Zytostatika-Ausschreibungen

Warum macht die AOK das?

Wie Kassen die exklusiven Zyto-Verträge rechtfertigen

BERLIN (bro) | Nicht oft passiert es im Gesundheitswesen, dass sich Apotheker, Ärzte und Kliniken zusammenschließen, um sich für eine gemeinsame Sache einzusetzen. Wegen der Zyto-Ausschreibungen der AOK gibt es nun aber eine solche Kooperation. Auch wenn sich andere Kassen den Verträgen anschließen, steht die AOK als die Erfinderin der Zyto-Verträge zunehmend alleine da. Was sind die Argumente der Ortskrankenkassen?

Am 7. September 2016 stellte der Deutsche Apothekerverband (DAV) gemeinsam mit mehreren Verbänden auf einer Pressekonferenz in Berlin sein Argumentationspapier gegen die Zyto-Verträge vor. Einen Raum weiter präsentierte die Techniker Krankenkasse ihren Innovationsreport. Während DAV-Chef Fritz Becker und der Onkologe Stephan Schmitz gegen die AOK-Verträge wetterten, erklärte TK-Chef Jens Baas ein paar Meter weiter, dass nun auch die TK die Zytostatika-Versorgung ausschreiben werde – unter Federführung der Barmer GEK. Wirklich überzeugt klang der Mediziner Baas dabei aber nicht. Zwar zweifelt er nicht an Einsparpotenzialen im Zytobereich – aber Ausschreibungen hält er nicht für das richtige Mittel, diese zu heben. Die TK schließe sich eher notgedrungen der dritten Ausschreibungswelle an. Denn immer mehr Ärzte rechneten die Verwürfe, die im Rahmen von Zyto-Verträgen anderer Kassen entstünden, bei der TK ab, sagte Baas. Damit müsse man nicht nur seine Kosten, sondern auch noch die der anderen Kassen tragen. Baas betonte, für „intelligentere Methoden“ als Ausschreibungen offen zu sein. Aber dabei müsse der Gesetzgeber mitziehen.

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Probleme beim Zytostatika-Transport? Die AOK wiegelt ab und betont, dass in vielen Fällen Apotheken aus der Region beliefern.

AOK: „Verbesserte Versorgung“

Auch immer mehr Medien griffen die Ausschreibungspraxis auf und stellten sich zumeist auf die Seite der Apotheker. Die AOK hat sich diese Entwicklungen nicht tatenlos angeschaut. In einem Interview mit DAZ.online hatte Sabine Richard, Versorgungschefin beim AOK-Bundesverband, bereits erklärt, dass die Verträge die Versorgung aus ihrer Sicht sogar verbessert hätten. Die Politik-Abteilung des AOK-Bundesverbandes, der die Ausschreibungen stellvertretend für die Ortskrankenkassen im Nordosten, Rheinland-Hamburg und Hessen organisiert hatte, hat nun nachgelegt und ein siebenseitiges Papier mit dem Namen „Mär und Wirklichkeit“ vorgelegt.

„Mär und Wirklichkeit“

In dem Dokument nehmen die Lobbyisten der AOK zu den Vorwürfen der Apotheker, Ärzte und Kliniken Stellung. Grundsätzlich weist die AOK darauf hin, dass es ohne die Verträge immer wieder zu finanziellen Absprachen zwischen Ärzten und Apothekern gekommen sei. Zu den Vorwürfen über verspätete Lieferungen oder abgelaufene Arzneimittel stellt die AOK in der Einleitung fest: Man habe nur Apotheken ausgewählt, die „nicht systemfremd“ seien und die Zyto-Versorgung kennen würden.

Im Kapitel „Die Mär von massenhaften Problemen“ relativiert der AOK-BV weitere angebliche Versorgungsprobleme. In Berlin und Hessen, wo es seit 2010 und 2013 Ausschreibungen gebe, seien keine Versorgungsprobleme bekannt. Längere Wartezeiten seien „die Ausnahme“. Was die Umsetzung der neuen Verträge in Hessen betrifft, räumt die AOK ein: Es gebe drei Fälle von „Missverständnissen und Störungsquellen“ zwischen Apotheker und Arztpraxis, etwa „unterschiedliche Auffassungen zur Haltbarkeit“. Im Nordosten habe man die Versorgung sogar in einigen Fällen näher an den Patienten herangeholt, heißt es in dem Papier weiter. Im Ausschreibungsgebiet Rheinland/Hamburg gibt die AOK allerdings mehrere Fehler zu: In zwei Losgebieten hätten Apotheken den Vertrag gekündigt, außerdem habe man den Vertrag mit einem Apotheker aus Hamburg aufgehoben. Hintergrund: In Hamburg war bekannt geworden, dass ein AOK-versorgender Pharmazeut vorbestraft war.

Im Absatz „Mär von der Apotheke um die Ecke“ beschreibt der AOK-BV, dass es auch in der Kollektivversorgung immer wieder Probleme gebe. Ganz nach dem Prinzip „Wer kann, der darf.“ könne jeder Apotheker an der Versorgung teilnehmen, so entstehe eine Intransparenz in den Lieferwegen. Außerdem sei der Zytostatika-Markt sehr anfällig für Korruption. Und: Weil der Arzt das alleinige Wahlrecht habe, werde er eben nicht immer von der Apotheke um die Ecke versorgt. Eine AOK-Analyse habe gezeigt, dass Ärzte häufiger weiter weg gelegene Anbieter wählten.

„Hochwertige Versorgung“

Die Ausschreibungen hingegen hätten für Stabilität gesorgt. Die Ausschreibung betreffe nämlich nur den Bezugsweg zwischen Arzt und Apotheker. „Der Protest einzelner Praxen ist auch damit zu erklären, dass die bisherigen Abläufe in gewissem Rahmen angepasst werden müssen. Wenige Arztpraxen tragen dies nun auf dem Rücken der AOK-Patienten aus“, heißt es in dem AOK-Papier. Weiterhin sei durch die Verträge Transparenz entstanden, die Korruption sei verringert worden, die Krankenkassen hätten „erheblich“ eingespart, und die Ver­sorgung sei „hochwertig“. Außerdem habe der AOK-BV „nahezu flächendeckend“ regionalen Apotheken einen Zuschlag erteilt. „Die AOK zerschlägt keine Versorgungsstrukturen. Alle Apotheken können sich an den Ausschreibungen beteiligen. In vielen Fällen werden die Praxen wie bisher von Apotheken aus der Region beliefert.“

Letztlich ist auch der Begriff des „Spardiktates“ für die AOK eine Mär. Die AOK versichert, dass alle Einsparungen aus den Zyto-Verträgen nicht zulasten der Qualität gingen. „Ein wichtiges Ziel der Ausschreibung ist vielmehr, die vorhandenen Wirtschaftlichkeitspotenziale nun zugunsten der Versichertengemeinschaft bei den Kassen zu realisieren. Nicht nur im Gesundheitswesen gilt, dass höchste Produktqualität nicht nur unter Höchstpreisen erreicht werden kann.“ Auch dafür, dass die AOK exklusiv ausschreibt, gibt es im Bundesverband eine Erklärung: Es gebe „Notfallpläne“ bei Lieferausfällen, für die Apotheker genügend Vorbereitungszeit und relativ kurze Vertragslaufzeiten von ein bis zwei Jahren.

Politik in Bewegung

Spätestens seit der Äußerung des CDU-Politikers Michael Hennrich ist aber wahrscheinlich, dass der Gesetzgeber das Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetz (AM-VSG) nutzen wird, um die Ausschreibungen zu modifizieren – oder gänzlich abzuschaffen. Hennrich hatte in der vergangenen Woche vorgeschlagen, die für die Zubereitungen verwendeten Zytostatika künftig zwischen Kassen und Herstellern auszuschreiben (siehe DAZ 2016, Nr. 37, S. 11). DAV-Chef Becker und Dr. Klaus Peterseim, Präsident des Verbands der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA), können sich diese Rabattvertragsvariante durchaus vorstellen.

Und auch das Bundesgesundheitsministerium hat zuletzt wiederholt bekräftigt, dass man die derzeitige Praxis prüfe und gegebenenfalls eingreifen will. Es sieht vor allem kritisch, dass das Apothekenwahlrecht der Patienten durch die Exklusivverträge ausgeschlossen wird – das hat das Bundessozialgericht im November vergangenen Jahres entschieden. Dass sich der Gesetzgeber in diesem Bereich bewegen wird, ist also recht wahrscheinlich. Die Frage ist, in welcher Weise.

AOK lehnt Rabattverträge ab

Aber auch der Vorschlag der Zyto-Rabattverträge mit Herstellern sorgt bei der AOK für wenig Begeisterung. Gegenüber DAZ.online hat der AOK-Bundesverband inzwischen bekräftigt, dass sich die Rabattverträge nicht auf Zubereitungen ausweiten ließen. „Denn herstellerbezogene Rabattverträge bedeuten nicht nur mehr bürokratischen Aufwand, wesentliche Einsparpotenziale blieben damit auch ungenutzt.“ Und weiter: „Preisreduk­tionen durch Einkaufsvorteile der Apotheker bei den Herstellern generischer Wirkstoffe würde man damit zwar auch erreichen. Außen vor blieben jedoch sowohl die Einsparpoten­ziale bei den Kosten der Zubereitung in der Apotheke als auch die Vorteile durch eine effizientere Verwertung der Arzneimittel“. So könne der Arzt durch Ankreuzen des Aut-idem-Feldes die Auswahl des Rabattarzneimittels einfach unterlaufen. Zudem betont Litsch, dass das Problem der Verwürfe durch Rabattverträge nicht gelöst werde. Auch das Argument der freien Apothekenwahl lässt der AOK-Bundesverband nach wie vor nicht gelten. Denn: „Die Patientenwahlfreiheit spielt in der derzeitigen Versorgungswirklichkeit überhaupt keine Rolle, denn die Wahl der Apotheke wird durch die Arztpraxis getroffen.“ |


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