Pädiatrie

„Mein Kind spuckt!“

Welche Ursachen sich hinter Erbrechen bei Kindern verbergen können

Foto: S.Kobold – Fotolia.com
Von Beate Fessler | „Mein Kind erbricht sich. Was fehlt ihm bloß?“ – Wenn Eltern mit diesem Problem in die Apotheke kommen, lohnt auf jeden Fall auch die Frage nach dem Alter des Kindes. Denn die Ursachen, die bei Erbrechen im Kindes- und Jugendalter ins Kalkül gezogen werden müssen, hängen wesentlich vom Alter des Kindes ab. So muss vor allem bei Säuglingen an Passagestörungen gedacht werden, während bei den Ein- bis Sechsjährigen eher eine Magen-Darm-Infektion in Betracht kommt. Mit zunehmendem Alter kommen entzündliche Darmerkrankungen oder auch das Syndrom des zyklischen Erbrechens hinzu, in der Pubertät Essstörungen oder eine Schwangerschaft. Unabhängig vom Alter aber gilt: Bei Alarmzeichen, den sogenannten „red flags“, sollte sofort eine ärztliche Abklärung erfolgen.

Kinder erbrechen häufig. Und häufig steckt eine harmlose, selbstlimitierende Störung dahinter. Erbrechen kann aber auch ein Hinweis auf eine lebensbedrohliche Erkrankung sein, die schnelles Handeln erfordert. Neben dem Blick auf die Begleitsymptome hilft auch das Alter des Kindes, um die möglichen Differenzialdiagnosen einzugrenzen. Sie umfassen entzündlich-infektiöse, medikamentös-toxische, vegetative, neurologische, metabolische, endokrinologische und allergische Ursachen. Auf der diesjährigen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde, die in Leipzig stattfand, gab Dr. Monika Kurzai von der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Universitätsklinikums Jena einen interessanten Überblick über die altersspezifischen Ursachen des Erbrechens.

Passageproblem Pylorusstenose

Wenn Säuglinge erbrechen, stehen Passageprobleme im Vordergrund, allen voran die Pylorusstenose. Typisch für die „Magenpförtnerenge“ bei den meist drei bis zwölf Wochen alten Babys ist schwallartiges, nicht-galliges Erbrechen etwa eine halbe Stunde nach der Mahlzeit. Die verdickte Muskulatur des Magenausgangs verhindert die Passage des Speisebreis in den Zwölffingerdarm. In der Folge kann Flüssigkeitsmangel zum Austrocknen führen, langfristig drohen Wachstumsstörungen. Muss sich ein Säugling also mehrmals nach dem Essen schwallartig übergeben, sollten Eltern den Kinderarzt schnellstmöglich aufsuchen. Die Inzidenz dieser Passagestörung liegt etwa bei 1 : 800 Neugeborenen. Kleine Jungen sind etwa fünfmal häufiger betroffen als Mädchen. Behandelt wird operativ. Seltenere Passagestörungen sind angeborene Atresien des Ösophagus und des Darms, die oft bereits während der Schwangerschaft per Ultraschall erkannt werden. In den Darmabschnitten oberhalb der Unterbrechung der Darmkontinuität kommt es zum Aufstau von Darminhalt und damit früher oder später zur Emesis. Wird die Diagnose zu spät gestellt, besteht das Risiko einer Darmperforation.

Lebensbedrohlich: Volvulus infolge Malrotation

Lebensbedrohlich, wenn nicht schnell erkannt, sind Malrotation und Volvulus (Darmverschlingung). Als Malrotation wird eine gestörte Darmdrehung bezeichnet, die sich während der Embryonalentwicklung vollzieht. Sie führt nicht immer zu Beschwerden, fällt dann aber durch Erbrechen, Schmerz und Mangelernährung auf. Malrotationen bei symptomatischen Kindern unter einem Jahr treten häufiger bei Jungen auf als bei Mädchen. Gefährlich wird es, wenn die Malrotation zu einer akuten Darmdrehung, einem Volvulus, führt, bei der sich der Dünndarm um die darmversorgenden Blutgefäße dreht. Die Stuhlpassage wird unterbrochen. Es besteht die Gefahr einer dauerhaften Darmschädigung. Wie bei anderen Darmverschlüssen reagieren die Kinder mit Unruhe, Übelkeit, Brechreiz und Schmerzen. Bei jedem Säugling mit galligem Erbrechen, Unruhe sowie einer Verschlechterung des Allgemeinzustands muss immer an einen Volvulus gedacht werden.

„Red flags“: jetzt sofort handeln

Sofortiges Handeln ist erforderlich, wenn das Erbrechen gallig oder blutig ist, mit lokalisierten Bauchschmerzen oder Fieber über mehr als 72 Stunden einhergeht. Zu den „red flags“ gehören auch morgendliches Auftreten und die Kombination mit Kopfschmerzen, aber auch ein begleitender Gewichtsverlust oder eine Gedeihstörung.

Endokrines Erbrechen: AGS mit Salzverlust

Kongenitale Stoffwechselkrankheiten und endokrine Störungen, etwa das adrenogenitale Syndrom (AGS), können ebenfalls durch Erbrechen auf sich aufmerksam machen. Beim adrenogenitalen Syndrom handelt es sich um eine angeborene erbliche Störung der Hormonsynthese der Nebennierenrinde, die zu einem Abfall von Cortisol und Aldosteron führen kann. Gleichzeitig kommt es zu einer vermehrten Produktion von Androgenen. Ist nicht nur die Cortisol-, sondern auch die Aldosteron-Produktion reduziert, entwickelt sich ein adrenogenitales Syndrom mit Salzverlust. Diese Kinder fallen bereits in den ersten Lebenswochen durch eine lebensbedrohliche Salzverlust-Krise auf. Sie erbrechen, sind apathisch und verlieren zusehends an Gewicht.

Wichtige Differenzialdiagnose: Kuhmilch-Allergie

Zu den wichtigen Differenzialdiagnosen bei Säuglingen mit Erbrechen gehört die Kuhmilch-Allergie mit einer Häufigkeit von 2 Prozent. Die Säuglinge leiden gleichzeitig unter Durchfall. Bei einer Kuhmilch-Allergie sollten Säuglingsmilch und Säuglingsbreie auf Kuhmilch-Basis vermieden, aber auch auf verstecktes Milcheiweiß in Gläschenmenues geachtet werden. Für den Fall, dass das Kind ungewollt einen Schluck Milch oder Milcheiweiß in versteckter Form erwischt, kann die Bevorratung mit einem Antihistaminikum in Tropfen- oder Saftform sinnvoll sein. Wichtig ist die Abgrenzung der Kuhmilch-Allergie zur Lactoseintoleranz. Bei der Milchzucker-Unverträglichkeit müssen im Gegensatz zur Kuhmilch-Allergie Kuhmilch-Produkte nicht komplett gemieden, sondern nur in der Menge eingeschränkt werden. Welche Menge der Einzelne verträgt, muss individuell ausgetestet werden.

Spitzenreiter im Kindergarten- und Vorschulalter: Magen-Darm-Infekte

Bei Kindern zwischen dem ersten und sechsten Lebensjahr sind Magen-Darm-Infekte die häufigste Ursache für Erbrechen. Nach einer Inkubationszeit von einem bis sieben Tage, je nach Erreger, kommt es zu meistens wässrigen Durchfällen, die von Erbrechen und Fieber begleitet sein können. Beide können sie der Diarrhö vorausgehen, folgen oder auch fehlen. Bei adäquater Rehydrierung sistiert das Erbrechen meist nach wenigen bis 48 Stunden, der Durchfall nach zwei bis sieben Tagen. Etwa 40% der akuten Gastroenteritiden in den ersten fünf Lebensjahren werden durch Rotaviren verursacht. Andere Viren wie Adeno- oder Noroviren sind seltener. Bei etwa einem Fünftel der Kinder lassen sich bakterielle Erreger nachweisen, wie Campylobacter jejuni, Yersinien, Salmonellen, Shigellen, pathogene E. coli oder Clostridium difficile, bei weniger als 5% Parasiten.

Immer häufiger: eosinophile Ösophagitis

Immer häufiger wird bei Kindern die eosinophile Ösophagitis (EÖ), die auch als „Asthma der Speiseröhre“ bezeichnet wird. Die Prävalenz der eosinophilen Ösophagitis, die bevorzugt bei Jungen auftritt, liegt bei 1 bis 4 pro 10.000, Tendenz steigend. Während sie sich bei Teenagern und Schulkindern eher durch Schmerzen bemerkbar macht, ist bei Kleinkindern neben der Nahrungsverweigerung das Erbrechen das typische Symptom. Hinweise auf eine Refluxkrankheit fehlen. Wegweisend ist der endoskopische Befund. Kaum zu realisieren ist eine komplette Allergen-Elimination. Bessere Chancen auf Erfolg mit Blick auf die Compliance werden der „Six-food“-Eliminationsdiät eingeräumt, bei der auf Kuhmilch-Eiweiß, Hühnerei, Weizen, Soja, Fisch und Erdnuss verzichtet wird. Wenn die Diät versagt, ist eine topische Therapie mit Budesonid oder Fluticason die erste Wahl. Gut überlegt werden muss ein interventionelles Vorgehen. Denn hier besteht ein hohes Perforationsrisiko.

Gastroösophagealer Reflux beim Säugling?

Nach dem Essen aufrecht halten

Nach der Geburt ist die Abdichtung zwischen Speiseröhre und Magen noch nicht immer voll funktionstüchtig. Bei Neugeborenen und Säuglingen kann es deshalb zu einem gastroösophagealen Refux kommen, der sich in vermehrtem Erbrechen, Spucken oder Hüsteln äußert. Manchmal fließt die Milch einfach aus dem Mund. Es handelt sich dabei um ein physiologisches Phänomen ohne Krankheitswert und ist kein Grund zur Sorge, wenn damit keine anderen Beschwerden assoziiert sind. Günstig ist es, den Säugling nach dem Füttern in aufrechter Position zu halten.

Erbrechen aus dem Schlaf? EEG!

Erbrechen Kinder dieses Alters aus dem Schlaf heraus, kann dies ein Hinweis auf eine benigne fokale Epilepsie sein, nämlich das Panayiotopoulos-Syndrom. Zur Abklärung ist ein EEG indiziert. Passagestörungen spielen ab dem Vorschul­alter eine untergeordnete Rolle. Allerdings muss in diesem Alter an eine Fremdkörperaspiration gedacht werden.

Schulkind: diabetische Azidose ins Kalkül ziehen

Wenn Schulkinder sich erbrechen, muss, neben einer infektiösen Genese, vermehrt auch an entzündliche Erkrankungen gedacht werden, wie Appendizitis, Pankreatitis, eine Helicobacter-pylori-Gastritis oder an eine chronisch entzündliche Darmerkrankung. Entscheidend ist hier der Blick auf die Begleitsymptome und die Dauer der Symptomatik. Als metabolische Ursache kommt eine diabetische Ketoazidose in Betracht. Auch ein Late-onset-AGS ist möglich. In den Fokus rücken bereits in diesem Alter Essstörungen, in Zusammenhang mit Erbrechen insbesondere die Bulimie (siehe „Ich esse meine Suppe nicht ... Was tun bei Anorexie und Bulimie?“ DAZ 2013, Nr. 45, S. 76), insbesondere bei wiederkehrendem Erbrechen ohne organischen Befund.

Noch immer ungeklärt: das zyklische Erbrechen

Noch immer unklar ist die Pathogenese des zyklischen Erbrechens (cyclic vomiting syndrome; CVS). Es handelt sich um rezidivierendes, heftiges Erbrechen, das ohne erkennbare Ursache und aus voller Gesundheit episodisch auftritt und selbstlimitierend ist. Die Definition erfolgt nach klinischen Kriterien. Laut dem 2008 publizierten NASPGHAN (North American Society for Pediatric Gastroenterology, Hepatology and Nutrition)-Konsensus liegen mindestens fünf Erbrechensepisoden innerhalb eines Zeitraums von einer Stunde bis zehn Tagen vor, wobei mindestens vier Episoden innerhalb der ersten Stunde stattfinden. Der Ablauf ist stereotyp mit einem typischen Beginn in den frühen Morgenstunden. Die Intervalle zwischen den Erbrechensphasen sind komplett symptomfrei. Unterschiede zu chronischem Erbrechen sind der plötzliche Beginn mit hoher Intensität und die längeren beschwerdefreien Intervalle. Mehr als 80% der Patienten berichten über extreme Übelkeit. Etwa die Hälfte entwickelt parallel dazu klassische Migränesymptome mit Kopfschmerz, Photo- und Phonophobie. Bei zwei Dritteln können Triggerfaktoren ausgemacht werden, wie Infektionen, Aufregung oder Nahrungsmittel wie Schokolade. Eine organische Erkrankung muss vor Diagnosestellung ausgeschlossen werden. Besonders gefürchtet wird meist ein Hirntumor, der allerdings eher mit chronischem als mit zyklischem Erbrechen einhergeht.

Ist die 15-jährige Tochter etwa schwanger?

Wachsen Schulkinder zu Teenagern heran, erweitert sich die Palette der möglichen Ursachen für eine Emesis weiter. Bei morgendlichem Erbrechen muss dann durchaus auch die Möglichkeit einer Schwangerschaft ins Kalkül gezogen werden. Auch Medikamente und Drogen kommen ins Spiel. So kann chronischer Cannabis-Gebrauch zu plötzlichem und wiederholt auftretendem Erbrechen führen. Erleichterung bringt ein heißes Bad – wie im Übrigen auch bei zyklischem Erbrechen. Bei Jugendlichen mit zyklischem Erbrechen, die zwanghaft heiß baden oder duschen, wird ein Urin­screening auf Tetrahydrocannabinol empfohlen. |

Quelle

Dr. Monika Kurzai (Jena). Konservativ pädiatrische Ursachen von Erbrechen. 110. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin e. V. (DGKJ), Leipzig, 12. September 2014

Kinder- und Jugendärzte im Netz. Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e. V., www.kinderaerzte-im-Netz.de

Adrenogenitale Syndrom (AGS)-Eltern- und Patienteninitiative e. V., www.ags-initiative.de

Allergien und Asthma bei Kindern und Jugendlichen. www.kinderklinik-luebeck.de/pina/buch/index.php

Akute infektiöse Gastroenteritis. Leitlinien der Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE). awmf-Leitlinienregister 068/003, www.awmf.org

Iven E, Kaufmann B. Rezidivierender Vomitus: Wann ist es das Syndrom des zyklischen Erbrechens? pädiatrie haut nah 2010;1:37-42

Brzezinska R, Schumacher R. Erbrechen beim Neugeborenen. Bildgebung in der Kinderradiologie 2005;3:9-15

Autorin

Dr. Beate Fessler ist Apothekerin und arbeitet als freie Medizinjournalistin unter anderem für die Deutsche Apotheker Zeitung.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.