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Inkontinenz

Den Abfluss erleichtern

Ableitende Systeme in der Inkontinenzversorgung

Von Constanze Schäfer | Rund elf Millionen Menschen sind in Deutschland von Inkontinenzproblemen betroffen. Immer dann, wenn eine aufsaugende Versorgung mit Vorlagen und Windelhosen nicht möglich ist, kommen ableitende Systeme wie Katheter oder Urinal-Kondome zum Einsatz.

Die aufsaugende Inkontinenzversorgung ist die präferierte Versorgung, solange noch eine weitgehend spontane Restharn-Entleerung gewährleistet ist. Stehen aber neuronale Störungen der Blasenentleerung, Spasmen oder andere Gründe einer aufsaugenden Versorgung entgegen, kommen Katheter zum Einsatz. Diese Art der Urinableitung sollte wegen des erhöhten Infektionsrisikos nur bei schwerwiegenden Blasenfunktionsstörungen genutzt werden. Bei der Katheter-Versorgung wird zwischen der intermittierenden Katheterisierung und der Anwendung eines Dauerkatheters, eines transurethralen Verweilkatheters, unterschieden. Dauerkatheter werden in der Regel durch Pflegekräfte oder Ärzte gelegt. Neben der Urinableitung werden Katheter auch zu Untersuchungen (für bakteriologische Untersuchungen oder Blasendruckmessung), bei Operationen oder der Chemotherapie von Blasenkrebserkrankungen kurzfristig eingesetzt. In diesem Artikel wird nur die Anwendung zur Inkontinenzversorgung näher betrachtet.

Transurethrale Katheter

Frauen-Katheter sind in der Regel zwischen 7 und 20 cm lang, Katheter für Kinder 20 bis 30 cm und Männer-Katheter meist 40 cm. Kinder und Jugendliche verwenden zumeist Katheter mit einem Durchmesser von 6 bis 10 Charrière (Ch; 1 Ch = 1/3 mm), Frauen 10 bis 14 Ch und Männer 12 bis 18 Ch. Je nach Charrière sind zur schnellen Identifizierung die Konnektoren zum Beispiel zum Anschließen von Urinbeuteln mit einer international genormten Farbcodierung versehen (Ch 6 = braun, Ch 8 = blau, Ch 10 = schwarz, Ch 12 = weiß, Ch 14 = grün, Ch 16 = orange, Ch 18 = rot, Ch 20 = gelb, Ch 22 = violett). Neben der Katheter-Länge und dem Katheter-Durchmesser wird zusätzlich noch die Katheter-Form unterschieden. Zur Versorgung durchgesetzt haben sich die folgenden beiden Typen:

  • der vorne gerade und abgerundete Nelaton-Katheter, der bei Frauen zum Einsatz kommt, und
  • der Tiemann-Katheter mit der leicht gebogenen Spitze, der für Männer besser geeignet ist.

Liegedauer für Katheter

  • Einmalkatheter: wenige Minuten
  • transurethrale Ballonkatheter aus Latex und silikonisiertem Latex: maximal fünf Tage
  • transurethrale Ballonkatheter aus Silikon: zwei bis drei Wochen
  • suprapubische Katheter: maximal vier bis fünf Wochen

Damit sich Katheter leicht einführen lassen und auch das umliegende Gewebe so wenig wie möglich reizen, werden Gleitmittel eingesetzt. Dies können einerseits sterile Gleitmittel auf Paraffinölbasis zum Teil mit Chlorhexidin-Zusatz sein oder hydrophile Beschichtungen. Als moderner Standard sind die Katheter bereits gebrauchsfertig beschichtet oder das Katheter-Set enthält das für die hydrophile Benetzung notwendige sterile Wasser. Leitungswasser entspricht nicht der erforderlichen Keimfreiheit.

Bei Kathetern werden ein-, zwei- und dreilumige unterschieden. Einlumige sind typische Einwegkatheter, wie sie zur intermittierenden Selbstkatheterisierung eingesetzt werden. Dauerkatheter sind zumindest zweilumig, da sie zur Fixierung einen Zugang zu einem Ballon haben, der zum „Blocken“ mit einer fünfprozentigen NaCl-Lösung oder mit einer zehnprozentigen Glycerin-Lösung befüllt wird. Damit wird das Herausrutschen des Katheters unterbunden. Bevor der Katheter gewechselt wird, muss der Ballon dann wieder entleert werden. Dabei fällt der Ballon in sich zusammen und es kommt zu einer Oberfläche mit vielen Faltungen. Da diese Faltungen die Schleimhaut der Harnröhre reizen können, befüllt man den Katheter zum Ziehen gezielt mit zwei bis drei Millilitern Flüssigkeit, um damit die Oberfläche zu glätten.

Verweilkatheter müssen regelmäßig gewechselt werden, da bereits nach kürzester Zeit eine Keimbesiedelung und zusätzlich eine Inkrustation mit Harnsalzen auf der Katheter-Oberfläche zu beobachten ist. Außerdem sollte der Urin möglichst einen pH-Wert zwischen 5,5 und 6 haben, um einer Keimvermehrung in der Blase und Harnsteinen vorzubeugen. Dafür kann der Urin regelmäßig mit pH-Teststreifen kontrolliert werden. Der pH-Wert des Harns lässt sich durch Lebensmittel beeinflussen, so sind unter anderem Fruchtsäfte (Zitrusfrüchte, Preiselbeeren), Kaffee und Vitamin-C-reiche Kost zum Ansäuern zu empfehlen. Auch die tägliche Flüssigkeitszufuhr von etwa drei Litern sollte eingehalten werden.

Bei dreilumigen Kathetern besteht zusätzlich die Möglichkeit, die Blase zu spülen oder wirkstoffhaltige Lösungen zu instillieren.

Foto: B. Braun Melsungen AG

Ein transurethraler Katheter wird direkt durch die Harnröhre in die Harnblase eingeführt und ermöglicht eine passive Urin­entleerung oder auch Füllung der Harnblase. Es stehen unterschiedliche Längen und Spitzen zur Verfügung: z. B. Urimed® Silikon-­Dauerkatheter mit Nelaton-Spitze (oben) und ein Urimed® Einmalkatheter mit Tiemann-Spitze.

Infektion das größte Risiko

Die Anwendung von Kathetern birgt ein erhöhtes Infektionsrisiko der Blase bis hin zur Nierenbeckenentzündung, Sensibilisierungen, aber auch Verletzungen und Schädigungen der Harnröhre und deren Schleimhaut. Wegen des hohen Infektionsrisikos werden bei der Katheterisierung hohe Ansprüche an die Hygiene gestellt. Die nachfolgenden Empfehlungen werden im Bereich der Pflege verfolgt, gelten aber genauso für die Selbstkatheterisierung. Die Verpackung des Katheter-Sets muss unbeschädigt sein, damit die Sterilität gewährleistet ist, und sollte vor der Anwendung geprüft werden. Vor dem Katheter-Wechsel müssen die Hände gründlich gewaschen werden. Im professionellen Umfeld werden zudem Handschuhe angezogen. Die Ablagefläche für die Katheter-Verpackung und das benötigte Material wird mit einem Oberflächendesinfektionsmittel gereinigt. Dann wird zunächst der Intimbereich gereinigt und eventuell störende Haare entfernt. Hier ist es am besten, die Haare mit einer Schere zu kürzen, da Haarentfernungsmittel häufig die Haut reizen und die Rasur zu Mikroverletzungen der Haut führen kann. Sollen Haarentfernungsmittel eingesetzt werden, muss darauf geachtet werden, dass sie für den Intimbereich geeignet sind (siehe DAZ 2015, Nr. 40, S. 36 – 38 „Hollywood-Cut, Landing-Strip oder Martini? Intimrasur: Hautreizungen lindern, Infektionen vermeiden“). Das Katheter-Set wird geöffnet und mit der Desinfektionskompresse die Harnröhrenöffnung gereinigt. Dabei sollte die Kompresse möglichst nur an einer Ecke gegriffen werden. Nun die Verpackung des Katheters selbst öffnen, dabei die Oberfläche des Katheters nicht mit den Fingern berühren. Vorsichtig, ohne Gewalt den Katheter in die Harnröhre einführen. Wurde die Harnröhre verfehlt, darf der Katheter keinesfalls erneut benutzt werden, da das Infektionsrisiko zu hoch ist. Der Katheter wird langsam in die Blase eingeschoben. Sobald der Urin aus der Blase fließt, darf er noch maximal ein bis zwei Zentimeter tiefer eingeführt werden, um eine Verletzung des Blaseninneren zu vermeiden. Bei der Selbst­katheterisierung lässt man nun den Urin abfließen, bis die Blase völlig entleert ist und zieht danach den Katheter langsam wieder aus der Harnröhre. Bei einem Verweilkatheter erfolgt die Blockade durch Befüllen des Ballons.

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Ein suprapubischer Katheter wird durch die Bauchwand in die Harnblase eingeführt und leitet den Urin unter Umgehung der Harnröhre ab. Hier z.B. ein Cystofix® Basisbesteck zur suprapubischen Blasendrainage mit Ballonkatheter.

Intermittierende (Selbst-)Katheterisierung

Bei neurologischen Ursachen für die Blasenentleerungsstörungen nutzen viele Betroffene die intermittierende Selbstkatheterisierung – kurz ISK. Zu den häufigsten Indikationen gehören Nervenverletzungen, multiple Sklerose, Spina bifida, Schlaganfall oder eine Querschnittslähmung. Bei Rückenmarksverletzungen wird heute, um die oberen Harnwege vor Infektionen zu schützen, auf den Einsatz von Verweilkathetern so weit wie möglich verzichtet. Mit der intermittierenden Selbstkatheterisierung wird die Blase vier- bis sechsmal täglich entleert – in Abhängigkeit davon, ob es sich um eine spastische oder eine schlaffe Blase handelt. Die Blase sollte im Regelfall zum Zeitpunkt der Katheterisierung nicht mehr als 500 ml Urin enthalten.

Wer bezahlt?

Die Kosten für Produkte zur Inkontinenzversorgung werden von der GKV als Hilfsmittel (Produktgruppe 15.99.99. Inkontinenzhilfen) übernommen, wenn sie die Teilhabe am sozialen Leben ermöglichen und eine herkömmliche Versorgung mit aufsaugenden Inkontinenzhilfsmitteln nicht ausreicht.

Die Technik des Einführens dieser speziell für diese Anwendung entwickelten Katheter, die mit einer runden Spitze, abgerundeten Augen sowie einem Gleitgel oder einer sterilen Kochsalzlösung als Beschichtung ausgestattet sind, um das Verletzungsrisiko der Harnröhre so minimal wie möglich zu halten, muss unter fachmännischer Anleitung erlernt werden. Durch eine spezielle Verpackungstechnik kann bei vielen Kathetern für die intermittierende Selbstkatheterisierung auf das Anziehen von sterilen Handschuhen verzichtet werden. Je nach Wunsch und Einsatz (zu Hause oder auf Reisen) gibt es Einmalkatheter mit und ohne Auffangbeutel.

Für die intermittierende Katheterisierung benötigt der Betroffene eventuell je nach persönlichen Einschränkungen zusätzliche Hilfsmittel wie zum Beispiel:

  • für Frauen einen Katheter-Spiegel um den Eingang der Harnröhre zu sehen; der Spiegel wird mit einem Gurt am Oberschenkel oder auf dem Kniespreizer befestigt;
  • für Frauen einen Knie- und/oder Labienspreizer, je nach Bewegungseinschränkung (z. B. Querschnittslähmung, halbseitige eingeschränkte Beweglichkeit);
  • für Männer mit schlaffem oder retrahiertem Penis einen Penishalter;
  • für beide gibt es bei eingeschränkter Greiffunktion noch eine spezielle Ergo-Hand, mit der der Katheter gegriffen werden kann.

Alternativ, wenn die Einschränkungen eine eigenständige Katheterisierung nicht mehr zulassen, kann auch eine andere Person die intermittierende Katheterisierung vornehmen.

Urinausleitung durch die Bauchdecke

Eine andere ableitende Versorgung ist mittels eines suprapubischen Katheters möglich. Dabei erfolgt das Ableiten des Urins nicht durch die Harnröhre, sondern durch ein Stoma über die Bauchdecke. Die Anlage des Stomas erfolgt operativ unter örtlicher Betäubung. Als Indikation gelten Blasen­entleerungsstörungen mit großer Restharnmenge oder wenn bei Harnverhalt mit einer transurethralen Katheterversorgung keine Blasenentleerung möglich ist. Die Versorgung erfolgt – wie auch bei Darmstomata – über ein- oder zweiteilige Systeme und bei der Pflege gelten die allgemeinen Grundsätze zur Stomaversorgung. Neben Harnwegsinfekten sind typische Probleme, mit denen Stomaträger allgemein konfrontiert sind, allergische Reaktionen auf die Kleber, Pilzinfektionen und Hautreizungen sowie Haarbalgentzündungen. Treten diese auf, sollte möglichst umgehend der betreuende Stoma-Berater oder Arzt zurate gezogen werden, da Salben oder andere dermatologisch anzuwendende Arzneimittel sich vielfach nicht zur Behandlung der Haut rund um ein Stoma eignen.

Nur für Männer

Eine sehr gute, vor allem auch mit geringeren Infektionsrisiken behaftete Alternative zum Katheter stellt für Männer das Urinal-Kondom dar. Dieses wird wie ein Kondom über den Penis aufgerollt, beim Entfernen wieder abgerollt. Durch eine Abflussöffnung an der Spitze kann der Urin direkt in einen Bein- oder Bettbeutel geleitet werden. Wichtig ist der perfekte Sitz. Um die passende Größe auszuwählen, bieten Urinal-Kondomhersteller spezielle Messbänder zum Anpassen an. Beim Anlegen muss darauf geachtet werden, dass die Penishaut trocken und fettfrei ist, die Vorhaut nicht zurückgezogen ist und auf einen ausreichenden Abstand zwischen dem Harnröhrenausgang und dem Kondomabfluss geachtet wird, damit der Urin abfließen kann. Um Reizungen zu vermeiden, sollten Schamhaare im Bereich des Penis gekürzt werden, ohne die Haut zu verletzen. In der Regel wird das Urinalkondom alle 24 Stunden gewechselt.

Foto: B. Braun Melsungen AG

Selbsthaftendes Kondom-Urinal aus Silikon Das ableitende Inkontinenzsystem gilt als ein diskretes Hilfsmittel zur Versorgung von an Harninkontinenz leidenden Männern. Durch den auf der Innenseite aufgetragenen Kleber haftet es zuverlässig und kann bis zu 24 Stunden lang getragen werden.

Auffangbeutel

Um den Urin aufzufangen werden an Katheter oder Urinalkondome entweder Beinbeutel oder Bettbeutel je nach gewünschter Mobilität über einen Konnektor mittels Steckverbindung angeschlossen. Es gibt Einwegbeutel, aber häufiger kommen Auffangbeutel mit einem Fassungsvermögen von 500 bis 800 ml zum Einsatz, die über einen Hahn in die Toilette entleert werden können. Bettbeutel sollten ein Fassungsvermögen von ca. zwei Litern haben, damit während der Nacht der Beutel nicht gewechselt werden muss. Sicherheitsventile an den Beuteln verhindern einen Rücklauf der Flüssigkeit in den Katheter oder das Urinalkondom, was Infektionen vorbeugt. Um ein Auslaufen des Urins aus dem Katheter bei kurzfristiger Abnahme des Auffangbeutels zu verhindern, kommen Katheterstopfen zum Einsatz. Diese müssen für das Kathetersystem passend ausgewählt werden. Zur Fixierung der Beutel am Bett gibt es Gestelle, die an das Bett gehängt werden und so während des Liegens für einen kontinuierlichen Abfluss sorgen, da sie unterhalb der Liegefläche platziert werden. Für Beinbeutel gibt es spezielle Gürtel, mit denen die Beutel am Ober- oder – häufiger – am Unterschenkel fixiert werden. Dabei ist zum einen auf einen optimalen Sitz des Gürtels zu achten, als auch auf die korrekte Fixierung des Beutels mit den Schnallen, die durch die Halteschlitze gezogen werden.

Krankenunterlagen

Saugfähige Krankenunterlagen werden sowohl beim Legen des Dauerkatheters als auch beim Beutelwechsel und der intermittierenden Katheterisierung empfohlen, um eventuell auslaufenden Urin aufzusaugen. Die Unterlagen gibt es in verschiedenen Größen z. B. 40 × 60 cm, 50 × 60 cm, 60 × 90 cm und können je nach Dicke und Lagenanzahl zwischen 350 bis 1000 ml aufsaugen. Waschbare Krankenunterlagen werden in der Waschmaschine (95°C-Wäsche ohne Weichspülerzusatz!) gereinigt und sind trocknertauglich. Einwegunterlagen werden über den Hausmüll entsorgt. Zusätzlich werden zum Schutz der Matratze bei Patienten mit Inkontinenzproblemen feuchtigkeitsabweisende Betteinlagen eingesetzt. Ist der Betroffene jedoch auf einer Dekubitusmatratze gelagert, muss auf eine solche Betteinlage verzichtet werden, da die präventiven Eigenschaften der Dekubitusmatratze verloren gehen. |

Literatur

Produktinformationen verschiedener Hersteller wie z. B. B. Braun Melsungen AG (www.inkontinenz.bbraun.de), Coloplast GmbH (www.coloplast.de), Manfred Sauer GmbH (www.manfred-sauer.com)

Informationen der Deutschen Kontinenzgesellschaft, www.kontinenz-gesellschaft.de

Rehadat-Datenbank (www.rehadat-hilfsmittel.de)

Autorin

Apothekerin Dr. Constanze Schäfer, Studium der Pharmazie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, seit 1999 Abteilungsleiterin für den Bereich Aus- und Fortbildung der Apothekerkammer Nordrhein. Referentin zu zahlreichen pharmazeutischen Themen und Dozentin im Pharmaziepraktikantenunterricht. Außerdem freiberufliche Autorin zahlreicher Zeitschriftenartikel und Fachbücher. Im Deutschen Apotheker Verlag sind von ihr die Kitteltaschenbücher „Hilfsmittel und Medizinprodukte“ und „Gifte und Vergiftungen“ erschienen. Sie ist Mitherausgeberin des Buches „Geriatrische Pharmazie“.

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