Arzneimittel und Therapie

Östrogene für MS-Patientinnen

Tatsächlich weniger Schübe oder zu früh gefreut?

Remittierende Schübe bei multipler Sklerose (MS) nehmen während einer Schwangerschaft deutlich ab. Dies wurde unter anderem auf steigende Spiegel des Schwangerschafts-spezifischen Östrogens Estriol zurückgeführt. In kleinen klinischen Studien konnte bereits gezeigt werden, dass Estriol Läsionen an den Nervenfasern verringern und positiv immunmodulierend wirken kann. Nun konnte in einer Studie gezeigt werden, dass die ­Gabe von Estriol bei Frauen mit schubförmig remittierend verlaufender multipler Sklerose die Schubrate senken kann.
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Schützt das Schwangerschaftshormon Estriol MS-Patientinnen vor einem Krankheitsschub?

Die multiple Sklerose ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung des Zentralnervensystems, die meist schubförmig verläuft. Diese Schübe werden während des dritten Trimenons einer Schwangerschaft um rund 70% weniger. Dieser Effekt wird auch mit der hohen Konzentration des Schwangerschafts-spezifischen Östrogens Estriol in Verbindung gebracht. Dieser positive Effekt auf den Verlauf der multiplen Sklerose, der in mehreren präklinischen und einer kleineren klinischen Studie beobachtet wurde, sollte nun erstmals in einer randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-II-Studie bestätigt werden. In die Studie wurden Frauen mit schubförmig-remittierender multipler Sklerose im Alter zwischen 18 und 50 Jahren eingeschlossen. Sie erhielten als Basistherapie ihrer MS täglich 20 mg Glatirameracetat (Copaxone®) intramuskulär. Zusätzlich bekamen die Frauen täglich entweder oral 8 mg Estriol oder Placebo. Als primärer Endpunkt wurde die jährliche Schubrate nach 24 Monaten definiert.

Weniger Schübe bei Estriol-Gabe

Von den 164 Patientinnen wurden 83 der Estriol- und 81 der Placebo-Gruppe zugeordnet. Die jährliche Schubrate in der Estriol-Gruppe betrug 0,25, verglichen mit 0,37 in der Placebo-Gruppe (adjusted rate ratio 0,63). Schwerwiegende unerwünschte Wirkungen traten in beiden Gruppen ähnlich häufig auf (10% unter Estriol vs 13% unter Placebo). Unregelmäßige Monatsblutungen waren in der Estriol-Gruppe häufiger als unter Placebo (23% vs 4%), während vaginale Infektionen in der Placebo-Gruppe vermehrt auftraten (11% vs 1%). In keiner der Gruppen ­waren Effekte auf Brust, Endometrium oder Uterus feststellbar. Insgesamt schlussfolgern die Autoren, dass Estriol in Kombination mit Glatirameracetat die schubförmige Remission bei MS-Patientinnen reduzieren kann. Auch die Verträglichkeit sei sehr gut. Nun soll eine Phase-III-Studie durchgeführt werden, um die Ergebnisse zu untermauern und die Langzeitanwendung zu prüfen.

Doch nicht so einfach wie gedacht?

In einem Kommentar im Lancet Neurology rückt Annette Langer-Gould vom Kaiser Permanente-Institut in Kalifornien die optimistische Einschätzung der Studienergebnisse durch die Autoren in ein anderes Licht: Die Schubrate in der Estriol-Gruppe sei zwar geringer als unter Placebo. Doch die ebenfalls durchgeführten magnet­resonanz-tomografischen Untersuchungen bestätigten diesen positiven Effekt nicht. Daher seien die Ergebnisse insgesamt nicht schlüssig. Auch sei es zu einfach, die immun­protektiven Effekte während einer Schwangerschaft allein auf Östrogene und Progesterone zurückzuführen. Für Langer-Gould ist eine Schwangerschaft aus neurologischer Sicht ein ­äußerst komplexer Zustand von gleichzeitiger Immunsuppression und „Überaufmerksamkeit“ des Immunsystems. Hielte man sich vor Augen, wie essenziell die Reproduktion ins­gesamt sei, dann sei klar, dass hier zahlreiche gleichzeitig ablaufende ­Mechanismen – nicht nur auf hormoneller Basis – zusammenspielen, um das Überleben des Fötus im Körper der Mutter zu sichern. |

Quelle

Voskuhl RR et al. Estriol combined with glatiramer acetate for women with relapsing-remitting multiple sclerosis: a randomised, placebo-controlled, phase 2 trial. Lancet Neurol 2015; http://dx.doi.org/10.1016/S1474-4422(15)00322-1

Langer-Gould A. Sex hormones and multiple sclerosis: another informative failure. Lancet Neurol 2015; http://dx.doi.org/10.1016/S1474-4422(15)00348-8

Apothekerin Dr. Birgit Benedek

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