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Praxis

Wann ist ein Rezept eine Verschreibung?

Von der therapeutischen Idee des Arztes zur Arzneimittelabgabe in der Apotheke

Ein Arzt, so lernen wir im Studium, kann auch ein Stück Toilettenpapier nehmen und darauf ein Arzneimittel verordnen. Aber ist es dadurch, dass ein Arzt unterschrieben hat, automatisch eine Verschreibung? Und würden Sie es ohne Bedenken beliefern? | Von Kirsten Lennecke

Der Arzt stellt beim Verschreiben eines Arzneimittels im weitverbreiteten Sprachgebrauch ein Rezept aus. Ein Rezept ist üblicherweise eine Aufzählung von Bestandteilen im Sinne von „Man nehme…“ (lat. recipe = nimm!), um daraus eine Arznei herzustellen. Das kann eine Salbe sein, eine Lösung, Kapseln oder Suppositorien. Auch in einem Kochbuch oder in Backbüchern stehen Rezepte: Hier werden die Zusammensetzung und Herstellung von Soßen, Salaten und Aufläufen oder Kuchen und anderen Backwaren beschrieben.

Kleine Wortklärung: Verschreibung, Verordnungsblatt, Rezept

In juristischer Wortwahl handelt es sich bei den Rezepten der Ärzte um Verschreibungen. Das Besondere bei diesen Verschreibungen ist, dass hiermit eine Belieferung mit „verschreibungspflichtigen“ Arzneimitteln erfolgen darf. Im üblichen Sprachgebrauch werden verschiedene Bezeichnungen für dasselbe Schriftstück verwendet. Verordnung ist der übergeordnete Begriff: Der Arzt verordnet eine Therapie. Das kann eine Psychotherapie, eine Physiotherapie, eine Aufnahme zur stationären Behandlung oder eben auch eine Arzneitherapie sein. Zur schriftlichen Verordnung verwendet er ein Rezept. Für die Abrechnung mit Krankenkassen sind gesetzlich verbindliche Verordnungsblätter entwickelt worden, sogenannte Muster-16-Rezepte (SGB V § 300, nach der Vereinbarung über Vordrucke für die vertragsärztliche Versorgung, Bundesmantelvertrag für Ärzte, Vordruckmustersammlung unter www.kbv.de).

War das immer so?

Der Ablauf von der Verordnung bis zur Anwendung einer Arzneitherapie scheint so selbstverständlich, als wäre es schon immer so gewesen. Heute stellt der Arzt dem Patienten eine Verschreibung aus und gibt sie ihm in die Hand. Der Patient löst dieses Rezept beim Apotheker ein. Er bekommt sein Arzneimittel in die Hand, das er zu Hause nach Verordnung des Arztes einnimmt oder anwendet. Das war nicht immer so. Im 18. Jahrhundert war es noch üblich, dass nach der Untersuchung des Patienten der Arzt in die Apotheke ging, um dort seine therapeutische Idee in ein Rezeptbuch einzutragen. Nach diesem Rezept stellte dann der Apotheker die Arznei her, der Arzt holte sie ab (oder sie wurde ihm vom Apotheker gebracht), damit der Arzt es dann in der Praxis am Patienten anwenden konnte. Erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat es sich durchgesetzt, dass der Arzt dem Patienten ein schriftliches Rezept in die Hand gab, um dessen Ausführung der Patient sich selbst kümmern musste. Die Rezepte waren in der ersten Zeit nur für den Apotheker verständlich. Sie waren auf Latein verfasst, gespickt mit zahlreichen kryptischen Abkürzungen und manchmal geschrieben in bewusst unleserlicher Schrift. Erst seit der Verbreitung der industriell hergestellten Fertigarzneimittel (früher: Arzneispezialitäten) ist der Anteil an echten Rezepturen zurückgegangen. Verschrieben werden jetzt meist Fertigarzneimittel, die keine weitere Zubereitung erfordern. Die meisten Verschreibungen erfolgen in der Zwischenzeit gut lesbar gedruckt auf genormten Verordnungsblättern. Nur bei handschriftlichen Verschreibungen zeigen sich auch heute noch die ärztliche Tradition der unleser­lichen Handschrift („Arztschrift“) und ihre Vorliebe für kryptische Abkürzungen.

Welche Bedingungen muss eine Verschreibung erfüllen?

Denken wir an irgendein Stück Papier, z. B. das Stück Toilettenpapier, auf dem ein Arzt (in Eile, in Papiernot, in Ermangelung an Vordrucken) ein Arzneimittel rezeptiert (s. Abb. 1).

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Abb. 1: Auch handschriftlich auf einem Stück Toiletten­papier ist es eine gültige Verschreibung. Die hier fehlende Telefonnummer des Arztes darf handschriftlich in der Apotheke ergänzt werden, wenn die Verschreibung tatsächlich abgerechnet wird.

Was braucht es, damit es sich um eine gültige Verschreibung handelt? Das regelt die Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln, kurz Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV). Arzneimittel und Zubereitungen von Arzneimitteln sind verschreibungspflichtig, wenn sie in der Anlage 1 dieser Verordnung aufgeführt sind. In der Apotheke finden Sie diese Auflistung in der Scribas-Tabelle meist in gedruckter Form zum Nachlesen. Die Form der Verschreibung, also welches Papier in welcher Farbe, Größe oder welchem Format verwendet werden soll, wird in der AMVV nicht festgelegt. Privat­verschreibungen dürfen auch auf rosa, grünen oder blauen Rezeptvordrucken, auf weißem Papier oder bunt bedruckt, im DIN A6-, DIN A4- oder gar keinem besonderen Format erfolgen. Die Verschreibung auf dem Toilettenpapier ist zwar wegen Form und Papier ungewöhnlich, aber im Prinzip gültig. Je ungewöhnlicher das Verordnungsblatt und die verordneten Arzneimittel in Art, Menge oder Kombination, umso fraglicher ist natürlich die Identität des Verschreibenden. In diesem – und im engen Sinn eigentlich in jedem – Fall ist es wichtig, sich über die Identität des verschreibenden Arztes Gewissheit zu verschaffen. Beim Toilettenpapier-Rezept (siehe Abb. 1) fällt gleich unser suchender Blick auf die Telefonnummer des Arztes, um sich mit ihm in Verbindung zu setzen und die Verschreibung bestätigen zu lassen. Wenn wir hier keine Telefonnummer in Erfahrung bringen und es nicht möglich ist, einen Kontakt herzustellen, können und müssen wir die Abgabe des Arzneimittels verweigern.

Typische Fehler und Besonderheiten bei Verschreibungen

Adressstempel der Praxis: Ein Adressstempel ist nicht erforderlich, es reichen die Angaben auf den Rezeptvordrucken für Privatrezepte der Ärzte. Eine Neuerung seit März 2015 ist, dass der Vorname des verschreibenden Arztes und seine Telefonnummer mit angegeben sein müssen. Bei einer Verschreibung aus einer Klinik muss der verschreibende Arzt in lesbaren Buchstaben und seine Facharztbezeichnung genannt werden. Das erfolgt meist als Stempel zusätzlich zur Unterschrift.

Patientenname: Nicht nur der Patientenname, sondern auch dessen Geburtsdatum müssen auf der Verschreibung geschrieben stehen, um der Krankenkasse die Zuordnung zum korrekten Patienten zu erleichtern. Es darf vom abgebenden Apotheker ergänzt werden.

Datum und Rezeptgültigkeit:

Bei dem Datum auf dem Rezept (Ausstellungsdatum) handelt es sich meist um ein aktuelles Datum. Fehlt das Datum, darf es vom Apotheker ergänzt werden (nach § 2 (6) AMVV). Bei älteren Rezepten ist die Rezeptgültigkeit zu beachten (siehe Tabelle 1). Die Abgabe sollte innerhalb der Zeit erfolgen, in der das Rezept seine Gültigkeit behält. Zur Abrechnung wird das Rezept dann mit diesem Abgabedatum bedruckt.

Tab. 1: Gültigkeit der verschiedenen Rezepte
Rezeptart
verordnete Produktgruppe
Gültigkeit
gültige Rechtsquelle
GKV-Muster-16-Rezept
Arzneimittel
ein Monat nach Ausstellungs­datum (bzw. vier Wochen) zur Abrechnung mit der Krankenkasse
GKV-Rahmenvertrag nach § 129 (3) SGB V (bzw. Ergänzungsverträge der einzelnen Krankenkassen)
drei Monate bei Belieferung als Privatrezept
AMVV § 2 (5)
Isotretinoin für Frauen (maximal Abgabe des Bedarfs für 30 Tage)
bis zu sieben Tage nach Ausstellungsdatum (7 + 1 Tage)
Leitfaden für Ärzte und Apotheker zur Verordnung und Abgabe von Isotretinoin (BfArM)
Hilfsmittel
28 Tage
Hilfsmittellieferverträge der einzelnen Krankenkassen
GKV-Muster-16-Rezept (in einigen Kammern Muster-16-a)
Sprechstundenbedarf
ein Monat nach Ausstellung der Verordnung
Einzelverträge der Apothekerkammern mit den Kassenärztlichen Vereinigungen
Privatrezepte
Arzneimittel
drei Monate
AMVV § 2 (5)
„Grünes Rezept“
Ap-Arzneimittel
unbegrenzt
Rx-Arzneimittel
drei Monate
AMVV § 2 (5)
BtM-Rezept
Betäubungsmittel
sieben Tage nach Ausstellungs­datum (7 + 1 Tage)
BtMVV § 12 (1)
T-Rezepte
Thalidomid, Pomalidomid, Lenalidomid
sechs Tage nach Ausstellungs­datum (6 + 1 Tage)
AMVV § 3a (4)

Fertigarzneimittel: Wenn keine konkrete Menge verordnet wurde, gilt die Verschreibung für die kleinste im Handel befindliche Packung. In Analogie gilt, ohne Angabe einer Stärke gilt die Verschreibung für die niedrigste im Handel befindliche Stärke. Allerdings handelt es sich bei fehlender Angabe der Stärke um eine typische „unklare Verordnung“. Hier empfiehlt es sich, Kontakt mit dem Arzt aufzunehmen, um vor der Abgabe des Arzneimittels die Stärke abzuklären. Das gilt selbstverständlich auch bei unleserlichen Verschreibungen, zweifelhaften Kombinationen, handschriftlichen Ergänzungen ohne ärztliches Gegenzeichnen oder erkennbaren Fehlern. Die Abgabe darf übrigens nur ein einziges Mal erfolgen, nicht etwa wiederholt auf dieselbe Verschreibung über die verordnete Menge hinaus [§ 4 (3)].

Gebrauchsanweisung für Rezepturarzneimittel:

Ärzte sehen oft keinen Sinn darin, die Gebrauchsanweisung für Rezepturarzneimittel auf der Verschreibung zu vermerken. Denn sie haben diese meist im Gespräch mit ihrem Patienten mündlich oder sogar schriftlich gegeben. Die Gebrauchsanweisung muss auf das Rezepturabgabegefäß übertragen werden. Wir können sie beim Patienten oder beim Arzt erfragen und dürfen sie auf der Verschreibung handschriftlich ergänzen [nach § 2 (6) AMVV].

§ 2 Verordnung über die Verschreibungspflicht von Arzneimitteln (AMVV)

(1) Die Verschreibung muss enthalten:

1. Name, Vorname, Berufsbezeichnung und Anschrift der Praxis oder der Klinik der verschreibenden ärztlichen, tierärztlichen oder zahnärztlichen Person (verschreibende Person) einschließlich einer Telefonnummer zur Kontaktaufnahme,

2. Datum der Ausfertigung,

3. Name und Geburtsdatum der Person, für die das Arzneimittel bestimmt ist,

4. Bezeichnung des Fertigarzneimittels oder des Wirkstoffs einschließlich der Stärke,

4a. bei einem Arzneimittel, das in der Apotheke hergestellt werden soll, die Zusammensetzung nach Art und Menge oder die Bezeichnung des Fertigarzneimittels von dem Teilmengen abgegeben werden sollen,

5. Darreichungsform, sofern dazu die Bezeichnung nach Nummer 4 oder 4a nicht eindeutig ist,

6. Abzugebende Menge des verschriebenen Arzneimittels,

7. Gebrauchsanweisung bei Arzneimitteln, die in der Apotheke hergestellt werden sollen,

8. Gültigkeit der Verschreibung,

9. Bei tierärztlichen Verschreibungen zusätzlich

a) die Dosierung pro Tier und Tag,

b) die Dauer der Anwendung und

c) sofern das Arzneimittel zur Anwendung bei Tieren verschrieben wird, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, die Indikation und die Wartezeit, sowie anstelle der Angaben nach Nummer 3 der Name des Tierhalters und Zahl und Art der Tiere, bei denen das Arzneimittel angewendet werden soll, sowie bei Verschreibungen für Tiere, die der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, die Identität der Tiere,

10. die eigenhändige Unterschrift der verschreibenden Person oder, bei Verschreibungen in elektronischer Form, deren qualifizierte elektronische Signatur nach dem Signaturgesetz.

Abgabe ohne vorliegende Verschreibung

In der AMVV ist noch eine Reihe von Spezialfällen aufgeführt, wie z. B. Verschreibungen innerhalb der EU, Verschreibungen für den Praxisbedarf, für Schwangerschaftsabbrüche oder für die Verordnung von Lenalidomid und Thalidomid auf sogenannten T-Rezepten. Wichtig im Alltag sind noch die Besonderheiten in § 4 AMVV Abgabe ohne vorliegende Verschreibung.

Eine Abgabe eines verschreibungspflichtigen Arzneimittels ist in zwei Ausnahmefällen auch ohne vorliegende Verschreibung erlaubt.

Die erste Ausnahme ist die dringende Versorgung eines Patienten. Der verschreibende Arzt ruft den Apotheker an und bittet ihn um eine dringliche Belieferung, wenn die Anwendung eines Arzneimittels sofort ohne vorliegende Verschreibung erfolgen soll. Bei uns bekannten Ärzten ist dieses Vorgehen oft eingespielt. Manchmal erfolgt die Antwort dann telefonisch, manchmal wird gleich ein Fax gesendet. Entscheidend ist auch hier, dass wir Apotheker uns vor allem bei unbekannten Ärzten Gewissheit über deren Identität verschaffen. Die Verschreibung muss in beiden Fällen so bald wie möglich nachgereicht werden.

Die zweite Ausnahme

betrifft den Eigenbedarf eines Arztes. Wenn ein Arzt persönlich in die Apotheke kommt und für den Eigenbedarf einkauft, braucht es keine Verschreibung. Wenn wir den Arzt nicht persönlich kennen, müssen wir uns durch Vorzeigen des Arztausweises absichern, dass der Kunde in diesem Fall auch wirklich ein Arzt ist. |

Autorin

Apothekerin Dr. Kirsten Lennecke

Neben der Arbeit in einer öffentlichen Apotheke ist sie Autorin zum Thema Kommunikation und aktive Beratung. 


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