Arzneimittel und Therapie

Unterschiedliches Missbildungsrisiko unter SSRI

Fehlbildungen waren unter Paroxetin und Fluoxetin häufiger

Im Jahr 2005 verwies die FDA erstmalig auf ein erhöhtes Risiko für Herzfehler bei Kindern, deren Mütter mit Paroxetin behandelt wurden. Ob diese mögliche Assoziation auch für die Therapie mit anderen Vertretern der SSRI gilt, wurde nun in einer Bayes‘schen Analyse untersucht.

Im Allgemeinen stellen Antidepressiva aus der Gruppe der SSRI während der Schwangerschaft die Mittel der Wahl dar, auch wenn sie nicht für diese Verwendung zugelassen sind (siehe Kasten „Problem Packungsbeilage“ auf Seite 23). Da Medikamente klinisch nicht an Schwangeren erprobt werden, muss man auf retrospektive Daten von Frauen zurückgreifen, die während der Schwangerschaft mit Antidepressiva behandelt wurden. Hier galten SSRI über lange Zeit als relativ sicher. Vor einigen Jahren jedoch informierten einige Berichte über ein möglicherweise häufigeres Auftreten von Herzfehlern bei Kindern, zumeist ­atriale und ventrikuläre Septumdefekte, nachdem die Mutter während der Konzeptionsphase mit Paroxetin behandelt wurde. Seitdem wird kontrovers diskutiert, ob die Anwendung ­anderer SSRI während der Frühschwangerschaft ebenfalls das Risiko für Fehlbildungen erhöhen kann.

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Schwanger und nun? Auf keinen Fall die antidepressive Therapie absetzen.

Hierzu haben Forscher der Centers for Disease Control and Prevention in Atlanta, USA, nun die Daten der populationsbasierten Fall-Kontrollstudie „National Birth Defects Prevention ­Study“ (NBDPS) einer Bayes’schen Analyse unterzogen und evaluiert, ob die Einnahme von SSRI tatsächlich das Risiko bestimmter Fehlbildungen erhöht [1, 2]. Hierzu wurden nur solche Missbildungen untersucht, die laut ­aktueller Literatur im Verdacht stehen, mit der Anwendung von SSRI assoziiert zu sein, wie die oben genannten Septumdefekte am Herzen. Die NBDPS umfasste dabei einen Datensatz von 17.952 Müttern von Kindern mit Fehlbildungen und 9857 Müttern von Kindern ohne diagnostizierte Missbildung aus einem Zeitraum von 1997 bis 2009. Es zeigte sich, dass insgesamt 659 Mütter, deren Kinder Fehlbildungen aufwiesen, auch SSRI während der Schwangerschaft einnahmen, nämlich entweder Citalopram, Escitalopram, Fluoxetin, Paroxetin oder Sertralin. Bei den Müttern mit Kindern ohne Fehlbildungen waren es 298 Frauen.

Erhöhtes Risiko unter Paroxetin

Hierbei war Sertralin mit 40% das am häufigsten verschriebene SSRI. Hier konnte aber keine Zunahme der Rate an zuvor definierten Missbildungen beobachtet werden. Gleiches galt für Citalopram und Escitalopram. Die Anwendung von Paroxetin hingegen erhöhte tatsächlich das Risiko für fünf Arten von Fehlbildungen, nämlich Anenzephalie (OR 3,2; 95% KI, 1,6 – 6,2), Obstruktion des rechtsventrikulären Ausflusstrakts (OR 2,4; 1,4 – 3,9), Atriumseptumdefekte (OR 1,8; 1,1 – 3,0), Gastroschisis (OR 2,5; 1,2 – 4,8) und Omphalozele (OR 3,5; 1,3 – 8,0). Auch unter Fluoxetin traten Obstruktion des rechtsventrikulären Ausflusstrakts (OR 2,0; 1,4 – 3,1) und Kraniosynostose (OR 1,9; 1,1 – 3,0) häufiger auf, als bei Kindern von Frauen, die keine SSRI einnahmen. Bei neun weiteren, vorklassifizierten Missbildungen wurde allerdings insgesamt keine Erhöhung nachgewiesen, obwohl diese ebenfalls in der aktuellen Literatur als mögliche Folgen einer SSRI-Behandlung der Mutter deklariert werden. Die relativen Risiken für Fehlbildungen bei Paroxetin und Fluoxetin scheinen zunächst recht hoch. Die absolute Gefahr aber z. B. für Anenzephalie von zwei auf ­sieben Kinder pro 10.000, bzw. für ­Obstruktionen des rechtsventrikulären Ausflusstrakts steigt von 10 auf 24 Kinder pro 10.000 und ist somit noch immer als sehr gering anzusehen. Die Autoren der Studie weisen zudem darauf hin, dass unter Anbetracht der hier dargelegten Ergebnisse zur Teratogenität von SSRI, die Anwendung von Sertralin als mögliche und vernünftige Alternative zu Paroxetin und Fluoxetin anzusehen ist. Dies ist deshalb her­vorzuheben, da Sertralin in den USA ohnehin bereits besonders häufig zur Behandlung von Depressionen bei Schwangeren verschrieben wird.

Keine Kausalität

Obwohl die Bayes’sche Analyse der NBDPS als retrospektive Studie keine wirkliche Kausalität zur Anwendung von SSRI und dem Auftreten von Fehlbildungen nachweisen kann, sollte dennoch besondere Vorsicht bei der Verschreibung von Paroxetin und Fluoxetin für Frauen im gebärfähigen Alter gelten. Bei Verdacht einer Schwangerschaft bzw. bei Kinderwunsch sollte auf das zwar geringe, jedoch erhöhte Risiko von Fehlbildungen des Fötus durch Paroxetin und Fluoxetin hingewiesen werden. Hier ist die Rücksprache mit dem behandelnden Arzt zu empfehlen, um gegebenenfalls die Medikation auf Sertralin, Citalopram oder Escitalopram zu wechseln. Generell sollten Berichte von Kunden und Kundinnen über Fehlbildungen aufgenommen und direkt an das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) übermittelt werden, sofern Arzneimittel während der Frühschwangerschaft eingenommen wurden. Hierdurch wird ein aktiver Beitrag zur Pharmakovigilanz geleistet und es werden gegebenenfalls Maßnahmen ergriffen, die das Risiko von Missbildungen durch Arzneimittel weiter minimieren. |

Quelle:

[1] Reefhuis Jennita, Devine Owen, Friedman Jan M, Louik Carol, Honein Margaret A. Specific SSRIs and birth defects: bayesian analysis to interpret new data in the context of previous reports BMJ 2015; 351 :h3190

[2] Yoon PW, Rasmussen SA, Lynberg MC, et al. The National Birth Defects Prevention Study. Public Health Reports. 2001;116(Suppl 1):32-40.

Apotheker Dr. André Said

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