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Fragen aus der Praxis

Alt bewährt, aber selbst bezahlt

Zur Verordnungsfähigkeit traditioneller Arzneimittel

Viele, vor allem pflanzliche Arzneimittel kennt man schon seit Jahrzehnten oder sogar seit Jahrhunderten. Ihre Anwendung beruht auf langjähriger Erfahrung, häufig gibt es keine Studien oder Wirksamkeitsnachweise, die eine reguläre Zulassung nach AMG § 21 ff möglich machen. Daher wurde für diese ­traditionellen Arzneimittel gemäß AMG § 39 a-d ein vereinfachtes Registrierungsverfahren geschaffen [2]. Danach reicht es aus, bibliografische Angaben und/oder Aussagen von Sachverständigen beizubringen, die die langjährige Anwendung und die Unbedenklichkeit belegen.

Frage

Eine irritierte Kundin steht vor Ihnen in der Apotheke, in der Hand ein grünes Rezept über Omniflora® N Kapseln. Bisher hat sie das Präparat für ihren kleinen Sohn immer auf einem Kassenrezept verordnet bekommen. Den Sohn kennen Sie schon: er bekommt häufig schwere Atemwegsinfekte und dann in der Regel ein Antibiotikum verordnet, da er zu bakteriellen Superinfektionen neigt. Nach jedem Antibiotikum hat er wochenlang mit Verdauungsproblemen zu tun, bis die Darmflora sich wieder stabilisiert hat, und bisher wurde das mit Omniflora® N Kapseln unterstützt. Nun hat der Arzt der Mutter mitgeteilt, dass sie dieses zukünftig selbst bezahlen müsse, da es keine Leistung der Krankenkasse sei. Was steckt dahinter?

Ein Blick in die Lauertaxe hilft weiter: Omniflora® N Kapseln sind als traditionelles Arzneimittel zugelassen und haben eine Kennzeichnung nach Anlage III Nr. 19 der Arzneimittelrichtlinie AM-RL (siehe Kasten nächste Seite). In Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie findet sich eine Übersicht über alle Verordnungseinschränkungen und -ausschlüsse in der Arzneimittelversorgung. Zudem enthält sie Hinweise zur wirtschaftlichen Verordnungsweise von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln für Kinder bis zum ­vollendeten 12. Lebensjahr und für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr [1].

Viele, vor allem pflanzliche Arzneimittel kennt man schon seit Jahrzehnten oder sogar seit Jahrhunderten. Ihre Anwendung beruht auf langjähriger Erfahrung, häufig gibt es keine Studien oder Wirksamkeitsnachweise, die eine reguläre Zulassung nach AMG § 21 ff möglich machen. Daher wurde für diese ­traditionellen Arzneimittel gemäß AMG § 39 a-d ein vereinfachtes Registrierungsverfahren geschaffen [2]. Danach reicht es aus, bibliografische Angaben und/oder Aussagen von Sachverständigen beizubringen, die die langjährige Anwendung und die Unbedenklichkeit belegen. Mit der EU-Richtlinie 2004/24/EG zu Traditional Herbal Medicinal Products (THMP) vom 31. März 2004 (und der Überführung in nationales Recht in der 14. AMG-Novelle) wurde allen bis dahin auf dem Markt befindlichen traditionellen Arzneimitteln eine Übergangszeit bis zum 30. April 2011 ein­geräumt [3]. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten alle traditionellen Arzneimittel in einem vereinfachten nationalen Verfahren nachregistriert werden. Außerdem wurde eine Kommission aus Fachleuten auf europäischer Ebene eingesetzt (Herbal Medicinal Products ­Committee HMPC), die die bisherigen Erkenntnisse über traditionelle Arzneipflanzen in Monografien zusammen­getragen haben [4].

Erfahrung statt Studien

Auch heute ist eine Registrierung nach diesem Verfahren möglich (z. B. Pelasya® Hexal). Voraussetzung dafür ist, dass der oder die betreffenden Wirkstoffe mindestens 30 Jahre lang für die beantragte Indikation verwendet worden sind, davon mindestens 15 Jahre in Europa. Dabei geht man von der ­Annahme aus, dass bei altbewährten Arzneipflanzen die Wirksamkeit plausibel ist und keine Gesundheitsgefährdung besteht und daher auf Studien zu Wirksamkeit und Unbedenklichkeit verzichtet werden kann. Auf der Packung muss ersichtlich sein, dass es sich um ein traditionelles Arzneimittel handelt. Auch die Anwendungsgebiete müssen in etwa lauten:

  • ... „traditionell angewendet“ ...
  • ... „zur Stärkung oder Kräftigung“ ...
  • ... „zur Besserung des Befindens“ ...
  • ... „zur Unterstützung der Organfunktion“ ...
  • ... „zur Vorbeugung gegen“ ...
  • ... „als mildwirksames Arzneimittel bei“ ...

Omniflora® N Kapseln haben folgendes Anwendungsgebiet:

„Traditionell angewendet als mild wirksames Arzneimittel zur Unterstützung der Darmfunktion, z. B. bei Darmträgheit und Durchfall.“

Antwort kurz gefasst

  • Traditionelle Arzneimittel sind nicht zulasten der GKV verordnungsfähig.
  • Die Apotheke ist nicht verpflichtet, die Verordnungsfähigkeit nach Anlage III AM-RL zu prüfen.
  • Ebenfalls nicht erstattet werden Packungen ohne Norm-Größe (N-Bezeichnung). Das hingegen muss von der Apotheke geprüft werden.

Damit und mit der Kennzeichnung nach Anlage III Nr. 19 AM-RL (siehe Kasten nächste Seite) sind diese Kapseln nicht auf einem Kassenrezept verordnungsfähig. Zudem entsprechen sie nicht den verordnungsfähigen Mitteln bei Durchfall (Anlage III Nr. 12 Antidiarrhoika, siehe DAZ Nr. 24, 13. Juni 2014) und haben keine N-Normierung. Zwar ist die Apotheke nicht verpflichtet, die Verordnungsfähigkeit nach Anlage III zu überprüfen, aber in diesem Fall steht einer Abgabe auch die fehlende N-Normierung entgegen. Alternative könnte in diesem Fall die Verordnung von Omniflora® akut Kapseln sein. Diese enthalten Saccharomyces boulardii und sind damit nach Anlage III Nr. 12 Antidiarrhoika für Kinder bis zur Vollendung des 12. Lebensjahres (und für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres) verordnungsfähig. Außerdem ist die ­Packungsgröße normiert.

Anlage III Nr. 19 der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL)

Arzneimittel, „traditionell angewendete“ gemäß § 109a AMG, welche nach Artikel 1 § 11 Abs. 3 des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts nur mit einem oder mehreren der folgenden Hinweise: „Traditionell angewendet:

a) zur Stärkung oder Kräftigung

b) zur Besserung des Befindens

c) zur Unterstützung der Organfunktion

d) zur Vorbeugung

e) als mild wirkendes Arzneimittel“

in den Verkehr gebracht werden.

Bei nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ist eine Verordnung auch für Kinder bis zum vollendeten 12. Lebensjahr und für Jugendliche mit Entwicklungsstörungen bis zum vollendeten 18. Lebensjahr unwirtschaftlich.

Nicht immer gekennzeichnet

Weitere Beispiele für traditionelle Arzneimittel sind in der Tabelle aufgeführt.

Tab.: Beispiele für traditionelle Arzneimittel [5] (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)
Präparat Traditionelle Anwendungsgebiete
Omniflora® N Kapseln als mild wirkendes Arzneimittel zur Unterstützung der Darmfunktion, z. B. bei Darm­trägheit und Durchfall.
Paidoflor® Kautabletten als mild wirkendes Arzneimittel zur Unterstützung der Darmfunktion, z. B. bei Darm­trägheit und Durchfall.
Myrrhinil intest® Tabletten zur Unterstützung der Magen-Darm-Funktion.
Canephron® Tropfen, Dragees zur unterstützenden Behandlung und zur Ergänzung spezifischer Maßnahmen bei leichten Beschwerden im Rahmen von entzündlichen Erkrankungen der ableitenden Harnwege;zur Durchspülung der Harnwege zur Verminderung der Ablagerung von Nierengrieß.
Carmol® Tropfen (Achtung, nicht­apothekenpflichtiges Arzneimittel) zur Unterstützung der Verdauungsfunktion, zur Besserung des Befindens bei Unwohlsein.
Abdomilon Saft® (Achtung, nicht­apothekenpflichtiges Arzneimittel) zur Unterstützung der Verdauungsfunktion.
Gastritol® Lösung bei Erwachsenen zur Linderung von leichten Vedauungsbeschwerden (z. B. Völlegefühl, Blähungen) sowie leichten krampfartigen Beschwerden im Magen-Darm-Trakt.
Gastrarctin® Lösung bei leichten Verdauungsbeschwerden, wie Völlegefühl und Blähungen.
Angocin® Bronchialtropfen zur Schleimlösung bei Husten im Rahmen von Erkältungen.
Imupret® Dragees, Tropfen bei ersten Anzeichen und während einer Erkältung, z. B. Kratzen im Hals, Halsschmerzen, Schluckbeschwerden, Hustenreiz.
Pelasya® Hexal Lösung zur Besserung der Beschwerden bei Erkältungen.

Einige dieser Arzneimittel haben in der Lauer-Taxe (ABDA-Datenbank) einen Vermerk nach § 105 AMG „traditionelle Anwendung“ und eine Kennzeichnung nach Anlage III Nr. 19 der AM-RL, bei anderen traditionellen ­Arzneimitteln hilft nur der Blick ins Anwendungsgebiet beziehungsweise in die Packungsbeilage oder Fachin­formation. |

Literatur:

[1] https://www.g-ba.de/informationen/richtlinien/anlage/16/, Anlage III der Arzneimittelrichtlinie, letzter Zugriff 5. Dezember 2014

[2] https://www.gesetze-im-internet.de/AMG , Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, letzter Zugriff 5. Dezember 2014

[3] http://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/zul/zulassungsarten/besTherap/amTrad/_node.html, letzter Zugriff 5. Dezember 2014

[4] www.ema.europa.eu, Herbal Medicines for human use, letzter Zugriff 5. Dezember 2014

[5] Lauertaxe, diverse traditionelle Arzneimittel, letzter Zugriff 5. Dezember 2014

Autorinnen

Insa Heyde, Daniela Böschen, Stanislava Dicheva, Anna ­Hinrichs, Heike Peters

Apothekerinnen und wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in der Arbeitsgruppe „Arzneimittelanwendungsforschung“, Zentrum für Sozialpolitik, Universität Bremen

Universität Bremen Zentrum für SozialpolitikUNICOM-GebäudeMary-Somerville-Str. 5, 28359 Bremen

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