eine Impfung, oder ist das Ganze doch nur reine „Geldmacherei“ der Pharmaindustrie?

Die aktuelle Zusammensetzung

Jedes Jahr wird geimpft, jedes Jahr werden die Impfstoffe nach den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation zusammengesetzt und enthalten die viralen Oberflächenantigene Hämagglutinin und Neuraminidase von einem H1N1- und einem H3N2-­Influenza-A-Virusstamm und mindestens einem Influenza-B-Virus. Der Impfschutz kann nur dann optimal sein, wenn die eingesetzten Impfantigene mit den zirkulierenden Viren übereinstimmen. Offensichtlich ist das in diesem Winter nicht der Fall. In der Saison 2014/2015 setzt sich der Impfstoff folgendermaßen zusammen:

  • A/California/07/2009 (H1N1) pdm 09-ähnlich – also ein Virusstamm, der ähnlich dem ist, der die Pandemie im Jahr 2009 ausgelöst hat und bereits seit 2010/2011 immer wieder eingesetzt wird;
  • A/Texas/50/2012 (H3N2)-ähnlich, der wiederum vergleichbar mit dem Stamm A/Victoria/361/2011 (H3N2) ist, der bereits seit 2012/2013 Bestandteil des Impfstoffes ist;
  • B/Massachusetts/2/2012-ähnlich, der auch schon im Impfstoff der Saison 2013/2014 enthalten war.
  • und im quadrivalenten Impfstoff zusätzlich B/Brisbane/60/2008.

Es hat sich also eigentlich recht wenig geändert an der Zusammensetzung des Impfstoffes.

Die Grippe gehört zu den meldepflichtigen Erkrankungen und in der jeweiligen Saison auf der Nord- bzw. Südhalbkugel wird beobachtet und analysiert, welche Virustypen jeweils ihr Unwesen treiben. Anhand dieser Daten werden Empfehlungen für die Impfstoffzusammensetzung für die nächste Saison gegeben. Die Passgenauigkeit eines Impfstoffes steht und fällt also mit den beobachteten zirkulierenden Viren. Und hier kommen natürlich verschiedene kritische Faktoren zusammen:

1. Sind die gemeldeten Fälle und die entsprechenden Viren wirklich repräsentativ? Oder fallen etliche Erkrankungen durch das Raster, weil sich die Patienten ohne Arztkonsultation selbst auskurieren?

2. Wie genau werden die zirkulierenden Viren charakterisiert? Werden die Viren immunologisch getestet oder die Gene für Hämagglutinin und Neuraminidase komplett sequenziert?

Vor allem der zweite Punkt ist relevant, denn schließlich handelt es sich bei den Influenza-Viren um Viren mit einem RNA-Genom, das über eine virale Polymerase repliziert wird. Dieses Enzym arbeitet allerdings sehr fehlerhaft und führt entsprechend zahlreiche Mutationen ein, die sich in der „Drift“ der Viren äußern. Das heißt, dass sich die Nachkommen-Viren durchaus von den ursprünglichen Viren am Anfang einer Infektionswelle unterscheiden. Kommt es dabei zu Mutationen in bevorzugt erkannten Epitopen, kann daraus eine schlechtere Passgenauigkeit der nach einer Impfung gebildeten Antikörper resultieren. Außerdem können derartige Mutationen natürlich auch die Virulenz der Nachkommen-Viren erhöhen, was dann wiederum zum Beispiel das gehäufte Auftreten in einem Seniorenheim erklärt.

Und was lernen wir daraus?

Es wird sicherlich immer wieder vorkommen, dass der Grippe-Impfstoff nur suboptimal wirkt. Dazu sind die Viren zu wandlungsfreudig und das Überwachungssystem und auch der Prozess der Impfstoffherstellung zu träge. Klar ist, dass der aktuelle Impfstoff nicht optimal zusammengesetzt ist. Man hat zwischenzeitlich erkannt, dass für einen der drei derzeit zirkulierenden Virentypen aufgrund eines relevanten Drifts mit einem schwächer ausgeprägten Impfschutz gerechnet werden muss. Unglücklicherweise ist genau dieser Influenza A/H3N2-Typ besonders stark verbreitet. Dass sich die amerikanische Seuchenbehörde dafür entschuldigt, ist eigentlich unnötig, solange sie ihre Arbeit ordentlich erledigt hat. Durch die Skandale der letzten Monate war die Entschuldigung aber vielleicht ein Schritt vorauseilenden Aktionismus.

Das gehäufte Auftreten der Influenza in einem Seniorenheim zeigt nur, wie fragil das Gefüge aus älteren, nicht mehr ganz so immunkompetenten Menschen ist. Hier muss vor allem sorgfältig darauf geachtet werden, dass keine Infektion von außen über Besucher und vor allem über Pflegekräfte eingeschleppt wird. Und da hilft nach wie vor am Besten eine rechtzeitige Grippe-Impfung.

Trotz der zum Teil schlechten Erfahrung in diesem Jahr werden die Autoren sich weiterhin alljährlich gegen die Grippe impfen lassen. Schließlich hat es in den letzten Jahren immer so funktioniert, wie es soll: kaum Impfreaktion und ein Immunschutz für den Winter. Und wer weiß, wie die Kasuistik in unseren Reihen ausgefallen wäre, hätte gar kein Impfschutz vorgelegen?

Eine Reaktion ist bereits auf der Internetseite des Robert Koch-Instituts nachzulesen: Für die kommende Saison auf der Südhalbkugel wird die Impfstoffzusammensetzung leicht geändert und enthält

  • ein A/California/7/2009 (H1N1)pdm09-like Virus,
  • ein A/Switzerland/9715293/2013 (H3N2)-like Virus,
  • ein B/Phuket/3073/2013-like Virus (B-Yamagata-Linie)
  • und im quadrivalenten Impfstoff zusätzlich ein B/Brisbane/60/2008-like Virus, das die B-Victoria-Linie repräsentiert. |

Dr. Ilse Zündorf, Prof. Dr. Theo Dingermann, Institut für Pharmazeutische Biologie an der Goethe-Universität Frankfurt

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