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Interpharm 2016 – POP-Symposium
„Bergfest“ für das Medikationsmanagement
Patienten-orientierte Pharmazie – wo stehen wir heute?
Auch wenn das Medikationsmanagement noch nicht in die Regelversorgung implementiert werden konnte, so gibt es doch erfreulicherweise einige regionale Projekte, die vergütet werden, so Rose. Dazu zählt beispielsweise der Vertrag zwischen der Apothekerkammer Westfalen Lippe und der AOK, bei der die zertifizierte Apotheke – mittlerweile sind es über 250 – für eine Medikationsanalyse 80 Euro erhält. In einem gemeinsamen Projekt der Kassenärztlichen Vereinigung Mecklenburg-Vorpommerns, des Greifswalder Ärztenetzes Grypsnet, des Apothekerverbandes Mecklenburg-Vorpommern und der AOK Nordost können Greifswalder Ärzte seit 1. März – dem Beginn der Testphase - ihren Patienten der AOK Nordost die Erstellung eines umfassenden Medikationsplans durch eine Apotheke verordnen. Als weiteres positives Beispiel dafür, dass das Medikationsmanagement „übern Berg“ gekommen ist, nannte Rose das AMTS-Projekt Rheinland-Pfalz für die Betreuung von Patienten an der Schnittstelle Klinik – ambulante Versorgung.
„Chaos ist vorprogrammiert“
Ein Wermutstropfen sei jedoch, dass beim Medikationsplan die Bemühungen, Apotheker in dessen Erstellung einzubeziehen, leider nicht von Erfolg gekrönt waren. Daher sei zu erwarten, so Rose, dass die Apotheker mit der Einführung des bundeseinheitlichen Medikationsplans am 1. Oktober 2016 zu „Ausputzern“ degradiert werden. Das „Chaos“ sei vorprogrammiert, wenn Apotheker die unvollständig ausgefüllten Medikationspläne der Ärzte „glattziehen“ müssen, ohne dafür eine Vergütung zu erhalten.
Auch nicht wie gewünscht vorangekommen sei der Umbau des Pharmaziestudiums, was nach Ansicht Roses vor allem auf den Widerstand eines Großteils der Hochschullehrer zurückzuführen sei. Die Forschung auf dem Gebiet der AMTS werde derzeit nur durch wenige nationale Arbeitskreise geleistet. Diese Studien könnten sich jedoch sehen lassen, so Rose. Als Beispiel nannte er die WestGem-Studie, deren Ergebnisse in Kürze publiziert werden. Dabei handelt es sich um die erste randomisierte kontrollierte Studie zum interprofessionellen Medikationsmanagement, die bei multimorbiden Patienten mit Polymedikation unter anderem gezeigt hatte, dass 40% der von den Patienten angewendeten Medikamente dem Hausarzt nicht bekannt war. Endpunkt dieser Studie war die Reduktion des MAI Scores (Medication Appropriateness Index), einem weltweit evaluierten Messinstrument. Es zeigte sich, dass dieser Score durch ein Medikationsmanagement signifikant verbessert werden konnte. Außerdem kam dabei heraus, dass das ausführliche Medikationsmanagement einer einfachen Medikationsanalyse überlegen ist.
Im APO-AMTS-Projekt in Westfalen-Lippe hatten Isabel Waltering und Mitarbeiter in einer Gruppe von Patienten die Medikationspläne überprüft. Dabei zeigten sich lediglich in 6,5% der betrachteten Fälle keine Unterschiede zwischen Medikationsplan und tatsächlicher Anwendung.
Deutschland ist Schlusslicht
Blickt man über den nationalen Tellerrand, so zeige sich, dass Deutschland bei der Vergütung von AMTS-Aufwendungen Schlusslicht ist. So ist beispielsweise das Medikationsmanagement in Polen seit 2016 eine abrechenbare Leistung, ebenfalls in Slowenien, wo es aber nur durch spezialisierte Fachapotheker abgerechnet werden darf. In der Schweiz ist die Abrechnung von Pharmaceutical Care modulweise möglich. So erhält die Apotheke beispielsweise für einen Polymedikations-Check ab fünf Arzneimitteln 45 Euro, für eine AMTS-relevante Kontaktaufnahme mit dem Arzt vier Euro.
Um sich auf dem Gebiet der AMTS fortzubilden, existiert neben den regionalen Ausbildungskursen auch ein Curriculum der Bundesapothekerkammer. Diese Möglichkeit, die acht Zeitstunden umfasst, ist aus Roses Sicht noch zu wenig bekannt. „Der Nachweis einer Teilnehme wird in Zukunft notwendig sein, wenn Sie an AMTS-Modellprojekten teilnehmen wollen“, so Rose. Ansprechpartner für Fortbildungswillige sind die Landesapothekerkammern.
Medikationsanalyse und Medikationsmanagement in der täglichen Praxis
In der Novelle der Apothekenbetriebsordnung 2012 war bereits im §1a Abs. 3 definiert worden, dass das Medikationsmanagement eine pharmazeutische Tätigkeit ist, erläuterte Isabel Waltering, PharmD. Inzwischen wurde dieser Paragraf „mit Leben erfüllt“. Der Geschäftsbereich Arzneimittel der ABDA hat 2014 definiert, was unter Medikationsanalyse und Medikationsmanagement zu verstehen ist. Danach ist die Medikationsanalyse eine strukturierte Analyse der aktuellen Gesamtmedikation eines Patienten, die vier Hauptschritte umfasst:
- 1. die Identifikation von Datenquellen und das Zusammentragen der Informationen,
- 2. die Evaluation und Dokumentation von manifesten und potenziellen arzneimittelbezogenen Problemen,
- 3. das Erarbeiten möglicher Lösungen,
- 4. die Vereinbarung von Maßnahmen mit dem Patienten und gegebenenfalls mit dem/den behandelnden Arzt/Ärzten.
Das Medikationsmanagement dagegen ist die kontinuierliche Weiterbetreuung des Patienten durch ein multiprofessionielles Team auf Basis einer Medikationsanalyse. Zudem wurde bei der Medikationsanalyse eine Unterteilung in vier Typen vorgenommen (siehe Tabelle), wobei nach Walterings Einschätzung der Typ 2a, der den so genannten Brown-bag-Review beinhaltet, für die Apotheke der realistischste und praktikabelste Typ ist.
Medikationsdaten |
Patientengespräch |
klinische Daten |
|
---|---|---|---|
1: einfache Medikationsanalyse |
ja |
nein |
nein |
2a: erweiterte Medikationsanalyse |
ja |
ja |
nein |
2b: erweiterte Medikationsanalyse |
ja |
nein |
ja |
3: umfassende Medikationsanalyse |
ja |
ja |
ja |
Zur Dokumentation der Ergebnisse des Medikationsmanagements gibt es mittlerweise zahlreiche Arbeitshilfen und Materialien. Waltering empfahl den Dokumentationsordner „Medikationsanalyse“ aus dem Deutschen Apotheker Verlag.
Häufig werde auch die Frage gestellt, wann es sinnvoll sei, eine Medikationsanalyse oder ein Medikationsmanagement zu wiederholen. Nach Walterings Ansicht ist dies notwendig
- wenn der Patient eine neue Diagnose erhalten hat,
- nach einer Klinikentlassung,
- wenn sich die Lebenssituation gravierend verändert hat (z. B. durch Umzug ins Altenheim)
- sowie nach jeder Änderung der Medikation.
Die Praxis und Untersuchungen zeigten zudem, dass eine quartalsweise Aktualisierung sinnvoll sein kann, weil etwa vier Monate nach Erstellung einer Medikationsanalyse die Fehlerquote bei der Medikamenteneinnahme wieder ansteigt.
Blick in die Zukunft
Nach Walterings Ansicht sind Medikationsanalyse und Medikationsmanagement der einzig gangbare Weg, um die Apotheke „am Leben zu erhalten“. Zukunftsszenarien, wie sie beispielsweise kürzlich auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos diskutiert wurden, besagen, dass sich in zehn Jahren die Gesundheitssysteme weltweit sehr stark verändert haben werden. So könnte es sein, dass Roboter dann Arzneimittel ausgeben. „Doch der Patient braucht einen kompetenten Ansprechpartner aus Fleisch und Blut, der in der Lage ist, ihn individualisiert zu betreuen. Und das kann nur ein Mensch machen, keine Maschine und kein Algorithmus“, so Waltering.
Herausforderung Polypharmazie
In ihrem gemeinsamen Vortrag demonstrierten Apothekerin Katharina Richling, PharmD und der in einer internistischen Gemeinschaftspraxis in Münster tätige Arzt Dr. med. Christian Fechtrup an verschiedenen Praxisbeispielen anschaulich, wie multimorbide Patienten mit Vorhofflimmern interprofessionell betreut werden können. Der Begriff Polymedikation oder auch Multimedikation, der in diesem Zusammenhang eine Rolle spielt, ist überraschenderweise nicht genau definiert, so Richling. Meist wird darunter die gleichzeitige Anwendung von mindestens fünf Medikamenten verstanden. Unbestritten sei jedoch dass die Polymedikation ein eigenständiger Risikofaktor für Nebenwirkungen ist. Um sich nicht zu „verzetteln“, empfahl Richling, vor einer Medikationsanalyse genau festzulegen, welche Ziele damit erreicht werden sollen. Ist es das Wichtigste, den HbA1c-Wert oder eher die Blutdruckkontrolle zu verbessern? Um den Patienten wirklich zu unterstützen, müsse außerdem herausgefunden werden, was für ihn aktuell das wichtigste Problem ist. „Vielleicht ist für ihn der Zielblutdruck gar nicht so wichtig, sondern seine Schmerzen im Bein“, so Richling. |
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