Kongresse

Phytopharmaka - beliebt und auch evidenzbasiert?

Trinationaler Kongress zur Phytotherapie in Bonn

BONN (ck) | Willkommen, Grüß Gott und Grüezi – über 200 Teilnehmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz besuchten den wissenschaftlichen Jahreskongress der ­Gesellschaft für Phytotherapie in Bonn.

Fünf nationale und internationale Fachgesellschaften hatten eingeladen, sich mit Arzneipflanzen und deren medizinischer Anwendung zu befassen. In den Vorträgen, Diskussionen und Posterpräsentationen wurde deutlich, dass es das Ziel der modernen Arzneipflanzenforschung ist, wirksamkeitsbestimmende Inhaltsstoffe zu identifizieren, deren Wirkmechanismus aufzuklären und dann im besten Fall die therapeutische Wirksamkeit durch klinische Studien zu belegen. Alle Beteiligten wünschten sich, dass Phytopharmaka ganz selbstverständlich eingesetzt werden sollten, wenn es medizinisch bzw. therapeutisch angemessen ist – und zwar sowohl beim Arzt als Verordnung oder Empfehlung, als auch beim Apotheker in der Selbstmedikation. In der Zukunft sollten Phytopharmaka zur Standardtherapie gehören und auch in den Leitlinien erwähnt werden. Leider war man in den letzten Jahren aber auf das Votum gewogener Vertreter anderer Fachgesellschaften angewiesen, da bis 2013 keine Gesellschaft aus dem Bereich der Naturheilkunde oder Phytotherapie Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Fachgesellschaften (AWMF) war, die 173 Fachgesellschaften einschließt und ärztliche Leitlinien entwickelt und verbreitet. Erst Ende 2013 wurde die Gesellschaft für Phytotherapie (GPT) Mitglied der AWMF und hat jetzt die Möglichkeit, Einfluss auf die Gestaltung von Leitlinien zu nehmen. Die Präsentation von Prof. Dr. Jost Langhorst vom Lehrstuhl für Naturheilkunde und Integrative Medizin der Kliniken Essen-Mitte zeigte, dass es mittlerweile gelungen ist, die Phytotherapie mit positiven Statements in Leitlinien (Reizdarmsyndrom, Colitis ulcerosa, Depression, Demenz und unspezifischer Rückenschmerz) und sogar in eine Nationale Versorgungsleitlinie (Kreuzschmerz) zu implementieren. Mittlerweile werden in 40 Leitlinien Phytotherapeutika (32% positiv, 28% negativ, 40% offen) und fast 100 Pflanzen genannt. Die Präsenz der Phytopharmaka im Leitlinienprozess sei noch stark ausbaufähig – darin sehen die GPT und das Projekt Naturheilkunde und Komplementärmedizin ihre Aufgaben der nächsten Jahre.

Fotos: DAZ/ck

Großes Interesse am Austausch hatten die Teilnehmer aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Versorgungsforschung

In der Apotheke ist die Phytotherapie sehr viel präsenter als in der ärztlichen Praxis: 84% aller Phytopharmaka werden im Rahmen der Selbstmedikation abgegeben. Um zu dokumentieren, wie Patienten im Alltag produkt- und indikationsübergreifend die Wirkung pflanzlicher Arzneimittel wahrnehmen, hat die Kooperation Phytopharmaka die Datenbank PhytoVIS ins Leben gerufen. Diese Datenbank stehe allen Wissenschaftlern offen, die medizinische oder pharmazeutische Versorgungsforschungs-Studien durchführen wollen, so Dr. Günther Meng, Mainz. Ziel ist es, in der Arztpraxis beziehungsweise in der Apotheke unmittelbar mit dem Patienten Daten zu sammeln, um die Bedingungen für einen möglichst guten Nutzen der Phyto­therapie im Rahmen einer evidenzbasierten Medizin zu ermitteln.

Posterpräsentation Ergebnisse aus der universitären Forschung und neue Projekte wurden vorgestellt.

Bessere Lebensqualität für Brustkrebspatientinnen

Dr. Matthias Rostock vom Institut für komplementäre und integrative Medizin, Zürich, und vom Universitären Cancer Center in Hamburg, zeigte, welche Pflanzen bei Brustkrebspatientinnen unterstützend eingesetzt werden und die Lebensqualität verbessern können. Brustkrebspatientinnen entwickeln oft unter der antitumoralen Chemo-, Strahlen- oder Hormontherapie ausgeprägte Beschwerden – und viele suchen nach komplementärmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten. Während komplementäre Verfahren wie Akupunktur, Achtsamkeitshypnose sowie körperliches Training und einige Ernährungsempfehlungen teilweise bereits in die Empfehlungen von Therapieleitlinien Eingang gefunden haben, werden Phytotherapeutika nur zurückhaltend empfohlen.

Innovationspreis für Betulin

Die Gesellschaft für Phytotherapie hat zum zweiten Mal einen Preis verliehen, der praxisorientierte Innovationen honoriert, die den Stellenwert der Phytotherapie bei Patienten, Ärzten und Apothekern fördert. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis ging an die Birken AG für ihr Arzneimittel Episalvan®.

Episalvan® ist ein Gel, das einen Trockenextrakt aus der Birkenrinde von Betula pendula Roth/Betula pubescens Ehrh (standardisiert auf Betulin) enthält und das zur Behandlung von oberflächlichen Hautwunden und Verbrennungswunden der Haut vom Grad IIa bei Erwachsenen angewendet wird. Erst im Januar 2016 hat die EMA die zentrale europäische Zulassung erteilt. Episalvan® gilt als das erste europäisch zugelassene Arzneimittel mit dem klinischen Nachweis der beschleunigten Wundheilung. In Zukunft soll auch eine Zulassung in der Indikation Epidermolysis bullosa (Schmetterlingshaut) angestrebt werden.

Rostock zeigte den aktuellen Stand der Studienlage. Am häufigsten werden in der Tumortherapie Mistelextrakte zur Reduktion therapieassoziierter Nebenwirkungen eingesetzt. In verschiedenen randomisierten, zum Teil auch doppelblind durchgeführten Studien konnte ein positiver Effekt auf die Lebensqualität gezeigt werden, wenn ein Mistelextrakt begleitend zur Chemotherapie subkutan verabreicht wird. Auch bei Strahlentherapie-induzierter Dermatitis, die häufig nach einer brusterhaltenden Operation auftritt, kann mit Phytopharmaka Linderung verschafft werden. Mehrere randomisierte Doppelblindstudien mit Calendula-Creme weisen darauf hin, so Rostock, dass eine topische Anwendung bei Patientinnen unter adjuvanter Strahlentherapie zu einer besseren Strahlenverträglichkeit der Haut führt: Die Inzidenz für schwere Hautreaktionen war verringert. Aber Rostock zeigte auch, dass eine verbesserte Strahlentherapie und eine intensivierte Pflege dazu geführt haben, dass akute Strahlenreaktionen in ihrer Intensität deutlich rückläufig sind. Für Frauen unter einer antitumoralen Therapie besonders belastend kann eine lang anhaltende und sehr ausgeprägte Fatigue sein. Es liegen positive Studienergebnisse mit Extrakten aus Ginsengwurzel, Guarana- und auch Baldrianwurzel vor. Vor allem unter Guarana werden deutliche positive Effekte beobachtet. Werden Phytopharmaka zu einer laufenden onkologischen Standardtherapie gegeben, so muss auch das Risiko von unerwünschten Effekten bedacht werden: So können aus Soja abgeleitete Phytoöstro­gene vor allem bei hormonrezeptorpositiven Erkrankungen möglicherweise Mammakarzinomzellen aktivieren. Rostocks Fazit: Phytotherapeutika können dazu beitragen, dass sich die Lebensqualität trotz Chemotherapie bessert, dass die Frauen weniger Schmerzen haben, weniger Durchfall und Schlafstörungen und mehr Appetit. Dass die Überlebenszeit verlängert wird, dazu sei nach den vorliegenden Daten keine Aussage möglich. |

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