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Top beraten!

Problemohr abschalten, Lösungsohr einschalten!

Wie ein schwieriges Patientengespräch erfolgreich geführt werden kann

Einfühlsam beraten und auch in angespannten Situationen die Ruhe bewahren, ist eine große Kunst. Ist das Gegenüber aggressiv und fordernd, sind reflexartige Abwehrreaktionen fast schon vorprammiert. Wie dennoch ein zu eskalieren drohendes Beratungsgespräch gedreht werden kann und der Patient die Offizin nicht nur besänftigt, sondern auch um einige Probleme erleichtert wieder verlassen kann, das zeigt Christian Schulz in seinem neuen Top-beraten-Fall.

Mit dunklen Augenringen kommt eine Frau mit ihrem Sohn Leon in die Apotheke um ein Rezept einzulösen. Wir erfahren, dass Leon (29 Monate alt) in den letzten Monaten wiederholt an akuter Otitis media erkrankt war. Aufgrund der aktuellen Intensität des Infektes sind Xylometazolin-haltige Nasentropfen, eine Ibuprofen-Suspension und ein Amoxicillin-Saft verordnet worden. Die Mutter wirkt übernächtigt, wortkarg und merklich angespannt. Als Grund deutet sie die zurückliegende kurze Nacht an, zudem erscheint der Junge überaus quengelig und überdreht. Nach dem Einscannen des Rezeptes wird deutlich, dass die Nasentropfen wegen des bestehenden Rabattvertrags gegen ein wirkstoffgleiches Nasenspray ausgetauscht werden müssen, solange keine pharmazeutischen Bedenken dagegensprechen. Auf die Frage, ob Leon auch mit einem Nasenspray zurechtkommt, äußert sie diesen gereizten Satz: „Das was da drauf steht und nichts anderes! Er verträgt nur Nasentropfen. Nun machen Sie es ja nicht komplizierter, als es bereits ist!“. Diese Situation mündet in eine persönliche Konfrontation, die Stimmung ist brenzlig und droht sich bei unüberlegter Reaktion des Apothekenmitglieds weiter hochzuschaukeln.

Welche Mechanismen wirken eskalierend und erschweren den Zugang zu der Kundin und stehen damit einer Lösung der zugrundeliegenden Probleme im Weg? Wie kann der Apothekenmitarbeiter so reagieren, dass die arzneimittel­bezogenen Probleme (ABPs) erkannt und damit auch das Therapieziel erreicht werden können.

Die Situation im Überblick:

Personen: Leon, 29 Monate alt, quengelig-nölend, Mutter mit negativen Vorerfahrungen bzgl. der Substitution, überanstrengt, leicht reizbar

Diagnose: akute Otitis media, wiederholt aufgetreten in den letzten Monaten

Verordnung: Xylometazolin Nasentropfen 0,05%, Amoxicillin Saft 500 mg/ml, Ibuprofen 4% Suspension

bedenkenswerte ABP:

  • „Maligne Rabattitis“. inadäquate Substitute sind ungeeignet bzw. können im Widerspruch stehen zum angestrebten Therapieziel.
  • negative Erfahrung des Patienten und der Eltern mit einigen Substituten in der Vorgeschichte belasten die Gesprächssituation.
  • Korrekturreflex. Das Pochen des Apothekenmitglieds auf Fachwissen und die allgemeinen Substitutionsregeln kann die Eltern tiefer in den Widerstand manövrieren.
  • AMTS-relevant: verengte Blickwinkel bedingen komplizierte Gesprächsverläufe und Missverständnisse. Beides erschwert die notwendige Beratung bzw. den Zugang zu zugrundeliegenden ABP.

Die Problematik

Menschen unter Stress versuchen unangenehme, schädliche oder bedrohlich wirkende Situationen abzuwehren. An dieser Abwehrreaktion ist unter anderem der Neocortex beteiligt. Unter Überlastung (Disstress) neigen wir zu stark verengten Blickwinkeln, übermäßiger Rationalisierung und Rechtfertigungen. Ebenfalls können intensive emotionale Reaktionen auftreten. Liegt hingegen Eustress oder gar Entspannung vor, können wir Komplexität erahnen, beobachtende Distanz einnehmen und lösungsorientierter handeln. In der geschilderten Kasuistik besteht der eindeutige Impuls der Mutter, eine erneute Abgabe des als ungeeignet erlebten Arzneimittels zu verhindern. Die Mutter hat ihre Position auf sehr unangenehme, konfrontative und fordernde Art zum Ausdruck gebracht. Daher fällt es nicht gerade leicht, unserem reflexhaften Verlangen, die Mutter zu korrigieren, zu widerstehen: wir besitzen mehr Fachwissen, wissen um Pharmakologie und Darreichungsformen bis ins Detail Bescheid, kennen die Anwendungsweise und Grenzen der überaus komplizierten Lieferverträge, müssen tagtäglich die Untiefen der allgemeinen Substitutionspflicht durchleben. Darüber hinaus kennen wir das Therapieziel, allein der Patient müsste in der Lage und bereit sein, den Weg zu gehen. Und nun kommt diese Person mit einer dermaßen frechen Art und Weise? Der Korrekturreflex besitzt eine ausgesprochen verlockende Anziehungskraft.

Rufen wir uns in Erinnerung, dass ein kranker Mensch bzw. ein stark besorgter Angehöriger in der Offizin steht, welcher bereits überaus schlechte Erfahrungen mit dem generischen Substitut gemacht zu haben scheint. Die starke Reaktion kann auch als erster Hinweis auf ein zurückliegendes Arzneimittel-bezogenes Problem interpretiert werden. In be­lastenden Lebensphasen neigen Menschen vermehrt dazu, auf dem Problemohr zu hören: alles erscheint problematisch eingefärbt zu sein, sogar Lösungsansätze dringen dann nur eingeschränkt oder gar nicht hindurch. In dieser Lage sind Patienten oft nicht (mehr) fähig, sich auf Faktenaustausch oder gar Diskussionen zu konzentrieren, sie sind emotional verstrickt und damit kognitiv nicht ohne Weiteres erreichbar. Im Gegenteil kann jeder faktisch richtige Satz neue ­Widerstände entfachen bzw. bestehende Abneigungen ­weiter verstärken: mit einem Vulkan kann man nicht sprechen. Noch komplizierter wird es zudem, wenn das Teammitglied der Apotheke ebenfalls gerade mit Problemen oder Stress welcher Art auch immer konfrontiert ist und übermäßig auf dem Problemohr hört. In unserem hochkomplexen Gesundheitswesen kann dies sehr leicht geschehen. Die Reaktion läuft dann, wenn sie nicht verhindert, erkannt oder früh­zeitig in Richtung einer Lösung umgeleitet wird, in eine ­absolut destruktive, emotional aufgeladene und therapiebeeinträchtigende Richtung. In diesem „Ringermodus“ können weder ABP erkannt, noch Anwendungsweisen besprochen oder gar an den AMTS-relevanten Aspekten gearbeitet werden.

Die Lösung

Beratungsgespräche sind intensive soziale Interaktionsphänomene. Am Gelingen oder Misslingen sind immer (mindestens) zwei Personen unter den gegebenen Bedingungen beteiligt. Interessant ist, dass wir einen gewissen Teil der Bedingungen selbst in der Hand haben: die Rahmenbedingungen stehen weitestgehend in Form von Vorschriften und Regularien fest. Auf die zurückliegenden Erfahrungen unseres Gegenübers haben wir im aktuellen Moment keinen Einfluss. Jedoch bleibt uns stets eine gewisse Freiheit in der Art und Weise, wie wir agieren bzw. auf unser Gegenüber in der sich entwickelnden Situation reagieren. So nehmen wir selbst großen Einfluss auf den Gesprächsverlauf und er­möglichen es unserem Gegenüber, eine unerwartet neue, positive Erfahrung zu machen.

Lösungsohr trainieren!

Im vorliegenden Fall ist die Deeskalation durch den zielgerichteten Umgang mit dem Widerstand ein wichtiger Teil der Lösung. Auch vor dem Hintergrund, die Freude am Beruf zu erhalten, ist es ratsam, dass wir auf die kritische Situation nicht reflektorisch auf das Problemohr schalten, sondern bewusst den Einsatz des Lösungsohrs einüben. Denn ähnlich wie einen Muskel können wir auch unser Gehör trainieren und gezielt als therapiebegünstigenden Faktor einsetzen (aktives Zuhören). Als weiterer Teil der Deeskalationsstrategie hat es sich bewährt, die geäußerten Sorgen aufzugreifen und zu paraphrasieren. Wir geben also mit den eigenen Worten wieder, was wir meinen verstanden zu haben (widerspiegelndes Zusammenfassen). Auf diese Weise können wir in vielen Fällen den hilfreichen Rapport erzeugen und mit dem Patienten auf die zielführende Gesprächsebene wechseln. Verblüffen wir unsere Patienten in unserer Apotheke, indem wir nicht die übliche Aufklärung zur Gleichwertigkeit der Generika in das Gespräch einsteigen (CAVE: viele patientenindividuelle Erlebnisse widersprechen dieser unzulässigen Verallgemeinerung!), sondern ihnen zuerst aus der Seele sprechen. Überraschen wir un­sere Patienten mit der Äußerung von Verständnis für ihre beschwerliche Lage. Und Verstehen ist nicht automatisch mit Zustimmung gleichzusetzen. Wenn das Verstehen in einen ruhigeren Gesprächsverlauf mündet, kann im nächsten Schritt zielführend informiert werden. Im Modus des „das muss aber so, weil …“ liegt die Wurzel der Verschärfung, hingegen fußt die zuhörende Pharmazie auf der Überzeugung, dass viele erkannte und verstandene Arzneimittel-bezogene Probleme lösbar sind!

Durch diesen überlegten Griff in den Werkzeugkasten der Kommunikationsmittel wurde eine Entspannung der Gesprächssituation erreicht. Das Instrument „Pharmazeutische Bedenken“ ermöglicht die Abgabe von Xylometazolin in der einzigen individuell geeigneten Darreichungsform, nämlich als Nasentropfen. Im Verlauf des im ruhigeren Fahrwasser geführten Gesprächs wurde die Mutter noch zugänglicher und es stellte sich heraus, dass keine erkenn­baren Gründe gegen den Austausch der beiden anderen Arzneimittel vorlagen, so dass die Versorgung zur Zufriedenheit aller abgeschlossen werden konnte. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Gesichtswahrung auf beiden Seiten mit zu den wesentlichen Erfolgsfaktoren der professionellen patientenzentrierten Versorgung zählt.

Was wäre wenn ...

auch in Ihrem Team Korrekturreflex und Schalten auf das Problemohr zu beobachten sind? Damit ist zu rechnen, denn solche Reaktionen sind nur menschlich. In allen helfenden Berufen ist der Korrekturreflex weit verbreitet, sowohl in Arztpraxen, Ambulanzen als auch in Kliniken. Jede Berufsgruppe ist betroffen, wie auch jede Hierarchiestufe. Warum sollten also Apotheken davon ausgenommen sein? Die gute Botschaft: dieser Zustand lässt sich mit einem Quäntchen Bereitschaft, Geduld und Übung ändern. In vielen Situationen unseres Berufsalltags treffen wir auf Äußerungen von Menschen, die den Status quo verteidigen oder eine Ambivalenz in Bezug auf eine nötige Veränderung erkennen lassen. Denken Sie beispielsweise an ein Gespräch mit einem Patienten, in dem sich eine schlechte Therapietreue unter Dauermedikation andeutet. In Situationen wie dieser folgen häufig auf die Äußerungen des Patienten gut gemeinte Vorschläge der helfenden Berufe, wie der Patient die Dinge künftig „richtig machen“ kann. Dadurch kann es allerdings unbeabsichtigt dazu kommen, dass Patienten ihre eigene Position – zum Beispiel die, die zur schlechten Therapietreue führte – verteidigen. So bleibt der Status quo nicht nur unverändert, sondern wird möglicherweise auch noch weiter verfestigt.

... der Fokus auf das Ziel der ABP-Detektion gerichtet würde? Besser geeignet als gut gemeinte „Belehrungen“ sind offene Fragen zu Beginn des Gesprächs. Offene Fragen dienen der Detektion von Arzneimittel-bezogenen Problemen. Der Patient schildert in eigenen Worten die Schwierigkeiten, Bedenken und Probleme, also seine ganz eigene Alltagswahrheit. Aus diesem Rohstoff können wir durch Beratung eine Stärkung der Veränderungsbereitschaft erreichen, indem wir das Gehörte zusammenfassen (ihm „aus der Seele sprechen“) und darauf aufbauend eine Hilfestellung anbieten. Deutlich werden sollte an dieser Stelle, dass es uns wichtig ist, seine Probleme zu lösen und die Arzneimittelanwendung zu erleichtern. Warum? Weil es ihm gut tut und uns seine Gesundheit wichtig ist. Wir können drei Minuten über allgemeine Schwierigkeiten und erschwerende Rahmenbedingungen sprechen, oder ebenso gut auf den individuellen Schwierigkeiten des Patienten aufbauen. Dies ist dann eine weitere positive Seite der patientenorientierten Präsenzapotheke.

... wir gezielt besonders komplikationsreiche und auffallend gelungene Versorgungsgespräche im Rückblick einer Analyse und Bewertung unterziehen würden?

„Wir wollen nicht den Ohrfeigen hinterherlaufen“, so treffend hat es der Psychologe Alfred Adler einmal formuliert. Durch die offene Reflexion der Gesprächsergebnisse können wir den Nutzen der offenen Fragetechniken erkennen, neue AMTS-fördernde Techniken entwickeln und unserem lösungsorientierten Vokabular einen weiteren Feinschliff verleihen. Zudem sorgt der ruhigere, klärende und offene Zugang zum Patienten unter intensiver Nutzung des „Lösungsohrs“ auch dafür, dass der Ruf der Apotheke nicht nur gut bleibt, sondern noch besser wird. Und ein hoher, sowie weiter wachsender Anteil von Stammpatienten stellt ein weiteres attraktives Ziel dar, um uns mit dem Korrekturreflex und der kraftvollen Wirkung der eigenen Worte genauer zu beschäftigen. |


Autor

Christian Schulz,
Fachapotheker für Allgemeinpharmazie
Naturheilkunde & Homöopathie
Geriatrische Pharmazie
Bad Apotheke (Bad Meinberg), Sankt Rochus Apotheke (Steinheim), Glocken­Apotheke (Bad Salzuflen)

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