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Interpharm 2016 – Neue Antikoagulanzien
(K)ein Ritt auf der Rasierklinge
Zur Pharmakologie und den Vor- und Nachteilen der neuen Antikoagulanzien
Die neuen, direkten oralen Antikoagulanzien (DOAK – Kardiologen sprechen auch gern von NOAK – „nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulanzien“) sind zugelassen für die Prävention des Schlaganfalls, der tiefen Beinvenenthrombose und der Lungenembolie. Rivaroxaban hat zusätzlich eine Zulassung für das akute Koronarsyndrom. Hauptindikation der direkten oralen Antikoagulanzien ist die Schlaganfallprävention bei nicht-valvulärem Vorhofflimmern (VHF). Patienten mit VHF haben ein fünffach erhöhtes Risiko für einen Schlaganfall, der wiederum mit hoher Morbidität und Mortalität einhergeht.
Hoher klinischer Stellenwert
Nach den Leitlinien zur Prävention thromboembolischer Komplikationen bei VHF stehen die der direkten oralen Antikoagulanzien heute „bevorzugt“ neben den Vitamin-K-Antagonisten (VKA) – nach den Worten von Prof. Dr. Bernd-Dieter Gonska aus Karlsruhe eher eine „politische“ Bewertung, denn: „In der Schlaganfallprävention sind alle DOAK den Vitamin-K-Antagonisten vergleichbar wirksam“, so der Kardiologe. Lediglich Dabigatran habe in der Dosis zweimal 150 mg/Tag eine Überlegenheit gegenüber den Coumadinen gezeigt. Gewisse Unterschiede bestehen zu den Vitamin-K-Antagonisten in den Nebenwirkungen. Die gefährlichen intrakraniellen Blutungen sind unter DOAK signifikant seltener als bei Vitamin-K-Antagonisten, gastrointestinale Blutungen etwas häufiger. Die Gesamtblutungsrate ist in den Zulassungsstudien vergleichbar. Langzeituntersuchungen zeigen jedoch eine verminderte Blutungsneigung unter den direkten oralen Antikoagulanzien.
Als Vorteile nannte Gonska: den Wegfall von Wirkspiegelkontrollen, die einfache Verabreichung als Fixdosis, signifikant weniger Hirnblutungen, den Wegfall der Heparin-Überbrückung (Bridging) vor operativen Eingriffen sowie das Fehlen von Nahrungsmittelinteraktionen. Dem stehen aber auch Nachteile gegenüber, wie das Interaktionspotenzial, die nicht zu überprüfende Compliance des Patienten, Probleme bei einer notwendigen Wirkstoffspiegelkontrolle und last not least die hohen Kosten. Auch ist bislang lediglich für Dabigatran ein Antidot (Idarucizumab, Praxbind®) zugelassen, als „Fänger“ für Faktor X-Inhibitoren ist ein modifizierter Faktor Xa in der Entwicklung (Andexanet alfa).
Konsequenzen aus der pharmakologischen Aktivität
Wo Vitamin-K-Antagonisten (VKA) die Produktion aktiver Gerinnungsfaktoren bremsen, sorgen direkte orale Antikoagulanzien für eine direkte und reversible Hemmung der gebildeten Faktoren Xa (Xabane) bzw. Thrombin (Dabigatran). Das bedeutet in der Praxis eine grundsätzlich andere Handhabung. Wo Patienten mit Coumadinen über Tage bis Wochen eingestellt werden und ständig den Gerinnungsstatus kontrollieren müssen, erhalten Patienten mit DOAKs eine Fixdosis, die im Regelfall keine Wirkspiegelkontrolle erfordert. Während die Wirkung von Vitamin-K-Antagonisten sehr langsam abflaut, entspricht die Wirkdauer der neuen, direkten oralen Antikoagulanzien etwa ihrer Halbwertszeit. Diese liegt zwischen fünf und 14 Stunden – die Substanzen müssen bzw. dürfen ein- bis zweimal täglich eingenommen werden. Dies wiederum verlangt vom Patienten hohe Therapietreue, denn die Tal- und den Spitzenspiegel weisen vor allem bei einmal täglicher Einnahme eine enorme Spannbreite auf. Daraus resultieren praktisch bedeutsame Fragen: Wie lang darf die Gerinnungshemmung unterbrochen werden? Wie linear sind bei den DOAK die Beziehungen zwischen Dosis, Plasmakonzentration und Gerinnungshemmung? Auf diese pharmakologischen Aspekte klopfte Prof. Dr. Thomas Herdegen die einzelnen Substanzen ausführlich ab.
Dabigatran: renal eliminiert
Thrombin (Faktor IIa) bewirkt in der Gerinnungskaskade die Umwandlung von Fibrinogen zu Fibrin. Der einzige zugelassene Inhibitor von Thrombin ist Dabigatran (Pradaxa®). Hydrolytisch aktiviertes Dabigatran hemmt dosisabhängig das freie und das bereits Fibrin-gebundene Thrombin. Die absolute Bioverfügbarkeit von Dabigatran erreicht nach oraler Anwendung nur 6,5%. Das Prodrug Dabigatranetexilat wird in Leber und Plasma rasch und vollständig zu aktivem Dabigatran hydrolysiert. Die Halbwertszeit von zwölf bis 14 Stunden erlaubt eine ein- bis zweimal tägliche Einnahme.
Unter den direkten oralen Antikoagulanzien ist Dabigatran durch die höchste renale Elimination charakterisiert. Aktiver Wirkstoff wird unverändert zu 80% über die Nieren eliminiert, nur zu 20% biliär. Das bedeutet, schon bei mittelgradiger Niereninsuffizienz (CrCl 30 bis 50 ml/min) sind Exposition und Halbwertszeit wesentlich verlängert – die Dosis ist zu reduzieren. Eine schwere Niereninsuffizienz (CrCl unter 30 ml/min) ist eine absolute Kontraindikation. Auch bei hohem oder niedrigem Körpergewicht (< 50 kg bzw. > 110 kg) wird die Dosis angepasst. Anders als die Xabane ist Dabigatran kein Substrat des hydrolysierenden Leberenzyms CYP3A4. Das Prodrug Dabigatran-Etexilat unterliegt jedoch dem Abtransport aus der Zelle durch P-Glykoproteine (P-gp). Die gleichzeitige Gabe von starken P-gp-Inhibitoren wie Ciclosporin und Azolen ist kontraindiziert. Weniger starke P-gp-Hemmer wie Amiodaron, Clarithromycin, Ritonavir und Verapamil sowie P-gp-Induktoren wie Johanniskraut, Carbamazepin, Phenytoin und Rifampicin sind mit Vorsicht anzuwenden.
Xabane: Abbau durch CYP3A4
Sie blockieren direkt und reversibel den Gerinnungsfaktor Xa und hemmen so die Bildung von Thrombin. Anders als Dabigatran können Xabane bereits aktives Thrombin nicht mehr antagonisieren. „Nach heutigem Wissen macht es aber bezüglich Wirksamkeit und Blutungsrisiko keinen Unterschied, ob Faktor Xa oder Faktor IIa inhibiert werden“, merkte Herdegen an.
Rivaroxaban (Xarelto®) weist unter den DOAK mit 80% die höchste Bioverfügbarkeit auf und wird zu einem Drittel unverändert über die Nieren ausgeschieden. Die altersabhängige Abnahme der Elimination wurde für Rivaroxaban quantifiziert: Die terminale Halbwertszeit beträgt fünf bis neun Stunden bei jüngeren Individuen und elf bis 13 Stunden bei Älteren. Trotz der kurzen Halbwertszeit von Rivaroxaban genügt zur Thromboembolie-Prophylaxe bei Vorhofflimmern die einmal tägliche Einnahme. Im Unterschied zu Dabigatran sind auch bei mittlerer oder schwerer Nierenfunktionsstörung die Plasmaspiegel nur moderat erhöht (bei CrCl unter 30 ml/min um den Faktor 1,6). Vor allem bei älteren Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion sollte vorsichtshalber die Dosis (z. B. von einmal 20 mg auf einmal 15 mg) reduziert werden. Rivaroxaban ist wie alle F-Xa-Hemmstoffe sowohl ein Substrat der P-Glykoproteine als auch des Cytochrom P4503A4.
Apixaban (Eliquis®) und Edoxaban (Lixiana®) unterscheiden sich hinsichtlich der Pharmakokinetik nicht sonderlich. Dennoch ist Apixaban zweimal täglich (zweimal 5 mg/Tag) einzunehmen, Epixaban einmal (einmal 60 mg/Tag), bei Niereninsuffizienz jeweils in der halbierten Dosis. Auch Patienten, die weniger als 60 kg wiegen, erhalten von Edoxaban nur die halbe Dosis. Das relativ junge Edoxaban weist wahrscheinlich die geringsten Interaktionen mit Modulatoren von P-gp und CYP3A4 auf.
Der Patient mit DOAKs: Worauf achten, wie beraten?
„Das Wesentliche bei der Abgabe und Beratung zu DOAKs sind die möglichen Arzneimittelinteraktionen“, gab Herdegen vor. Bei Dabigatran sind wegen seiner geringen Bioverfügbarkeit vor allem die Interaktion mit Inhibitoren von P-Glykoproteinen zu beachten. Rivaroxaban und Apixaban sind zwar ebenfalls P-gp-Substrate; ihre hohe Bioverfügbarkeit ruft aber eher Interaktionen mit CYP3A4-Inhibitoren auf den Plan. Bei Edoxaban sind weniger die CYP3A4-Modulatoren als mehr die starken P-gp-Inhibitoren zu vermeiden.
Die Komedikation von DOAKs mit anderen Antikoagulanzien einschließlich Vitamin-K-Antagonisten und Heparinen ist generell kontraindiziert. Toleriert wird die niedrig dosierte Heparin-Gabe, um Katheter freizuhalten. Was aber, wenn der Patient z. B. zusätzlich Schmerzmittel oder Thrombozytenfunktions-Hemmer einnehmen will oder soll? Grundsätzlich werden Arzneistoffe mit Einfluss auf die Hämostase wie ASS, NSAR, Clopidogrel und selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) das Blutungsrisiko unter DOAKs erhöhen. Dies gilt insbesondere für eine längerfristige Komedikation und im Falle der NSAR für jene mit langer Halbwertszeit. Dann sollte von der Einnahme abgeraten oder an die zusätzliche Gabe eines Protonenpumpen-Hemmers gedacht werden. Orientierung bietet auch die Frage nach der bisherigen Verträglichkeit einer Komedikation. Bei der einmaligen oder kurzfristigen Anwendung von NSAR ist in der Regel kein relevantes Risiko zu erwarten.
Hat der Patient eine Einnahme vergessen, wird diese je nach Zeitpunkt nachgeholt oder auch ausgelassen.
Gerinnungskontrolle: seltene Indikation
Ein regelmäßiges Monitoring der Gerinnung ist bei unkompliziertem Therapieverlauf bei DOAK nicht notwendig – mit Ausnahme einiger besonderer Situationen, die Prof. Dr. Hanno Riess von der Berliner Charité erläuterte: so bei Verdacht auf Kumulation (z. B. aufgrund Arzneimittelinteraktion, Niereninsuffizienz, Fehleinnahme), zur Kontrolle der Compliance, bei akuten Interventionen (Operation oder Lyse) und bei Blutungen. In solchen Fällen können erfahrene Labore den Gerinnungsstatus mit spezifischen Testsystemen kurzfristig und zuverlässig kontrollieren. |
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