Arzneimittel und Therapie

Sturzrisiko auch bei Prostata-spezifischen α-Blockern

Ältere Patienten vor Therapiebeginn aufklären

Über Medikamente, die mit einem Sturz- und Frakturrisiko verbunden sind, ist in letzter Zeit häufiger berichtet worden. Dieses Risiko ist bereits für unselektive α1-Blocker bekannt, die in der Therapie des benignen Prostatasyndroms eingesetzt werden. Nun wurde festgestellt, dass auch Prostata-spezifische α1A-Blocker das Sturzrisiko erhöhen.

Männer im fortgeschrittenen Lebensalter leiden häufig unter Symptomen wie plötzlicher (nächtlicher) Harndrang oder dem Gefühl einer unvollständigen Blasenentleerung. In einer deutschen Untersuchung waren von den befragten 50- bis 59-Jährigen etwa 20%, bei über 70-Jährigen bereits etwa 40% betroffen. Das benigne Prostatasyndrom (s. Kasten) wird unter anderem mit α1-Blockern behandelt. Wirkstoffe der ersten Generation wie Doxazosin und Terazosin inhibieren alle α1-Subtypen und können deshalb auch bei Bluthochdruck eingesetzt werden. Wirkstoffe der zweiten Generation sind Tamsulosin, Alfuzosin oder Silodosin. Diese Substanzen entfalten ihre Wirkung selektiv am α1A-Rezeptor, dem in der Prostata vorherrschenden Rezeptor. Die Vermutung liegt nahe, dass diese Prostata-spezi­fischen α1A-Blocker ein geringeres Sturzrisiko aufweisen, da sie weniger stark blutdrucksenkend wirken. Bislang wurde dieses Risiko allerdings nur für die unspezifischen Wirkstoffe untersucht.

BPH, BPS und LUTS: Begriffe im Wandel

Anstelle des Begriffs benigne Prostatahyperplasie (BPH), der die gutartige Zunahme von Prostatagewebe – also lediglich eine histologische Veränderung – bezeichnet, wird seit einigen Jahren die klinische Diagnose benignes Prostatasyndrom (BPS) verwendet.

Im englischen Sprachraum ist der Begriff LUTS (Lower Urinary Tract Symptoms) gebräuchlich. Zu diesen Symptomen zählen vor allem plötzlicher (nächtlicher) Harndrang, dünner Harnstrahl, das Gefühl einer unvollständigen Blasenentleerung oder nachtröpfelnder Urin.

Risiko leicht, aber signifikant erhöht

Nun hat eine kanadische Arbeitsgruppe das Risiko für Stürze und Frakturen zu Beginn einer Behandlung mit α1A-Blockern untersucht. Sie werteten dazu retrospektiv Verordnungsdaten von 147.084 Männern über 66 Jahren aus, die zwischen Juni 2003 und Dezember 2013 erstmalig ein Rezept über Tamsulosin, Alfuzosin oder Silodosin erhalten hatten. Ihnen wurde eine ähnlich große Patientengruppe ohne derartige Medikation gegenübergestellt. Die beiden Gruppen waren aber hinsichtlich verschiedener demografischer Charakteristika, Komorbiditäten oder der Gesundheitsversorgung vergleichbar. Primärer Endpunkt war ein Sturz oder ein Knochenbruch innerhalb von 90 Tagen nach Therapiebeginn, der den Besuch einer Notaufnahmeeinrichtung oder eine Einweisung ins Krankenhaus erforderlich machte.

Männer unter einer Therapie mit α1A-Blockern besaßen gegenüber der Vergleichsgruppe ein signifikant höheres Risiko für Stürze (Odds Ratio 1,14) mit einem absoluten Risikoanstieg von 0,17% und Frakturen (Odds Ratio 1,16), absolute Risikoerhöhung 0,06%. Auch sekundäre Endpunkte wie Blutdruckabfall oder Kopfverletzungen waren signifikant erhöht.

Grenzen der Studie

Die Autoren verweisen darauf, dass einige Einflussgrößen wie beispielsweise Bewegungseinschränkungen oder eine Abnahme der physischen Leistungsfähigkeit in dieser Kohortenstudie nicht berücksichtigt werden konnten. Da nur solche Stürze erfasst wurden, die eine Krankenhauseinweisung zur Folge hatten, ist das Risiko für weniger schwerwiegende Stürze nicht bekannt. Alle Patienten waren 66 Jahre alt oder älter, 84% von ihnen hatten Tamsulosin verordnet bekommen. Daher können die Daten nicht auf jüngere Männer übertragen werden. Die statistische Power der Studie reichte auch nicht aus, um Unterschiede zwischen den einzelnen Wirkstoffen zu identifizieren. Zwei Kommentatoren der Studie merkten außerdem an, dass es unklar bleibt, wie lange das erhöhte Sturzrisiko anhält. Dazu seien weitere Untersuchungen notwendig.

Allgemein kann Patienten geraten werden, auch bei Prostata-spezifischen α1A-Blockern zu Therapiebeginn vorsichtig zu sein. Sie sollten sich bei ersten Anzeichen einer orthostatischen Hypotonie wie Schwäche oder Schwindel hinsetzen oder hinlegen und mit dem Führen von Kraftfahrzeugen warten, bis sie wissen, wie sie auf das neue Medikament reagieren. |

Quelle

Welk B et al. The risk of fall and fracture with the initiation of a prostateselective α antagonist: a population based cohort study. BMJ 2015;351:h5398

Wilt TJ, Ensrud KE. Balancing the benefits and harms of drug treatments for older men with lower urinary tract symptoms. BMJ 2015;351:h5608

S2e Leitlinie zur Therapie des benignen Prostatasyndroms der Deutschen Gesellschaft für Urologie u. a., Stand November 2014: www.awmf.org

Fachinformation Omnic® Ocas® 0,4 mg Retardtabletten, Stand Dezember 2013

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.