Arzneimittel und Therapie

Resistenzen überwinden mit Osimertinib

Tyrosinkinase-Inhibitor zur Behandlung von Lungenkrebs eingeführt

Nach einem beschleunigten Zulassungsverfahren steht seit dem 15. März in Deutschland eine neue Therapieoption zur Behandlung des fortgeschrittenen oder metastasierten nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms für Patienten zur Verfügung, die eine positive T790M-Mutation des epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors aufweisen. Mit dem Tyrosinkinase-Inhibitor Osimertinib (Tagrisso®) kann die onkogene Treibermutation T790, die eine Resistenz gegen die Behandlung mit bisher verfügbaren Tyrosinkinase-Inhibitoren zur Folge hat, teilweise überwunden werden.

Wie bei vielen anderen Tumorentitäten haben auch beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (Non-Small Cell Lung Cancer, NSCLC) Treibermutationen eine große Bedeutung für die Progression der Erkrankung. Eine wichtige Rolle spielen beim NSCLC Mutationen der Rezeptor-Tyrosinkinase EGFR (Epidermal Growth Factor Receptor). EGFR befindet sich an der Oberfläche epidermaler Zellen und wird durch Liganden wie den Wachstumsfaktor EGF stimuliert. Daraufhin werden Signalwege angeschaltet, die die Zellproliferation regulieren. Aktivierende Mutationen haben zur Folge, dass die Signalkaskaden in Gang gesetzt werden, obwohl kein Ligand an den Rezeptor gebunden hat. Die Zellproliferation erhöht sich, und der Tumor wächst.

Osimertinib

Zielgerichtet blockieren

Die ersten spezifischen Arzneistoffe gegen den überaktivierten EGFR-Signalweg beim NSCLC waren Gefitinib (Iressa®), Erlotinib (Tarceva®) und Afatinib (Giotrif®). Sie konkurrieren mit Adenosintriphosphat (ATP) um die Bindung am EGFR und blockieren ­damit den für die Tumorprogression wichtigen Signalweg. Dagegen ist Crizotinib (Xalkori®) unter anderem ein selektiver niedermolekularer Inhibitor der anaplastischen Lymphomkinase (ALK-Rezeptor-Tyrosinkinase) und bei NSCLC-Patienten mit Mutationen in diesem Gen zugelassen. Bei vielen ­Patienten gelingt es, mit diesen Wirkstoffen das Tumorwachstum vorübergehend zu hemmen. Nach einigen Monaten entwickeln einige von ihnen jedoch eine Resistenz. Bei etwa zwei von drei EGFR mutationspositiven NSCLC-Patienten, die mit einem Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) behandelt werden, ist die sekundäre T790M Mutation dafür die Ursache. „Mit der T790M Mutation wurde ein zentraler Resistenzmechanismus identifiziert, von dem etwa 60% der progredienten TKI-Patienten betroffen sind“, erklärte Dr. med. Wilfried Eberhardt, Essen, auf einer vom Hersteller AstraZeneca unterstützten Pressekonferenz im Rahmen des 32. Deutschen Krebskongresses. ­Bisher konnten Patienten mit einer T790M Mutation nur noch mit einer Chemotherapie behandelt werden.

Patienten auf Mutation testen

Die T790M Mutation, bei der im Exon 20 des EGFR-Gens an Position 790 Threonin durch Methionin ausgetauscht ist, entsteht häufig unter einer Erstlinientherapie mit einem EGFR-TKI, der dadurch unwirksam wird. Bei etwa drei bis fünf Prozent der NSCLC-Patienten liegt die Mutation bereits zum Zeitpunkt der Diagnose vor. Sie kann auf zwei Wegen identifiziert werden: entweder aus einer Gewebe­biopsie oder aus einer Blutplasmaprobe, die zirkulierende Tumor-DNA (ctDNA) enthält. Diese Testung sollte in den Therapiealgorithmus integriert werden, damit alle Patienten mit der Mutation identifiziert werden können.

Wirksamkeit vielversprechend

Basis für die Zulassung von Osimertinib sind zwei kombinierte Phase-II-Studien (AURA extension und AURA2) und die AURA-Phase-I-Expansionsstudie. In diesen Studien wurde die Wirksamkeit von Osimertinib als Monotherapie bei TKI-vorbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem EGFR T790M mutationspositivem NSCLC untersucht. Insgesamt wurden 474 Patienten mit 80 mg Osimertinib einmal täglich bis zum Fortschreiten der Erkrankung behandelt. In den kombinierten Phase-II-Studien (n = 411) lag die Ansprechrate (gemessen am Schrumpfen des Tumors) bei 66% und in der Phase-I-Studie (n = 63) bei 62%. Das progressionsfreie Überleben lag im Phase-II-Studienprogramm bei 9,7 Monaten und in der Phase-I-Studie bei 11 Monaten. Osimertinib zeigte in der Phase-I-Studie zudem eine mediane Ansprechdauer von 9,7 Monaten.

In den AURA-Phase-II-Studien traten als wichtigste Nebenwirkungen Diarrhö, Hautausschlag, trockene Haut und Nageltoxizitäten auf. Außerdem verringerte sich unter der Therapie die Anzahl von Thrombozyten, Leukozyten und Neutrophilen. Warnhinweise gibt es in Bezug auf interstitielle Lungenerkrankungen, eine Verlängerung des QT-Intervalls sowie eine embryonale und fötale Toxizität.

Zulassungsstatus und Ausblick

Derzeit ist Osimertinib als Monotherapie zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem NSCLC mit EGFR T790M Mutation zugelassen. Die Indikation schließt sowohl Patienten ein, deren Erkrankung während oder nach der Therapie mit einem EGFR-TKI fortgeschritten ist, als auch solche mit T790M Mutation, die zuvor keinen EGFR-TKI erhalten haben. Vor Therapiebeginn ist eine Bestätigung der Mutation erforderlich. Die Behandlung erfolgt bis zum erneuten Progress der Erkrankung oder bis zum Auftreten unzumutbarer Nebenwirkungen.

Osimertinib wird derzeit in der Phase-III-Studie AURA3 bei Patienten mit ­lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem EGFR T790M mutationspositivem NSCLC, bei denen die Erkrankung nach einer EGFR-TKI-Therapie vorangeschritten ist, gegenüber einer Platin-basierten Chemotherapie geprüft. Zudem wird der Wirkstoff als adjuvante Therapie und im metastasierten First-line-Setting bei Patienten mit Hirnmetastasen untersucht sowie in Kombinationen mit anderen Wirkstoffen getestet. |

Quelle

Tagrisso® Fachinformation, Stand Februar 2016

Yang JC, et al. AZD9291 in pre-treated T790M positive advanced NSCLC: AURA study Phase II extension cohort. Abstract 943, präsentiert auf der 16. World Conference on Lung Cancer, 6.-9. September 2015, Denver, Colorado

National Institutes of Health. AZD9291 First Time In Patients Ascending Dose Study (AURA). Verfügbar unter www.clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01802632, Stand November 2015

National Institutes of Health. Phase II AZD9291 Open Label Study in NSCLC After Previous EGFR TKI Therapy in EGFR and T790M Mutation Positive Tumours (AURA2). Verfügbar unter https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT02094261, Stand November 2015

Ramalingam SS, et al. AZD9291 in treatment-naïve EGFRm advanced NSCLC: AURA first-line cohort. Abstract 1232, präsentiert auf der 16. World Conference on Lung Cancer, 6.-9. September 2015, Denver, Colorado

Goss GD, et al. AZD9291 in pre-treated patients with T790M positive advanced non-small cell lung cancer (NSCLC): pooled analysis from two Phase II studies. Abstract 3113, präsentiert auf dem European Cancer Congress, 25.-29. September 2015, Wien

Apothekerin Dr. Claudia Bruhn

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