Arzneimittel und Therapie

Schlechte Presse für Statine

Die oft emotional geführte Diskussion über Nutzen und Risiken einer lipidsenkenden Therapie wird seit Jahren von den Medien begleitet. Schlechte Presse über Nebenwirkungen und Sinnhaftigkeit einer präventiven Einnahme von Statinen können Patienten verunsichern. Laut einer britischen Studie hat die mediale Berichterstattung Auswirkung auf die Adhärenz.

Einfluss der Medien auf die Therapietreue

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Statine gehören zur Substanzklasse der 3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-A(HMG-CoA)-Reduktase-Inhi­bitoren. Durch die Hemmung dieses Schlüsselenzyms der Cholesterol-Biosynthese sind sie in der Lage, den ­Gesamt- und den Low-Density-­Lipo­protein(LDL)-Cholesterol-Spiegel effektiv zu senken. Trotz der positiven Auswirkungen neigen über die Hälfte der Patienten dazu, die Statin-Therapie noch innerhalb des ersten Jahres zu unterbrechen [1]. Die Gründe hierfür können vielfältig sein. Studien aus ­Dänemark, Australien, der Türkei und Frankreich deuten darauf hin, dass Negativpresse einen Einfluss auf die von Arzt und Patient gesteckten Therapieziele hat [2 – 5].

NICE sorgt für Aufregung

Eine im British Medical Journal publizierte Studie untersuchte den Zusammenhang zwischen Negativpresse und dem Abbruch einer Statin-Therapie. Matthews et al. verwendeten für ihre Analyse eine anonymisierte Datenbank (CPRD, UK Clinical Practice Research Datalink). Sie beobachteten den Zeitraum von Oktober 2013 bis März 2014, der angeblich durch stark verbreitete Negativberichterstattung über Statin-Therapie gekennzeichnet war. Zuvor hatte das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) angekündigt, die Schwelle für den Einsatz von Statinen zur Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken. Dieses Vorhaben löste in Großbritannien einer heftige öffentliche Diskussion aus.

Mehr Therapieabbrecher

Trotz des Medienrummels nahm in dieser Zeit die Zahl der Patienten, die eine Statin-Therapie begannen, nicht ab, sondern stieg im Gegenteil in der Indikation Primärprävention. Allerdings zeigte sich für die primäre und sekundäre Prävention mit Statinen eine 11% bzw. 12% höhere Wahrscheinlichkeit, die Therapie zu unterbrechen. Die Autoren schätzen, dass diese Therapieabbrüche zu mehr als 2000 zusätzlichen kardiovaskulären Ereignissen über einen Zeitraum von zehn Jahren führen könnten.

Prof. Dr. Gary Schwitzer, ein Spezialist auf dem Gebiet Journalismus im Gesundheitswesen, kritisiert in einem begleitenden Editorial zur Studie, dass die Autoren sich nur auf zwei Berichte berufen, die sich negativ über Statine äußerten [6] – recht wenig, um hieraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Weiterhin wurde ein Kausalzusammenhang zwischen negativer Berichterstattung über Statine und Therapieabbruch unterstellt, ohne jedoch Patienten zu den Gründen ihres Therapieabbruches zu befragen. Es ist nicht sicher, inwieweit Patienten vorab überhaupt über Risiken einer Statin-Therapie informiert wurden. Zu dieser Zeit waren nicht alle Nachrichten zu Statinen negativ, sondern schwankten zwischen Extremen.

Frauen halten schlechter durch

Vinogradova et al. veröffentlichten im gleichen Monat eine Studie im BMJ, die sich ebenfalls mit den Gründen für das Abbrechen einer Statin-Therapie auf Grundlage der CPRD-Datenbank befasst. Ganz allgemein neigten Patienten, die ein Statin zur primären Prävention erhielten, eher zu einer diskontinuierlichen Einnahme als die, die ein Statin zur sekundären Prävention bekamen. Patienten einer ethnischen Minderheit, Raucher und Typ-1-Diabetiker unterbrachen hier am häufigsten eine Statin-Therapie, begannen sie aber auch wieder am ehesten [7]. Faktoren wie jüngeres als auch höheres Alter, weibliches Geschlecht und Lebererkrankungen waren häufiger mit Therapieabbrüchen assoziiert und führten am seltensten wieder zur Aufnahme der Therapie.

Der Kommunikation förderlich

Gary Schwitzer weist darauf hin, dass bei diesen Untersuchungen nichts über die Qualität der klinischen Entscheidungsfindung von Patienten vor dem Behandlungsbeginn und nichts darüber bekannt war, warum diese Patienten aufgehört haben [6]. Entscheidungen werden auf Grundlage emotionaler und sozialer Einflüsse getroffen [8]. Es könnte sein, dass neue Berichterstattungen über Statine Patienten dazu brachten, ihre ursprünglichen Gründe für eine Statin-Therapie zu hinterfragen [6]. Nach Ansicht von Gary Schwitzer sollte Journalismus, der die Öffentlichkeit mit den aktuellen Auseinandersetzungen konfrontiert, gefördert und nicht als negativ gebrandmarkt werden [6]. Wenn Berichte dazu führen, dass Patienten Fragen zu ihrer Therapie haben oder bessere Diskussionen zwischen Arzt und Patient über Kompromisse, persönliche Präferenzen und Werte stattfindet, ist das eine Auswirkung, die seiner Meinung nach positiv angenommen werden sollte. |

Quelle

[1] Maningat P et al. How Do We Improve Patient Compliance and Adherence to Long-Term Statin Therapy? Current atherosclerosis reports 2013;15:291

[2] Schaffer AL et al. The crux of the matter: Did the ABC‘s Catalyst program change statin use in Australia? Med J Aust 2015;202:591-595

[3] Saib A et al. Evaluation of the impact of the recent controversy over statins in France: the EVANS study. Arch Cardiovasc Dis 2013;106:511-516

[4] Nielsen SF et al. Negative statin-related news stories decrease statin persistence and increase myocardial infarction and cardiovascular mortality: a nationwide prospective cohort study. Eur Heart J 2016;37:908-916

[5] Kocas C et al. The role of media on statin adherence. Int J Cardiol 2015;201:139

[6] Schwitzer G. Statins, news, and nuance. BMJ 2016;353; doi:10.1136/bmj.i3379

[7] Vinogradova Y et al. Discontinuation and restarting in patients on statin treatment: prospective open cohort study using a primary care database. BMJ 2016;353; doi:10.1136/bmj.i3305

[8] Epstein RM et al. Beyond information: exploring patients‘ preferences. JAMA 2009;302:195-197

Apothekerin Isabelle Viktoria Maucher


Die Patienten nicht verunsichern

Ein Gastkommentar von Prof. Dr. med. Helmut Gohlke

Prof. Dr. med. Helmut Gohlke

In den Medien werden gern Artikel publiziert, die das Konzept der sogenannten Schulmedizin infrage stellen und gesichertes, gut etabliertes Wissen anzweifeln und sich dabei in der Regel auf selbsternannte Experten berufen. Hier hat es „Experten“ gegeben, die z. B. in Zweifel zogen, dass es einen Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs gebe, die behaupteten, dass hochdosierte Vitamine die koronare Herzerkrankung (KHK) verhindern könnten und auch wurde wiederholt in Medienberichten bezweifelt, dass Statine einen günstigen Effekt auf die koronare Herzerkrankung haben. Im Hintergrund stand immer – ausgesprochen oder unausgesprochen – die Behauptung, dass die Tabletten allein dem Profitstreben der Pharmaindustrie dienen und dem Patienten keinerlei Nutzen bringen. Die Deutsche Herzstiftung, die keinerlei Zuwendungen von der Pharma-Industrie erhält, hat durch Gegendarstellungen versucht zu verhindern, dass Patienten in Reaktion auf die Medienberichte ihre Medikamente absetzen.

In diesem Jahr sind zwei wissenschaftliche Publikationen erschienen, die die Auswirkungen solcher Medien-Berichte auf die Medikamenteneinnahme untersuchten; in zwei Ländern, in Dänemark und in England, in denen in einem staatlichen Gesundheitssystem die Rezepteinlösung dokumentiert wird, wurde untersucht, ob und in welchem Umfang solche Publikationen die Patienten dahingehend beeinflusst haben, Rezepte nicht einzulösen und damit Statine vorzeitig abzusetzen.

Die im März 2016 veröffentlichte Studie aus Dänemark analysierte in ganz Dänemark die Einlösung von Statin-Rezepten bei fast 675.000 über 40-jährigen Personen, bei denen eine Statin-Therapie zwischen 1995 und 2010 wegen KHK begonnen worden war. In Jahren, in denen negative Medienberichte über Statine erschienen, nahm die Absetzrate um 9% zu und Patienten, die ihre Statin-Medikation absetzten, hatten ein um 26% erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und ein um 18% erhöhtes Risiko an Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu versterben – im Vergleich zu denen, die ihre Medikamente weiterhin einnahmen [1].

In einer ähnlichen Studie aus Großbritannien, die im Juli 2016 publiziert wurde, wurde nach zwei Statin-kritischen Medienberichten im Oktober 2013 die Therapietreue der Patienten untersucht [2]. Patienten, bei denen kürzlich die Notwendigkeit einer Statin-Behandlung festgelegt worden war, waren weniger betroffen, aber Patienten, die schon längere Zeit Statine einnahmen, setzten sie um 11% bis 12% häufiger ab, als in der Zeit vor der Publikation dieser Medien-Berichte. Insbesondere ältere Personen und solche, die Statine bereits über einen längeren Zeitraum eingenommen hatten, waren betroffen. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass hochgerechnet auf zehn Jahre dieses Absetzen der Statine in Großbritannien etwa 2000 zusätzliche Herz-Kreislauf-Ereignisse verursachen würde.

Statine sind die wahrscheinlich am besten untersuchten Medikamente in der Medizin mit über 170.000 in randomisierten Studien systematisch analysierten Patienten; der Nutzen der Statine bei Personen mit erhöhtem Risiko für koronare Herzerkrankung oder bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung steht deshalb unzweifelhaft fest und wird von Leitlinien in europäischen und US-amerikanischen Fachgesellschaften bestätigt. Aufgrund der großen Datenbasis ist es nicht vorstellbar, dass sich an dieser Einschätzung etwas ändern wird. Diese beiden Arbeiten aus Dänemark und Großbritannien bestätigen auf ungewöhnliche Weise die Wirksamkeit der Statine: wenn Statine ausgelassen werden, nimmt das Risiko für Herz-Kreislauf-Ereignisse um 26% zu. Eine solche Studie als geplante Untersuchung, in der Statine z. B. nach Herzinfarkt oder bei Patienten mit koronarer Herzerkrankung willentlich und vorsätzlich abgesetzt werden, wäre heutzutage aus ethischen Gründen nicht mehr möglich, weil die günstigen Wirkungen bei diesen Patienten so eindeutig sind.

Dennoch sollten sich alle Ärzte darüber im Klaren sein, dass solche Medienberichte immer wieder erscheinen werden und dass man die Patienten entsprechend beraten sollte, sich nicht durch solche Berichte verunsichern zu lassen.

Quelle

[1] Nielsen SF and Nordestgaard BG. Negative statin-related news stories decrease statin persistence and increase myocardial infarction and cardiovascular mortality: a nationwide prospective cohort study. Eur Heart J 2016;37:908–916

[2] Matthews A, Herrett E et al. Impact of statin related media coverage on use of statins: interrupted time series analysis with UK primary care data. BMJ 2016;353:­i3283, doi.org/10.1136/bmj.i3283


Prof. Dr. med. Helmut Gohlke Fellow of the European Society of Cardiology (FESC), Fellow of the American College of Cardiology (FACC), Vorstandsmitglied Deutsche Herzstiftung e. V.em. Vorsitzender Projektgruppe Prävention Deutsche Gesellschaft für Kardiologie

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