Arzneimittel und Therapie

Wann kommt die Pille für den Mann?

Das Pariser Manifest fordert ein zuverlässiges Kontrazeptivum für Männer bis 2026

Kondome, Coitus interruptus, Vasektomie und Abstinenz – die Liste von Verhütungsmethoden speziell für Männer ist kurz. Das im Mai veröffentlichte Pariser Manifest fordert die pharmazeutische Industrie auf, in die Entwicklung neuer Methoden zur männlichen Kontrazeption zu intensivieren – ein Grund, den aktuellen Stand der Forschung einmal unter die Lupe zu nehmen.
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Auch Männer sollten an die Verhütung denken. Zwar sind Ansätze zur männlichen Kontrazeption, die auf hormonellen Methoden basieren, bis fast zur Marktreife entwickelt worden. Doch die pharmazeutische Industrie hat die Forschung zur männlichen Kontrazeption wegen angeblich fehlender Akzeptanz und Profitabilität weitestgehend eingestellt.

Das Pariser Manifest ist eine Deklaration, die im Zuge des ersten internationalen Kongresses des International Consortium for Male Contraception (ICMC) am 4. Mai 2016 in der französischen Hauptstadt verabschiedet wurde [2]. Darin senden die beteiligten Endokrinologen einen Appell an Gesundheitsbehörden und pharmazeutische Industrie, zusätzlich zu den etablierten Methoden der Empfängnisverhütung, die vorrangig Frauen betreffen, sichere und verträgliche Verhütungsmethoden für Männer zu entwickeln. Die Anforderungen an ein ideales Verhütungsmittel implizieren [3], dass es

  • für beide Partner vertretbar ist;
  • effektiv, am besten ohne Latenz­phase ist,
  • unabhängig vom Sexualakt appliziert werden kann,
  • keine negativen Auswirkungen auf die Libido hat,
  • keine inakzeptablen und unerwünschten Arzneimittelwirkungen hervorruft,
  • komplett reversibel ist und
  • äquivalente Effektivität gegenüber weiblichen Methoden verzeichnen kann.

Hormonelle Verhütung

Hormonelle Verhütungsmethoden für Männer basieren auf der Unterdrückung des luteinisierenden Hormons (LH) und Follikel-stimulierenden Hormons (FSH) mit dem Ziel den Testosteron-Spiegel zu senken [4]. Hierbei ist es jedoch wichtig, eine Androgen-Deprivation und deren Folgen (unter anderem Reduktion der Muskelmasse und Libido) zu vermeiden. Außerdem ist eine orale Gabe der Hormone aufgrund des ausgeprägten hepatischen First-pass-Metabolismus schwierig [5]. Ein neu entwickeltes Androgen ist Dimethandrolon-17-beta-undecanoat (DMAU), das an Progesteron-Rezeptoren bindet, wodurch der Spiegel an Serum-LH gesenkt wird. Im Tierversuch konnte es sowohl oral als auch durch Injektion verabreicht werden [6] und muss nun klinisch getestet werden.

Nicht-hormonelle Verhütung

Drei wichtige Entwicklungsbereiche umfassen [3]:

  • die aktive oder passive Immunisierung mit Antigenen/Antikörpern, die die Spermien-Funktion blockieren können,
  • die Verabreichung von zielgerichteten Verbindungen, die die Spermatogenese oder spezifische Spermien-Funktionen beeinträchtigen, und
  • die Verabreichung von Kräuter­extrakten, die die Spermien-Produktion und/oder -Funktion unterdrücken können.

Spermien-Proteine sind ein attraktives Target, da sie hochimmunogen sind und ihre Auto- und Isoantigene oft spermienspezifisch sind und somit keinen Einfluss auf andere biologische Prozesse haben.

Den Samenleiter im Visier

Zu den in den letzten Jahren entwickelten Methoden zählt die reversible inhibition of sperm under guidance (RISUG). Hierbei wird ein Styrol-Malein­säureanhydrid-Copolymer (SMA) in den Samenleiter (Vas deferens) ­injiziert. Das Polymer erstarrt und verankert sich an dessen Innenwand [3, 7]. Kommen die Spermien in Kontakt mit diesem Polymer, so werden sie durch die positiven Ladungen des Polymers beschädigt und sind daraufhin unbeweglich [8]. Die Spermien-Produktion bleibt erhalten. Die tatsächliche Reversibilität wurde allerdings trotz Namensgebung noch nicht ausreichend untersucht. Basierend auf dieser in Indien entwickelten Methode wird zurzeit das Vasalgel® in klinischen Studien in den USA überprüft. Eine Markteinführung wird für 2018 in den USA an­gestrebt [9].

Spermien-Motilität hemmen

Der Nebenhoden (Epididymis) ist als Ort der Spermien-Reifung ein plausibles Target. Hier ist der epididymale Protease-Inhibitor (EPPIN), der vermutlich eine wichtige Rolle für die Spermien-Motilität spielt, ein vielversprechender Angriffspunkt [3]. Cystein239 des Semenogelin-1 (SEMG1) ist das vorherrschende Protein im Samen und scheint entscheidend für die Bindung von EPPIN zu sein [10]. Somit stellt auch dieses ein mögliches Target für die Wirkstoffentwicklung dar.

Keine Spermien ohne Vitamin A

Retinsäure ist der aktive Metabolit von Vitamin A und spielt eine Schlüssel­rolle in der Spermatogenese [11, 12]. Für diverse Substanzen wie Bisdichloro­acetyldiamin konnte gezeigt werden, dass sie reversibel die Spermatogenese durch Blockade der testikulären Retinsäure-Synthese hemmen können [13]. Um als Verhütungsmittel geeignet zu sein, müsste allerdings gewährleistet werden, dass die Hemmung nur testikulär erfolgt. Ein Antagonist am Retinsäure-Rezeptor (BM-189453) zeigte in männlichen Mäusen vielversprechende Ergebnisse [14].

Die „grüne Pille“ aus Indonesien

Die sogenannte „Indonesische Pille“, ein Extrakt der Pflanze Justica genda­russa, interferiert mit dem Enzym­system von Spermien und beeinflusst auf diese Weise deren Beweglichkeit und Bindungsvermögen [5]. In vitro und in vivo scheint der Mechanismus durch kompetitive und reversible Inhibition von Spermien-Hyaluronidase-Enzymen gekennzeichnet zu sein [15]. Zurzeit befindet sich der Pflanzenextrakt in der klinischen Prüfung.

Was erwartet uns in Zukunft?

Die vielversprechendste Methode, die zukünftig Anwendung finden könnte, scheint die RISUG-Methode zu sein [3]. Wenn man allerdings sieht, wie wenig die Vasektomie in Deutschland genutzt wird, so liegt die Vermutung nahe, dass die Männer auch diese Methode nicht gern annehmen. Neben den genannten Möglichkeiten befinden sich auch Hitzebehandlungen, Opioide, testikuläre Kinasen und Lonidamin-Derivate in der Forschung [3]. Eine britische Studie kam zu dem Ergebnis, dass 80% der Männer eine hypothetische „männliche Ver­hütungspille“ zu einer von drei favorisierten Verhütungsmethoden zählen würden [16]. Weiterhin würden 60% der Männer aus Deutschland, Spanien, Brasilien und Mexiko eine neue Methode zur männlichen Verhütung ausprobieren [17].

Die Unterzeichner des Pariser Manifests fordern die pharmazeutische Industrie und Gesundheitsbehörden nachdrücklich dazu auf, wieder aktiv die Entwicklung männlicher Kontrazeptiva zu fördern [2]. Das Ziel soll sein, bis zum Jahr 2026 die markt­reife Entwicklung mindestens eines zuverlässigen, reversiblen und bezahlbaren Kontrazeptivums für Männer zu ermöglichen [2]. Somit könnte auch das bestehende Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern in Bezug auf Verhütungsmittel innerhalb der nächsten zehn Jahre gebrochen werden [3].  |

Quelle

[1] Youssef H. The history of the condom. Journal of the Royal Society of Medicine 1993;86:226-228

[2] Das Pariser Manifest: Es ist Zeit für neue männliche Kontrazeptiva. Deklaration des International Consortium for Male Contraception (ICMC) vom 4. Mai 2016, www.ic-mc.info/wp-content/uploads/2016/06/Manifest-Paris-2016-deutsch.pdf

[3] Garside DA et al. An update on the potential for male contraception: emerging options. Open Access Journal of Contraception 2013;4:1-11

[4] Nieschlag E. The struggle for male hormonal contraception. Best Pract Res Clin Endocrinol Metab 2011;25:369-375

[5] Chawathey K. Male contraception. InnovAiT: Education and inspiration for general practice 2014;7:281-286

[6] Attardi BJ et al. Dimethandrolone undecanoate: a new potent orally active androgen with progestational activity. Endocrinology 2006;147:3016-3026

[7] Banerjee S et al. Probing molecular interactions of poly(styrene-co-maleic acid) with lipid matrix models to interpret the therapeutic potential of the co-polymer. Biochimica et Biophysica Acta (BBA) – Biomembranes 2012;1818:537-550

[8] Chaudhury K et al. Studies on the membrane integrity of human sperm treated with a new injectable male contraceptive. Hum Reprod 2004;19:1826-1830

[9] Vasalgel™. Vasalgel Update. 26 Februar 2015, unter http://myemail.constantcontact.com/Vasalgel--The-race-towards-manufacturing. html?soid=1109766611768&aid=r7I-3Qu0nLQ

[10] Mitra A et al. Analysis of recombinant human semenogelin as an inhibitor of human sperm motility. Biol Reprod 2010;82:489-496

[11] Hogarth CA et al. Inhibiting vitamin A metabolism as an approach to male contraception. Trends Endocrinol Metab 2011;22:136-144

[12] Hogarth CA et al. The key role of vitamin A in spermatogenesis. The Journal of Clinical Investigation 2010;120:956-962

[13] Brooks NL et al. Short-term effects of N‘N-bis (dichloroacetyl)-1, 8-octamethylenediamine (WIN 18446) on the testes, selected sperm parameters and fertility of male CBA mice. Laboratory animals 2003;37:363-373

[14] Chung SSW et al. Oral administration of a retinoic Acid receptor antagonist reversibly inhibits spermatogenesis in mice. Endocrinology 2011;152:2492-2502

[15] Ningsih IY et al. Metabolite Profiling of Justicia gendarussa Burm. f. Leaves Using UPLC-UHR-QTOF-MS. Scientia Pharmaceutica 2015;83:489-500

[16] Brooks M. Men‘s views on male hormonal contraception-a survey of the views of attenders at a fitness centre in Bristol, UK. Br J Fam Plann 1998;24:7-17

[17] Heinemann K et al. Attitudes toward male fertility control: results of a multinational survey on four continents. Human Reproduction 2005;20:549-556

Apothekerin Isabelle Viktoria Maucher

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