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Fragen aus der Praxis

AVP über Festbetrag

Mehrkosten sorgen oft für Diskussionen

„Verordnet der Arzt ein Arzneimittel, dessen Preis den Festbetrag […] überschreitet, hat der Arzt den Versicherten über die sich aus seiner Verordnung ergebende Pflicht zur Übernahme der Mehrkosten hinzuweisen.“ § 73 Absatz 5 Satz 3 SGB V

Frage

Herr Meier überreicht Ihnen sein Rezept, verordnet sind Coaprovel® 150 mg/12,5 mg N3 sowie Cipralex® 10 mg N2 – beide unter Aut-idem-Ausschluss.

Das Antidepressivum hatte er im November 2014 schon einmal verordnet bekommen und war zwischenzeitlich auf Fluoxetin gewechselt. Unter diesem Wirkstoff besserte sich die Symptomatik jedoch nicht, sodass der Arzt nun wieder Cipralex® verordnet. Dass er seit Juli 2014 für das Blutdruckmittel im Original Mehrkosten in Höhe von 46,36 Euro zahlen muss, weiß Herr Meier bereits. Empört ist er jedoch, dass nun auch für das Antidepressivum Mehrkosten anfallen: 77,33 Euro beträgt die Differenz zum Festbetrag.

Zur Abgrenzung der Begriffe „Zuzahlung“ und „Mehrkosten“ [1]:

Versicherte müssen gemäß § 61 SGB V ff Zuzahlungen für Arzneimittel leisten. Die Zuzahlung fällt pro ­Packung an und beträgt prinzipiell 10% des Apothekenverkaufspreises (AVP), mindestens fünf und höchstens 10 Euro und jeweils nicht mehr als die Kosten des Präparats.

Davon zu unterscheiden sind die Mehrkosten, die aufgrund der Eingruppierung eines Arzneimittels in ­eine bestimmte Festbetragsgruppe ­resultieren können: Nach § 35 SGB V darf der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bestimmen, für welche Gruppen von Arzneimitteln Festbeträge festgesetzt werden können. Der Festbetrag ist der Höchstpreis für eine bestimmte Arzneimittelgruppe, der von der gesetzlichen Krankenversicherung für ein Arzneimittel dieser Gruppe bezahlt werden darf. Liegt der Preis eines Arzneimittels über dem Festbetrag, bestimmt die Differenz die Zuzahlung zum Arzneimittel.

Der Gesetzgeber hat die Pflicht zur Information über die in der Apotheke zu zahlenden Mehrkosten bereits seit Einführung der Festbeträge den verordnenden Ärzten auferlegt. Somit können diese – theoretisch – noch in der Arztpraxis zusammen mit dem Patienten ggf. nach mehrkostenfreien Alternativen suchen:

§ 73 Absatz 5 Satz 3 SGB V:

„Verordnet der Arzt ein Arzneimittel, dessen Preis den Festbetrag […] überschreitet, hat der Arzt den Versicherten über die sich aus seiner Verordnung ergebende Pflicht zur Übernahme der Mehrkosten hinzuweisen.“

Arztpraxen klären über Mehrkosten oft nicht auf

Da diese Regelung in den Arztpraxen entweder nicht bekannt ist, oder die gesetzliche Informationspflicht aufgrund nicht aktueller Arzneimittel­daten bzw. aus Zeitgründen nicht in allen Fällen korrekt wahrgenommen werden kann, gibt es in der Apotheke immer wieder Diskussionen wenn der Patient erst dort erfährt, dass er für seine Verordnung „Mehrkosten“ übernehmen soll - und diese auch dann zahlen muss, wenn eine Zuzahlungsbefreiung vorliegt (diese befreit nur von der „Rezeptgebühr“).

Für besonderes Aufsehen sorgte die Absenkung der Festbeträge für alle Monosartane und Sartane in Kombination mit Hydrochlorothiazid (HCT) zum 1. Juli 2014.

Betroffen sind alle Sartane, allerdings insbesondere die patentgeschützten Wirkstoffe Olmesartan und Azilsartan, da hier noch keine preisgünstigeren Generika auf Festbetragsniveau zur Verfügung stehen. In Deutschland zugelassene Monopräparate sind Olmetec® und Votum® (Olmesartan) bzw. Edarbi® (Azilsartan). Olmetec Plus® und Votum Plus® enthalten den Wirkstoff Olmesartan in Kombination mit HCT.

Für fast alle anderen Sartane (Cande­sartan, Irbesartan, Losartan, Telmisartan, Valsartan) gilt: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt stehen diverse mehrkostenfreie Generika zur Verfügung – die Hersteller der Originale hingegen haben bisher keine Anpassungen der AVPs an die neuen Festbeträge vorgenommen. So liegt auch der AVP der Herrn Meier verordneten Irbesartan-HCT-Kombination in Coaprovel® nach wie vor über dem Festbetrag; die Zahlung der Differenz akzeptiert der Versicherte, da er keinen Austausch gegen ein wirkstoffgleiches Generikum wünscht.

Eine Sonderstellung nimmt der Wirkstoff Eprosartan ein: Sowohl das Original (Teveten®, Teveten Plus®) als auch die (wenigen) verfügbaren generischen Eprosartan-Mono- und Kombinationspräparate liegen über dem geltenden Festbetrag (Lauer-Taxe, Stand 15.06.2015). Für Teveten Plus® bestehen zum aktuellen Zeitpunkt Rabattverträge mit diversen Primär­kassen sowie der Barmer GEK, gegenwärtig (Stand 15.06.2015) ist das Medikament für insgesamt 43.550.559 GKV-Versicherte rabattiert [2]. Die Präparate aller Packungsgrößen sind kassen­spezifisch mit der entsprechenden Mehrkostenablösung in der Apothekensoftware gemeldet. Versicherte müssen in diesem Fall also – sofern es sich um ein Rabattarzneimittel ihrer Krankenkasse handelt – keine Mehrkosten entrichten.

Zu beachten ist, dass die Fixkombi­nationen Sartan+Amlodipin bzw. Sartan+Amlodipin+HCT (z. B. Olme­sartan/Amlodipin in Sevikar® bzw. ­Olmesartan/Amlodipin/HCT in Sevikar HCT®) nicht der Festbetragsregelung unterliegen und Patienten für diese Arzneimittel folglich keine Aufzahlung leisten müssen.

Sonderfall Escitalopram

Eine Besonderheit ist im Zusammenhang mit der Einführung des Festbetrages für den Wirkstoff Escitalopram (in Cipralex®) zu nennen: Im Rahmen eines Eilverfahrens hatte das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) im Dezember 2011 den vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beschlossenen Festbetrag für Arzneimittel mit dem Wirkstoff Escitalopram ausgesetzt, nachdem der Hersteller Lundbeck juristische Schritte gegen die gemeinsame Eingruppierung der Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) Citalopram und Escitalopram in eine gemeinsame Festbetragsgruppe eingeleitet hatte. Der Festbetrag wurde aufgrund des Gerichtsbeschlusses seit Ende 2011 nur noch für den Wirkstoff Citalopram angewendet, die Krankenkassen waren damit verpflichtet, Patienten die Behandlungskosten mit Cipralex® zu bezahlen – ganz ohne zusätzliche Zuzahlungen [3]. Nachdem der Patentschutz für Escitalopram im Juni 2014 auslief, haben sich Hersteller und GKV-Spitzenverband darauf geeinigt, ihren Rechtsstreit über die Einordnung des Antidepressivums in eine Festbetragsgruppe mit Citalopram für beendet zu erklären. Das LSG hob daher seine Eilentscheidung aus 2011 per Beschluss auf, sodass ab dem 1. Dezember 2014 der Festbetrag damit für die gesamte Gruppe wieder in Kraft trat [3].

Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die Reaktion von Herrn Meier: Im November 2014 war der Festbetrag für das Escitalopram-Original Cipralex® noch außer Kraft. Um die nun anfallenden Mehrkosten zu umgehen, sollte Herr Meier die Verordnung einer generischen Alternative mit seinem Arzt besprechen.

Auch Privatkassen erstatten zunehmend auf Festbetragsniveau

Weitere Diskussionen sind absehbar: Seit dem 1. Juni 2015 fallen Mehrkosten bei Abgabe des Diclofenac-haltigen Schmerzmittels Voltaren Resinat® an. Zurückzuführen sind diese allerdings nicht auf die Einführung bzw. Absenkung des Festbetrages: Hersteller Novartis hat zum 1. Juni den AVP der entsprechenden Präparate erhöht. Je nach Packungsgröße entstehen für ­Patienten Mehrkosten in Höhe von 1,39 bis zu 6,27 Euro. Zahlreiche ­alternative (retardierte) Diclofenac-Präparate stehen zur Verfügung.

Dass zunehmend auch Privatkassen ihren Versicherten lediglich die Kosten bis zur Höhe eines Festbetrages erstatten und die Versicherten der Apotheke im Nachhinein mangelnde Aufklärung vorwerfen, kann für zusätzliche Probleme sorgen [4]. Sofern ein Privatversicherter einen besonderen Erstattungstarif oder nur eine Grundversorgung mit seiner Kasse vereinbart hat, entzieht sich dies jedoch der Kenntnis der Apotheken (sofern diesbezüglich keine besondere Vereinbarung mit den jeweiligen ­Apothekerverbänden existiert).

Antwort kurz gefasst

  • Mehrkosten fallen nur an, wenn der Apothekenverkaufspreis über dem Festbetrag liegt.
  • Sie ergeben sich aus der Differenz zwischen Festbetrag und AVP.
  • Etwaige Mehrkosten fallen auch bei Patienten an, die von der Zuzahlung befreit sind, z. B. Kinder, Personen mit Befreiungsausweis.
  • Bei patentfreien Wirkstoffen können Mehrkosten durch Ausweichen auf Generika oft umgangen werden.

Was ist also zu tun? Falls Versicherten bekannt ist, dass den Vorgaben ihrer privaten Versicherung entsprechend besondere Erstattungsvorgaben gelten, so sollten sie dies den beliefernden Apotheken bei der Einreichung des Rezeptes mitteilen, um keine Kürzung der Erstattung von der Krankenkasse zu riskieren. Sofern möglich, kann in der Apotheken-EDV ein Eintrag in die Stammdaten des Patienten erfolgen. Darüber hinaus geben die gängigen Software-Programme bei der Belieferung von Privatrezepten schon automatisch Hinweise auf verfügbare Festbetragsartikel. |

Quellen

[1] SGB V – Sozialgesetzbuch V. URL: http://www.gesetze-im-internet.de/bundesrecht/sgb_5/gesamt.pdf

[2] DAP – Deutsches Apotheken Portal (2015). URL: http://www.deutschesapothekenportal.de/apo_pzncheck.html?pzn=09394319&x=0&y=0&status=1

[3] LSG – Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (2014). Beschluss: Az. L 1 KR 140/11 KL

[4] DAP – Deutsches Apotheken Portal (2015). URL: http://www.deutschesapothekenportal.de/1603.html?id=468

Autorinnen

Anna Hinrichs, Heike Peters, Stanislava Dicheva, Insa Heyde

Apothekerinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in der Arbeitsgruppe „Arzneimittelanwendungsforschung“, Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen

Universität Bremen; Zentrum für Sozialpolitik

UNICOM-Gebäude; Mary-Somerville-Str. 5, 28359 Bremen

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