Arzneimittel und Therapie

Kein Freischein für die Hormontherapie

Warum Hormone in den Wechseljahren nicht rehabilitiert sind

War alles nur ein Missverständnis und ist die Hormontherapie in den Wechseljahren rehabilitiert? Diesen Eindruck konnten Empfänger einer Pressemitteilung von gynäkologischen Fachgesellschaften gewinnen. Ein Blick auf die Daten zeigt jedoch: Von grundlegender Entwarnung kann keine Rede sein.

Anfang Mai erschien eine Pressemitteilung [1] des Bundesverbandes für Frauenärzte, der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie der Deutschen Menopause Gesellschaft, die die bisherigen Erkenntnisse zur Hormontherapie in den Wechseljahren anscheinend infrage stellte. Die Schlagworte „mehr Nutzen als Risiken“ und „fehlerhafte Interpretation von Studiendaten“ wurden auch von verschiedenen Medien aufgegriffen und vermittelten dem Leser den Eindruck, dass die gesundheitlichen Risiken der Hormontherapie bei jüngeren herzgesunden Frauen im Wesentlichen zu vernachlässigen seien. Allerdings beruht die Pressemitteilung nicht auf neuen Studiendaten, sondern einem Meinungsbeitrag im New England Journal of Medicine (NEJM). In dem Beitrag beklagen zwei Autoren der Women‘s Health Initiative (WHI)-Studie, dass auf der Basis der Studiendaten vielen Frauen eine Hormontherapie aus Angst vor Nebenwirkungen vorenthalten werde, obwohl der Nutzen im Hinblick auf vasomotorische Beschwerden wie Hitzewallungen und nächtliche Schweißausbrüche eindeutig nachgewiesen sei [2]. Zur Erinnerung: Als die WHI-Studie begann, gab es Anhaltspunkte aus Beobachtungsstudien, dass eine Gabe von Hormonen bei Frauen nach den Wechseljahren positive Effekte auf das Herz-Kreislauf-System haben könnte. Entsprechend war die WHI-Studie als langfristige Präventionsstudie angelegt. Sie musste jedoch vorzeitig abgebrochen werden, da bei Frauen, die mit Hormonen behandelt wurden, die kardiovaskulären Risiken sogar zunahmen.

Kein Gießkannenprinzip

Die Autoren des NEJM-Beitrags raten deshalb auch nicht dazu, Hormone nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen, sondern Nutzen und Risiken individuell gemeinsam mit der Frau abzuwägen. Dazu zitieren sie eine Subgruppenanalyse der WHI-Studie für Frauen zwischen 50 und 59 Jahren, die etwa ein Drittel der untersuchten Teilnehmerinnen ausmachten. Danach senkt eine Hormontherapie das Risiko für Frakturen, führt aber unter anderem zu mehr Schlaganfällen und venösen Thromboembolien [3]. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine Übersicht auf der Patientenseite des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (siehe Tabelle). Ein Blick auf die Daten zeigt: Bei der Hormontherapie in den Wechseljahren liegen Nutzen und Risiken eng beieinander. Die deutsche Leitlinie zur Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause [5], die sich gerade in Überarbeitung befindet, empfiehlt in ihrer letzten Fassung Gynäkologen deshalb konsequenterweise auch eine sorgfältige Risikokommunikation gegenüber den betroffenen Frauen (siehe Interview unten). Dazu bietet die Leitlinie ein „Balance Sheet“ an, das konkrete Zahlenangaben zu den einzelnen Aspekten enthält.

Tab. 1: Nutzen und Risiken der Hormonbehandlung (Estrogen und Gestagen) in den Wechseljahren, nach [4], HRT: Hormontherapie
Ereignisse mit ­HRT / 1000 Frauen
Ereignisse ohne HRT (Placebo) / 1000 Frauen
Nutzen
keine Hitzewallungen mehr nach drei bis sechs Monaten Behandlung
800
500
Knochenbrüche nach fünf Jahren Behandlung
86
111
Risiken nach einem Jahr Behandlung
Herzinfarkt
4
2
venöse Thromboembolien
7
2
Risiken nach fünf Jahren Behandlung
Schlaganfall
18
13
Brustkrebs
23
19
operationspflichtige Gallenerkrankungen
27
16
venöse Thromboembolien
20
10

Leitlinien-Koordinator wünscht mehr Differenzierung

Auch die neue Fassung der Leitlinie, die voraussichtlich frühestens Ende 2016 vorliegen wird, werde weiter Wert auf ausgewogene Informationen legen, so der Leitlinien-Koordinator Prof. Dr. Olaf Ortmann, Frauenklinik der Universität Regensburg. Er wünsche sich sogar noch eine wesentlich differenziertere Darstellung als bisher, um dem Arzt die Abschätzung von Nutzen und Risiken zu erleichtern. Das betreffe etwa die Unterscheidung zwischen kurzfristiger und langfristiger Hormonbehandlung. Allerdings liege auch bei den ärztlichen Anwendern der Leitlinie eine große Verantwortung: „Die Ärzte müssen sich mehr mit dem Thema Risikokommunikation beschäftigen“, so Ortmann. |

Literatur

[1] Autoren der WHI-Studie bedauern Fehlinterpretation von Studiendaten Hormonersatzbehandlung in den Wechseljahren – mehr Nutzen als Risiken. Gemeinsames Medienstatement des Berufsverbandes der Frauenärzte e. V., der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. und der Deutschen Menopause Gesellschaft e. V. vom 4. Mai 2016, verfügbar unter www.bvf.de/fach_info.php?r=2&m=0&s=0&artid=521 (Zugriff am 11. Mai 016)

[2] Manson JE, Kaunitz AM. Menopause Management — Getting Clinical Care Back on Track. NEJM 2016;374:803-806

[3] Manson JE et al. The Women’s Health Initiative Hormone Therapy Trials: Update and Overview of Health Outcomes During the Intervention and Post-Stopping Phases. JAMA 2013;310:1353–1368

[4] Wechseljahrsbeschwerden. Informationen des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (2013), verfügbar unter www.gesundheitsinformation.de/wechseljahrsbeschwerden.2171.de.html (Zugriff am 11. Mai 2016)

[5] Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause. S3-Leitlinie unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), 2009, in Überarbeitung, verfügbar unter www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-062.html (Zugriff am 11. Mai 2016)

Apothekerin Dr. Iris Hinneburg

Was Frauen wissen müssen

Ein Plädoyer für mehr Information bei Wechseljahresbeschwerden

Wie sollte eine gute und ausgewogene Risikokommunikation zur Hormontherapie in den Wechseljahren aussehen? Antworten gibt Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser, Gesundheitswissenschaftlerin an der Univer­sität Hamburg und Expertin für patientengerechte Gesundheitsinformationen.

DAZ: Warum ist es wichtig, dass Frauen mit Wechseljahresbeschwerden eine eigene informierte Entscheidung zur Hormontherapie treffen?

Mühlhauser: Die meisten Frauen haben keine oder nur leichte Beschwerden. Schon nach ein bis zwei Jahren können die Beschwerden wieder verschwinden. Wenn Frauen Hormone einnehmen und die Beschwerden dann besser werden, lässt sich daher nicht sagen, ob nun die Hormone geholfen haben oder ob die Beschwerden nicht auch von alleine schon wieder verschwunden wären. Auch mit Placebos werden die Beschwerden deutlich besser. Gerade bei starken Beschwerden können Hormone aber durchaus lindernd wirken. Allerdings sollte man darauf vorbereitet sein, dass nach Absetzen der Hormone Beschwerden wieder auftreten können. Da Hormone auch Risiken haben, sollte man als Frau die Vor- und Nachteile einer Behandlung abwägen.

Foto: privat

Prof. Dr. Ingrid Mühlhauser

DAZ: Welche Informationen brauchen Frauen dazu?

Mühlhauser: Die Informationen sollten auf verlässlichen wissenschaftlichen Daten beruhen und Nutzen sowie Schaden gegenüberstellen. Aussagekräftig ist der Vergleich „mit Hormonbehandlung“ gegenüber „keine Hormonbehandlung bzw. Placebo“. Die Angaben sollten sich auf vergleichbare Bezugsgrößen beziehen und absolute Zahlen nutzen, etwa „Von 1000 Frauen, die über fünf Jahre Hormone einnehmen, erleiden etwa XY ein bestimmtes erwünschtes oder unerwünschtes Ereignis.“ Dazu braucht es Angaben zu den erwünschten und unerwünschten Wirkungen, die mit einer Hormonbehandlung in Verbindung gebracht werden. Dazu zählen beispielsweise Linderung von Hitzewallungen und Schweißausbrüchen, Verbesserung von Schlaf­störungen und Lebensqualität auf der einen Seite sowie das Risiko für Bein­venenthrombosen, Lungenembolie, Schlaganfall, Herzinfarkt und Brustkrebs auf der anderen Seite. Die Ergebnisse aus den wissenschaftlichen Stu­dien sollten auch die Dauer der Behandlung berücksichtigen. Werden Hormone nur für wenige Monate eingenommen, gibt es andere unerwünschte Effekte als bei Langzeiteinnahme.

DAZ: Was kann der Apotheker verunsicherten Frauen raten?

Mühlhauser: Wenn man unsicher ist, sollte man vorerst durchaus einen Versuch ohne Hormone starten. Grundsätzlich sollten Hormone möglichst kurz und in der niedrigsten Dosierung eingenommen werden. Bei der Auswahl des Präparats ist es wichtig, ob die Frau noch eine Gebärmutter hat oder nicht. Wenn die Gebärmutter entfernt wurde, dann ist ein reines Estrogen-Präparat vorzuziehen. Andernfalls wäre eine Kombination aus Estrogen und Gestagen angezeigt, um einem Endometriumkarzinom vorzubeugen. Die kombinierte Behandlung hat jedoch ein höheres Risikopotenzial.

DAZ: Frau Mühlhauser, herzlichen Dank für das Gespräch!

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.