Arzneimittel und Therapie

Ein Antidiabetikum zum Abnehmen

Liraglutid kann das Körpergewicht senken, ist aber nur bei bestimmten Komorbiditäten indiziert

Seit Anfang April steht mit Saxenda® in Deutschland ein zusätzliches Arzneimittel zur Behandlung der Adipositas zur Verfügung. Die Indikationserweiterung des ursprünglich als Antidiabetikum entwickelten Liraglutids basiert hierbei auf den Resultaten des SCALE-Studienprogramms. Dennoch bleiben einige wichtige Fragen offen, weshalb die Anwendung weiterhin kritisch zu hinterfragen ist.

Bei dem Inkretinmimetikum Liraglutid handelt es sich, wie bei dem älteren Exenatide (Byetta®), um einen Rezeptor­agonisten von Glucagon-like Peptid 1 (GLP-1), einem gastrointestinalen Hormon. GLP-1 wird unter anderem von L-Zellen der Darmschleimhaut produziert und stimuliert die nahrungsabhängige Insulinproduk­tion und -freisetzung aus den Betazellen des Pankreas. Es ist mitverantwortlich für den in den 1960er-Jahren beobachteten Inkretineffekt, bei dem die Insulinausschüttung bei gleichen Blutzuckerspiegeln unterschiedlich stark stimuliert wird, abhängig davon ob die Glucose-Gabe oral oder intravenös erfolgt. Bei Liraglutid ist die Aminosäure Lysin in Position 34 durch Arginin ersetzt und an Lysin in Position 26 an Palmitinsäure gebunden, wodurch eine verzögerte Absorption aus der Injektionsstelle und in der Folge eine verlängerte Wirkdauer erreicht wird.

Das GLP-1-Analogon Liraglutid kann bei gewichtsbedingten Komorbiditäten wie Typ-2-Diabetes zur Behandlung von Adipositas eingesetzt werden. Zu beachten ist das Hypoglykämie-Risiko bei gleichzeitiger Anwendung von Insulin oder Sulfonylharnstoffen.

Hilft gegen den Hunger

Weiterhin hemmen GLP-1 und Analoga die Ausschüttung von Glucagon, verzögern die Magenentleerung und die Sekretion von Magensäure und vermitteln zentrale Völle- und Sättigungsgefühle (Abb.), weshalb Liraglutid neben der Indikation als Antidiabetikum (Victoza®) auch zur Therapie der Adipositas (Saxenda®) eingesetzt werden kann [1]. Nachdem Liraglutid in den USA bereits im Jahr 2014 zur Behandlung von chronischem Übergewicht zugelassen wurde, stimmte 2015 auch die europäische Arznei­mittelagentur (EMA) der Indikationserweiterung zu.

Liraglutid wird als Ergänzung zu kalorienreduzierter Ernährung und verstärkter körperlicher Aktivität zur ­Gewichtsregulierung bei Erwachsenen mit einem Body-Mass-Index (BMI) von ≥ 30 kg/m² oder ≥ 27 kg/m² bis < 30 kg/m² angewendet, sofern mindestens eine gewichtsbedingte Komorbidität wie Typ-2-Diabetes, Hypertonie oder Dyslipid­ämie vorliegt. Patienten sollten die Behandlung mit Liraglutid jedoch nur fortführen, wenn sie nach zwölf Wochen mindestens 5% ihres ursprünglichen Körpergewichts verloren haben. Mit Behandlungskosten von ca. 1000 US-Dollar monatlich übersteigt Liraglutid die Therapiekosten des intestinalen Lipasehemmers Orlistat.

Das Phase-III-Studienprogramm

Die Wirksamkeit und Sicherheit von ­Liraglutid zur Gewichtsregulierung in Verbindung mit einer verminderten Kalorienzufuhr und körperlicher Aktivität wurde in vier multinationalen, placebokontrollierten Phase-III-Studien mit insgesamt 5358 Patienten untersucht [2]. Die größte dieser Studien (SCALE™ Obesity and Prediabetes) konnte zeigen, dass Liraglutid bei 63,5% der übergewichtigen Patienten mit Begleiterkrankungen eine Gewichtsreduktion um 5% und bei 32,8% der Patienten von mehr als 10% erzielte, wodurch eine signifikante Veränderung des systolischen Blutdrucks und Taillenumfangs gegenüber Placebo resultierte. Unter Liraglutid verbesserten sich zudem die glykämischen Parameter bei Patienten mit Normoglykämie, Prädiabetes und Diabetes mellitus Typ 2 signifikant, was vor allem im Rahmen der SCALETM-Diabetes-Studie an 1922 adipösen Patienten mit unzureichend kontrolliertem Blutzuckerspiegel (HbA1c-Bereich 7 bis 10%) und in Kombination mit anderen Antidiabetika wie Metformin, Sulfonylharnstoffen oder Glitazonen gezeigt wurde.

Die SCALETM-Sleep-Apnoe-Studie zur Bewertung des Schweregrads der Schlafapnoe und des Gewichtsverlusts bestätigte bei adipösen Patienten mit mittelschwerer oder schwerer obstruktiver Schlafapnoe unter Liraglutid eine signifikante Reduktion des Schweregrads der Symptomatik gegenüber Placebo. Die langfristige Wirksamkeit von Liraglutid wurde in der SCALETM-Maintenance-Studie überprüft und zeigte, dass Patienten mit 5% Gewichtsreduktion nach zwölfwöchiger Anwendung nach 56 Wochen einen weiteren Verlust von 6,2% erzielten. Insgesamt konnten 80% der Patienten mit einer Gewichtsreduktion von mindestens 5% ihr Gewicht nach 56 Wochen halten.

Kritische Bewertung

In der aktuellen S3-Leitlinie sieht die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) die Studienlage bezüglich der Wirksamkeit von GLP-1-Analoga jedoch als unzureichend an, da die Behandlungseffekte nur für einen Beobachtungszeitraum von einem Jahr dokumentiert sind. Neueste Ergebnisse bestätigten nun jedoch, dass auch nach 160 Wochen Behandlungsdauer alle mit Liraglutid behandelten Patienten mehr Gewicht verloren als die ­Placebo-Gruppe (6,1% vs. 1,9%) und ­Risikofaktoren wie systolischer Blutdruck, Triglycerid- und Gesamtcholesterolspiegel sowie Taillenumfang stärker reduziert wurden [3].

Generell ist bei der Gabe von Liraglutid das Risiko einer Hypoglykämie bei gleichzeitiger Anwendung von Insulin oder Sulfonylharnstoffen zu beachten. Die durch Liraglutid verzögerte Magenentleerung kann zudem die Resorption gleichzeitig oral angewendeter Arzneimittel beeinflussen, jedoch zeigten Studien bisher keine klinisch relevanten Interaktionen. Die Sicherheit von Liraglutid wird auch durch die über mehr als fünf Jahre reichenden Erfahrungen als Antidiabetikum unterstützt. Jedoch liegt die Dosierung bei Adipositas mit 3 mg täglich weit höher, weshalb möglicherweise mit spezifischen Nebenwirkungen zu rechnen ist.

Weitere Therapieoption bei Adipositas in der Erprobung

Der Wirkstoff Beloranib erreichte in einer randomisierten klinischen Phase-III-Studie eine signifikante Gewichtsreduktion sowie Verringerung der Esssucht bei Patienten mit Prader-Willi-Syndrom, die häufigste genetisch bedingte Ursache für Adipositas. Der genaue Mechanismus ist noch nicht geklärt, jedoch verringert sich durch Inhibition der Methionin-Aminopeptidase 2 die hepatische Fettsäurebiosynthese. Womöglich werden auch zentrale Sättigungsgefühle induziert. Neben diesen äußerst vielversprechenden Ergebnissen häuften sich unter Beloranib jedoch auch schwerwiegende Nebenwirkungen wie thromboembolische Ereignisse, weshalb detaillierte Untersuchungen nötig sind, um das Verhältnis von Risiko und Nutzen genauer zu verifizieren.

Quelle

The Endocrine Society‘s 98th Annual Meeting (ENDO), 13. April 2016, Boston; Abstract LB-OR02-7

Anwendungshinweise

Zur Gewichtsreduktion wird Liraglutid in einer Dosierung von 0,6 mg täglich subkutan gegeben und abgestuft auf 3,0 mg pro Tag erhöht. Am häufigsten wurde über gastrointestinale Nebenwirkungen berichtet. Für eine bessere Verträglichkeit sollte die Dosis im Abstand von mindestens einer Woche gesteigert werden. Zudem wurden erhöhte Herzfrequenz sowie häufiger Cholelithiasis und Cholezystitis beobachtet. Berichte über kardiovaskuläre Ereignisse waren über 160 Wochen dagegen nicht häufiger als unter Placebo.

Verdacht auf Pankreatitis

Vor allem das assoziierte Pankreatitis-Risiko gibt seit der Marktzulassung von Liraglutid Grund zur Besorgnis. In klinischen Studien hat sich das äußerst geringe Risiko für Pankreatitis unter Saxenda® auf 0,3% verdreifacht. Ob und wie viele Patienten nach langfristiger Einnahme eine Pankreatitis oder sogar ein Pankreaskarzinom entwickeln, bleibt abzuwarten. Anwender sollten auf jeden Fall über die charakteristischen Symptome einer akuten Pankreatitis informiert werden, darunter heftige Schmerzen im Oberbauch, die in den Rücken ausstrahlen.

Fazit

Mit Liraglutid steht ein effektives, jedoch auch teures Alternativpräparat zu Orlistat als medikamentöse Therapieoption der Adipositas in Deutschland zur Verfügung. Doch das Interaktionspotenzial mit Antidiabetika bei Typ-2-Diabetikern sowie die noch immer nicht eindeutig geklärte Erhöhung des Risikos für Pankreatitis und Pankreaskarzinom lassen die Bedenken zu Liraglutid nicht verstummen. |

Quelle

[1] Pressemitteilung Novo Nordisk, vom 1. April 2016

[2] Fachinformation Saxenda, Stand: März 2016

[3] News von Saxenda® unter http://arznei-news.de/saxenda/

Apotheker Dr. André Said

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