Arzneimittel und Therapie

Lithium auch für Kinder geeignet

Wirksamkeit bei Kindern und Jugendlichen mit Bipolar-I-Störung belegt

Eine Lithium-Therapie, die bei Erwachsenen mit bipolaren Störungen seit Langem eingesetzt wird, kann auch bei Kindern und Jugendlichen zumindest kurzfristig die Symptome effektiv reduzieren.

Bei Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen können Psychopharmaka aufgrund einer umfangreichen Studienlage evidenzbasiert eingesetzt werden. Die Therapie von manisch-depressiven Kindern hingegen wird dadurch erschwert, dass viele Wirkstoffe für diese Patientengruppe noch nicht ausreichend klinisch untersucht wurden. Zu diesen Wirkstoffen zählt auch Lithium, das durch Modulation des Phosphatidylinositol-Stoffwechsels im Gehirn die Aktivität entsprechender Neurone beeinflusst. Lithium wird seit Jahrzehnten zur Behandlung akuter Manien bei Erwachsenen eingesetzt. Darüber hinaus profitieren Patienten mit hoher Selbstmordgefahr von seiner antisuizidalen Wirksamkeit.

Gemäß den Leitlinien der Kinder- und Jugend-psychiatrischen Fachgesellschaften stellt Lithium zwar das Mittel der ersten Wahl in der Behandlung akuter manischer Symptome und der Phasenprophylaxe einer bipolaren affektiven Erkrankung dar, jedoch ist die therapeutische Breite von Lithium gering, sodass sich noch viele Kinderpsychiater bei der Verordnung zurückhalten [1].

Einsatz bei bipolaren Störungen

Nun wurden die Wirksamkeit und Sicherheit von Lithium in einer multizentrischen, randomisierten und placebokontrollierten klinischen Studie an Kindern und Jugendlichen mit akuten Bipolar-I-Störungen (siehe Kasten) untersucht [2]. Forscher der John Hopkins University in Baltimore (Maryland, USA) schlossen hierzu 81 pädiatrische Patienten im Alter von sieben bis 17 Jahren mit bipolaren Störungen in manischer oder gemischter (Manie und Depression) Episode ein und behandelten 53 Probanden mit Lithium sowie 28 mit Placebo. Die Bestimmung des Endpunkts erfolgte über die Veränderung der Young Mania Rating Scale (YMRS) von Studienbeginn bis nach Beendigung des Beobachtungszeitraumes von acht Wochen. Unter Lithium-Therapie gelang eine deutlich höhere Veränderung der YMRS als durch Placebo. Der Unterschied war signifikant und betrug letztlich 5,51 Punkte (95% KI; 0,51 – 10,5; p = 0,03). Die Einnahme von Lithium ging bei 47% der Kinder und Jugendlichen mit einer starken bis sehr starken Verbesserung des klinischen Gesamteindrucks einher, unter Placebo war dies nur bei 21% der Probanden der Fall.

Bipolare Störungen

Etwa ein Prozent aller Erwachsenen ist von einer bipolaren Störung, auch bekannt als manisch-depressive Erkrankung, betroffen. Patienten leiden unter völlig übersteigerten Stimmungsschwankungen. Die Erkrankung wird danach klassifiziert, ob manische oder depressive Symptome dominieren:

  • Bipolar-I-Störung: Mindestens eine über 14 Tage andauernde ausgeprägte manische Episode und mindestens eine depressive Phase
  • Bipolar-II-Störung: Mindestens eine über 14 Tage andauernde depressive Episode und mindestens eine leichter ausgeprägte manische Phase

Keine Gewichtszunahme

Hinsichtlich der Nebenwirkungen kam es zu einem leichten Anstieg der Thyreotropin-Konzentration, was auch bei erwachsenen Patienten unter Lithium-Therapie beobachtet wird und auf eine Veränderung der Schilddrüsenaktivität schließen lässt. Im Gegensatz hierzu wurde innerhalb von acht Wochen keine relevante Gewichtszunahme beobachtet. Diese Nebenwirkung tritt vor allem bei langfristiger Lithium-Gabe auf.

Die Autoren der Studie sehen hierin einen wissenschaftlichen Nachweis für die kurzfristige Sicherheit und Effek­tivität von Lithium bei Kindern und Jugendlichen mit akuten Bipolar-I-Störungen. In Anbetracht der Tatsache, dass der Beobachtungszeitraum der Studie relativ kurz ist, bipolare Störungen dagegen häufig zur Chronifizierung neigen und wiederkehrend auftreten, wird eine definitive Aussage zur Wirksamkeit der Lithium-Therapie jedoch nicht erbracht. Auch die Größe der Patientenpopulation ist äußerst begrenzt, wodurch das Auftreten unüblicher oder nicht zu erwartender Nebenwirkungen möglicherweise nicht erkannt wurde. Weitere Studien werden daher benötigt, um die langfristigen Effekte der Lithium-Therapie bei Kindern und Jugendlichen genauer zu charakterisieren. Trotz dieser Limitationen ist diese Studie die bisher größte prospektive Analyse einer Lithium-Therapie bei pädiatrischen Patienten mit Bipolar-I-Störungen und erweitert somit das sehr begrenzte evidenzbasierte Wissen um diese besondere Patientengruppe.

Lithium-Therapie engmaschig überwachen

Lithium ist bei bipolaren Störungen zur Prophylaxe sowie zur Behandlung manischer Episoden zugelassen. Therapeutische Serumspiegel liegen zwischen 0,6 und 1,2 mmol/l. Bereits ab 1,4 mmol/l können toxische Effekte auftreten.

Die geringe therapeutische Breite erfordert eine sorgfältige Überwachung der Serumkonzentration. Eine Therapie wird in der Regel mit einer Dosis von 12 mmol Lithium pro Tag (circa 450 mg) einschleichend begonnen und gemäß den aktuellen Lithium-Spiegeln angepasst.

Unerwünschte Wirkungen umfassen Übelkeit und weitere gastrointestinale Beschwerden, Müdigkeit und feinschlägigen Tremor. Bei langfristiger Einnahme steigt häufig das Körpergewicht. Eine euthyreote Struma tritt in 10% der Fälle auf. Auch kann es zu einem nephrogenen Diabetes insipidus mit verstärktem Durst und Harndrang kommen.

Deshalb sollten während der Therapie auch die Creatinin-Clearance, Schilddrüsenparameter, Halsumfang und Körpergewicht überwacht werden.

Kontraindiziert ist Lithium bei Niereninsuffizienz, Störungen des Natriumhaushalts und schweren Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Lithium darf aufgrund seines Fehlbildungsrisikos nicht während der Schwangerschaft angewendet werden. Bei Frauen im gebärfähigen Alter ist deshalb auf eine sichere Empfängnisverhütung zu achten.

Da Lithium in den Nieren mit Natrium um die Rückresorption konkurriert, besteht bei Hyponatriämie ein erhöhtes Intoxikationsrisiko: cave Erbrechen und starkes Schwitzen! Auch Diuretika, nicht-steroidale Antiphlogistika und ACE-Hemmer können die Lithium-Spiegel erhöhen. In Kombination mit serotonergen Wirkstoffen wurde ein Serotonin-Syndrom beschrieben.

Sorgfältiges Monitoring

Die geringe therapeutische Breite von Lithium als Therapeutikum erfordert jedoch weiterhin besondere Vorsicht bei der Anwendung. Vor einer Pharmakotherapie müssen Patient und Angehörige über Wirkungen und Nebenwirkungen der Medikation informiert werden, zusätzlich ist ein schriftliches Einverständnis der Eltern erforderlich. Intoxikationsgefahr besteht besonders bei Entgleisungen des Elektrolyt- und Flüssigkeitshaushalts, sodass vor Behandlungsbeginn die Blutwerte, besonders Elektrolyte und Schilddrüsenparameter, sowie gegebenenfalls die Creatinin-Clearance bestimmt werden sollten. Letztere gibt Aufschluss über die glomeruläre Filtrationsrate, die bei Kindern und Erwachsenen unterschiedlich ist. So kann gegebenenfalls eine Dosisanpassung erforderlich sein, um wirksame Lithium-Spiegel zu erreichen.

Besonders über unerwünschte Wirkungen bei Langzeitbehandlung ist bisher wenig bekannt. Mit einer Lithium-Therapie assoziierte Schilddrüsenfunktionsstörungen, wie euthyreote Struma oder Hypothyreoidismus, können sich negativ auf die Entwicklung und das Wachstum des Kindes auswirken. Auch Veränderungen von Knochendichte und Knochenstruktur sind möglich.

Apotheker sollten daher zusammen mit den Eltern eine Lithium-Therapie von Kindern und Jugendlichen stets aufmerksam begleiten. Dies ermöglicht es, unerwünschte Veränderungen frühzeitig zu erkennen und dem Arzt zu melden, der daraufhin gegebenenfalls die Therapie anpassen kann. |

Quelle

[1] Leitlinien zur Diagnostik und Therapie von psychischen Störungen im Säuglings-, Kindes- und Jugendalter. Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie u. a. (Hrsg.). Deutscher Ärzte Verlag, 3. über­arbeitete Auflage 2007;45–56

[2] Findling RL et al. Lithium in the Acute Treatment of Bipolar I Disorder: A Double-Blind, Placebo-Controlled Study. Pediatrics; online veröffentlicht 12. Oktober 2015

Apotheker Dr. André Said

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