Interpharm 2016 – ApothekenRechtTag

Legal, illegal, sch…egal

Steuertricks bei DocMorris: Wie sich der Staat an der Nase herumführen lässt

ks | Die Gesetzeslage zu Boni scheint klar: Sie sind bei der Abgabe rezeptpflichtiger Arzneimittel verboten. Doch DocMorris meint, dass dies für sie als ausländische Versandapotheken nicht gilt und hat es geschafft, die Frage vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) zu bringen. Von der Verhandlung in Luxemburg und der möglichen Antwort auf eine dort offen gebliebene Frage – nämlich wie DocMorris seine Boni finanzieren kann – berichtete Dr. Bettina Mecking von der Apothekerkammer Nordrhein.
Foto: DAZ/C. Hartlmaier

Dr. Bettina Mecking berichtete ganz aktuell vom EuGH-Verfahren.

Mecking, stellvertretende Geschäftsführerin und Justiziarin der Kammer Nordrhein (AKNR), konnte beim ApothekenRechtTag mit taufrischen Informationen und Eindrücken im DocMorris-Verfahren aufwarten. Einen Tag zuvor hatte in Luxemburg die Verhandlung im Rechtsstreit der Wett­bewerbszentrale gegen die Deutsche Parkinson Vereinigung stattgefunden (siehe hierzu auch AZ Nr. 12/13, 2016, S. 1). Es ist zwar keines der zahlreichen Verfahren, das die AKNR gegen DocMorris und andere ausländische Versender führt – aber eines, das sie selbstverständlich mit großer Spannung verfolgt. Denn an dem Urteil, das der EuGH am Ende spricht, wird nicht mehr zu rütteln sein. Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat zwar schon 2012 entschieden, dass die Arzneimittelpreisverordnung auch für die Europa Apotheek, DocMorris & Co. gilt. Dabei hatte er auch ausgeführt, dass das Europarecht hierdurch nicht verletzt sei – es liege schon keine „Maßnahme gleicher Wirkung“ vor, also kein unzulässiger Eingriff in den Binnenmarkt. Schließlich gelte das Verbot für in- und ausländische Apotheken gleichermaßen.

Apotheke und Recht – ein angespanntes Verhältnis

Traditionell findet im Rahmen der Interpharm der ApothekenRechtTag statt – ein Treffpunkt für Apotheker und Juristen. Auch in diesem Jahr bot das „Forum Arzneimittel & Recht“ einen Vortrags-Mix aus Themen, die Apothekern unter den Nägeln brennen. Vom Retax-Update ging es über Fragen zur Rx-Preisbindung und die Besonderheiten der sozialgerichtlichen Rechtsprechung bis hin zum geplanten neuen Anti-Korruptions-Gesetz, das gleich unter mehreren Gesichtspunkten beleuchtet wurde.

Besondere Belastung auslän­discher Versandapotheken?

Die Europäische Kommission, die in dem Verfahren hinter DocMorris steht, sieht dies allerdings anders: Sie betonte schon in ihrer schriftlichen Stellungnahme, ausländische Versender hätten grundsätzlich einen schwereren Marktzugang als inländische Apotheken. Diese, wie man bei der Kommission meint, strukturellen Nachteile des grenzüberschreitenden Versandhandels könnten die niederländischen Versender nicht durch das Angebot wettbewerbsfähiger Preise kompensieren. Doch dies sei nötig, um „überhaupt eine Chance“ gegenüber Vor-Ort-Apotheken zu haben. Ausländische Versandapotheken hätten, so die Kommission in ihrem Statement, zudem höhere Vertriebskosten. In der Verhandlung vor dem EuGH kamen diese „zusätzlichen Kosten“ abermals zur Sprache. Der Berichterstatter der Ersten Kammer am Gerichtshof, Eugene Regan, konnte diese Ausführungen freilich nicht nachvollziehen: „Wie kann man bei diesen Extrakosten noch niedrigere Preise bieten?“, fragte er den Kommissionsvertreter. Dessen Antwort fiel holprig und wenig überzeugend aus: Das habe wohl etwas mit den Gewinnspannen zu tun. Und wer höhere Kosten habe, sei auf mehr Absatz angewiesen, der wiederum nur über niedrigere Preise zu erreichen wäre, erklärte er. Der Richter ließ es letztlich darauf beruhen.

Boni-Finanzierung durch Abrechnungstrick?

Mecking hingegen hatte eine Erklärung. Und zwar eine, die der Kölner Rechtsanwalt und Steuerberater Dr. Joachim Wüst wenige Tage zuvor veröffentlicht hat. Seine These: DocMorris arbeitet mit einem Steuertrick. Dass holländische Versender das Mehrwertsteuergefälle zwischen Deutschland und den Niederlanden nutzen, wird schon lange vermutet – wirklich nachweisen ließen sich unzulässige Tricks allerdings nicht. Wüst geht bei seinen Ausführungen zunächst davon aus, dass bei Privatrezepten und OTC alles sauber läuft. Da DocMorris mit seinen Arzneimittelverkäufen nach Deutschland sicherlich den Schwellenwert von 100.000 Euro pro Kalenderjahr überschreite, gelte die deutsche Umsatzsteuer. Wüst unterstellt, dass die Versandapotheke insoweit eine Umsatzsteuererklärung in Deutschland beim Finanzamt Kleve abgibt. Diese werde allerdings nicht die für gesetzlich Versicherte verordneten Rx-Arzneimittel erfassen. Denn: In diesem Fall seien die gesetzlichen Krankenkassen Schuldner der deutschen Umsatzsteuer – und nicht die niederländischen Versandhändler. Das Problem: Auch die Krankenkassen führen die Umsatzsteuer vermutlich nicht an die deutschen Finanzämter ab. Denn ihnen fehlt die technische Möglichkeit, zwischen Abrechnungen von ausländischen und von deutschen Apotheken zu differenzieren.

Bis April 2013 war dies offenbar auch kein Problem, folgt man Wüst. Denn bis dahin hatten die großen niederländischen Arzneimittelversender vom sogenannten „Pommes-Erlass“ Gebrauch gemacht. Dieser ist etwa anzuwenden, wenn ein niederländischer Großhändler im grenznahen deutschen Raum eine Vielzahl von Kleinabnehmern (z. B. Imbissbuden) im eigenen Lkw mit Pommes Frites beliefert. Dann kann der Großhändler die Gesamtsendung als „ innergemeinschaftliches Verbringen“ behandeln und alle Lieferungen als Inlandslieferungen bei dem zuständigen inländischen Finanzamt versteuern. Vorausgesetzt, seine örtlich zuständige niederländische Steuerbehörde stimmt diesem Verfahren ebenfalls zu.

Vereinfachungsregelung gilt nicht für Versandhandel

Das Bundesministerium der Finanzen erinnerte im November 2012, dass diese Vereinfachungsregelung nicht für den Versandhandel gilt und der Unternehmer ihre Anwendung zunächst bei den Steuerbehörden beider Länder zu beantragen hat. Das Finanzamt Kleve hatte wohl vor dem 1. Januar 2013 nachträglich seine Zustimmung für die falsche Verfahrensweise durch die niederländischen Versandapotheken erteilt. Aber seit dem 1. April 2013 ist laut Wüst eine solche Zustimmung für den Versandhandel nicht mehr zulässig. Seine Schlussfolgerung: Seitdem wird überhaupt keine Umsatzsteuer abgeführt. Von den niederländischen Versandapotheken nicht, weil sie „garantiert keine Umsatzsteuer an den deutschen Fiskus abführen, die sie überhaupt nicht schulden“. Von den gesetzlichen Krankenkassen nicht, weil diese gar nicht feststellen können, welche Umsätze auf deutsche Apotheken und welche auf niederländische Versandapotheken entfallen. Dafür zahlten die Kassen aber Bruttobeträge an DocMorris & Co – die Mehrwertsteuer ist somit für die Holländer ein Extra-Bonus. Zwar erleiden die Kassen dadurch keinen finanziellen Schaden – wohl aber der Fiskus. Ob die EuGH-Richter Wüsts These in ihre Überlegungen miteinbeziehen, bleibt bislang offen. Mecking setzt jedenfalls darauf.

Erste Ordnungsgelder verjährt

Der Fiskus müsste zudem an anderer Stelle aktiver werden, meint Mecking: Schließlich stehen dem Land Nordrhein-Westfalen die Ordnungsgelder in Millionenhöhe zu, die die Apothekerkammer Nordrhein in zahlreichen Verfahren gegen DocMorris erwirkt hat. Die Versender entziehen sich allerdings immer wieder der Vollstreckung der Ordnungsgeldbeschlüsse. Mittlerweile sind die ersten Ordnungsgelder offensichtlich verjährt, was auf dem ApothekenRechtTag und Online-Foren auf geharnischte Kritik und breites Unverständnis stieß. Es sei ein Skandal ohnegleichen, wie sich der Staat von DocMorris & Co. Zum Schaden des Steuerzahlers an der Nase herumführen lasse. |

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