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Politik

Nicht für alles ein Rezept

Das Gesundheits- und Apothekenwesen in der Schweiz – ein Überblick

Die Apotheker in der Schweiz haben es nicht leicht, betrachtet man das Umfeld, in dem sie sich bewegen: selbstdispensierende Ärzte, Drogerien, die OTC-Arzneimittel abgeben dürfen, ständig sinkende Erträge aus dem rezeptpflichtigen Segment, für viele deutsche Kollegen sicher ein „Schreckens-Szenario“. Aber die eidgenössischen Kollegen haben es gelernt, ihre Kompetenzen Schritt für Schritt auszubauen und bekommen dafür als Lohn nicht nur Honorare von den Versicherungen, sondern auch Unterstützung von der Politik und viel Anerkennung durch die Verbraucher. Wir werfen einen Blick in das schöne Alpenland. | Von Helga Blasius 

Die Schweiz hat kein eigenes Ministerium (Departement genannt) für Gesundheit, für das Gesundheitswesen ist das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) zuständig. Wichtige zum EDI gehörige Institutionen sind das Bundesamt für Gesundheit (BAG) und das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic. Wesentliche gesetzliche Grundlagen sind die Bundesgesetze über die Krankenversicherung (KVG), über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG) sowie über die universitären Medizinalberufe (Medizinalberufegesetz, MedBG).

Krankenversicherung und Gesundheitsausgaben

Das Gesundheitswesen in der Schweiz ist föderalistisch geregelt. Für die Organisation der Versorgung und den Vollzug der Vorschriften sind die 26 Kantone zuständig. Das Krankenversicherungsgesetz unterscheidet zwischen einer verpflichtenden Grundversicherung (obligatorische Krankenpflegeversicherung, OKP) und der freiwilligen Zusatzversicherung. Mit Ausnahme von zahnärztlichen Leistungen und Krankengeld gewährleistet die Grundversicherung eine umfassende Versorgung mit medizinisch notwendigen Leistungen. Die größten Gruppierungen mit über einer Million Versicherten sind Groupe Mutuel, die CSS-Gruppe und die Helsana-Gruppe. Die OKP wird ausschließlich durch die Beiträge der Versicherten finanziert. Die Prämien sind Kopfprämien, innerhalb einer Versicherung zahlen alle erwachsenen Versicherten den gleichen Beitrag, unabhängig von Alter, Geschlecht und individuellem Krankheitsrisiko oder der finanziellen Leistungsfähigkeit.

Die Versicherten können jedoch in gewissem Umfang Einfluss auf die individuelle Prämie nehmen, und zwar durch Auswahl der jährlichen Selbstbeteiligung (Franchise), ­Bonusversicherungen oder eine eingeschränkte Auswahl der Leistungserbringer. Die Schweizer sind mit diesem Modell zufrieden, bereits viermal hat das Stimmvolk eine Vorlage zu einer staatlichen Einheitskasse abgelehnt, zuletzt 2014 mit 61,5 Prozent Nein-Stimmen.

Das schweizerische Gesundheitssystem gilt im internationalen Vergleich als hochwertig, aber teuer. Im Jahr 2013 beliefen sich die Ausgaben der Schweiz für das Gesundheitswesen auf insgesamt 69,2 Milliarden Franken (ca. 63 Mrd. Euro). Gut zwei Drittel davon tragen die Privathaushalte selbst. Der Arzneimittelanteil an den gesamten Gesundheitsausgaben wird mit 7,8 Prozent angegeben. In den Bruttoleistungen der OKP kommen die Medikamente allerdings auf einen Anteil von fast 21 Prozent.

Abgabe-Kategorien und Preisbildung

Für die Zulassung von Arzneimitteln ist das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic in Bern zuständig. Wie seinem noch druckfrischen Geschäftsbericht 2015 zu entnehmen ist, waren dort Ende 2015 8312 Arzneimittel zugelassen, darunter 4990 chemisch definierte Humanarzneimittel, etwa 300 biotechnologische und knapp 1800 Präparate der besonderen Therapierichtungen sowie knapp 720 Tierarzneimittel. Die zugelassenen Arzneimittel werden nach ihrem Abgabestatus in fünf Gruppen klassifiziert (s. Tab. 1 ).

Tab. 1: Abgabestatus zugelassener Arzneimittel
Status
Bedingung für die Abgabe
A
einmalig auf ärztliche oder tierärzt­liche Verschreibung
B
auf ärztliche oder tierärztliche Verschreibung
C
nach Fachberatung durch Medizinalperson (Apotheken) (rezeptfrei)
D
ohne Rezept nach Fachberatung (Apotheken und Drogerien) (rezeptfrei)
E
ohne Rezept ohne Fachberatung (rezeptfrei, in allen Geschäften)

Derzeit gehören etwa zwei Drittel zu den rezeptpflichtigen Kategorien A und B, und ein Viertel davon darf ohne Rezept auch in Drogerien oder sogar in allen Geschäften (2 Prozent) abgegeben werden.

Nicht alle Arzneimittel, die in der Schweiz zugelassen sind, werden von den Krankenversicherern vergütet, sondern nur die auf der „Spezialitätenliste“ (SL) des Bundesamts für Gesundheit (BAG) aufgeführten. Aktuell umfasst die SL insgesamt rund 2900 Präparate in etwa 9600 Darreichungsformen bzw. Packungsgrößen. Über 92 Prozent davon sind rezeptpflichtig (Kategorie A und B), die restlichen rund 7 Prozent rezeptfrei erhältlich (Kategorie C und D). Diese werden nur dann erstattet, wenn eine ärztliche Verschreibung vorliegt.

Vor der Aufnahme eines Arzneimittels in die Spezialitätenliste prüft das Bundesamt für Gesundheit (BAG), ob es wirksam, zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Dabei wird das BAG von der Eidgenössischen Arzneimittelkommission (EAK) beraten. Die Beurteilung der Wirtschaftlichkeit und damit die Festlegung des Fabrikabgabepreises als Basis für die Vergütung, beruht auf einem Auslandpreisvergleich (APV) mit neun europäischen Referenzländern und einem therapeutischen Quervergleich (TQV). Alle drei Jahre sollen die Preise überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. In den letzten Jahren sind die Medikamentenpreise in der Schweiz stark gesunken.

Zusammensetzung der Apothekenmarge

Der in der Spezialitätenliste aufgeführte Höchstpreis für ein Präparat setzt sich zusammen aus dem Fabrikabgabepreis (FAP), dem Vertriebsanteil und der Mehrwertsteuer.

Der Vertriebsanteil , mit dem die Apotheken ihre Infrastruktur-, Logistik- und Personalkosten und auch den Großhändler bezahlen müssen, besteht aus einem preisbezogenen Zuschlag (Prozentmarge) und einem Zuschlag je Packung (Fixmarge). Beide sind je nach FAP gestaffelt (Tab. 2).

Tab. 2: Apothekenmargen in der Schweiz
Preisklassen
Fabrikabgabepreis in CHF, (ca. Euro)
+ Preisbezogener
Zuschlag
+ Zuschlag je Packung in CHF, (ca. Euro)
1
0,05 – 4,99 (0,04 – 4,54)
12%
4,00 (3,64)
2
5,00 – 10,99 (4,55 – 9,99)
12%
8,00 (7,27)
3
11,00 – 14,99 (10,00 – 13,63)
12%
12,00 (10,90)
4
15,00 – 879,99 (13,64 – 800,00)
12%
16,00 (14,55)
5
880,00 – 2569,99 (800 – 2336,50)
 7%
60,00 (54,55)
6
ab 2570,00 (2336,53)
 0%
240,00 218,20)

Der preisbezogene Zuschlag für verordnete rezeptfreie Arzneimittel (Kategorie C, D) beträgt 80 Prozent. Eine Fixmarge gibt es hierfür nicht. Bei Arzneimitteln, die ohne Kassenzulässigkeit verkauft werden („hors liste“) können die Zulassungsinhaber die Preise und auch die Höhe der Handelsmargen selbst festlegen.

Generikasubstitution

Im internationalen Vergleich weist die Schweiz einen relativ niedrigen Generika-Marktanteil auf: Ende 2013 lag er bei gut 14 Prozent. 2014 waren über 41 Prozent aller Präparate auf der Spezialitätenliste Generika.

Nach einem Auslandpreisvergleich des Verbandes der Krankenversicherer santésuisse (2008 bis 2013) kosten Generika im europäischen Ausland durchschnittlich rund 46 Prozent weniger als in der Schweiz.

Die Preisbildung für erstattungsfähige Generika richtet sich nach dem Preis des patentabgelaufenen Originals. Das Generikum muss dabei günstiger sein und zudem einen Mindestpreisabstand einhalten. Seit Juni 2015 gelten diesbezüglich anhängig vom Marktvolumen des Originalprodukts fünf Stufen von 10 bis 60 Prozent.

Apotheker dürfen den Patienten mit deren Einverständnis anstelle eines teureren Originalproduktes ein geeignetes Generikum abgeben, es sei denn, der Arzt schließt dies aus. Die Substitution gehört zu den Tarifleistungen, die der Apotheker von der OKP speziell vergütet bekommt (Tab. 6).

Apothekenketten und Gruppierungen

Die Schweiz besitzt ein gut ausgebautes Apothekennetz. Es gibt 1764 Abgabestellen (Tab. 3 und 4), die Apothekendichte liegt bei 21,4 pro 100.000 Einwohner (zum Vergleich: Deutschland: 25; Frankreich: 35; Österreich: 16).

Tab. 3: Kettenapotheken in der Schweiz
Name
Anzahl der Abgabestellen
Galenica-Gruppe:
  • Amavita,
  • SunStore,
  • Coop Vitality,
  • GaleniCare
317
146
104
 61
  6
BENU-Apotheken
 88
Dr. Bähler Dropa
 51
Topwell-Apotheken
 33
Pharmacie Populaire de Gèneve
 17
Mini-Ketten (bis 15 Apotheken)
 45
Gesamt
551 (32% aller Apotheken)

Quelle: pharmaSuisse Geschäftsbericht 2014

Der Fremd-und Mehrbesitz ist zulässig. Unter dem zunehmenden wirtschaftlichen Druck haben sich immer mehr der rund 1200 unabhängigen Apotheken zu Gruppierungen zusammengeschlossen, um von Synergien unter anderem beim Einkauf und beim Marketing zu profitieren (Tab. 4). 2014 waren nur noch 21 Prozent der schweizerischen Apotheken komplett unabhängig. Im Trend liegen Kombinationen aus Apotheke und Drogerie.

Tab. 4: Unabhängige Apotheken in der Schweiz
Name
Anzahl der Abgabestellen
davon in folgenden Gruppierungen*:
827 (67% der unabhängigen Apotheken)
Feelgood’s Apotheken
163
fortis concept
119
TopPharm
118
Salveo
114
pharmaPower
102
Rotpunkt-Apotheken
 92
pharmacieplus
 89
Pharmavital
 70
Gesamt
1232 (68% aller Apotheken)

* hier nur Gruppierungen mit mehr als 50 Apotheken angeführt

Quelle: pharmaSuisse Geschäftsbericht 2014

Beschäftigte in Apotheken

In Schweizer Apotheken arbeiten etwa 20.000 Personen (Stand 2014). Davon sind rund 5300 verantwortliche oder angestellte Apotheker und etwa 8300 Pharma-Assistenten. Der Rest entfällt auf Auszubildende und übriges Verkaufspersonal usw. Der Frauenanteil aller Beschäftigten in Apotheken beträgt 84 Prozent. Noch herrscht kein direkter Apothekermangel, aber nach einer Umfrage aus dem Jahr 2014 beurteilten mehr als drei Viertel der Befragten die Suche nach einem geeigneten Apotheker als schwierig.

Wer darf Medikamente abgeben?

Die öffentliche Apotheke ist zwar auch in der Schweiz die wichtigste Säule der Arzneimittelversorgung, aber sie hat dort mit mehr Konkurrenz zu kämpfen als anderenorts in Europa (Tab. 5).

Tab. 5: Medikamentenmarkt Schweiz 2014 nach Absatzkanälen
Absatzkanal
Zu Fabrikabgabepreisen in Mio. CHF (Anteil am Gesamtmarkt in %)
Nach Packungen in Mio. (Anteil am Gesamtmarkt in %)
Apotheken
2.629,8 (51,4)
119,6 (57,1)
Ärzte mit eigener Praxisapotheke (SD-Ärzte)
1.251,1  (24,5)
40,4 (19,3)
Spitäler
1.162,3  (22,7)
41,4 (19,8)
Drogerien
 70,0   (1,4)
 7,9 (3,8)
Gesamt
5.113,0  (100)
209,3 (100)

Quelle: Quelle: Interpharma mit Datengrundlage IMS Health Schweiz, 2015.

Wie im Nachbarland Österreich dürfen auch die Ärzte in der Schweiz vielerorts selbst eine Patientenapotheke betreiben und Arzneimittel dispensieren (sog. Selbstdispensierende oder SD-Ärzte). Rund 40 Prozent aller praktizierenden Ärzte (2014: 5900 Ärzte) bessern damit ihr Salär auf. 15 der 26 Kantone erlauben die Abgabe durch den Arzt. In neun Kantonen ist sie nicht zulässig. Zwei haben ein in der Regel regional differenziertes Mischsystem.

Die Auswirkungen auf die Arzneimitteldistribution, die sich hieraus ergeben, sind eklatant. Kantone mit einem hohen Anteil SD-Ärzte weisen gegenüber den anderen in der Regel eine deutlich niedrigere Apothekendichte auf. Der Kanton St. Gallen zum Beispiel hatte im Jahr 2014 pro 100.000 Einwohner 169 SD-Ärzte, aber nur 11 Apotheken. Während in Gebieten ohne ärztliches Dispensierrecht 96 Prozent der Arzneimittel über die Apotheken abgegeben werden, verkaufen in SD-Gebieten Ärzte 85 Prozent der kassenpflichtigen Medikamente direkt an ihre Patienten. Das „Geschäft“ mit Arzneimitteln kann bei den SD-Ärzten einen großen Anteil am Praxisumsatz ausmachen. Sie werden dabei auch durch die Erstattungsregelungen begünstigt, denn die Höchstpreise der Spezialitätenliste sind unabhängig vom Abgabekanal immer gleich. Der Vertriebsanteil, der in diese Preise einfließt, ist aber auf die Situation in den Apotheken abgestellt und nach Meinung des Apothekerverbands pharmaSuisse für SD-Ärzte zu hoch angesetzt. Dass die Abgabe über die Ärzte einen Teuerungseffekt induziert, belegt die Kostenentwicklung bei den Arzneimittelausgaben. Zwischen 2000 und 2013 stieg der Umsatz an kassenpflichtigen SL-Präparaten in Apotheken um rund 36,6 Prozent, bei den SD-Arzten mit direktem Medikamentenverkauf dagegen um 73,2 Prozent.

Mit der Revision des Heilmittelgesetzes, die im März 2016 verabschiedet wurde, werden die Ärzte nun dazu verpflichtet, den Patienten immer ein Rezept auszustellen, auch wenn sie selbst Arzneimittel abgeben. So soll dem Patienten die Freiheit eingeräumt werden, sein Arzneimittel auch in einer Apotheke zu besorgen.

Leistungsorientierte Abgeltung (LOA)

Im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung werden die Leistungserbringer auf der Grundlage von Tarifverträgen bezahlt. Seit dem Jahr 2001 regelt der Tarifvertrag Leistungsorientierte Abgeltung (LOA) zwischen dem Apothekerverband pharmaSuisse und dem Verband der Krankenversicherer santésuisse die Honorierung der Leistungen des Apothekers im Zusammenhang mit der Abgabe von erstattungsfähigen Medikamenten. Die LOA soll bewirken, dass die Apotheker für ihre Leistung weitgehend unabhängig von dem Preis eines Arzneimittels honoriert werden.

Der Vertrag beinhaltet auch eine Tarifstruktur für bestimmte Beratungs-, Betreuungs- und Sonderleistungen, die jeweils mit unterschiedlich vielen Taxpunkten honoriert werden (Tab. 6). Das Honorar für einen Taxpunkt (Taxwert) liegt derzeit bei 1,05 Franken zzgl. MwSt.

Tab. 6: Beispiele für die Honorierung von Apotheker-Leistungen gemäß LOA IV/1
Leistung
Taxpunkte
CHF
Bezugs-Check
 3
  3,15
Medikamenten-Check
 4
  4,20
Polymedikations-Check
45
47,25
Einnahmekontrolle: Einnahme in der Apotheke
10
10,50
Wochen-Dosiersystem
20
21,00
Substitution (Generika)
 20*
21*
Notfalldienst
16
10,80

* Bei Preisunterschieden, die kleiner als 50 Taxpunkte sind, stattdessen 40% der Preisdifferenz zum Original

Die Sätze der aktuellen LOA IV/1 sind bis Mitte 2019 gültig. Bis Ende 2017 soll ein neues Abgeltungsmodell entwickelt werden, das das zukünftige Aufgabenspektrum der Apotheker besser abbildet.

Nach Angaben von pharmaSuisse haben die Apotheken mittels der LOA zwischen 2001 und 2014 gut eine Milliarde Franken (ca. 0,9 Mrd. Euro) zugunsten der Versicherten eingespart. Hinzu kommen weitere 80 Mio. Franken (ca. 73 Mio. Euro) jährlich durch die gesetzlichen Preissenkungen für Medikamente. Außerdem gewähren sie den Kassen einen Rabatt in der Höhe von 2,3 Prozent des Umsatzes mit Arzneimitteln der Abgabekategorie A und B, sofern der Fabrikabgabepreis unter 880 Franken liegt, und weitere 0,2 Prozent fließen in einen speziellen Fonds, aus dem qualitätsrelevante Projekte finanziert werden (Effizienzbeitrag).

Apothekenerträge im Sinkflug

Basierend auf Daten für das Geschäftsjahr 2013 aus der alljährlich von pharmaSuisse durchgeführten sog. „rollenden Kostenstudie Apotheke“ (RoKa) (jüngste verfügbare Analysedaten) bewegen sich rund 60 Prozent der Schweizer Apotheken im Umsatzsegment bis 3,0 Mio. Franken (ca. 2,7 Mio. Euro). Ein Viertel erwirtschaftet zwischen 3 und 5 Mio. und 20 Prozent einen Umsatz über 5 Mio. Franken (ca. 4,5 Mio. Euro). Über das gesamte Land werden 62 Prozent des Apothekenumsatzes mit Leistungen zulasten der OKP erwirtschaftet. In Gebieten mit ärztlichem Dispensierrecht liegt der Krankenkassenanteil allerdings nur bei 44 Prozent.

Die durchschnittliche Bruttomarge für 2012 wird mit 35,8 Prozent angegeben. Sie ergibt sich aus Verkäufen von erstattungsfähigen Produkten der Kategorie A und B mit einer durchschnittlichen Marge von 20,1 Prozent und dem übrigen Umsatz mit Medikamenten, Kosmetika, Parapharmazie (Lebensmittel und Kosmetika mit Gesundheitsbezug) etc. mit einer durchschnittlichen Bruttomarge von ca. 40 Prozent.

Unrealistisches Sparszenario

Durch die staatlich verfügten Preissenkungen bei Medikamenten haben die Apotheken zwischen 2012 und 2014 Umsatzeinbußen von 39 Millionen Franken (ca. 35,5 Mio. Euro) erlitten, bis Ende 2015 werden es nach Prognosen von pharmaSuisse 60 Millionen sein. Wegen ihres geringen Gewinns soll heute ein Fünftel der Apotheken in einer wirtschaftlich schwierigen Lage sein.

Trotzdem hält der Verband der Krankenversicherer santésuisse die Handelsmargen im internationalen Vergleich für zu hoch und fordert eine Kürzung des Apothekenbudgets um 217 Millionen Franken (ca. 197 Mio. Euro). Dies sei nur über einen Stellenabbau von ca. 3600 Pharma-Assistenten und 730 Apothekern möglich, kontert der Apothekerverband und spricht von einem „unrealistischen Sparszenario“.

Patientenbetreuung in der Apotheke

Bezugs-Check und Medikamenten-Check: Vor dem Einlösen des Rezepts wird in Schweizer Apotheken ein „Bezugs-Check“ durchgeführt. Dabei werden die verschriebenen Arzneimittel mit dem elektronischen Patientendossier abgeglichen. In diesem Dossier sind alle Medikamente aufgeführt, die der Patient in dieser Apotheke bisher auf Rezept bezogen hat. Zusätzlich wird ein Medikamenten-Check auf Korrektheit der Angaben und der Dosierung, etwaige Wechselwirkungen usw. durchgeführt. Im Zweifelsfalle wird Rücksprache mit dem Arzt gehalten.

Polymedikations-Check: Seit 2010 können die Schweizer Apotheker auch ohne ärztliche Verordnung sogenannte Polymedikations-Checks (PMC) durchführen, die im Wesentlichen auf eine verbesserte Adhärenz abzielen. Die OKP übernimmt die Kosten dafür maximal zweimal jährlich, falls der Patient mindestens vier ärztlich verordnete Medikamente gleichzeitig während mindestens drei Monaten einnehmen muss und diesem Leistungsangebot zustimmt. Der Service kommt allerdings in den Apotheken nicht recht in Gang.

Um das Projekt zu fördern, stellt pharmaSuisse umfangreiches Werbe- und Kommunikationsmaterial zur Verfügung.

NetCare: Ein besonderes Gemeinschaftsprojekt von Ärzten und Apothekern ist netCare. Hierbei nehmen speziell weitergebildete Apotheker anhand von wissenschaftlich fundierten Ablaufdiagrammen (Algorithmen) eine Erstabklärung (Triage) gesundheitlicher Beschwerden vor. Bei Bedarf wird ein Arzt per Telefon oder Videokonferenz zurate gezogen. Eine Pilotphase von netCare zwischen April 2012 und Juni 2014 mit 200 beteiligten Apotheken wurde erfolgreich abgeschlossen. Bis Ende 2014 haben insgesamt 6328 Patienten das Angebot genutzt. 73 Prozent der Fälle konnten die Apotheker selbstständig lösen, bei 20 Prozent wurde ein Telemediziner hinzugezogen und 7 Prozent mussten an einen Arzt oder ins Spital überwiesen werden.

Impfen und weitere Services: In manchen Kantonen dürfen Apotheker impfen, wenn sie sich dafür über eine Weiterbildung qualifiziert haben. Diese vermittelt umfassendes Wissen rund um die Impfstoffe und ihre Anwendung, einen Reanimationskurs und wie mit einem anaphylaktischen Schock umzugehen ist. Schweizweit hatten bis Mitte 2015 269 Apotheker den „Fähigkeitsausweis Impfen und Blutabnahme“ erworben. In Zukunft sollen diese Fähigkeiten bereits im Pharmaziestudium vermittelt werden.

Die Impfbewilligungen vergeben die Kantone. Derzeit ist das Impfen ohne Impfstoff-Rezept in den Kantonen Freiburg, Neuenburg, Solothurn und Zürich möglich. Zusätzlich wurde in Bern ein Pilotprojekt zur Impfung der saisonalen Grippe in den Apotheken gestartet. In einigen weiteren Kantonen können Apotheker unter gewissen Umständen gesunde Erwachsene impfen, vorerst aber noch mit Rezept für den Impfstoff (näheres siehe: impfapotheke.ch).

Zum Apothekeralltag der Eidgenossen gehören außerdem zahlreiche Präventions- und Gesundheitsförderungsdienste nicht nur rund um das Impfen, sondern auch Blutdruck-, Blutzucker- und Cholesterinmessungen, Früherkennung einer chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung und Darmkrebs-Screening.

Abgabe ohne Rezept soll zunehmen

In begründeten Ausnahmefällen dürfen die Apotheker in der Schweiz rezeptpflichtige Medikamente auch ohne Vorliegen einer Verordnung an die Patienten abgeben. Dies kann die Abgabe eines Notfall-Allergiesets, eines Antibiotikums oder eine erneute Abgabe eines zuvor verschriebenen Medikamentes sein. Nach der jüngsten Revision des Heilmittelgesetzes, sollen diese Kompetenzen noch ausgeweitet werden, und zwar auf gewisse verschreibungspflichtige Arzneimittel bei bestimmten Indikationen. Hiermit soll die Selbstmedikation vereinfacht werden. Um zu verhindern, dass dies über den Versandhandel geschieht, muss der Apotheker einen direkten Kontakt mit dem Kunden haben und die Abgabe dokumentieren. Aktuell werden die notwendigen Ausführungsbestimmungen dazu erarbeitet. Diese sollen Mitte 2017 in Kraft treten.

Hoch angesehen

Schnell, unkompliziert, kompetent und vertrauenswürdig. So sehen laut „Apothekenmonitor 2015“ die Schweizer ihre Apotheker. Die Apotheke wird deshalb immer stärker als Eingangstor ins Gesundheitswesen wahrgenommen. Rund die Hälfte der Befragten, die regelmäßig die gleiche Apotheke besuchen, kann sich vorstellen, in der Grundversicherung ein „Hausapotheker-Modell“ zu wählen. Dabei wäre der Stammapotheker die erste Anlaufstelle bei Gesundheitsfragen. Eine klare Mehrheit ist auch damit einverstanden, dass Apotheker selber ohne ärztliche Verordnung rezeptpflichtige Medikamente verschreiben und abgeben dürfen.

Aus-, Fort- und Weiterbildung

Apotheker zählen in der Schweiz laut Medizinalberufegesetz (MedBG) zu den universitären Medizinalpersonen. Den vollen Studiengang Pharmazie mit dem Abschluss als eidgenössisch diplomierter Apotheker gibt es an den Universitäten Basel, Genf und an der ETH. Das Studium gliedert sich in eine 3-jährige Bachelorstufe und eine 1,5- bzw. 2-jährige Masterstufe. Der Bachelorabschluss ist nicht berufsqualifizierend und berechtigt nicht zu einer verantwortlichen Tätigkeit in einer Apotheke. Es werden zwei Masterabschlüsse angeboten: der Master in Pharmazie (eidg. dipl. Apotheker) und der Master in pharmazeutischen Wissenschaften (Pharmazeut mit Industrieausrichtung). Die Zahl der Studierenden ist in den vergangenen Jahren relativ stabil geblieben (2014: rund 1240 weiblich, 550 männlich). Nach der jüngsten Revision des MedBG sollen die Lernziele des Apothekerberufs im Hinblick auf die neuen Kompetenzen auf Kenntnisse zum Impfen sowie Grundkenntnisse über Diagnose und Behandlung häufiger Gesundheitsstörungen und Krankheiten ausgeweitet werden. Außerdem sollen die Fachkenntnisse zur interprofessionellen Zusammenarbeit und Vernetzung gestärkt werden.

Voraussichtlich ab 2018 wird die zweijährige Weiterbildung in Offizinpharmazie für Leiter und stellvertretende Leiter einer Apotheke obligatorisch. Dies sieht die Revision des MedBG vor. Die Kosten hierfür, die die Apotheker selbst tragen müssen, veranschlagt pharmaSuisse einmalig mit 22.000 bis 25.000 Franken.

Verbände und Organisationen

Die Dachorganisation der Schweizer Apotheker ist der Apothekerverband pharmaSuisse. Er hat 5700 Mitglieder und vertritt rund 1350 Apotheken. Viele Aufgaben zur Umsetzung des HMG im Bereich der Medikamentenabgabe sind kantonal geregelt, hierum kümmern sich die kantonalen Apothekerverbände. Seit 2007 führt der Verband eine neue Marke, ein erkennbares, in der Öffentlichkeit sichtbares Zeichen: das Apothekenkreuz (s. Abb. 1). Damit sollen seine Mitglieder als Kompetenzzentren für Gesundheit positioniert werden.

Foto: pharmaSuisse

Das grüne Kreuz ist das Symbol für Apotheken in der Schweiz, die Mitglied bei pharmaSuisse sind.

Um alle Belange der Fort- und Weiterbildung kümmert sich die Foederatio Pharmaceutica Helvetiae (FPH).

Zusammenfassung und Ausblick

Auf den ersten Blick leben schweizerische und deutsche Apotheker in recht unterschiedlichen Alltagswelten. Ketten, Drogerien und selbst dispensierende Ärzte, die „Schreckgespenster“ des unabhängigen deutschen Pharmazeuten, prägen im Alpenland das Bild. Jahrelange staatliche Preisbremsen bei den erstattungsfähigen Medikamenten drücken auf die Erträge. Aber die Kollegen in der Schweiz haben schon recht viele „Rezepte“ gefunden, wie man sich trotzdem durchsetzen und den Kopf oben behalten kann. Zum einen setzen sie stärker auf Randsortimente, zum anderen versuchen sie mit besonderen Dienstleistungen wie dem Impfen und andere Angeboten zu punkten. Der Polymedikationscheck scheint zwar noch nicht so recht einzuschlagen, aber dafür kommen Projekte wie die Qualitätszirkel mit den Ärzten und netCare und recht gut an.

Mit der verabschiedeten Revision des Medizinalberufegesetzes wurde im Frühjahr 2015 der Grundstein für die neue Rolle der Apotheker in der medizinischen Grundversorgung gelegt. Sie sollen mehr Bedeutung bei der Vernetzung im Gesundheitswesen bekommen und die Ärzte durch die eigenständige Abgabe bestimmter rezeptpflichtiger Arzneimittel noch mehr entlasten. Mit der Ausweitung der Kompetenzen gehen aber auch neue Anforderungen einher. Hierzu gehören die Aufstockung der Studieninhalte, die Weiterbildungspflicht und die Bereitschaft, für die Abgabe rezeptpflichtiger Arzneimittel selbst Verantwortung zu übernehmen.

Die Weichen sind richtig gestellt, erklärt Fabian Vaucher, Geschäftsführender Präsident von pharmasuisse in einer aktuellen Broschüre, aber das Ganze muss auch honoriert werden: „Es darf nicht sein, dass Patienten auch wegen Bagatellen weiterhin in den Notfall oder zum Arzt gehen, weil die Behandlung dort ‚gratis‘ für sie ist, während sie für die gleiche Leistung beim Apotheker selbst zahlen müssen.“ Es wird also einige Nachbesserungen beim Tarifvertrag der Apotheker mit den Krankenversicherungen geben müssen. Man darf gespannt sein, welches Rezept die Schweizer Kollegen finden, um diese in angemessener Höhe durchzusetzen. |

Literatur

Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG) vom 18. März 1994 (Stand am 1. Januar 2016).

Verordnung über die Krankenversicherung (KVV) vom 27. Juni 1995 (Stand am 1. Mai 2016)

Verordnung des EDI über Leistungen in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. (Krankenpflege-Leistungsverordnung, KLV) vom 29. September 1995 (Stand am 1. Mai 2016).

Bundesgesetz über Arzneimittel und Medizinprodukte (Heilmittelgesetz, HMG) vom 15. Dezember 2000 (Stand am 27. November 2001).

Verordnung über die Arzneimittel (Arzneimittelverordnung, VAM) vom 17. Oktober 2001 (Stand am 1. Mai 2016).

Bundesgesetz über die universitären Medizinalberufe (Medizinalberufegesetz, MedBG) vom 23. Juni 2006 (Stand am 1. Januar 2016).

Verordnung über Diplome, Ausbildung, Weiterbildung und Berufsausübung in den universitären Medizinalberufen (Medizinalberufeverordnung, MedBV) vom 27. Juni 2007 (Stand am 1. Januar 2015.

Tarifstruktur-Vertrag LOA IV/1 vom 1. Januar 2016 betreffend Tarifstruktur für Apothekerleistungen (LOA IV/1) (Art. 43 Abs. 5 KVG).

Tarifvertrag LOA IV/1 vom 1. Januar 2016 betreffend Apothekerleistungen (Art. 46 KVG).

pharmaSuisse. Schweizer Apotheken 2015.

pharmaSuisse. Schweizer Apotheken 2014. Was steckt drin und was hängt dran?

pharmaSuisse. Geschäftsbericht 2014.

pharmaSuisse. Preisbildung von Medikamenten. dosis. News aus der Gesundheitspolitik. Nr. 62, 11 (2013).

Interpharma. Gesundheitswesen Schweiz Ausgabe 2016. 35. Auflage.

Oggier W(Hrsg.). Gesundheitswesen Schweiz 2015-2017. Eine aktuelle Übersicht . 5., vollständig überarbeitete Auflage 2015. Hogrefe Verlag Bern.

Autorin

Dr. Helga Blasius

ist Fachapothekerin für Arzneimittelinformation, Dipl.-Übersetzerin (Japanisch, Koreanisch) und regelmäßige Autorin in der DAZ.

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