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Beratung

Aufruhr im Darm

Empfehlungen und Grenzen der Selbstmedikation bei Antibiotika-assoziierter Diarrhö

Tritt während oder nach der Einnahme eines Antibiotikums Durchfall auf und kommen keine anderen Ursachen infrage, spricht man von einer Antibiotika-assoziierten Diarrhö (AAD). Am wichtigsten sind auch bei dieser Durchfall-Art Maßnahmen zur Verhinderung eines Flüssigkeits- und Elektrolytdefizits. Einige der gängigsten Antidiarrhoika eignen sich nicht für die Selbstmedikation bei AAD. Gefürchtet ist die Komplikation pseudomembranöse Kolitis, die bei etwa jedem fünften Betroffenen auftritt. |  Von Claudia Bruhn

Wenn Patienten in der Apotheke über Magen-Darm-Beschwerden unter einer Antibiotika-Behandlung berichten, sind neben Durchfall häufig auch Übelkeit, Appetitlosigkeit und/oder leichte Blähungen ein Thema. Diese Symptome können bereits einige Stunden nach Behandlungsbeginn, mitunter auch erst zwei bis drei Wochen nach Therapieende auftreten. Die Inzidenz der Antibiotika-assoziierten Diarrhö wird zwischen 12 und 25% angegeben. Auch das Risiko der verschiedenen Wirkstoffe scheint stark zu variieren (siehe Tabelle 1). Aminopenicilline wie Ampicillin oder Amoxicillin, Clindamycin, Cefalosporine der dritten Generation und die neueren Chinolone sind wahrscheinlich häufiger mit Durchfall assoziiert als Cotrimoxazol, Makrolide, Tetracycline, Metronidazol oder Vancomycin.

Tab. 1: Risiko für das Auftreten einer Antibiotika-assoziierten Diarrhö [Eckard S. Beratungspraxis: Bakterielle Infektionskrankheiten, Deutscher Apotheker Verlag 2013]
hohes Risiko
niedriges Risiko
Aminopenicilline (z. B. Ampicillin, Amoxicillin,
auch in Kombination mit Betalactamase-­Inhibi­toren (z. B. Flucloxacillin)
Cotrimoxazol
Cefalosporine (vor allem Gruppe 3)
Makrolide
Chinolone (vor allem neuere Substanzen)
Metronidazol
Clarithromycin in hoher Dosierung
Schmalspektrum-Penicilline
Clindamycin
Tetracycline
Erythromycin
Vancomycin

Vielfältige Ursachen

Im Patientengespräch erläutern Apotheker und PTA als Ursache der Beschwerden, dass die natürliche Darmflora durch das Antibiotikum aus dem Gleichgewicht geraten ist. Reduziert ein Wirkstoff die Zahl der anaeroben Bakterien, die im Kolon für die Verstoffwechslung unverdaulicher Kohlenhydrate verantwortlich sind, gelangen größere Zuckermengen in den Stuhl. Durch deren osmotische Aktivität tritt vermehrt Wasser in den Stuhl über. Darüber hinaus diskutiert man in der Literatur weitere Pathomechanismen wie eine Steigerung der gastro­intestinalen Motilität (z. B. nach Einnahme von Erythromycin), allergische Reaktionen (z. B. auf Penicilline) sowie direkte Schleimhautulzerationen durch die Wirkstoffe.

Antibiotika assoziierte Diarrhö

Durchfall nach Einnahme von Antibiotika ist eine häufige Nebenwirkung und kann zustande kommen durch

  • eine Steigerung der gastroin­testinalen Motilität,
  • eine erniedrigte Kohlenhydrat-Verstoffwechselung durch die Verringerung anaerober Bakterien im Colon, die zu einer osmotischen Diarrhö führt oder
  • ein Überwachsen des Bakteriums Clostridium difficile nach Eradikation der kommensalen Flora des Darms.

Unkomplizierte AAD versus Clostridium-difficile-Infektion

Bei immunkompetenten Menschen ist eine Antibiotika-assoziierte Diarrhö meist selbstlimitierend. Klagen Patienten unter einer Antibiotika-Behandlung dagegen über Symptome wie starke Bauchschmerzen und -krämpfe, Fieber, häufige und wässrige Stühle und/oder Erbrechen, hat möglicherweise eine Überwucherung des Darms mit dem stäbchenförmigen, sporenbildenden Keim Clostridium difficile stattgefunden. Er ist eigentlich ein physiologischer Darmbewohner – bei gesunden Erwachsenen liegt die Kolonisationsrate bei ca. 2%. Clostridium difficile verursacht ca. 15 bis 20% der Antibiotika-assoziierten Diarrhö und mehr als 95% der Fälle von pseudomembranöser Kolitis. Diese Bezeichnung leitet sich daraus ab, dass im Dickdarm durch die Bakterientoxine unter anderem Entzündungsprozesse in Gang gesetzt werden. Aus geschädigten Kapillaren treten dann Blutbestandteile, unter anderem Fibrin, aus. Dieses bildet gemeinsam mit Zelltrümmern und Leukozyten Beläge auf den Dickdarmwänden. Sie erscheinen bei endoskopischer Untersuchung als abstreifbare Membranen.

Sporozoide Desinfektionsmittel notwendig

Eine pathologische Vermehrung des Keims wird auch deshalb besonders gefürchtet, weil sie manchmal erst mehrere Wochen nach Absetzen des Antibiotikums auftritt und dann unter Umständen nicht mehr mit der Behandlung in Zusammenhang gebracht wird. Als Risikofaktoren gelten ein höheres Lebensalter und Komorbiditäten sowie eine Antibiotika-Therapie in der Klinik. Die Mortalitätsrate kann bei älteren, multimorbiden Patienten bis zu 25% betragen. Auch Bewohner von Alten- und Pflegeheimen sind daher besonders gefährdet. Selbst bei sorgfältiger Durchführung der vorgeschriebenen Hygienemaßnahmen lässt sich die Ausbreitung einer C.-difficile-Infektion oft nur schwer verhindern. Im Falle des Ausbruchs in einer Klinik oder Pflegeeinrichtung müssen daher spezielle Schutzmaßnahmen (z. B. Einzelunterbringung in einem Zimmer mit eigener Nasszelle) ergriffen werden, da die Patienten vegetative Bakterien und Sporen des Erregers ausscheiden, die gegen alkoholische Händedesinfektionsmittel resistent sind. Eine Übertragung von Mensch zu Mensch ist sehr leicht möglich, C.-difficile-Sporen gelangen auch auf Oberflächen wie Bettpfannen, Toilettensitze oder Türklinken und können so weiterverbreitet werden.

Besonders hohe Toxinmengen scheidet der C.-difficile-Ribotyp 027 aus, der außerdem resistent gegen viele Antibiotika ist. Zur medikamentösen Behandlung einer C.-difficile-Infektion wird als erste Wahl Metronidazol, bei Versagen auch Vancomycin oder Teicoplanin empfohlen. Seit 2011 steht mit Fidaxomicin (Dificlir®) für Erwachsene ein weiterer Wirkstoff zur Verfügung, der speziell für die Behandlung von C.-difficile-Infektionen zugelassen ist.

Empfehlungen für die Selbstmedikation

Patienten, die bei Symptomen einer Antibiotika-assoziierten Diarrhö den Wunsch äußern, das Antibiotikum abzusetzen, sollten unbedingt an den Arzt verwiesen werden. Er wird, falls dies medizinisch vertretbar ist, eine Umstellung auf ein möglicherweise weniger problematisches Mittel vornehmen. Sind die Symptome der Antibiotika-assoziierten Diarrhö mild, gibt es mehrere Optionen für die Selbstmedikation. Erste Wahl sind orale Rehy­dratationslösungen (z. B. Oralpädon®, Elotrans®), um einer Exsikkose vorzubeugen. Unterstützend können beispielsweise Präparate mit Gerb­stoffen (z. B. Tannalbin®), Apfelpektin (z. B. Diarrhoesan®) oder Uzarawurzel (Uzara®) empfohlen werden. Nicht geeignet bei AAD ist der Motilitäthemmer Loperamid, da durch die Verlangsamung der Darmbewegung die Ausscheidung pathogener Keime und Toxine behindert werden kann. Auch der Enkephalinase-Inhibitor Racecadotril (Vaprino®) ist bei Antibiotika-assoziierter Diarrhö kontraindiziert.

Kein Loperamid

Durchfälle, die durch Antibiotika ausgelöst werden, dürfen nicht mit dem Motilitätshemmer Loperamid behandelt werden. Bei der Abgabe von Loperamid sollte daher immer nach dem Auslöser des Durchfalls bzw. nach der Einnahme von Antibiotika gefragt werden! Auch bei pseudomembranöser Kolitis, die sich bis zu zehn Wochen nach einer Antibiotika-Therapie manifestieren kann, ist Loperamid kontraindiziert. Oft wird hier dann gar kein kausaler Zusammenhang mehr zur Antibiotika-Gabe erkannt.

Bedeutung von Probiotika

Probiotika sind Produkte mit lebens­fähigen Mikroorganismen, die als Arzneimittel, aber auch Nahrungs­ergänzungs- und Lebensmittel (z. B. probiotischer Joghurt) zur Unterstützung der natürlichen Darmflora vermarktet werden. Bei Milchprodukten ist jedoch zu beachten, dass sie wegen der Komplexbildung von Calcium mit einigen Wirkstoffen (Tetracycline, Gyrasehemmer) zwei bis drei Stunden zeitversetzt zum Antibiotikum verzehrt werden müssen.

Für die Empfehlung in der Apotheke stehen zahlreiche Präparate mit verschiedenen Mikroorganismen zur Verfügung. Dazu zählen:

  • Saccharomyces boulardii (z. B. Eubiol®, Perenterol®, Perocur®, Yomogi®)
  • Milchsäurebakterien: Lactobacillus gasseri und Bifidobakterium longum in Omniflora® N; Lactobacillus fermentum und L. delbrueckii in Lacteol®, Lactobacillus acidophilusin Paidoflor®, L. rhamnosus GG in Infecto­Diarrstop® LGG
  • Escherichia coli in Mutaflor® Suspension.

Probiotika eignen sich zur Behandlung einer Antibiotika-assoziierten Diarrhö, wobei die Anwendungsgebiete und Altersgrenzen stark variieren. So ist beispielsweise Mutaflor® Suspension nur für Diarrhö bei Säuglingen, Kleinkindern und Kindern zugelassen, InfectoDiarrstop® LGG mono nur bei Säuglingen und Kleinkindern in Kombination mit oraler Rehydratationslösung. Präparate wie Perenterol® und Perocur® können dagegen bei Kindern und Erwachsenen zur sym­ptomatischen Behandlung akuter Durchfallerkrankungen gleich welcher Genese, das heißt auch bei Antibiotika-assoziierter Diarrhö, eingesetzt werden. Außerdem finden sie vor Fernreisen zur Vorbeugung von Reisediarrhö und im Falle des Auftretens auch zu deren symptomatischer Behandlung Anwendung. Bei Präparate mit Milchsäurebakterien wie Lacteol® Kapseln gibt es Einschränkungen bezüglich des Einsatzes zu Selbstmedikation im Säuglings- und Kindesalter. Auch Perenterol® und Perocur® sind für Kinder unter zwei Jahren nicht geeignet, was sinnvoll erscheint, da Kinder in diesem Alter bei Durchfall grundsätzlich einem Arzt vorgestellt werden sollten. Bei Paidoflor® findet sich der Hinweis, dass es bei Kindern ab dem ersten Lebensjahr bis zum vollendeten sechsten Lebensjahr nur unter ärztlicher Überwachung angewendet werden darf.

Unterschiede zwischen den Präparaten bestehen außerdem hinsichtlich der Notwendigkeit der Kühlung, was für die Mitnahme auf eine Reise relevant sein kann. So enthalten viele Präparate gefriergetrocknete Mikroorganismen, sodass keine Kühlung notwendig ist (z. B. Perenterol®, Perocur®, InfectoDiarrstop®), andere sind bei 2 bis 8 °C zu lagern (z. B. Paidoflor®).

Probiotika: Therapie ja, Prophylaxe nur bei Reisediarrhö

In den USA werden Probiotika bereits vorbeugend bei Antibiotika-assoziierter Diarrhö empfohlen. Die in Deutschland zugelassenen Präparate sind dafür jedoch nicht indiziert.

Ein 2013 publizierter Cochrane-Review hatte ergeben, dass Probiotika das Risiko für die Entwicklung einer C.-difficile-Diarrhö um 64% reduzieren konnten, wenn sie parallel zu einer Antibiotika-Behandlung verabreicht wurden. Ausgewertet wurden dafür 23 randomisierte Studien mit 4213 Patienten. Moderate Evidenz für den Einsatz von Probiotika zur Verhinderung einer Antibiotika-assoziierten Diarrhö bei Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen zwei Wochen und 17 Jahren attestierten die Autoren eines Cochrane-Reviews aus dem vergangenen Jahr. Die Risikoreduktion betrug 0,46 (95% CI 0,35 bis 0,61), die number needed to treat (NNT) lag bei 10.

Den Kindern waren verschiedene Mikro­organismen, allein oder in Kombinationen, verabreicht worden. Nach Ansicht der Autoren sind Lactobacillus rhamnosus oder Saccharomyces boulardii (je fünf bis 40 Milliarden koloniebildende Einheiten pro Tag) empfehlenswert, da Nebenwirkungen sehr selten auftraten.

Bezüglich der Sinnhaftigkeit des Einsatzes von Probiotika zur Therapie herrscht jedoch allgemein Konsens. So kommt beispielsweise die S1-Leitlinie „Akuter Durchfall“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) zu der Aussage, dass die Einnahme von Probiotika (z. B. Lactobacillus, S. boulardii) eine Verkürzung der Krankheitsdauer um etwa einen Tag bewirken und daher in Erwägung gezogen werden kann. Bei Kindern und Erwachsenen mit Immundefizienz oder anderen Risikofaktoren wie z. B. venösen Dauer­kathetern dürfen Probiotika weder prophylaktisch noch therapeutisch verabreicht werden. |

Quelle

Goldenberg JZ et al. Probiotics for the prevention of pediatric antibiotic-associated diarrhea. Cochrane Database of Systematic Reviews 2015, DOI: 10.1002/14651858, CD004827.pub4, www.cochranelibrary.com

Goldenberg JZ et al. The use of probiotics to prevent C. difficile diarrhea associated with antibiotic use, Cochrane Database of Systematic Reviews 2013, DOI: 10.1002/14651858.CD006095.pub3, www.cochranelibrary.com

Ziegler A. Behandlung der Antibiotika-assoziierten Diarrhö. DAZ 2008;40:58

Hausmann J, Schröder O. Antibiotika-assoziierte Diarrhö. Gastroenterologe 2012;7(3):220-227

Akuter Durchfall. S1-Leitlinie der Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, AWMF-Registernr. 053/030, Stand 9/2013, gültig bis 9/2018

Höffler D. Probiotika zur Vorbeugung von Antibiotika- bzw. Clostridien-assoziierten Diarrhoen – Nachweis der Wirkung fehlt. Arzneiverordnung in der Praxis 2015;42:1

www.perenterol.de, letzter Abruf am 16. Juli 2016

Clostridium difficile. Ratgeber für Ärzte, Stand 2009, Robert Koch-Institut, www.rki.de

Autorin

Dr. Claudia Bruhn ist Apothekerin und arbeitet als freie Medizinjournalistin. Sie schreibt seit 2001 regelmäßig Beiträge für die DAZ.

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