DAZ aktuell

„Retaxationen sind ausgeschlossen, wenn ...“

Der DAV hat den Retax-Kompromiss mit der GKV kommentiert

STUTTGART (wes) | Der „Retax-Kompromiss“, der im neuen § 3 des Rahmenvertrags (RV) zwischen DAV und GKV-Spitzenverband definiert ist, regelt, dass die Krankenkasse nicht mehr retaxieren darf, wenn das Rezept „einen unbedeutenden, die Arzneimittelsicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht wesentlich tangierenden, insbesondere formalen Fehler“ enthält. Es folgt ein ganzer Katalog an Fällen, für die diese Regel „insbesondere“ gelten soll. Bereits beim Bekanntwerden des Kompromisses Ende Mai hatte der DAV die Landesapothekerverbände darüber informiert, dass eine ausführliche Kommentierung des neuen Paragrafen notwendig sei. Diese liegt nun, wie bereits berichtet, vor.

Große Überraschungen birgt das Dokument nicht, aber einige erhellende Informationen. So erläutert der Kommentar, warum ausdrücklich aufgenommen wurde, dass eine Krankenkasse immer entscheiden könne, eine Apotheke trotz fehlerhafter Abgabe „ganz oder teilweise zu vergüten“. Krankenkassen hätten sich „in der Vergangenheit häufig“ darauf berufen, dass ihre Aufsichtsbehörde es ihnen untersage, auf Retaxationen zu verzichten. Dieser Einwand sei nun nicht mehr möglich.

Gerichtliche Klärung erwartet

Auch zum „unbedeutenden Fehler“, der nicht mehr zur Retaxation führen darf, äußert sich die Kommentierung. Im Schiedsverfahren sei die Aufgabe gewesen, „zwischen den Interessen der Versichertengemeinschaft an einer finanziellen Stabilität der GKV sowie an einer sicheren Versorgung einerseits und den Interessen der Apotheken an vorhersehbaren und zumutbaren Vorgaben für die Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz andererseits“ abzuwägen. Ergebnis dieser Abwägung sei der Maßstab des „unbedeutenden Fehlers“, „von dem zu erwarten ist, dass die Rechtsprechung ihn in den kommenden Jahren ausfüllen wird“.

Die Rechtsprechung werde allerdings „nur für die Fallgruppen ‚auf den Plan gerufen‘, die nicht unter dem vierten Spiegelstrich genannt sind“, also nur für bisher unbekannte Sachverhalte. Denn: „Für alles Bekannte weist der Rahmenvertrag nunmehr Regelungen auf und garantiert Rechtssicherheit.“ Den größten Teil des neuen § 3 nehmen diese Beispiele „unter dem vierten Spiegelstrich“ ein, also die Aufzählung unbedeutender Fehler, die zukünftig nicht mehr retaxiert werden dürfen (s. Kasten). Naturgemäß widmet sich ihnen auch der Großteil des Kommentars. Diese Fälle sind im neuen § 3 RV im Großen und Ganzen sehr präzise formuliert und die Kommentierung des DAV fügt dem nur wenig Neues hinzu.

Rahmenvertrag

Den aktuellen „Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Absatz 2 SGB V“ inklusive des neuen § 3 finden Sie auf der Website der ABDA.

Webcode: Geben Sie den Webcode R6HD3 auf www.deutsche-apotheker-zeitung.de in das Suchfeld ein und Sie gelangen direkt zum Rahmenvertrag im Wortlaut.

Was ist eine Unterschrift?

Relativ ausführlich widmet sich der Kommentar der Frage, wie die Unterschrift des verordnenden Arztes aussehen muss. Der Vertragstext legt fest, dass diese nicht lesbar, aber als Unterschrift erkennbar sein muss. Es darf sich nicht nur um ein Kürzel oder gar nur einzelne Buchstaben handeln. Der DAV kommentiert dazu, dass bei der Bewertung, was eine Unterschrift ist, „ein großzügiger Maßstab“ anzulegen sei, wenn der Verordner bekannt ist.

Original vs. Import

Der (fehlende) Austausch von Original- gegen Importarzneimittel ist ein häufiger Grund für Retaxationen. Der DAV stellt in seiner Kommentierung nun klar, dass im neuen § 3 das Originalarzneimittel und sein Import als rechtlich identisch betrachtet werden. Dies gelte auch für die Wirkstoffe der Substitutionsausschlussliste. Beim Austausch Original gegen Import (und andersherum) sind Rabattverträge zu beachten, pharmazeutische Bedenken können geltend gemacht werden.

Zum „Preisanker“ bei Importen heißt es: „Generell darf keine Retaxation aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots erfolgen, sofern das abgegebene Arzneimittel im Verhältnis von Original- und Importarzneimittel nicht teurer als das verordnete Arzneimittel ist, wobei es sich um einen Netto-Preisvergleich unter Einbeziehung der gesetzlich vorgesehenen Abschläge handelt.“ Dies gelte auch, wenn der verordnete Import teurer ist als das Original. Eingeschränkt wird auch diese Regel durch den Vorrang der Rabattverträge – pharmazeutische Bedenken sind aber auch hier möglich.

Quelle: DAV
Viele Beispiele sollen im Kommentar zum § 3 des RV aufzeigen, wie im Einzelfall mit einem Rezept umzugehen ist. Beim hier zu sehenden Rezept ist z. B. Actrapid Penfill 100 I.E. 10x3 ml hvd medical verordnet. Ein Austausch ist nicht möglich, da das preiswerteste Präparat verordnet wurde.

Sonderkennzeichen

Gibt ein Apotheker nicht das Rabattvertragsarzneimittel ab, weil es nicht lieferbar ist, es sich um eine Akutversorgung oder eine Abgabe im Notdienst handelt oder weil er pharmazeutische Bedenken hat, so muss er dies laut Rahmenvertrag mit einem Sonderkennzeichen erklären. Außerdem ist in den beiden letztgenannten Fällen eine stichwortartige Begründung aufzutragen. Fehlt auf dem Rezept das Sonderkennzeichen oder die Begründung, ist eine Retaxation zukünftig nicht mehr zulässig. Fehlen beide Angaben, kann der Apotheker im Retaxationsverfahren einen „stichhalten Nachweis“ nachliefern. Der Kommentar nennt hier als Beispiel für eine nachträgliche Begründung von pharmazeutischen Bedenken den Nachweis, dass der Rabattartikel wegen fehlender Teilbarkeit nicht in der verschriebenen Dosierung verabreicht werden kann, „oder eine entsprechende Bestätigung durch den Arzt“.

Aut-idem-Kreuze

Vom Arzt handschriftlich gesetzte Aut-idem-Kreuze dürfen nicht mehr als Begründung für Retaxationen herangezogen werden, hier ist der neue Vertragstext eindeutig. Erfreulich klar ist hierzu der Kommentar des DAV: Eine handschriftliche Markierung „begründet für sich genommen keinen Fälschungs- oder Manipulationsverdacht“.

„Wirtschaftliche Packungsgröße“

Eine häufige „Retaxfalle“ ist auch die Packungsgröße. Das hat mit den komplexen Regelungen in der Packungsgrößenverordnung (PackungsV) und im Rahmenvertrag (RV) zu tun, die viele Möglichkeiten für eine „nicht ordnungsgemäße Abgabe“ eröffnen. Im neuen Vertragstext findet sich die Regelung, dass eine Retaxation nicht möglich ist, wenn „die Apotheke bei einer Verordnung, für die § 6 dieses Vertrages keine Regelung enthält, unter Beachtung der Wirtschaftlichkeit und des Vorranges der Abgabe rabattbegünstigter Arzneimittel Packungen bis zu der vom Arzt insgesamt verordneten Menge abgibt (§ 31 Abs. 4 SGB V)“.

Dieser § 6 RV regelt folgende Fälle:

  • wenn die verordnete Normgröße „nicht besetzt“ ist, also keine Packung dieser N-Größe im Handel ist,
  • die verordnete Stückzahl außerhalb eines Normgrößenbereichs liegt und es keine entsprechende Packung im Handel gibt,
  • wenn der Arzt eine Stückzahl verordnet hat, die oberhalb von N3 liegt,
  • wenn auf dem Rezept gar keine Menge angegeben ist.

Das Problem ist, dass es heute – auch aufgrund der veränderten Packungsgrößenordnung – weit mehr auslegungsbedürftige Fälle gibt als bei Abschluss des Rahmenvertrags. Der Retax-Kompromiss regelt nun, dass in den Fällen, die im § 6 RV nicht geregelt sind, der Apotheker nicht retaxiert werden darf, wenn er wirtschaftlich abgibt und die Rabattverträge berücksichtigt. „Außerdem dürfen die verordnete Menge nicht überschritten und keine Packung mit einer Menge oberhalb der größten Packungsgröße nach PackungsV abgegeben werden“, also keine „Jumbopackungen“, kommentiert der DAV. Da diese komplexen Fälle nicht immer von den Suchroutinen der Apothekensoftware dargestellt würden, empfiehlt der Kommentar, „besonderes Augenmerk auf eine gründliche Recherche zu legen“.

Klargestellt wird, dass Apotheken nicht mehr retaxiert werden dürfen, weil eine abgegebene Packung nach PackungsV falsch gekennzeichnet ist.

Ab wann gilt der Kompromiss?

Keine Angaben enthält der DAV-Kommentar zu der strittigen Frage, ob die neuen Regelungen auch für solche Fälle gelten, in denen die Abgabe vor dem Inkrafttreten des neuen § 3 RV – also vor dem 1. Juni 2016 – stattgefunden hat, die Retaxation aber erst danach ausgesprochen wurde.

In einem Schreiben an die Geschäftsführer der Landesapothekerverbände vertrat der DAV Ende Mai die Auffassung, die Neuregelung gelte für alle Beanstandungen, die künftig ausgesprochen werden oder bei denen das Beanstandungsverfahren noch nicht abgeschlossen wurde. Entscheidend wäre also nicht der Zeitpunkt der Abgabe, sondern der Retaxation. Dies ergebe sich aus dem Auftrag an DAV und GKV-Spitzenverband in § 129 Absatz 4 Satz 2, eine Regelung für die „Beanstandung der Abrechnung durch Krankenkassen“ zu finden.

Zumindest die DAK Gesundheit steht hier jedoch auf einem anderen Standpunkt. Sie teilte einem betroffenen Apotheker schriftlich mit, dass die neuen Regelungen „für Belieferungen ab dem 01.06.2016“ gelten. Sie könnten deswegen nicht „rückwirkend für bereits vor dem 01.06.2016 abgerechnete Verordnungen herangezogen werden“, da der Beschluss der Schiedsstelle keine Regelungen über eine frühere Anwendbarkeit enthalte. |

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